Читать книгу Glauben denken - Группа авторов - Страница 20

|47|„als ob man von Christus nichts wüsste“? Philosophisch-theologische Überlegungen zur Personalität Gottes Georg Essen, Bochum 1. Die Krise des philosophischen Theismus in der Sattelzeit der Neuzeit. Ein philosophiehistorischer Rückblick in systematischer Absicht

Оглавление

Im Halbjahrhundert um 1800, der Sattelzeit der Neuzeit, stoßen wir auf Diskurskonstellationen, in denen das von jeher spannungsreiche Verhältnis von Philosophie und Theologie sowie von Wissenschaft und Religion im Bezugsrahmen der kritischen Philosophie Kants neu verhandelt wurde. Unter ihnen ragen drei Kontroversen hervor, die zweifelsohne zu den ganz großen geistesgeschichtlichen Debatten der Philosophie- und Theologiegeschichte gehören: der „Pantheismusstreit“ von 1785, der „Atheismusstreit“ von 1798/99 sowie der „Theismusstreit“ von 1811/12.1 Die Bedeutung dieser Streitsachen liegt darin, dass in ihnen das Thema verhandelt wurde, das im Mittelpunkt unseres Interesses steht. Stets ging es – in immer neuen Anläufen – um die gedankliche Fundierung und die vernunftförmige Ausweisbarkeit des Gottesbegriffs.

Gewissermaßen als Katalysator war insbesondere Friedrich Heinrich Jacobi an allen Streitsachen beteiligt. In seinen Auseinandersetzungen, zunächst mit Moses Mendelsohn über Lessings angeblichen Pantheismus, dann mit Fichte über die vermeintlich atheistischen Konsequenzen der von diesem vorgenommenen Identifizierung Gottes mit dem Gedanken einer moralischen Weltordnung und schlussendlich mit Schelling über die Möglichkeit einer wissenschaftsförmigen Gotteserkenntnis und die inhaltliche Bestimmung des Gottesgedankens, stand ein Thema für Jacobi stets im Mittelpunkt seines Interesses: die Frage nach der Denkbarkeit des Begriffs eines personal verstandenen und deshalb zu Schöpfung und Offenbarung freien Gottes. Für Jacobi jedenfalls ist innerhalb des von Kant her eröffneten Denkraums diese Möglichkeit epistemologisch |48|verstellt. Die Gründe, die für Jacobis Positionierung ausschlaggebend sind, müssen uns nicht weiter interessieren; es genügt der Hinweis, dass Jacobi die in den diversen Systementwürfen seiner Zeit auf den Weg gebrachte Verklammerung von Vernunft- und Subjektbegriff dafür verantwortlich machte. Das Ergebnis lief Jacobi zufolge darauf hinaus, dass der Theismus, für den die Vorstellung der Persönlichkeit Gottes ebenso zentral ist wie die Denkbarkeit eines freien Weltverhältnisses Gottes, nachhaltig in die Krise geraten war. Er misstraute mithin der Faszination, welche die Philosophie des Spinoza auf seine Zeitgenossen ausübte, und begegnete der in ihr liegenden religionsphilosophischen Grundoption mit Skepsis. Sie sollte nämlich vor dem Hintergrund des in die Krise geratenen christlichen Gottesgedankens eine neue, der Vernunft selbst nachvollziehbare Gewissheit der Immanenz des Transzendenten eröffnen. Das Gegenprogramm, auf das Jacobi setzte, zielte darauf ab, auf die Vernunftförmigkeit des Gottesbegriffs zu verzichten und ihn stattdessen allen gedanklichen Vermittlungen zu entheben, was aber heißt, ihn der reflexionslosen Unmittelbarkeit des Gefühls zuzuordnen.2

Eine Erinnerung an die philosophisch-theologischen Streitsachen dürfte bereits deshalb sinnvoll sein, weil die Krise des klassischen Theismus, die in den zurückliegenden Jahren diagnostiziert wird, keineswegs neu ist3. Bis auf das nicht zu unrecht „Sattelzeit“ der Neuzeit genannte Halbjahrhundert um 18004 müssen wir offenbar zurückgehen, um das Ausmaß des grundlegenden Plausibilitätsverlustes zu erfassen, den der überlieferte Gottesgedanken und seine lehrmäßigen Bestimmungen in der Moderne erfahren mussten. Ein extramundanes Wesen, das mit übernatürlicher Kausalität in der Welt wirkt, ließ sich am Ende des 18. Jahrhunderts nur noch schwer mit dem aufgeklärten Selbst- und Weltverständnis des Menschen vermitteln. Die bleibende Aktualität der damals geführten Debatten um die Persönlichkeit Gottes dürfte in der Tat darin liegen, dass die sich verändernde gesellschaftliche, kulturelle und soziale Realität in der Moderne |49|ganz unmittelbar zum Subtext dieser Debatten gehört. Anders gewendet: Der Streit um die Persönlichkeit Gottes ist ein Streit um die Selbstdeutung des Menschen!

