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5. Gott und die Offenheit des Namens: Ex 33–34

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Es wurde bereits festgehalten, dass das Ausrufen des Namens JHWH mit Enosch, dem Menschen in seiner Verletzbarkeit und Hinfälligkeit, in Verbindung gebracht wurde. In dem Hinweis, dass man mit Enosch begann, den Namen Gottes anzurufen, liegt zumindest auf der Ebene des Endtextes eine gewisse Merkwürdigkeit. Denn im Gegensatz zum sonstigen Text, der von den Masoreten, jüdischen Gelehrten des 1. Jahrtausends, zwecks Lesbarkeit sorgfältig vokalisiert wurde, behielt der Gottesname JHWH die reine Konsonantenform und wurde daher nicht ausgesprochen34. Auch die Septuaginta, die griechische Version des Alten Testaments, verzichtet auf eine Nennung des Gottesnamens und verwendet stattdessen die Bezeichnung „Kyrios“.

Man könnte natürlich darauf hinweisen, dass das Nichtaussprechen des Namens historisch erst ab einem gewissen Zeitpunkt virulent wurde, allerdings ist, wenn der Endtext |35|(sowohl in der hebräischen Version der Masoreten als auch in der griechischen Septuaginta-Version) als entscheidende Bezugsgröße genommen wird, grundsätzlicher zu überlegen, was das Anrufen eines unaussprechbaren Namens bedeutet. Dieses Problem begleitet jede Lektüre der Bibel, ganz besonders die des Psalters, der als Gebet gewordene Tora ganz im Zeichen der Anrede Gottes steht, ohne über dessen Namen zu verfügen35.

Auf besondere Weise wird der Gottesname in der Tora zweimal im Zusammenhang mit Epiphanien thematisiert36, und zwar in Ex 3,14 und in Ex 34,6. Die erste der beiden genannten Stellen wird von Buber/Rosenzweig sehr feinfühlig folgendermaßen übersetzt: „Ich werde dasein, als der ich dasein werde“. Der „Gott der Väter“, also der Gott, der bereits mit einer ganz spezifischen Geschichte verbunden ist, legt seinen Namen in Richtung eines ebenso offenen wie beziehungsvollen Geschehens aus. Man könnte die genannte Stelle und die unabgeschlossene Zeit-Form des Satzes auch folgendermaßen übertragen: „Ich werde mich daseiend erweisen als …“ Der Leser ist konfrontiert mit der Offenheit eines Ereignisses, welches sich je neu konkretieren muss. Dabei steht diese Konkretion in einem Rückverweis zum Gott der Väter, also zu dem Gott, der Abraham und seiner Nachkommenschaft eine Bundeszusage gegeben, d. h. seinen eigenen Namen an deren Heil gebunden hat. In diesem Sinne kann man festhalten, dass der Gottesname radikal verbal zu verstehen ist, d. h. als Geschehen, welches um einen Bund kreist, in den der Leser als Nachkomme Abrahams hineingenommen ist und im Lichte von dessen Geschichte der JHWH-Name für zukünftige Konkretisierungen dieses Bundes geöffnet bleibt bzw. in diesen Konkretisierungen seine Bewahrheitung findet.

Abraham wurde im ersten Buch der Tora aus der bestehenden Gesellschaftsordnung und Genealogie herausgeführt und empfängt in der daraus resultierenden Ausgesetztheit die Verheißung, dass er zum Zeichen des Segens für die Völker wird. In Ex 3 wird die unterdrückte und versklavte – sich im Gedenken der Väter formierende – gesellschaftliche Größe Israel in die Nachfolge der Gestalt Abrahams hineingenommen und erfährt seitens JHWHs die „Kenntnis seiner Schmerzen“ (Ex 3,7). Der sich herausbildende verletzt(e) „schreiende“ Körper Israels37 wird zum Erben Abrahams und erfährt eine Realisierung jenes Namens, welcher die Schirmherrschaft über Enosch bis hin zu Abraham und seinen Nachkommen innehatte. Diese Realisierung vollzieht sich konkret in einem das „Sklavenhaus Ägypten“ verlassenden neuen Exodusereignis (gewissermaßen den Exodus Abrahams weiterführend) und institutionalisiert sich, wie der den Exodus begleitende Dekalog (Ex 20,1–17) zeigt, in einer Gesellschaftsordnung, die auf |36|ein solidarisches und egalitäres Miteinander des befreiten Gottesvolkes zielt.38 Was die Anrufung des unaussprechlichen Gottesnamens betrifft, gibt uns der Text von Ex 3 einen entscheidenden Schlüssel: Sie erfolgt im Schrei des gequälten Volkes und in dessen die Geschichte neu erzählender „Rückerinnerung“ an die Zuwendung und das Leben, welches den „Vätern“ in der Fremde zuteil wurde. Mit anderen Worten: Enosch und in dessen Gefolge das Volk des Sklavenhauses stellen bereits durch die Tatsache ihrer Verletzbarkeit, die sie von der kainitisch-pharaonischen Linie und ihren Konstrukten und Abschirmungen unterscheidet, den Ort der Anrufung des Gottesnamens dar.

