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|9|EINLEITUNG Denkversuche des Glaubens Klaus Viertbauer, Linz 1. Glauben denken – Eine vorläufige Perspektivierung

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„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ (1 Petr 3,15)

Der biblische Auftrag, jedem Rede und Antwort über die einen erfüllende Hoffnung zu stehen, gilt als Initialpunkt für das Projekt christlicher Theologie. Auffälligerweise rückt dabei als Gegenstand gerade nicht eine partikulare Glaubenswahrheit in den Blick. Mit dem Begriff der Hoffnung bringt der biblische Text vielmehr eine anthropologische Grunddimension ins Spiel. Genau darin besteht die Plastizität der Gottrede: Die Redeform von Gott ist nicht a priori festgelegt. Sie steht offen, bleibt interpretierbar und lässt sich von Mensch zu Mensch neu erschließen. Was, wer und wie Gott ist, lässt sich somit nicht ein für alle Mal festlegen. Vielmehr lässt sich Gott von Mensch zu Mensch neu und individuell erkunden. Auf die Bedingung der Möglichkeit dieser Plastizität geht das Theologumenon der Schöpfung ein. Der entscheidende Passus im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht lautet:

„Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27)

Damit ist Folgendes ausgesagt: Im Schöpfungsakt formt Gott den Menschen nach seinem Abbild und unterscheidet ihn in Mann und Frau. Erst durch diesen Abbildcharakter des Menschen besteht nunmehr die Möglichkeit einer Relationierung der Gottrede. Weil sich im Menschen Gottes Bild auf Erden widerspiegelt, lassen sich auch dessen Attribute in Form von Analogieschlüssen relationieren: So hat die Transzendenz Gottes, deren Funktion darin besteht, Gottes Individualität auszudrücken, ihr Pendant in der Inkommensurabilität des Menschen. Gott und Mensch zeichnen sich gleichermaßen durch ihre Individualität aus. Dabei begründet man die Individualität Gottes mit Verweis auf dessen Transzendenz und die des Menschen mit Verweis auf dessen Inkommensurabilität. Die Rede von Gott lässt sich somit nur in unmittelbarer Relationierung zum Menschen leisten. Die Relationierung von „Gott“ und „Mensch“ hält sich dabei unkündbar durch alle Dimensionen der Existenz durch, sodass Gott und Mensch zwar |10|untrennbar miteinander verbunden sind, sich aber niemals aufeinander reduzieren lassen. Das 4. Laterankonzil (1215) stellt dies in Form eines berühmten Analogieschlusses heraus:

„Zwischen Schöpfer und Geschöpf gibt es keine Ähnlichkeit, ohne dass diese von einer noch größeren Unähnlichkeit begleitet wäre“ (DH 808).

Der locus theologicus der christlichen Theologie, der diese Spannung am radikalsten in den Blick nimmt, bildet zugleich dessen formale und inhaltliche Mitte: die Christologie. In Jesus Christus verbinden sich „Gott“ und „Mensch“ derart, dass sowohl dessen jeweilige Einheit „unvermischt und unverändert“ erhalten bleibt als auch deren gemeinsame Identität „ungeteilt und ungetrennt“ besteht. Damit steckt das Konzil von Chalzedon (451) den normativen Rahmen ab, innerhalb dessen sich die Gottrede, prototypisch am Beispiel der Christologie vorgeführt, als Relationierung von „Gott“ und „Mensch“ vollziehen kann. Eine Reduktion, sowohl im Sinn einer Trennung von Gott und Mensch als auch im Sinn einer Identifizierung von Gott als Mensch, ist dadurch a priori unterbunden. Mit anderen Worten: In Jesus Christus, dessen Handeln und Wirken bis hin zum Tod am Kreuz, drückt sich Gottes endgültige und unkündbare Schöpfungszusage für jeden einzelnen Menschen aus.

