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Rhythmischer Mattenfilmriss

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Es gab weitere Highlights. Was aber weniger mit mir als mit der Sportart zu tun hat: rhythmische Sportgymnastik. Die Prüfungen waren sehr beliebt. Viele Studenten, auch aus anderen Studiengängen, versammelten sich traditionsgemäß zu diesen Happenings. Es war eben lustig anzusehen, wenn irgendwelche Zwei-Meter-Ochsen mit goldigen Turnschläppchen über die Turnmatte hüpften und sich wie Elfen gebärdeten. Fernab von Anmut und Grazie.

Zwei „Geräte“ mussten wir uns aussuchen. Ball war das erste, logisch. Das zweite: Band. Wir hatten eine Kür einstudiert mit verschiedenen Pflichtelementen. Wichtig war, das Band musste immer in Bewegung bleiben und durfte nicht ruhen, sonst war man disqualifiziert und durchgefallen.

Also: volle Tribüne. Gejohle. So ein bisschen Schinkenstraßengaudi. Viele mit einem Pülleken in der Hand. Geringe Hemmschwelle auf den Rängen. Ich auf der Matte mit enger Turnhose und den verhassten Schlabberschläppchen. Ich legte los, erste Bahn, zweite Bahn, dritte Bahn. Anfeuerungen von den Rängen. Und Gelächter, versteht sich. Meine 189 Zentimeter wirkten vermutlich eher wie der Aufmarsch eines Trampeltiers. Dritte Bahn geschafft. Doch dann riss der Faden. Blackout. Ich wusste nicht mehr weiter. Zwei Bahnen hatte ich noch vor mir und plötzlich total vergessen, was ich einstudiert hatte.

Dalli-dalli-dalli-Sprechchöre. Die Tribünenmeute wurde immer lauter. Ich sah nicht hin. Mein Handgelenk beschrieb Kreise. Schließlich durfte das Band ja nicht ruhen. Was tun? Immer noch Filmriss. Dalli, dalli! Kreisen. Nicht aufhören. Dalli, dalli! Was hatte ich bloß einstudiert? Dalli, dalli. Und dann, endlich, die Erleuchtung. Ich tänzelte weiter über die Matte. Noch eine Reihe. Und noch mal diagonal. Und meine Verbeugung.

Ich glaube, so muss sich Kati Witt nach ihren Olympiasiegen gefühlt haben. Standing Ovations. Dalli-dalli-Sprechchöre. Mir kamen die Tränen vor Rührung. Und vor Erleichterung. Denn diese Momente in der Mattenecke, dieses Null-Ahnung-wie es-weitergeht-Feeling wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind. Aber ich hatte es überstanden. Mit Stolz.

Am Ende beschloss ich, keinen Abschluss zu machen. Ich hatte alle Scheine zusammen (bis auf Turnen), in Geografie, englischer Literaturwissenschaft und Sport, aber den Prüfungsstress wollte ich mir ersparen. Denn inzwischen war ich beim ZDF so gut im Geschäft, dass ich prima davon leben konnte. Und ich scheute mich auch vor der Englisch-Prüfung …

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