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Blau und Weiß, wie lieb ich dich

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Einen BVB-Fan gab es damals in Gladbeck, das von Gelsenkirchen, Bottrop und Essen umzingelt wird, nicht. Auch kaum Bayern-Anhänger. Gelegentlich mal einen Gladbach-Fan, denn die spielten damals unter Weisweiler den ansehnlichsten Fußball in der Liga. Aber ansonsten floss blau-weißes Blut durch die Venen der Gladbecker. In den Discos – das ist für viele andere Regionen unvorstellbar – wurde abends ähnlich wie in England „God Save The Queen“ die S04-Hymne „Blau und Weiß, wie lieb ich dich“ gespielt. Und keiner pfiff oder beschwerte sich. Im Gegenteil: Voller Inbrunst sangen alle mit. Den Text kannten wir alle besser als den der deutschen Nationalhymne.

Die Schalke-Hymne führte ja Jahrzehnte später, als die Empörungswellen über Deutschland schwappten, zu heftigen Diskussionen. Da heißt es nämlich: „Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht. Doch aus all der schönen Farbenpracht, ja Farbenpracht, hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht.“

Ja, Schalkes Farbenfinder war ein Moslem. Kein Katholik oder Protestant. Mohammed sei Dank. Schalke verband. Schalke war – als wir klein waren – mehr als eine Liebe. Und anders als andere. Oder können Sie sich vorstellen, dass „Bayern – Stern des Südens“ im P1 (falls es das damals schon gab) gespielt würde? Auch von „Heia BVB“ aus den Discos im östlichen Ruhrgebiet ist mir nichts bekannt.

Schalke war überall. Mein Klassenlehrer, Josef Naber, war auch Blau-Weißer. Montags die Deutschstunde war eigentlich Schalke-Stunde. Wir redeten nicht über Goethe oder Hölderlin, sondern über Norbert Nigbur, Aki Lütkebohmert und die Kremers-Zwillinge. Es wurde analysiert und kritisiert. Meistens musste unser Klassensprecher, Andreas Stienen, ran. Ein supersympathischer Mitschüler, der leider später beim nächtlichen Überqueren der Autobahn A 2 ums Leben kam.

Als Schalker hat man mit Niederlagen umzugehen gelernt. Ich erinnere mich an einen Montag nach einem Desaster-Spiel beim 1. FC Köln. Aus lauter Frust malte ich ein düsteres Bild mit dem Schriftzug 0:8. 1969 war das. Achtmal hatte Norbert Nigbur hinter sich greifen müssen. Rudi Gutendorf, genannt Riegel-Rudi aufgrund seiner einstigen Defensivverdienste beim Meidericher SV, war unser Trainer. Hätte er mal in Köln den Kasten abgeriegelt! Hornig, Overath, zweimal Thielen, zweimal Löhr, zweimal Rupp – das war eine fette Klatsche. Am Montagmorgen saßen wir in der Deutschstunde wie eine Trauergemeinde in unseren Schulbänken. Ich frage mich, ob das heute noch so ähnlich ist? Vermutlich nicht.

Leider gab es damals noch keine Schalke-Bettwäsche. Merchandising war noch ein Begriff aus einer fernen Galaxie. Ich hätte garantiert in solchem Bettzeug geschlafen.

Die Rivalität zwischen den Blau-Weißen und den Schwarz-Gelben war damals schon enorm. Ja, es war manchmal blanker Hass. Leider! Ich fand das immer blöd, das so sehr schwarz-weiß zu sehen. Irgendwie steckte schon damals in mir der Gedanke der gelebten Toleranz. Oder wie der Kölner so herrlich sagt: „Man muss auch jönne könne!“

Ich mochte auch Borussia Dortmund. Klar, wenn sie gegeneinander spielten, dann natürlich hob mich S04 aus dem Sessel. Aber wenn der BVB gegen Stuttgart oder Hertha kickte, siegte mein Ruhrpott-Soli-Gen. In den Bundesliga-Aufstiegsrunden hielt ich auch zu Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Essen oder wer immer die Regionalliga West vertrat.

Mein ursprünglicher Berufswunsch war alles andere als der, Journalist zu werden. Als kleiner Junge faszinierten mich Bahnübergänge. Minutenlang stand ich vor den Schranken und beobachtete die Menschen und Autos, die von diesen Schranken gestoppt wurden. Ganz klar, ich wollte Schrankenwärter werden. Ich blickte zu Wärterhäuschen auf, wo damals noch von Hand die Schranken runtergekurbelt wurden. Die Kurbeln dürften heute im Museum zu finden sein. Mein Traumjob blieb ein Traum.

Meine journalistische Karriere nahm mit etwa 16 Jahren ihren Lauf. Mein erster echter Artikel in den Lamberti-Nachrichten drehte sich um ein Fußballthema. Ich schrieb über Schalke-Präsident Günter „Oskar“ Siebert. Siebert, das Marketinggenie, hatte die Idee, den Kauf des Wattenscheider Mittelfeldzauberers Hannes Bongartz von den Fans mitfinanzieren zu lassen. 777 000 D-Mark sollte der blonde „Spargeltarzan“ (wie der Dürre mit den Storchenbeinen damals genannt wurde) an Ablösesumme kosten. Eine Megasumme für damalige Verhältnisse. Die bis dahin vermeintlich höchste Summe, die für einen Regionalligaspieler (damals war die fünfgliedrige Regionalliga zweitklassig) gezahlt wurde.

Oskar – kaum einer sagte Günter zum Präsidenten – hatte die Idee, die Fans einen Bongartz-Zuschlag entrichten zu lassen. Die Ticketpreise wurden um die „Bongartz-Mark“ erhöht. Angeblich nur vorübergehend. Aber jedem Fan war klar, dass dieses Finanzrad nicht mehr zurückgedreht werden würde. Und genau das schrieb ich und klagte den (mir eigentlich sympathischen) Siebert in der Pfarrzeitschrift an.

Kleine Anekdote am Rande: Wegen des Erfolgs und wohl auch, weil Siebert meine Kritik in den Lamberti-Nachrichten nicht gelesen hatte, ließ er kurze Zeit später vor dem Heimspiel gegen den FC Bayern Zettel verteilen, auf denen die Zuschauer abstimmen sollten, ob sie bereit wären, für den blonden Brasilianer Marinho vom FC Botafogo nochmals eine Mark „vorübergehend“ draufzuzahlen. Die Fans stimmten ab, doch das Ergebnis kam nie raus. Die Wahlurnen waren auf mysteriöse Weise verschwunden. Oskar Siebert und der gesamte Vorstand suchten auf der Müllkippe nach den Wahlzetteln, doch vermutlich hatte der clevere Dieb damit seine Wohnung geheizt. Unauffindbar. Datt war Schalke live.

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