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|39|6. Gott und die Offenheit des Körpers: Joh 20,19–30

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„Als es nun Abend war an jenem Tag, dem ersten der Woche, und als die Türen verschlossen waren, wo die Schüler waren, wegen der Furcht vor den Judaiern, kam Jesus und stellte sich in ihre Mitte, und er sagt ihnen: Friede euch! Und dies sprechend, zeigte er die Hände und die Seite ihnen. Es freuten sich nun die Schüler, sehend den Herrn. (Es) sprach nun zu ihnen wieder: Friede euch, gleichwie mich geschickt hat der Vater, schicke auch ich euch. Und dies sprechend, anhauchte er und sagt ihnen: Empfangt heiligen Geist; von welchen immer ihr erlasst die Sünden, erlassen werden sie ihnen, von welchen ihr behaltet, behalten sind sie.

Thomas aber, einer von den Zwölf, der Didimos genannte, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Es sagten nun ihm die anderen Schüler: Wir haben gesehen den Herrn. Der aber sprach zu ihnen: Wenn nicht ich sehe an seinen Händen das Mal der Nägel und lege meinen Finger in das Mal der Nägel und lege meine Hand in seine Seite, nicht werde ich glauben. Und nach acht Tagen wieder waren drinnen seine Schüler und Thomas bei ihnen. Es kommt Jesus, während die Türen verschlossen waren, und er stellte sich in die Mitte und sprach: Friede euch. Dann sagt er zu Thomas: Bring deinen Finger hierher und sieh meine Hände und bring deine Hand und lege sie in meine Seite und nicht werde ungläubig, sondern gläubig. Es antwortete Thomas und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott. Es sagt ihm Jesus: Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt.

Selig, die nicht Sehenden und Glaubenden!“ (Joh 20,19–30; Übersetzung Münchner Neues Testament45)

Den johanneischen Schriften verdankt das Christentum tiefgehende Überlegungen über den Körper Gottes46. In der Offenbarung des Johannes wird wieder der Baum des Lebens thematisiert (Offb 22,2), der dem Menschen nach dem Fall unzugänglich wurde. Dies deshalb, weil seitens des Menschen versucht wurde, auf das Leben einen unmittelbaren und absoluten Zugriff, der keinen Entzug und keine Absenzen kennt, zu bekommen. In der Johannesoffenbarung ist das Szenario, in dem der Baum des Lebens wieder in die Mitte der Menschheit treten kann, auf das Engste mit dem geschlachteten Lamm Gottes und seiner Wunde verbunden. Das Leben bildet, symbolisiert durch Jesus als das Lamm Gottes, eine Sphäre der Verwundbarkeit, Ausgesetztheit, Berührbarkeit und Offenheit, die das zentrale Thema des „versiegelten“ Buches der Geschichte der Johannes-Offenbarung darstellt. Lesbar wird es durch die Wunde Jesu, das Kreuz und die in ihm zum Ausdruck gebrachte Annahme menschlicher Leidensgeschichten. Wunde bzw. Kreuz Jesu und die Geschichte der Menschheit, wie sie in der Bibel und auf ganz besondere |40|Weise in der Johannesoffenbarung verdichtet vorliegen, bilden auf diese Weise eine Einheit, eine Art affektiver Textur und zweite Haut, mit der sich der Leser bekleidet und die ihm den Zugang zum Gottesnamen eröffnet. Wenn in christlicher Ikonographie der Baum des Lebens mit dem Kreuz Jesu zusammengedacht wurde, entspringt dies genau der Tiefenstruktur des biblischen Textes.

In der oben angeführten Perikope, die dem Ende des Johannesevangeliums entnommen ist, werden diese Überlegungen noch einmal vertieft aufgenommen. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass heute die Aussage über die Fleischwerdung des Logos, welche die Eingangsthematik des Johannesevangeliums bildet, kaum mehr in ihrer Radikalität wahrgenommen wird. Sie bedeutet zunächst, dass der Logos gerade in seiner Verkörperung „bei Gott ist“ und „Gott ist“ (Joh 1,1). Wenn theologisch betont wird, dass die Verkörperung Gottes dessen Inkarnation in Jesus von Nazareth bedeutet, ist damit noch nicht der ganze Bedeutungsinhalt dieses Gedankens ausgeschöpft. Denn der entscheidende Gedanke, der gerade mittels Jesus erschlossen wird, besteht darin, dass Gott Körper ist, in körperlicher Präsenz beim Hörer des Evangeliums steht.

