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2. Zur philosophischen Durchdringung der Gottrede – Die „Hellenisierung des Christentums“ als Paradigma

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In einem ersten Schritt wurde gezeigt, was es überhaupt bedeutet, den Glauben zu denken. Dazu wurde die einen erfüllende Hoffnung als anthropologische Dimension bestimmt. In diesem zweiten Schritt soll nunmehr skizziert werden, wie man diese Dimension angemessen im intersubjektiven Diskurs verbürgt, um über diese Hoffnung jedem Rede und Antwort stehen zu können. Mit anderen Worten: Es geht in diesem zweiten Schritt nicht mehr um das vorsprachliche Bewusstseinsphänomen des religiösen Glaubens, sondern um die Form einer intersubjektiv erschließbaren Gott-Rede. Am Beispiel der „Hellenisierung des Christentums“ sei dies paradigmatisch veranschaulicht.

Der soziokulturelle Kontext, in dem sich das Christentum von einer kleinen jüdischen Sekte zu einer in der Selbst- und Fremdwahrnehmung autarken Religion entwickelte, ist das Römische Reich mit seiner griechisch-hellenistischen Kultur. Die Emanzipation des Christentums zu einer eigenständigen Religion nimmt ihren Ausgang mit der paulinischen Heidenmission. Dadurch kommt es nicht nur zu einer radikalen Neubewertung des Missionsverständnisses (die sich letztlich nicht mehr innerhalb der jüdischen Religion durchführen ließ, wie der unterschiedlich in Gal 2 und Apg 15 überlieferte Apostelkonvent zeigt), sondern das Christentum etablierte sich zugleich als hochinteressantes Angebot am „Markt der Religionen“.8 Gerade die christliche Eschatologie, die ein Leben nach dem Tod verheißt, gepaart mit ihrer authentischen sozial-gesellschaftlichen |14|Agenda, stieß bei breiten Teilen der römischen Bevölkerung (nicht zuletzt bei den im Dauerkriegszustand befindlichen Soldaten) auf fruchtbaren Boden. Das Christentum präsentierte sich als eine Lebensform, welche die sozialen, menschlichen und spirituellen Bedürfnisse weit angemessener in den Blick zu nehmen wusste, als es vergleichsweise der Isis- oder Asklepioskult tat.

Das entscheidende religionsgeschichtliche Scharnier, welches das Christentum überhaupt erst „marktkonform“ machte, bestand in seiner Übersetzbarkeit. Mit anderen Worten: Die genuin jüdischen Denkfiguren mussten in eine sprachliche und denkerische Form übersetzt werden, die für ein hellenistisches Publikum verständlich war. Ein Beispiel aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert ist die Erklärung des Sonntags von Justin dem Märtyrer:

„An dem nach der Sonne benannten Tag findet eine Versammlung an einem Ort statt […]. Wir alle halten gemeinsam die Zusammenkunft aus dem Grund am Sonntag, weil es der erste Tag ist, an dem Gott durch Umwandlung der Finsternis und des Urstoffes die Welt schuf und weil an diesem gleichen Tag unser Erlöser Jesus Christus von den Toten auferstanden ist“.9

Justin erklärt in dieser Textpassage ganz offenkundig einem hellenistischen Publikum, warum gerade am Sonntag die Zusammenkunft der Christen stattfindet. Dazu versucht er, die christlich-jüdischen Elemente (Schöpfung, Auferstehung) in einer hellenistischen Sprache auszudrücken. Diese Übersetzungsprozesse ziehen sich fort bis in das 4. Jahrhundert, in dem auf den ersten Konzilen die Grenzen einer derartigen „Hellenisierung des Christentums“ verdeutlicht wurden. Im Hintergrund stehen unterschiedliche theologische Schulen: Die Schule von Alexandria versuchte mit dem Instrument des Platonismus die jüdisch-christliche Offenbarung in ein einheitliches Emanationsmodell zu bringen. Dieses Vorgehen war von Erfolg geprägt und fand schnell Anhänger unter den gebildeten und wohlhabenden Schichten. Allerdings schloss es in seinen Theologien jene Glaubensinhalte, die mit der menschlichen Natur von Jesus verbunden waren, mehr und mehr aus. Die Schule von Antiochien bestand hingegen gerade auf der Betonung des inkommensurablen Charakters der menschlichen Natur. Gegenüber den christologischen Theologumena aus Alexandrien betonte die Schule von Antiochien, dass es sich bei Jesus von Nazareth um einen echten Menschen handelt, der als Mensch gelebt, gewirkt und den grausamen Kreuzestod erlitten hatte. Am von Kaiser Konstantin einberufenen Konzil von Nizäa (325) wurden dann nach langem Ringen dem erfolgreichen mittelplatonischen Emanationsmodell für die Erhellung der Beziehung von Gott-Vater und Gott-Sohn deutlich die Grenzen aufgezeigt. Das Konzil definierte in seinem Glaubensbekenntnis Gott-Sohn mit folgenden Worten:

„Und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist, das heißt: aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“.

