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4. Gott und die Offenheit des Gastes: Gen 18

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„Und es erschien ihm [Abraham] JHWH am Zelteingang, während er sitzend war bei den Eichen von Mamre: Bei der Hitze des Tages erhob er seine Augen, als er schaute. Da siehe: Drei Männer stehend ihm gegenüber. Als er sie gesehen hatte, rannte er vom Zelteingang weg ihnen zu begegnen. Und er verneigte sich zur Erde und sprach: Mein Herr, wenn ich in deinen Augen Gnade gefunden habe, zieh nicht an deinem Knecht vorüber. […] Und JHWH sprach: Soll ich verbergen vor Abraham, was ich tue? Abraham, seiner soll werden ein mächtiger und großer Volksstamm, und Segen werden erlangen durch ihn alle Volksstämme der Erde, denn ich habe ihn dazu erkannt, dass er gebiete seinen Söhnen und seinem Haus, dass einhalten sollen sie den Weg JHWHs im Tun von Gerechtigkeit und Recht, auf dass JHWH kommen lasse über Abraham das, was er über ihn verheißen hat.“ (Gen 18,1–3; 17–19)

„Und Mose sagte zu JHWH: „Doch du hast gesagt: ‚Ich erkenne dich beim Namen und auch hast du Gnade in meinen Augen gefunden.‘ Nun aber, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, dann lass mich doch deinen Weg wissen, so dass ich dich erkenne, um Gnade in deinen Augen finden zu können.“ […] Und dann sprach JHWH zu Mose: „Auch dies, was du gesagt hast, will ich tun, denn du hast Gnade in meinen Augen gefunden und ich erkenne dich mit Namen.“ Und dann sagte er [Mose]: „Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen.“ Darauf sagte er [JHWH]: „Ich werde meine ganze Güte an deinem Angesicht vorüberziehen lassen und werde mich dir im Namen JHWH offenbaren […]. Und JHWH ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: JHWH JHWH, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue […].“ (Ex 33,12b–13a.17a; 34,6)

Die mit Set und Enosch verbundene Lektion wird seitens des Menschen immer wieder vergessen, die Linie Kains behält die Oberhand, wie sich bald an Hand des Turmbaus von Babel (Gen 11,1–9) zeigen wird. In ihm liegt, wie J. Ebach auf grandiose Weise herausgearbeitet hat28, ein großes Vereinheitlichungsprojekt bis in die Sprache hinein, was bereits in dem in den meisten Übersetzungen unterschlagenen Beginn der Perikope zum Ausdruck kommt: „Und es geschah: Die ganze Erde hatte ein und dieselbe Sprache.“ (Gen 11,1) Der Spracheintopf ist also nicht der Ausgangspunkt, sondern Ergebnis des kainitischen Projekts der Dominanz und des absoluten Machtanspruchs und Vereinheitlichungswillens. Das Problem besteht nicht in der Sprachenvielfalt, sondern in der Aufhebung aller Differenzen und der Auferlegung einer reduktionistischen Sprache („Sie sprachen ein Mann zum Genossen: Lasst uns Ziegel ziegeln“), die jeden Spielraum |32|ausschaltet. Letztlich stellt der Turmbau nichts anderes dar als den Versuch des Menschen, den Baum des Lebens nachzubauen, ein absolutes totales Zentrum zu errichten unter Ausschluss des „Zusatzes“ und aller „Verschiebungen“. Bekanntermaßen ist dieses Projekt gescheitert und man könnte sagen, dass „Gott“ auch die nächste Runde im Kampf des Menschen um die Erringung unverletzbarer Unsterblichkeit gewonnen hat. Resultat ist ein neues Aufblühen des sprachlich-kulturellen Pluralismus, wie er in der Genealogie von Gen 11,10–32 zum Tragen kommt.