In Joh 20,19–23 ist von einer Begegnung Jesu mit seinen Schülern die Rede, die zeitlich am Abend des ersten Tages situiert ist. Der Leser ist mit dieser Zeitangabe an den Anfang des Schöpfungswerkes zurückverwiesen, d. h. er wird, so ist zu vermuten, mit den Schülern, denen der auferstandene Jesus begegnet, zum Ort einer Neuschöpfung werden. Evoziert ist mit der Angabe „Abend“ aber auch noch die abendliche, todesverfallene Zeit, in der sich die Schüler befinden. Die nächste essenzielle Bemerkung lautet, dass die Türen „verschlossen“ waren. Dem JHWH-Namen und Jesus als Tor in die Schrift oder deutlicher gesagt als Eingang in eine Neuschöpfung durch die Schrift werden diese verschlossenen Tore gegenübergestellt, denen die Furcht des Schülerkreises Jesu korrespondiert. In einer radikalen Kontrastierung tritt Jesus, die verschlossenen Türen überwindend, in die „Mitte“ und bietet den Friedensgruß dar. Der Hörer dieser Perikope hat es also mit einem ersten Szenario der Öffnung zu tun: Jesus als Konkretion des JHWH-Namens überwindet die verschlossenen Türen und mit ihnen die Angst zugunsten des Friedens. Geht man davon aus, dass das Johannesevangelium eine Relektüre der gesamten Schrift (s.u.), nicht zuletzt auch der Synoptiker darstellt, so vollzieht sich mit dieser kurzen Bemerkung die Erfüllung des Benediktus-Gebetes am Eingang des Lukas-Evangeliums (Lk 1,68–79), wo verheißen ist, dass die Schüler Jesu ihm vor seinem Angesicht, gerettet vor den Feinden, Vergebung der Sünden erhaltend, furchtlos dienen dürfen. Uns begegnet also an dieser Stelle eine Eröffnung der Schrift auf ihre tiefste Sinndimension und eine Eröffnung des verschlossenen Raumes unserer Existenz auf die Ankunft des Messias hin.

Diese Eröffnung wird dadurch verstärkt, dass Jesus seinen Schülern Seite und Hände zeigt, d. h. sie mit seinem gekreuzigten Körper konfrontiert. Die Schrift wird durch das Tor des JHWH-Namens, wie er in Jesus verbalisiert und Ereignis geworden ist, geöffnet auf die Wahrnehmung des verwundeten gekreuzigten Körpers47. Im nächsten Satz |41|ist zum ersten Mal das Leitwort des gesamten Textabschnittes Joh 20,19–29 genannt: das „Sehen“ der Schüler. Diese sind nicht einfach mit den „Zwölf“ gleichzusetzen, da letztere ausdrücklich durch Thomas repräsentiert werden (s.u.). Es ist vielmehr bei den „Schülern“ an alle zu denken, die Jesus nachfolgen, und v. a. an die Hörer des Johannesevangeliums, welches, wie noch näher zu zeigen sein wird, das Tor zur Schrift eröffnet. In der Sicht des Kreuzes, im Aufbau einer affektiven Beziehung zum zerbrechlichen und verletzbaren Körper vollzieht sich eine erste Sicht des Auferstandenen und damit Friede und Neuschöpfung. Von besonderem Interesse ist V 21. Dieser liegt in verschiedenen Textvarianten vor. In einigen ist davon die Rede, dass Jesus spricht, in anderen (wohl vorzuziehenden, vgl. die Version der Ausgabe von Nestle-Aland48) erfolgt eine ganz passivische Formulierung: „Es sprach nun zu ihnen wieder“. In diesen Versionen ist also Jesus nicht ausdrücklich als Subjekt genannt. Auch wenn durch den Folgesatz klar ist, dass dieses Sprechen mit Jesus in Verbindung steht, ist es doch von Bedeutung, dass hier das Subjekt quasi verborgen oder indirekt bleibt. Dies erinnert nicht nur an das göttliche Passiv, sondern zeigt auch die Tatsache an, dass der erneute Friedensgruß nicht mehr einfach von einem endlichen gegenüberstehenden Subjekt aus adressiert ist, sondern quasi den gesamten Raum erfüllt. Der Name Jesu und sein Sendungsauftrag vollziehen sich in einem alle Leser und Schüler umfassenden affektiven Raum, in dessen Zentrum, wie noch deutlicher zu sehen sein wird, der offene Körper des Kyrios ist. Die Anhauchung und der Empfang des Geistes bringen die nächste Eröffnung, nämlich diejenige des JHWH-Namens, in dessen Zentrum die Vergebung von Schuld und der Bund mit den (moralisch, physisch und sozial) verletzten Kindern Abrahams stehen.

