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|22|1. Gott und die Offenheit der Zeit: Gen 1,1–2,4a

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Schema: Gen 1,1–2,4a7


Die erste große Erzählung der Bibel handelt von der Erstellung der Erde als lebendige Landschaft. Näherhin berichtet sie vom Ausgang aus dem primordialen Chaos, welches nicht zuletzt satirisch auf die damaligen Supermächte Ägypten und Babylon verweist. Zunächst ist der erste Satz der Bibel zu betrachten: „Am/Als Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, der, wie in antiken Schriften üblich, als Titel des folgenden Textes, d. h. der gesamten Bibel, fungiert. Der titelgebende Schöpfungsprozess wird sofort vom ersten Satz des auf die Überschrift folgenden Haupttextes konterkariert: „Und die Erde wüst und leer, Finsternis über der Urflut“. Evoziert ist damit das altorientalische Chaos, welches allerdings nicht, wie sonst üblich, als ontologische Größe fungiert, sondern historische Konnotation hat. Diese zeigt sich einerseits in der Gegengeschichte des ersten Schöpfungsberichtes, der Flutgeschichte (Gen 6–9), in der die Flut als Ausdruck menschlicher Gewalttätigkeit begriffen wird (Gen 6,5;11), andererseits im vierten Schöpfungswerk, in dem Gott als Schöpfer von Sonne und Mond auftritt, wodurch die Hauptgottheiten (und ihre irdischen Repräsentanten) der damaligen Supermächte Ägypten und Babylon depotenziert werden, die im folgenden Verlauf der Bibel gerade in ihrer militärischen Stärke als die eigentlichen Chaosmächte dechiffriert werden.

Es ist also bereits der anfängliche Schöpfungsprozess untrennbar mit einem politisch-geschichtlichen Geschehen konnotiert. Gott offenbart sich in der Schöpfung, die sich im Ausgang und der Überwindung menschlicher Gewalttätigkeit und als Erstellung der Erde als lebendige Landschaft vollzieht. Der Hauptakzent liegt dabei, wie die obige Skizze zeigt, auf dem Thema Zeit. Diese markiert den Beginn, das Zentrum und das Ende des ersten biblischen Textes, der paradigmatisch für das Folgende ist. Der Tag Eins als Anfang und Grundlage der Zeit hat eine dreiteilige Struktur: „Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag“. Die Reihenfolge Abend – Morgen dreht unsere Zeitvorstellung um 180 Grad. Die biblisch-liturgische Zeit, die dem Tag Eins entspricht, beginnt |23|nämlich mit der auf den Tod zulaufenden abendlichen Zeit (Zeit I), erleidet dann die nächtlich-tödliche Unterbrechung (Zeit II) und erfährt in der morgendlichen Zeit eine Neuschöpfung (Zeit III). Dieses Schema begegnet in der Bibel auch im zentralen christlichen Theologumenon der Auferweckung Jesu „am dritten Tag“. Dieser ist nicht nur chronologische Angabe, sondern setzt die Auferweckung Jesu mit dem Gedanken der Neuschöpfung von Himmel, Erde und Zeit, also mit Zeit III in Verbindung.

Die Zeit als geprägte Festzeit ist Thema des vierten Tages (Gen 1,14–19), in dem die Sterne als Zeichen für die Festzeiten geschaffen werden. Damit leuchtet ein wichtiges theologisches Moment auf: Im Zentrum der Zeit steht das Fest, in dem Gott sich auf entscheidende Art und Weise selbst offenbart. Fragt man nach, was Neuschöpfung bedeutet, wäre die Antwort, dass sie die Transformierung chronologisch ablaufender Zeit in Festzeit Gestalt werden lässt.