Dieser Linie folgt das Herzstück der Bibel, nämlich Ex 34,6: „JHWH JHWH, Gottheit, barmherzig, gnädig, langmütig, reich an Huld und Treue […]“. Es fällt auf, dass an dieser Stelle der Gottesname verdoppelt wird, was einerseits im Sinne eines Nominalsatzes gelesen werden kann, in tieferer Weise aber als Verdoppelung der Gottessignatur zu deuten ist, d. h. als besondere Gewichtung dieser Textstelle. Kontext von Ex 34 ist die Bundeserneuerung zwischen Gott und Israel, welches sich in der Abwesenheit von Mose von JHWH ab- und dem „goldenen Kalb“, also seinen eigenen Projektionen, zugekehrt hatte. Im Zuge dieses Verrats kommt es in Ex 33 zu einer tiefgründigen Begegnung von Mose und JHWH, die, wie im vorhergehenden Kapitel angedeutet, viele Stichwortverbindungen zu Gen 18 aufweist und deren zentrale Thematiken das (gegenseitige) Kennen des Namens, das Finden von Gnade und der Vorüberzug der Herrlichkeit JHWHs vor Mose (und dem Gottesvolk) sind. Auf fast enigmatische Weise ist in der sich zunehmend verdichtenden Begegnung von Mose und JHWH, noch vor der Offenbarung des Namens, die Rede davon, dass Mose nicht das „Antlitz“, sondern das „Hinten“ von JHWH sehen wird.39

JHWHs Kennen des Namens Mose (und Abrahams), der Vorüberzug JHWHs an Mose und seinem Volk – wobei bei diesem Vorüberzug, wie L. Schwienhorst-Schönberger feststellt, nicht zuletzt der Vorüberzug vor den Sünden mitgemeint ist – und die Sicht von JHWHs Herrlichkeit bereiten die höchste Form der Namensoffenbarung Gottes, die Kenntnis SEINES Namens vor. Der Leser tritt also in eine sich zunehmend steigernde Intimität zwischen JHWH und Mose ein. Abraham und Mose sind beide höchst verletzbare Figuren, deren Leben auf offene, „unerhörte“ Horizonte jenseits des genealogisch-familiären Ethos verweist, was sich bei Abraham bis hin zur Bereitschaft der Opferung seiner Genealogie in Gestalt Isaaks zum Ausdruck bringt. Gerade mit dieser Öffnungsbewegung auf das Offene der Zukunft hin verbinden sich ein Erkanntsein durch JHWH und ein zunehmender Eintritt in die Herrlichkeit seines Namens. Die merkwürdige Stelle, wonach Mose zwar die Herrlichkeit JHWHs, nicht aber dessen Antlitz sehen wird40, hat neben der bereits im Zuge des Sündenfalls begegnenden Probtuierunlematik, |37|dass eine „frontale“ Konfrontation mit Gott diesen verfehlt und tödlich für den Menschen ist, auch die Dimension, dass die Beziehung mit dem Namen eine tiefere ist als eine Begegnung von Antlitz zu Antlitz. Unabhängig davon, ob die Sicht des „Hinten“ von JHWH eine stärker zeitliche Konnotation hat (Dohmen) oder ob man stärker akzentuiert, dass es sich um ein Gehen in der „Spur“ JHWHs in Richtung des Verheißungslandes handelt (Schwienhorst-Schönberger), ist das entscheidende Moment, dass die zeremonielle Distanz von Antlitz zu Antlitz, wie sie in den orientalischen Königshöfen üblich war, überwunden wird. Der JHWH-Name verbindet sich retrospektiv mit der Öffnung für die Hinfälligkeit und den Schrei des Menschen, prospektiv mit neuen Erfahrungen und Horizonten, nicht zuletzt in der Vision der Überwindung aller pharaonischen „Panzerungen“, und schafft Raum für eine berührbare Existenz, die intimer ist als eine distanzierte Begegnung zweier unabhängiger Subjekte sein könnte.