Mit Joh 20,24 vollzieht sich ein deutlicher Szenenwechsel.49 Im bisherigen Szenario stand Jesus einem nicht näher bezeichneten Schülerkreis, in dem sich der Leser wiederfinden konnte, gegenüber. Jetzt dagegen fällt das Augenmerk auf Thomas, einen der Zwölf. Es ist das einzige Mal im Johannesevangelium, dass auf den Zwölferkreis verwiesen wird. Damit wird die Art und Weise des Sehens der Leser des Johannesevangeliums, welche im Friedensgruß und in der affektiven Eröffnung der ersten Szene den Auferstandenen immer intimer erkennen durften, der Sichtweise der Zwölf, der historischen Weggefährten Jesu, gegenübergestellt, die naturalistisch-empiristisch geprägt ist, die also den Körper Jesu im Sinne einer unmittelbaren objekthaften Anwesenheit erfassen will. Der entscheidende Umschwung erfolgt in V 26 mit einer Zeitangabe: „Und nach acht Tagen […]“. In der ersten Sequenz hatte es der Leser mit der Öffnung eines „lokalisierbaren“ Raumes (gekennzeichnet durch verschlossene Türen) hin zu einem affektiven Raum zu tun. Jetzt tritt eine zeitliche Neuorientierung ein. Der Abend des ersten Tages verwies auf den Beginn der Schöpfung, aber in ihrer Dimension als abendliche, todesverfallene |42|Schöpfung. Demgegenüber stellt der achte Tag (1+7) eine Neuschöpfung der Zeit und eine Radikalisierung des siebenten Tages dar. Mit dem „achten Tag“ erfolgt nach der Öffnung des Raums in der ersten Szene nun eine Öffnung der Zeit auf ihr eschatologisches Zentrum hin. Die Zeit verliert so ihre „Abbildbarkeit“ und Messbarkeit, ihre objektiv-chronologische Dimension. An diesem achten Tag erfolgt dann auch die neuerliche Ankunft des auferstandenen Jesus, der Thomas auffordert, die Hände in seine Seite zu legen. Von ganz entscheidender Bedeutung ist die Tatsache, dass gerade nicht geschildert wird, dass Thomas der Aufforderung Jesu nachgekommen wäre, vielmehr ist seine Antwort viel tiefgründiger und grundlegender. Mit dem Satz „Mein Herr und mein Gott“ spricht er das höchste Bekenntnis in der gesamten Bibel aus. Nicht zufällig erinnert es an das Messiasbekenntnis des Petrus, des traditionellen Repräsentanten der Zwölf, und überbietet es sogar, denn die Sicht des Thomas verbindet sozusagen die physische Sicht des unmittelbaren Schülerkreises und die „geistige“ Sicht des Lesers des Evangeliums.