Die entscheidende Aussage der ersten Perikope liegt im siebenten Tag. Um ihn zu verstehen, muss gesehen werden, dass das Schöpfungswerk nach dem sechsten Tag vollendet ist. Im ersten Teil (den Tagen Zwei und Drei) wird die Erde gastlich bereitet. Dem in Aussicht genommenen Leben wird nicht nur Raum gegeben, sondern dieser wird auch festlich geschmückt, was eine der Sinngebungen der im vierten Werk geschaffenen Pflanzen neben ihrer Funktion als Nahrung darstellt. Der zweite Teil handelt von der Ankunft der lebendigen Gäste, die ihren Abschluss in der Schaffung des Menschen hat. Dieser wird als Repräsentant Gottes eingesetzt zum Hüter des Kosmos, was insofern eine radikale politische Aussage darstellt, als diese Funktion, die dem König vorbehalten war, auf alle Menschen ausgedehnt wird. Theologisch bedeutsam ist auch, dass die Repräsentanz Gottes durch eine Differenz bezeichnet wird. Der Mensch als Mann und Frau, d. h. in einer nicht vollkommen aufeinander abbildbaren Dualität („Alterität“, „Differenz“) ist Zeigestab Gottes. Mit der Ankunft der tierischen und menschlichen Gäste und dem Menschen als Hüter einer Art Hausordnung ist die biblische Landschaft vollendet. Und tatsächlich bringt der siebente Tag inhaltlich nichts Neues:

„Vollendet waren der Himmel und die Erde, und all ihre Schar. Vollendet hatte Gott am siebenten Tag seine Arbeit, die er machte, und feierte am siebenten Tag von all seiner Arbeit, die er machte. Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, denn an ihm feierte er von all seiner Arbeit, die machend Gott schuf.“ (Gen 2,1–3; Übersetzung M. Buber/F. Rosenzweig)

Es wäre zu kurz gegriffen, im siebenten Tag lediglich einen Verweis auf die Unterbrechung der Arbeit zu sehen.8 In diesem Falle wäre das chronologische Schema zwar mit einer neuen Qualität versehen (6+1), aber nicht grundsätzlich durchbrochen. Der siebente Tag reicht weiter: Er bezeichnet nichts anderes als die Offenheit, die innere Verwandlung der Zeit selber. Die ersten sechs Tage bezeichnen eine Totalität an Geschehen, welches in sich vollkommen abgeschlossen ist. Der siebente Tag als festlicher Zusatz der Zeit schlägt in die immanent in sich beschlossene Sechs-Tage-Zeit eine Lücke, die verhindert, dass die Welt in reiner Immanenz aufgeht, gewissermaßen mit sich zusammenfällt9. |24|Radikal wird diese ursprüngliche Funktion des Sabbats durch den christlichen Sonntag (den „achten“ Tag als Steigerung und Verdeutlichung der Funktion des siebenten) verdeutlicht. Der Sonntag konnte, wie die sogenannte vorkonziliare Liturgie deutlich machte, mit jedem Wochentag zusammenfallen, öffnete aber den Wochentag hin auf seine festliche Tiefendimension. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der siebente Tag einen nicht chronologischen Zusatz, ein Supplement der Zeit bedeutet, welches die immanente Geschlossenheit der Zeit radikal transzendiert und öffnet. Er ist kein „weiterer“ Tag, sondern inmitten der anderen Tage deren nicht aus ihnen ableitbare Sinngebung und Neuschöpfung. Die anderen Tage laufen von selbst ab, folgen einer (chronologischen) Regel, während der siebente Tag sich dem Lauf der Schöpfung im letzten entzieht. In dem Moment, in dem er der willentlichen Kontrolle (der Natur, des Menschen usw.) unterläge, wäre seine Besonderheit beseitigt und die Zeit vollkommen immanentisiert.