In dieser Genealogie tritt das erste Mal der erste große Protagonist der Heilsgeschichte auf, nämlich Abra(ha)m. Dieser ist nicht im Zentrum des Weltgeschehens, sondern steht im „äußeren“ Zweig der Set-Linie. Sein „Außenseiter“-Sein, seine Funktion als weiterer Zusatz und als Repräsentant der Peripherie zeigt sich im Auftrag, der in Gen 12,1–4 an ihn ergeht: Er muss seine Kultur und seine Genealogie verlassen, um fortan als Gast Träger des Heilsgeschehens zu sein. Mit der Figur des Gastes wird eine für die Bibel in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Kategorie eingeführt. Gen 18, in der die Figur des Gastes auftritt, nimmt einerseits für den Fortgang des Heilsgeschehens eine höchst bedeutsame Stellung ein, insofern Abraham und Sarah die Verheißung von Nachkommenschaft erfahren, andererseits ist sie, wie die oben angeführten Textausschnitte andeuten wollen, auch semantisch auf enge Weise mit dem Zentrum der Tora29, der Offenbarung des Gottesnamens JHWH verbunden.

Gen 18, in vielen Übersetzungen mit eher fragwürdigen Überschriften versehen, die dem Geschehen Subtilität und Spannung nehmen30, berichtet auf feinfühlige Weise zunächst davon, wie Abraham, mittlerweile seit längerer Zeit weilender Gast im Verheißungsland, drei Fremde bedingungslos aufnimmt und als Gäste empfängt. Schrittweise enthüllt sich dabei die Tatsache, dass sich in den drei Gästen bzw. in der gastlichen Aufnahme und der an sie gebundenen Verheißung Gott selber offenbart. Dass Gen 18 vom Gastthema geprägt ist, zeigt auch der an die Aufnahme der drei Fremden anschließende Szenenwechsel, wo Lot, der der Gastlichkeit Abrahams nicht nachsteht und die Sakralität des Gastes sogar über die eigene Familie stellt, mit dem absolut ungastlichen Ort Sodom konfrontiert ist.

Abraham nimmt die drei Fremden gastfreundlich auf, ohne nach deren Namen, Herkunft oder Ziel zu fragen, d. h. er vermeidet jede aneignende Identifizierung der vorbeiziehenden Gestalten. Damit wird er der Figur des Gastes auf besondere Weise gerecht. Auf herausragende Weise zeigt H. D. Bahr in seinem Buch „Die Sprache des Gastes“31 einige Besonderheiten dieser merkwürdigen, bislang wenig bedachten Figur auf: Der Gast entzieht sich der binären Einteilung Eigenes/Anderes und Immanenz/Transzendenz, indem |33|er gewissermaßen im Zentrum des Eigenen steht, ohne doch diesem anzugehören. Es ist auch zu beobachten, dass der Gast nicht als Eigenschaft, d. h. als mit einer Negation verbundene Qualität dienen kann – „gastlich“ ist immer der Gastgeber, niemals aber der Gast. Damit rückt eine Tatsache in das Blickfeld, die auch für „Gott“ und „göttlich“ gälte, allerdings in völliger Gedankenlosigkeit vergessen wurde, wenn „göttlich“ als Prädikation unter anderen diente. Der Gast ist ferner eine Figur, die nie bei sich ist, also dem narzisstischen Spiegelmotiv des Ich=Ich entgegengestellt ist. Es handelt sich bei ihm um eine Gestalt, deren Existenz an das Geschehen einer Aufnahme gebunden ist, die also nicht „an sich“ ist. Seit alters her wurde sie in engste Verbindung mit dem Heiligen gestellt, sodass Gastlichkeit, wie in Gen 18 angedeutet, sogar das heiligste Gesetz sein konnte. Mit dem Heiligen teilt der Gast den Umstand, dass er im Falle einer Aneignung (Profanierung) vollkommen (als Gast) zum Verschwinden gebracht wird. Von zentraler Bedeutung ist auch, dass der Gast als exterritoriales Moment im Eigenen dessen Offenheit bedeutet. Weiterhin sei angemerkt, dass der Gast von alters her Geschenke an den Ort seiner Aufnahme mitbrachte. Diese allerdings bringen nicht eine Logik des Tausches zum Ausdruck, vielmehr symbolisieren sie die Tatsache, dass der Gast sich selber schenkt und gibt und damit auch eine dialektische Verkehrung von Gast und Gastgeber statthat. Wir werden in seiner Aufnahme zu Gästen am Sich-Geben des Gastes, d. h. Gäste unserer Gäste, an ihren Erzählungen und ihren Darreichungen (d. i. ihrer Person).