|15|Mit anderen Worten: Das Verhältnis von Gott-Vater und Gott-Sohn lässt sich nicht mehr im Paradigma der Emanation auflösen. Gott-Sohn ist vielmehr mit Gott-Vater wesensgleich und nicht einfachhin eine ontologisch subordinierte Hypostase. Auch die monarchianistischen Versuche, Gott-Sohn als „auserwählten Sohn“ (Adaptionismus) zu denken oder von „einer Natur in unterschiedlichen Formen“ (Modalismus) zu sprechen, wurden vor dem Hintergrund einer Einheit mit der biblischen Tradition abgelehnt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der Terminus einer „Hellenisierung des Christentums“ als eine „spezifische Transformation der alexandrinischen Bildungseinrichtung und der dort praktizierten Wissenschaftskultur in theologischen Reflexionen des antiken Christentums“ bestimmen.10 Joseph Ratzinger geht sogar so weit, das Christentum im Ganzen als „die in Jesus Christus vermittelte Synthese zwischen dem Glauben Israels und dem griechischen Geist“ zu definieren.11 Ratzingers Theologie setzt an diesem Punkt an: In Jesus Christus hat sich Gott selbst, aus freien Stücken heraus, an den Logos gebunden. Gerade dadurch offenbart sich Gott dem Menschen. In seiner berühmten Regensburger Vorlesung Glauben, Vernunft und Universität formuliert er mittlerweile als Papst Benedikt XVI.:

„An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch zu glauben, daß vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst? Ich denke, daß an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist, und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar wird. Den ersten Vers der Genesis, den ersten Vers der Heiligen Schrift überhaupt abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser gebraucht: Gott handelt „σύν λόγω“, mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft. Johannes hat uns damit das abschließende Wort des biblischen Gottesbegriffs geschenkt, in dem alle die oft mühsamen und verschlungenen Wege des biblischen Glaubens an ihr Ziel kommen und ihre Synthese finden. Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist. Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein Zufall. Die Vision des heiligen Paulus, dem sich die Wege in Asien verschlossen und der nächtens in einem Gesicht einen Mazedonier sah und ihn rufen hörte: Komm herüber und hilf uns (Apg 16, 6–10) – diese Vision darf als Verdichtung des von innen her nötigen Aufeinanderzugehens zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen gedeutet werden“.12

|16|Im groben Gegensatz zu Ratzinger bewertet Johann Baptist Metz die Hellenisierungsthese als „Halbierung des Geistes“. Demnach kommt der Glaube aus Israel und der Geist stammt aus Athen.13 Dabei kommt es zunehmend zu einer Verdrängung des Glaubens durch den Geist, was sich in den Konzilen der Alten Kirche in Form einer soteriologischen, einer christologischen und einer ekklesiologischen Verschlüsselung manifestiert. Die Platonisierung der christlichen Offenbarungsbotschaft immunisierte die Gottrede für die Bedürfnisse der Lebenswelt, was sich im Besonderen am Umgang mit dem Leid in der Welt zeigt:

„Das Christentum [verlor] im Prozeß dieser Theologiewerdung seine Leidempfindlichkeit oder – theologisch gesprochen – seine Theodizeeempfindlichkeit, d. h. die Beunruhigung durch die Frage nach der Gerechtigkeit für die unschuldig Leidenden“.14

Demgegenüber fordert Metz einen Rückbezug auf die in der Schrift grundgelegte „anamnetische Dimension“ des Glaubens. Darin kommt es zu einer rituell-kultischen Vergegenwärtigung des Vergangenen. Walter Benjamin fasst dies im „Anhang B“ seiner geschichtsphilosophischen Thesen zusammen:

„Bekanntlich war es den Juden untersagt, der Zukunft nachzuforschen. Die Thora und das Gebet unterweisen sie dagegen im Eingedenken. Dieses entzauberte ihnen die Zukunft, der die verfallen sind, die sich bei den Wahrsagern Auskunft holen. Den Juden wurde die Zukunft aber darum doch nicht zur homogenen und leeren Zeit. Denn in ihr war jede Sekunde die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“.15

Durch die Hellenisierung der christlichen Offenbarung wurde diese anamnetische Dimension aus dem theologischen und geisteswissenschaftlichen Diskurs verdrängt. Seither fehlt es laut Metz an Zeit- und Leidempfindlichkeit. Die „blinden Flecke“ des gegenwärtigen Diskurses sind folglich der Logos, das Subjekt und der exklusive Gegenwartsbezug.

Mit der „Hellenisierung des Christentums“ wurde das altkirchliche Paradigma der Gottrede in den Blick genommen. Bei aller Begrenztheit und Kritik trug es in erheblichen Maße zur Konstituierung des Christentums als Weltreligion bei. Die Kritiken von Nizäa bis heute lehren allerdings, dass es sich auch dabei nur um eine Form von Gottrede handelt. Die Funktion der Gottrede besteht allerdings darin, der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, die einen erfüllt. Vor diesem Hintergrund kann Gottrede nicht ein für alle Mal festgelegt werden. Sie steht offen und muss für jede Zeit neu erschließbar bleiben.

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