Der siebente Tag wird so auch zum kritischen Moment in Bezug auf eine rein immanente Welterklärung. Heute wird versucht, die Welt als lückenlosen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu fassen, als eine ständige Addition von positivierbaren Augenblicken. Was darin nicht vorkommen kann, ist Subjektivität, insofern diese nie vollkommen verobjektivierbar ist, immer in Differenz zur ihrer vollkommenen Präsentierbarkeit steht. Kein Mensch könnte eine lückenlose Biographie auch nur einer Sekunde seiner Existenz schreiben, denn erstens bringt jede gedanklich-sprachliche Aufnahme bereits eine rückblickende und vorausschauende Verschiebung und Veränderung des aufgenommenen Geschehens mit sich, zweitens bleibt immer eine Kluft zwischen dem Denkenden und Gedachten zurück. In diesem Sinne bewahrt der Gedanke des siebenten Tages die Zeit vor ihrem Zusammenfallen mit sich selbst und eröffnet damit überhaupt erst Subjektivität. Im Übrigen liegt darin auch das theoretische Defizit aller objektivistischen Zeitbetrachtungen, wie sie in der Astronomie, der Evolutionsbiologie und anderen Naturwissenschaften vorausgesetzt werden. Sie alle kommen darin überein, dass das Subjekt in einen objektivierbaren und quantifizierbaren Zeitstrom eingefügt werden kann. Dagegen ist zu betonen, dass das Phänomen Zeit weder auf einen „Strom“ noch ein Nacheinander von Momenten rückführbar ist, sondern aus der Differenz erwächst, in der jedes Subjekt zu sich selbst in seinem Weltbezug steht, insofern es sich selbst in keinem Bild und keiner Objektivierung einholen kann.10

|25|In Bezug auf die Gottesfrage ist festzuhalten, dass der siebente Tag direkt auf Gott verweist, ihn also zum Ausdruck bringt. Dies bedeutet, dass Gott im wahrsten Sinne des Wortes „überflüssig“ und jenseits aller Notwendigkeiten11 und chronologischen Mechanismen weilt und nicht angeeignet werden kann. Der siebente Tag bildet keine Voraussetzung der anderen Tage, weder ontologisch im Sinne einer ersten Ursache noch transzendentalphilosophisch im Sinne einer Bedingung der Möglichkeit ihrer Existenz, er ist nicht aus ihnen ableitbar, allerdings signiert er die Zeit mit einer radikalen Offenheit (Zu-kunft), aus der überhaupt der Sinn der Ex-sistenz erwächst.

Zwei Philosophen seien genannt, deren Überlegungen deutliche Strukturparallelen mit dem Theologumenon des siebenten Tages aufweisen, nämlich Kant und Heidegger. Wenn Kant in der Kritik der reinen Vernunft der Kausalität der Natur eine Kausalität aus Freiheit gegenüberstellt bzw. festhält, dass die „Wirkung […] in Ansehung ihrer intelligiblen Ursachen als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur angesehen werden [kann]“12, so bringt er die Grenze aller total(itär)en Verknüpfungsmöglichkeit unseres Verstandes zum Ausdruck. Damit verbunden ist die Tatsache, dass die Kausalität aus Freiheit nicht die Lücken zu schließen vermag, die sich in der Verknüpfung der Verstandessynthesis auftun, insofern diese bloß die Regel einer immer weiter fortschreitenden Verknüpfung angeben kann (regulativ ist), niemals aber die Totalität als solche zu erreichen vermag (also konstitutiv wäre). Kant weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Kausalität zu den dynamischen Kategorien zu zählen ist13, d. h. in ihr eine Verknüpfung von Ungleichartigem (Ursache – Wirkung) erfolgt. Hier ist nicht der Ort, auf diese Unterscheidung näher einzugehen, wichtig ist für unseren Gedankengang nur, dass in die völlig immanent scheinende Ursache-Wirkung-Verknüpfung eine Differenz eingeschrieben ist, die niemals zu überbrücken und „füllbar“, aber auch nicht als eigene Entität verobjektivierbar ist. Ähnliche Überlegungen finden sich auch in Heideggers später Schrift „Zeit und Sein“14. In dieser Schrift, in der Heidegger verschiedene Anläufe nimmt, die ontologische Differenz (auch „Ereignis“ genannt) zur Sprache zu bringen, d. h. die Zeit gerade nicht von der Anwesenheit und Verfügbarkeit her zu denken, fällt der höchst bedeutsame Satz, dass „der Versuch in ‚Sein und Zeit‘ § 70, die Räumlichkeit des Daseins auf die Zeitlichkeit zurückzuführen, […] sich nicht halten [lässt]“15. Heidegger versucht hier einen Gedanken zu formulieren, der, wie gleich gezeigt werden wird, auch in der Bibel von großer Bedeutung ist, nämlich dass der tiefste Sinn des Raumes |26|in einer Aufspreizung und Öffnung besteht, in einem Bruch und einer Differenz des Geschehens, die niemals linear überbrückbar sind16.

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