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2. Gott und die Offenheit des Raumes: Gen 2,4b–25

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„JHWH Gott pflanzte einen Garten in Eden, ostwärts, und legte darein den Menschen, den er gebildet hatte. JHWH Gott ließ aus dem Acker allerlei Bäume schießen, reizend zu sehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.“ (Gen 2,8–9; Übersetzung M. Buber/F. Rosenzweig)

Die historisch-kritische Bibelexegese weist uns darauf hin, dass sich die zweite Schöpfungserzählung im Vergleich zur ersten einer anderen Tradition und Epoche verdankt. Wie immer dies auch im Konkreten sein mag, so ist doch festzuhalten, dass auf der Ebene des Endtextes beide Eingangserzählungen eng verwoben sind und miteinander in Dialog treten.17 Am Ende des ersten Schöpfungstextes tauchte als Höhepunkt der geheimnisvolle siebente Tag auf, den ich als Öffnung der Zeit zu interpretieren versucht habe, wobei auch die Frage offen blieb, was Gott eigentlich an diesem siebenten Tag feiert, worin das festliche und gute Moment seiner Schöpfung besteht18. Gott hält am Ende des sechsten Tages fest, dass die Schöpfung, die er gemacht hatte, „gut“ war, wobei dieses Wort in der folgenden Perikope wieder aufgenommen wird im Zusammenhang mit einem Baum. Bietet also der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse die Lösung, was das Gute ist, dass es zu feiern gilt?

Im ersten Schöpfungstext wird eine Landschaft des Lebens vorgestellt, welche Gott den ankommenden Gästen bereitet, im zweiten ist der Leser nun in einen Garten als Ort festlicher Begegnung hineinversetzt. In der Geographie des biblischen Gartens verweisen die Bäume zunächst einmal auf ein Zentrum, nämlich auf den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens. Es wird damit die traditionelle Sonnensymbolik zum Ausdruck gebracht, d. h. Gott selbst ist durch den Lebensbaum dargestellt und er strahlt als aufgehende Sonne über den Garten aus. Wir haben also das klassische Szenario eines Zentrums, welches bis in den letzten Winkel der Peripherie hineinreicht und diese an der eigenen Fülle teilhaben lässt. Von daher ist es völlig klar, dass zunächst keinerlei Verbot ausgesprochen wird, vom Baum des Lebens zu essen.

Allerdings wird dieses Szenario auf eigenartige Weise durchbrochen. Oft wurde bemerkt, dass dem Baum des Lebens ein Baum der Erkenntnis zur Seite gestellt wurde. |27|Wie aber stellt sich das Verhältnis dieser beiden Bäume dar? Wichtig zur Beantwortung dieser Frage ist das „und“, mit dem der Baum der Erkenntnis mit dem vorhergehenden Szenario verbunden ist. Es gibt den Garten mit den Bäumen, die Teil haben am Baum des Lebens „und“ den Baum der Erkenntnis. Dieses „und“ kann einerseits implizieren, dass der Baum der Erkenntnis dem Baum des Lebens zur Seite gestellt ist und seinen Ort ebenfalls in der Mitte des Gartens hat. Von diesem Gedanken her ist es dann verständlich, wenn die beiden Bäume immer mehr zu einem Baum verschmelzen. Allerdings kann das „und“ auch dahingehend verstanden werden, dass der „Baum der Erkenntnis“ in keiner Lokalisierung festmachbar ist, also gleich dem siebenten Tag eine Art Zusatz zum Gesamtszenario bildet.

„Von allen Bäumen magst essen du, essen, aber vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, von dem sollst du nicht essen, denn am Tag, da du von ihm issest, musst sterben du, sterben.“ (Gen 2,16b–17; Übersetzung M. Buber/F. Rosenzweig)

Das ursprüngliche Verbot betrifft das Essen vom Baum der Erkenntnis, d. h. dem Menschen ist zwar der Zutritt zur Quelle allen Lebens, dem Baum des Lebens, erlaubt, den Zusatz allerdings darf er nicht betreten. Was also gewahrt bleiben muss, ist ein Moment der Exterritorialität, eine Exzentrik und Versetzung der Inbesitznahme durch unseren Blick (und unser Begehren). Ohne dieses Moment hätte der Mensch völlige Verfügungsgewalt über das Leben, er wäre allmächtig, sein Blick und seine Erkenntnis wären total(itär).19 Ganz entscheidend ist die Aussage, die damit über Gott gewonnen werden kann: So wie in der ersten Perikope der siebente Tag das zeitliche Zeichen der Offenheit Gottes war, ist in der zweiten Perikope der Baum der Erkenntnis räumliches Zeichen dieser Offenheit. Auch er steht in Bezug auf die anderen Bäume, sowohl in deren Zentrum – wenn das „und“ als Beiordnung zum Baum des Lebens gelesen wird – als auch in deren Peripherie im Sinne eines nicht begehbaren Zusatzes. Ist in der klassischen theologisch-metaphysischen Tradition Gott das Zentrum allen Seins, ist die Situation hier komplexer. Gott ist gewissermaßen die Bewegung und der Übergang von Zentrum und Zusatz: Er ist weder peripher am Rande noch einfach die Sonne/das Sein im Zentrum, sondern Zentrum und Peripherie bilden einen ineinander übergehenden, nicht fixierbaren und vom Menschen nicht einnehmbaren Bereich. Wie sich im Folgenden zeigt, kann der Mensch diese Sphäre Gottes nur in dem Maß „betreten“, in dem er die Differenz und Entzogenheit zu wahren weiß. Der direkte Zugriff im Sinne einer totalen Verfügungsgewalt des Menschen über Gott, wie sie sich heute in vielen theologischen Gedankengängen zum Ausdruck bringt, führt genau zu dessen Verfehlung. Gott bildet eine Landschaft, die niemals direkt begangen werden kann, da jede direkte Vereinnahmung zum völligen Verlust („das Böse“ wäre als Gottesferne und absolute Gewalt des Menschen zu verstehen20) derselben führt.