Vor dem Hintergrund der biblischen Erfahrung und deren theologischer Bearbeitung in der lateinischen Kirche degradiert sowohl „Gott“ als auch „Mensch“ streng genommen zu einem Unwort. Dieser Kritikpunkt wurde vor allem von Søren Kierkegaard gegenüber der metaphysischen Tradition von Platon bis Hegel angeprangert. Das Argument zielt auf die Differenz zwischen Allgemeinem und Einzelnem. Anders formuliert: Sowohl bei „Gott“ als auch bei „Mensch“ handelt es sich um bloße Begriffe. Als Begriffe fußen sie allerdings auf einem performativen Widerspruch. Denn genauso wenig, wie es den „Menschen“ nicht geben kann, genauso wenig kann man von „Gott“ sprechen. In den Begriffen „Gott“ und „Mensch“ kommt es – so der Kern der Kritik – zu einer Verdinglichung. Durch Abstraktion von partikularen Eigenschaften und Attributen generiert man ontologische Begriffe. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich allein durch Begriffe die konkrete Existenz eines Einzelnen ausdrücken lässt. Auf diese Weise radikalisiert Kierkegaard die bereits in den frühen theologischen Konzilen implizit antizipierte Materialismuskritik und dehnt diese auf den Bereich der begrifflichen Realität aus. Konkret geht es um die Reduktion von „Gott“ auf „Mensch“. Verfährt man, wie von Kierkegaard kritisiert, droht das Theologumenon der Ebenbildlichkeit in den Projektionsverdacht überzukippen. So zielt Ludwig Feuerbachs These gerade auf eine Umwandlung der Theologie in eine Anthropologie. Anders formuliert: Die Lehre von Gott lässt sich laut Feuerbach vollständig auf die Lehre vom Menschen reduzieren. Feuerbachs Projektionsargument berührt somit nur die begriffliche Realität, wenn er von der Relationierung von „Mensch“ und „Gott“ spricht:

„Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott: so viel Wert der Mensch hat, so viel Wert hat sein Gott. Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen, |11|die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem Gott erkennst du den Mensch, wiederum aus dem Menschen seinen Gott […] Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Menschen.“1

Mit anderen Worten: Individuen werden unter eine allgemeine und ihrem Wesen nach fremde Begrifflichkeit gebracht. Dabei wird sowohl „Gott“ als auch der „Mensch“ in ihrer gemeinsamen Form als Einzelne entfremdet. In den Begriffen „Gott“ und „Mensch“ kommt es zu einer Reduktion von einer pluralen, offenstehenden Realität hin zu einer singularen, fassbaren Idealität. Da es sich beim Einzelnen aber nicht nur um eine besondere Form des Allgemeinen handelt, sondern das Einzelne vielmehr frei in der Gestaltung seines Selbst ist, geht das Projektionsargument ins Leere. Der Mensch als Einzelner kann sein Leben nach seinen Maßstäben und Präferenzen formen. Die Existenz menschlichen Lebens geht deren Essenz a priori voran und schließt dabei sogar die Gestaltung des Bezuges zu seinem eigenen Grund, dem es diese Freiheit überhaupt erst zu verdanken hat, mit ein. Dadurch ist sogar die radikalste Form des Umgangs mit seinem ureigenen Grund, nämlich die Ablehnung von diesem, mit eingeschlossen. Mehr noch: Selbst wenn der Mensch als Abbild Gottes Gott selbst für null und nichtig erklärt, geschieht dies immer noch in Form der oben beschriebenen schöpfungstheologischen Zusage Gottes. So bleibt der Mensch das Abbild Gottes auch noch in dem Moment, in dem er sich von diesem loszusagen versucht.