Damit ist der Weg für die Offenbarung des JHWH-Namens, wie sie in Ex 34,6 zum Ausdruck kommt, vorbereitet. Die Barmherzigkeit als innerstes Moment des Gottesnamens, die darin zum Ausdruck gebracht wird, weist semantisch auf die Gebärmutter und die Eingeweide hin, d. h. es wird eine Beziehung eröffnet, die in die tiefsten körperlichen Regionen hineinreicht. Der Herrlichkeit JHWHs in seinem Namen korrespondiert ein gegenseitiges Sich-Öffnen bis in die innerste Existenz hinein. JHWH und seine Adressaten leben in einer Begegnungsstruktur, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht. Diese Dimension kommt auf paradigmatische Weise bei Jesus zum Ausdruck, der sich Not und Ängste seiner Schüler ebenfalls bis in die Eingeweide hineinreichen lässt (z.B. Mk 6,34; leider gibt die Einheitsübersetzung den Terminus „splanchnizomai“ mit dem affektarmen „Mitleid haben“ wieder) und damit zum authentischen Träger des JHWH-Namens wird.

Zwei Aspekte sind im Zusammenhang der Barmherzigkeit zu erwähnen: Eine ihrer beiden Hauptdimensionen betrifft die bereits thematisierte Compassion41, das Sich-Öffnen auf den affektiven Gefühlshaushalt und das Leid des Anderen, die zweite die Schuldvergebung.42 Der Hauptaspekt der Schuld liegt dabei nicht in der Urteilsschwäche des Menschen und in dessen unzureichendem Handeln oder dessen „unvollständiger“ Liebe (wahre Liebe wird immer einen Aspekt der Unvollständigkeit haben; die Liebe, von der oftmals in der Theologie gesprochen wird, erscheint doch eher als monströse Angelegenheit, gewissermaßen als „böse“ Gnadenlosigkeit). Vielmehr besteht die Schuld darin, dass der Mensch die Schwäche, die Endlichkeit und die Ambivalenz seiner Existenz nicht anerkennen will. In diesem Sinne ist die Vergebung verbunden mit einem |38|tiefen Blick für die Ambivalenz des menschlichen Daseins „zwischen“ Gut und Böse, Selbsterhalt und Selbsthingabe usw., für die menschliche Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit gerade auch in moralisch-praktischer Dimension. Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang der Schuld auftritt, ist die Zeitfrage. Wenn in Ex 34,7 von der „Gnade“ die Rede ist, die JHWH tausenden Generationen bewahrt, aber auch von Ahndung der Schuld dreier Generationen (so viele, wie in einem Haus damals zusammenlebten), ist damit die überbordende Fülle der Gnade, die alle vergangenen und zukünftigen Generationen umfasst, zum Ausdruck gebracht. Ebenso aber auch die Tatsache, dass Vergebung nicht bedeutet, eine Tat ungeschehen zu machen (deshalb die Schuldauswirkung auf drei Generationen43). Es geht dagegen um kleine Akzentverschiebungen, um neue Verbindlichkeiten, herantastende Berührungen und angebahnte Begegnungen, welche die Geschichte des Menschen zu humanisieren vermögen, die dazu beitragen, Vergangenheit neu deuten zu können. Der mit dem JHWH-Namen verbundene festliche siebente Tag eröffnet daher in der Feier des Lebens auch einen – ein klein wenig – anderen, „versöhnteren“ Blick auf die Vergangenheit. Er ist nicht zuletzt der Zusatz der Zeit, der einen unendlichen Deutungsspielraum ermöglicht, in der die Vergangenheit ihre letzte Härte und Gnadenlosigkeit verliert.

Die Anrufung des Namens erwies sich in der nicht verleugneten Hinfälligkeit menschlicher Existenz, in der Intimität eines das Lebendige verbindendenden Empfindsamkeit und einer Compassion bis in die Eingeweide hinein, in die sich sozusagen der JHWH-Name in seiner Herrlichkeit einschreibt. Wenn er nicht ausgesprochen wurde, so auch, weil er eine Unterbrechung im Logos, in den Texturen und Verhärtungen unserer Welt darstellt. Es kann festgehalten werden, dass das göttliche Tetragramm quasi die Pause bezeichnet, die den Menschen innehalten lässt und den Eintritt in den biblischen Text und seine affektiven Landschaften ermöglicht44. Diese Funktion des JHWH-Namens kommt auf tiefe Weise im Johannesevangelium zum Ausdruck, wenn Jesus dort als „Tor der Rettung“ bezeichnet wird (Joh 10,9), d. h. als jenes Tor, welches den Zugang zum affektiven Raum schafft, der im JHWH-Namen gemäß Ex 34,6 zum Ausdruck gebracht wird.

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