Auch die traditionellen Ontologien, selbst in ihren negativen Fassungen, wollen den direkten Weg ins Zentrum in den Blick nehmen. Gott wird dann als causa sui, als Erstursache, |28|an der das Sein teilhat, als der Eine, der hinter allem steht und waltet, vorgestellt. Die große Wende erfolgt durch Kants Vernunftkritik und in weiterer Folge durch Hegel. Dessen erstes großes Hauptwerk, die Phänomenologie des Geistes, ist gerade nicht der metaphysische Schritt zurück hinter Kant, sondern das große Wissen um die Tatsache, dass das Absolute nur über den Weg einer Versetzung und „Umkehrung des Bewusstseins“21 zur Sprache zu bringen ist. Die ersten Kapitel der Phänomenologie des Geistes bis hin zur Religion handeln davon, dass das Subjekt sich in seiner Welt wiederzufinden trachtet – die Welt also als Spiegel des Selbst fungiert – und sich damit Halt, Identität und Macht geben will.22 Stationen dieses Selbstfindungsprozesses sind die sinnliche Gewissheit, die objektfixierte Wahrnehmung, der Verstand und seine Gesetzeswelt, die beobachtende und die praktische Vernunft, die Erotik, die sittliche Einbettung in Staat und Familie und nicht zuletzt die Geltungsansprüche des urteilenden Subjekts in der Bildung, im Glauben, in der Freiheit, der Moralität und dem Gewissen. Am Ende dieses ersten Durchganges der Phänomenologie macht das Bewusstsein die Erfahrung, dass es sich weder in der vereinnahmenden Beurteilung des Anderen noch in praktischen und moralischen (Selbst)vergewisserungen (Handeln, Verzeihung) eine letzte Verortung geben kann. Damit erfährt es einen radikalen Selbstverlust, der Ausgangspunkt der Religion ist. In der theoretischen Vernunft, gipfelnd in der Reflexivität des Aufklärungsprozesses und der dadurch ausgelösten Freiheitserfahrung, vermochte das Subjekt sich bereits von jeder Gegenständlichkeit zu lösen. Dadurch setzte es die europäisch-abendländische Geschichte in Gange, durch einen ungeheuren bis dato so nicht vorhandenen Abstraktionsprozess von allen (objekthaften) Bezügen historischer, kultureller und religiöser Art, in denen es sich vorfand. Das Subjekt hat sich auf diese Weise als radikale Negation seiner Umwelt und der es leitenden Traditionen wiedergefunden. Die Religion bedeutet in der Sicht der Phänomenologie des Geistes demgegenüber das Ende aller Projektionen, auch jener letzten großen europäischen Projektion, in der sich das Subjekt in Negations- und Distanzierungsvollzügen (in der Arbeit, in der Bildung, in der Freiheit usw.) gegenüber seiner Umwelt zu fassen meinte. Hegels radikale Figur einer Negation der Negation setzt genau da ein, wo sich das Subjekt weder positiv im Sinne einer direkten Selbstidentifizierung in bestimmten Sphären seiner Umwelt noch negativ in seinem abstrakten Distanzierungsprozess zu fassen vermag.

Jede religiöse Ausdrucksform ist bei Hegel daher nicht eine direkte Darstellung des Absoluten, sondern die Symbolisierung eines völligen Zerbrechens jeder positiven oder negativen Selbstbespiegelung. Von daher sind bei ihm alle religiösen Ausdrucksformen Zeichen einer Differenz, eines Verweises auf das Andere des auf sich selbst und seine Welt reflektierenden Subjekts. Dies ist, wie noch angedeutet wird, auch der Bibel nicht |29|fremd, wenn sie für Gott ein Tetragramm (JHWH) einsetzt, welches sich jeder Aussprache und unmittelbaren Bedeutungsgebung entzieht. Der berühmte Satz Hegels „Gott ist tot“, mit dem dieser das Kreuzesgeschehen und damit das Christentum (in lutherischer Tradition) zusammenfasst, bedeutet daher nicht, dass an die Stelle Gottes irgendein weltimmanentes Gesetz oder auch die reine Abwesenheit eines schreckenerregenden „Nichts“ gesetzt werden könnte – Hegel wehrte sich gegen Vorwürfe des Pantheismus (und Atheismus) –, vielmehr bezeichnet es das Ende eines göttlichen Prinzips, durch das sich der Mensch selbst absolut durchsichtig werden könnte und in dem sich der Mensch einen letzten absoluten Standpunkt verliehe.

Hegels Dialektik, seine Negation der Negation, steht wohl als erster abendländischer Denkversuch (im Gefolge von Kant23) in engster Nähe zu jenem Gott, der in der Aufspreizung eines Raums zwischen Zentrum und Peripherie, gewissermaßen „innerhalb“ einer Versetzung und Verschiebung des Seins und der vom Subjekt anvisierten Ereignisse, jenseits jeder direkten In-den-Blick-Nahme „lokalisiert“ werden muss. Theologisch wurde diese „Gotteskrisis“ bisher zu wenig berücksichtigt, allerdings wäre das Diktum von Metz, dass die kürzeste Definition von Religion Unterbrechung ist, ohne diesen Hintergrund kaum verständlich zu machen.24

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