Dieser Zusammenhang tritt mit aller Klarheit in der Position Fichtes zutage, mit der dieser den Gedanken der Persönlichkeit Gottes glaubte ablehnen zu müssen5. Es geht hier ja nur vordergründig um den Projektionsverdacht, dem zufolge die anthropomorphe Übertragung der Persönlichkeitsvorstellung auf Gott diesen verendlichen würde. Bei Fichte verliert der Gottesbegriff vielmehr seine prinzipientheoretische Stellung zur Begründung des religiösen Bewusstseins. Er ist stattdessen eine, wie man vielleicht sagen könnte, abgeleitete und mithin sekundäre Abstraktion, die sich allererst als Resultat einer Reflexion einstellt, mit der sich das religiöse Bewusstsein im Vollzug seines moralischen Handelns seiner selbst vergewissert. Die weitere Argumentation Fichtes muss uns nicht interessieren, wenn nur deutlich geworden ist, dass dem Subjektbegriff die epistemologische Funktion übertragen wird, den Gottesbegriff zu generieren. Damit aber dürfte nun zugleich hinreichend deutlich geworden sein, dass sich der Theorierahmen grundsätzlich ändert, in dem der religionsphilosophische Streit um die Persönlichkeit Gottes geklärt werden kann. Im Zentrum der seinerzeitigen Denkanstrengung steht nicht der Gottesbegriff als solcher, sondern der ihn fundierende Subjektbegriff.

Das hatte, wie bereits angedeutet, Jacobi klar erkannt, aber darüber hinaus auch sein Kontrahent im Theismusstreit6. Sowohl in seiner Freiheitsschrift als auch in der Weltalterphilosophie legt Schelling dar, dass der Begriff der Freiheit mit dem der Persönlichkeit Gottes aufs engste miteinander verbunden ist7. Diese Einsicht begründet folgerichtig das Interesse, den Gottesbegriff im Rahmen einer philosophischen Begründung der menschlichen Freiheit zu bestimmen. Für Schelling kommt jedoch noch eine andere Überlegung hinzu, über die er sich mit Jacobi entzweit hatte. Weil es mit der bloßen Behauptung der Persönlichkeit Gottes nicht getan ist, muss nach einer wissenschaftlichen Begründung des infrage stehenden Theismus Ausschau gehalten werden. Das wiederum bedeutet, dass die prinzipientheoretische Bestimmung des Gottesbegriffs im Freiheitsgedanken die Anstrengung einfordert, den Gedanken der Persönlichkeit Gottes als solchen zu begreifen. Mit anderen Worten: Das Verständnis der Freiheit entscheidet darüber, in welcher Weise wir den Gottesbegriff inhaltlich bestimmen.

Zu den Argumentationsfiguren, mit denen der späte Schelling die ebenso vernunftförmige wie begriffsexplikative Generierung eines personalen Gottesbegriffs begründet8, nur so viel: Der Grundgedanke besteht darin, dass die ihrer eigenen Kontingenz |50|gewahr werdende Vernunft zu der Einsicht vorstößt, sich selbst nicht begründen zu können. Folglich könne sie ihrer eigenen Existenz wie der von ihr begriffenen Wirklichkeit einen, wie es bei Schelling heißt, unvordenklichen Grund lediglich voraussetzen. Daraus ergibt sich nicht nur die Einsicht in die Externalität des Sinnes für eine der Selbstbegründung nicht fähigen Vernunft, sondern es erlaubt auch Rückschlüsse auf die inhaltliche Bestimmtheit des infragestehenden Sinnbegriffs: Nur vollkommene Freiheit kann, so lautet die Kurzformel, Sinngrund und Sinnerfüllung der menschlichen Freiheit sein. Und desweiteren gilt, dass sich der unvordenkliche Grund in Freiheit dazu bestimmt haben muss, die Welt und den Menschen zu setzen. Denn die im Medium freier Reflexion erzeugte Kontingenzevidenz widerspricht der Behauptung, dass die Setzung von Welt und Mensch notwendig ist. Wichtig ist schließlich, dass die reinrationale Philosophie, welche die Idee Gottes als vollkommene Freiheit denkt, dem Denken nur die Möglichkeit eines wirklichen, zum Selbsterweis freien Gottes eröffnet.

Glauben denken

Подняться наверх