Theologisch kann kurz darauf hingewiesen werden, dass die Bibel mit dem Buchstaben Beta, also dem Symbol eines offenen Hauses, beginnt und die Tatsache in Erinnerung ruft, dass von einem Haus erst gesprochen werden kann, wenn dieses eine Offenheit aufweist, wenn es das Moment eines Übergangs von Eigenem und Fremdem kennt. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass Gott selber in der Bibel auf ganz entscheidende Weise als Gast zur Sprache kommt. JHWH, der Gott des Exodus, gastet im Bundeszelt und ist dabei als Gast auch Gastgeber seines Volkes. Auch Jesus wird in den Evangelien in vielen Geschichten als Gast dargestellt32. Es ist von keiner Wohnstatt Jesu die Rede, sehr wohl aber davon, dass er immer wieder als Gast zum Gastgeber seiner Gäste wird. Von daher ist es auch verständlich, dass sich Jesus in seiner letzten Lektion, die er als Lehrer gegeben hat, als endzeitlicher Weltenrichter mit der Figur des Gastes identifiziert (Mt 25,35).

Es wurde bereits angedeutet, dass der biblische Gott immer als Beziehungsgröße fungiert: als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, als Vater Jesu. Dies wird noch verdeutlicht durch die Figur des Gastes: Insofern Gott als Gast bei seinem Volk verweilt, bindet er sich an die Aufnahme. Es macht weder Sinn, von einem Gast an sich zu sprechen, noch wäre es eine korrekte Ausdrucksweise, davon zu sprechen, dass der Gast von den ihn Aufnehmenden „gemacht“ und „hervorgebracht“ wird. Vielmehr behält seine Figur immer ein Moment der Entzogenheit gerade in der Bindung an die ihn Aufnehmenden. Dies verdeutlicht noch einmal die Problematik, sowohl der Rede von einem „an sich seienden“ Gott, wie er als causa sui in der griechischen Metaphysik gedacht wird, |34|als auch des Gedankens eines „abgeleiteten“, „verursachten“ oder „projizierten“ Gottes, der ja gerade durch ersteren Gedanken abgehalten werden sollte, weshalb christliche Theologie den metaphysischen Gedanken der „causa sui“ aufnehmen konnte. Der Gast allerdings quert beide Alternativen und zeigt seine Entzogenheit in der Aufnahme, was im Übrigen auch ein Grundmoment christlichen Betens darstellt, insofern Gott sich radikal an die Aufnahme des Betenden bindet, ohne dass dadurch die Entzogenheit einer (betenden) Vereinnahmung weichen dürfte.

Philosophisch sei betont, dass das „zu Gast sein“ nicht nur zeitlich-existenziell das Grundmoment der Existenz ausmacht (jedes menschliche Leben ist zunächst zu Gast im Körper der Mutter). Das „Subjekt“ empfängt sich und andere auf gastliche Weise in der Sprache, der Überlieferung, in seinem Bei-sich-selbst-Sein und es ex-sistiert erst durch die Offenheit dieser Aufnahme/dieses Aufgenommenseins. In diese Richtung weist auch eine der großen Einsichten von Immanuel Kant, nämlich der Satz „Ich denke muss alle meine Vorstellungen begleiten können“33, der als Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption fungiert. Der hier angesprochene Begleiter ist niemals verobjektivierbar, wie nicht zuletzt das Paralogismuskapitel eindrücklich zur Darstellung bringt. Man kann fragen, ob das Motiv eines unseren denkenden Selbstvollzug begleitenden Zusatzes nicht eine säkularisierte Fassung der alten christlichen Vorstellung einer Begleitung durch „Engel“ darstellt, die das Individuum als nichtobjektivierbarer „Zusatz“ in die ureigene Berufung geführt haben. Wie immer dem sein mag, so konfrontiert uns das Gastmotiv auf genuine Weise mit jener Offenheit, die sich untrennbar mit dem biblischen Gottesnamen verbindet.

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