Dabei kann gefragt werden, worauf sich dieses höchste Bekenntnis des Thomas gründet. Wäre es einfach Resultat einer physisch-empirischen Wahrnehmung gewesen, hätte sich nichts bewegt in diesem Text und der „achte“ Tag wäre nicht wirklich angebrochen. Demgegenüber ist zu akzentuieren, dass Thomas die verwundete Seite Jesu, also die Offenheit des jesuanischen Körpers geschaut hat. Er hat also nicht mehr „etwas“ erblickt, sondern die Offenheit des Körpers selber. Dem entsprechend ist auch der folgende Satz Jesu „Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt“ nicht als Tadel für Thomas zu lesen, sondern als dessen Bestätigung. Sein Bekenntnis ist Ausdruck eines Glaubens, der von einer Öffnung der Sicht über die unmittelbare Anwesenheit eines Körpers hinaus zu dessen Offenheit handelt. Die abschließende Seligpreisung „Selig die nicht Sehenden und Glaubenden!“ fungiert dann als Unterschrift, als Signatur50 des Buches. Genau in der gläubigen Sicht des Körpers, welche die Unmittelbarkeit des Objekthaften (im Hegelschen Sinne) aufgehoben hat, wird sich der Logos des Evangeliums erschließen.

Damit ist eine viel tiefere Sicht des Körpers überhaupt verbunden. Dieser ist kein Objekt, wie es viele unserer empfindungsresistenten Wissenschaften und Philosophien vermeinen, sondern, wie Maurice Merleau-Ponty in seinem Meisterwerk Phänomenologie der Wahrnehmung auf grandiose Weise herausgearbeitet hat, aufgespannt zwischen aktuellem und habituellem Körper, „das Vehikel des Zur-Welt-seins“51, die reine Offenheit auf Welt hin. In der Existenz des Jesus von Nazareth hat sich dessen Offenheit und Sein-Für eingeschrieben und eingeprägt in den Wahrnehmungshorizont seiner Schüler. Der radikalste Ausdruck davon, „Erhöhung“ im wahrsten Sinne des Wortes, wurde dabei das Kreuz, in dem Jesu Körper ganz der verletzbaren und endlichen Existenz des Menschen geöffnet wurde. Diesen Blick nimmt Jesus selber hinein in das Bekenntnis „Siehe, der Mensch“ (Joh 19,5)52, welches die folgenden Variationen des Sehens, des Leitwortes des Kapitels 20, einleitet. Jeder Körper steht immer in einem Spielraum zwischen Präsenzen |43|und Absenzen; in jedem Gestus und jeder Bewegung weist der Körper über seine unmittelbare Präsenz hinaus, was etwa im Tanz auf besondere Weise zum Ausdruck kommt. Auch das Körperorgan schlechthin, die Haut, ist reiner Durchgang, gerade in der Begrenzung des Körpers dessen Zur-Welt-Sein und Offenheit. Der entscheidende Punkt besteht darin, dass Jesu Körper am Kreuz in der Ausgesetztheit auf sein Anderes verweist, dass die Immanenz des leidenden Körpers zur Signatur Gottes wird. Theologisch könnte man darauf hinweisen, dass Jesus gerade nicht eine unmittelbare pagane Inkarnation des Göttlichen darstellt, sondern in der Transparenz und Offenheit des empfindsamen Körpers Verweis auf Gott als das Andere seiner und nur in dieser Verweisstruktur Wohnstatt des „Vaters“ IST. Damit bildet er den Berührungs- und Durchgangspunkt, d. h. den Empfindungs-Spielraum – auch die Haut ist immer ein Spielraum von Empfindungen, der Durchgangspunkt von Eigen- und Anderswahrnehmung – zweier Sphären, die Gemeinschaft des aktuellen und des habituellen Körpers, des Menschen und Gottes. In diesem Sinne ist auch das Mitleiden Gottes kein äußerlich-sentimentales, sondern die Empfindung des sich öffnenden (und Berührung erfahrenden) Menschen wird zum Empfindungsraum des Körpers Gottes selber.

Genau diese Empfindsamkeit ist es, die sich in der Auferstehung Jesu weitet vom Gekreuzigten hin zum Kreis der Schüler und Nachfolgenden, womit der Barmherzigkeit noch einmal eine tiefere und konkretere Dimension zukommt. Entscheidendes Medium der Verbindung dieses neuen affektiven und sozialen Körpers (Kirche) und damit des Körpers Gottes ist dabei, wie die johanneischen Schriften aufzeigen, die Offenheit eines Textes, fokussiert im Johannesevangelium.

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