Analog dazu lässt sich auch dem Sinnlosigkeitsverdacht begegnen: Der Oxforder Philosoph Alfred J. Ayer hat in seiner vielbeachteten Frühschrift Language, Truth and Logic (1936) darauf hingewiesen, dass das, was den Theismus mit dem Agnostizismus und dem Atheismus verbindet, der Begriff „Gott“ ist.2 Nun ist es aber ausgeschlossen, dass „Gott“ gemäß dem Verifikationsprinzip des Logischen Positivismus, zu dessen bekanntesten Vertretern Ayer zählt, zu einem Thema des philosophischen oder wissenschaftlichen Diskurses wird. Folglich ist nicht erst „Gott“, sondern bereits jegliche Bezugnahme darauf, ganz gleich ob ablehnend oder anerkennend, sinnlos. Denn das Prädikat der Sinnhaftigkeit lässt sich grundsätzlich nur von Objekten aussagen, die mittels empirischer Erhebung fassbar sind. Das Sinnlosigkeitsverdikt des Logischen Positivismus entkernt den Begriff „Gott“ von dessen Semantik. Da der Begriff „Gott“ keine empirische Evidenz aufweist, handelt es sich um einen semantisch leeren Begriff. Solche Begriffe können etwa Gegenstand von literarischen Abhandlungen sein. Doch, so Ayers Pointe, während sich der Poet der Fiktionalität seiner Figuren bewusst ist und daraus auch keinen Hehl macht, halten der Metaphysiker und der Theologe an der Existenz ihrer Figuren unbeirrt fest. Folglich handelt es sich beim Metaphysiker und Theologen um einen verkrachten Dichter. Offensichtlich orientiert sich Ayer unmittelbar am Begriff „Gott“ und diskutiert diesen vor dem Hintergrund dessen propositionalen Gehalts. Damit geht er von den gleichen Voraussetzungen aus wie zuvor bereits Feuerbach. In den |12|Blick kommt eine Verdinglichung der Gottrede, die mit metaphysischen Entitäten wie „Gott“ und „Mensch“ operiert.

An dieser Schnittstelle setzen auch die jüngsten Äußerungen von Jürgen Habermas an. Seine Bemühungen bestehen darin, Religion an den öffentlichen Diskurs anzubinden. Im Hintergrund steht Habermas’ pessimistische Sichtweise auf den Verlauf der Moderne, die er von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer übernommen hat. Diese diagnostizierten eine Dialektik in der Aufklärung, gemäß der einerseits der Mythos eine Form von Aufklärung darstellt und andererseits die Aufklärung selbst in den Mythos zurückschlägt.3 In Form seines diskursiven Konzepts von Vernunft versucht Habermas dieser Dialektik gegenzusteuern. Gerade in seinen späten Schriften ab den 1990er-Jahren versucht er, in Anbetracht von gentechnischen Optimierungsszenarien auf der einen Seite und religiös motiviertem Terror auf der anderen Seite, Religion in seine Diskurstheorie miteinzubeziehen. Dazu formuliert Habermas in seiner Friedenspreisrede Glauben und Wissen drei Regeln, gemäß denen sich Religion zu artikulieren hat. Erstens muss „das religiöse Bewusstsein […] die kognitiv dissonante Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen verarbeiten“.4 Zweitens sind Religionen angehalten, sich „auf die Autorität von Wissenschaften ein[zu]stellen, die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben“, und sie müssen sich drittens „auf die Prämissen des Verfassungsstaats einlassen, die sich aus einer profanen Moral begründen“.5 Auf diese Weise kommt es aber nicht zu einer philosophischen Durchdringung des religiösen Glaubens, sondern es wird lediglich auf die semantischen Potenziale von Religion rekurriert. Habermas selbst führt dies an dem eingangs referierten Schöpfungstheologumenon vor. Dabei ersetzt er den Gottesbezug durch eine negative und eine positive Freiheit. Die Genesisperikope lautet:

„Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27)

Diese zerlegt Habermas in zwei Teilaussagen, die er wiederum zu desakralisieren versucht:


|13|Im Unterschied zu Feuerbach und Ayer versteht sich Habermas somit dezidiert nicht mehr als Religionskritiker. Seine Beschäftigung mit Religion beschreibt er selbst als Politische Philosophie.6 Damit handelt es sich um ein agnostisches Projekt, das sich auf Religion bezieht, selbst aber nicht mehr Teil des religiösen Diskurses ist:

„Unter Bedingungen nachmetaphysischen Denkens [tritt] eine andere Differenz deutlich hervor […] der methodische Atheismus in der Art und Weise der philosophischen Bezugnahme auf die Gehalte religiöser Erfahrung“.7

Das Projekt „Glauben denken“ zielt hingegen auf eine philosophische Durchdringung der Deutungsmuster bzw. Logifizierungsstrukturen von religiösem Glauben. Es gilt, den Ort der Gottesbegegnung freizulegen und transparent zu machen. Im Verhältnis zu sich selbst, zu den anderen und zur Welt bricht er in Form einer anthropologischen Kategorie ein.

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