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Zum Umgang mit Symbolen

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Symbole können als „Dolmetscher der Welt“ dienen.

Es ist verblüffend, wie viel Symbolik in den Gegenständen und dem Mobiliar einer Wohnung und in den Gebäuden, Straßen und Plätzen einer Stadt steckt. Der Appetit kommt beim Essen. Wer sich nicht damit beschäftigt, weiß nicht, was ihm fehlt. Er kann das Fehlende durch Achtsamkeit für das Unbewusste entwickeln. Er kann das Unbewusste als eine existierende und existenzielle Kraft akzeptieren Meine Bilder sind klüger als ich — diesen Ausspruch des Malers Gerhard Richter kann sich jeder Mensch mit den Bildern die ihn umgeben und mit denen er sich umgibt, mit den Gegenständen die er gebraucht, in den Träume die er träumt und die er erzählt oder zu Papier bringt, zueigen machen.

Freud hat in seiner Traumdeutung festgestellt: Diese Symbolik gehört nicht dem Traum zueigen an, sondern dem unbewussten Vorstellen, speziell des Volkes, und ist in Folklore, in den Mythen, Sagen, Redensarten, in den Spruchweisheiten und in den umlaufenden Witzen eines Volkes vollständiger als im Traum aufzufinden. Wir müssten also die Aufgabe der Traumdeutung weit überschreiten, wenn wir der Bedeutung des Symbols gerecht werden, und die zahlreichen, größtenteils noch ungelösten Probleme erörtern wollten, welche sich an den Begriff des Symbols knüpfen.


Selbst für das, was aus der Bevölkerung heraus nicht direkt gesagt werden kann, lassen sich Symbole verwenden. Der Garten ist für die iranische Filmschaffende Shirin Neshat ein Symbol mit emotionalem Mehrwert, ein zentrales Symbol für Frieden. Die Verwurzelung dieses Symbols in der persischen Mystik verhinderte den Zugriff der Zensurbehörden auf ihr Werk. Das Symbol des Gartens schafft darin eine tröstende Verbindung zu einem erträumten Zustand im Zusammenleben der Menschen.

Das West-Eastern Diwan Orchestra mit seinen israelischen und palästinensischen Musikern unter der Leitung von Daniel Barenboim hat inzwischen weltweit einen mythischen Status als Symbol des Friedens und der Menschenwürde erreicht.


Die Entmythologisierung der Welt, wie sie Hannah Ahrendt seinerzeit mit gutem Recht gefordert hat, ist im Hinblick auf einen „aufgeklärten“, hilfreichen Umgang mit Mythen und Symbolen nicht wünschenswert. Der Forderung nach mehr Bewusstheit sollte sich auch der friedfertigste Mensch, der meint in einer Welt zu leben, in der es das Böse nur außerhalb seiner selbst gebe, zueigen machen. Die Beschäftigung mit Symbolen ist in diesem Kontext auch kein Rückschritt in magisches Denken, sondern ein Schritt, um mit dem Unbewussten und dem Irrationalen als Motor der Kreativität in Kontakt zu kommen und damit zu arbeiten.


Erich Fromm hat von der verlorenen Sprache der Symbole gesprochen. Nach der Entzauberung der Welt durch die Aufklärung haben Freud, durch die Entdeckung des Unbewussten, und Jung, mit seiner Archetypenlehre, die Helden, Zauberer und Ungeheuer durch die Hintertür wieder hereingelassen. Nun geht es darum, sie zu nutzen: aufgeklärt, selbstbewusst, pragmatisch, mit Offenheit, Humor und Vergnügen, aber ohne Abhängigkeit und Angst.

Im Gegensatz zu einer strikten Ablehnung und Verdrängung der Symbolwirklichkeit ist die bewusste Verbindung mit ihr in Form von Verständnis symbolischer Zusammenhänge hilfreich und förderlich. In einem guten, heilsamen Sinne „funktioniert“ das Symbol dort, wo Menschen mithilfe des Symbols ihr eigenes Selbst entdecken, sich im Symbol wiederfinden. In der Psychotherapie geht es ganz wesentlich darum, eine Symbolsprache für Unsagbares, für verstörende Erlebnisse und für zerstörerische Beziehungen zu finden. Dafür sind Symbolisierungsprozesse nötig, um kognitiv Verstandenes emotional verstehbar zu machen. Die bewusste Verwendung von Symbolen kann dazu Brücken schlagen. In diesem Kontext ist es auch müßig, zwischen Mythen und Trivialmythen, Symbolen und Trivialsymbolen zu unterscheiden.


Und doch ist Symbolik dabei „mit Vorsicht“ zu genießen und zu verwalten. Verbundenheit und Zugehörigkeit sind die Gefühle, die das Symbol auslöst — im Guten wie im Bösen. Symbolische Fähigkeiten machen Gegebenheiten zu einem Ereignis, worüber Menschen sich wieder- und zueinanderfinden und worüber Identität entsteht, worüber Gemeinsamkeiten aber auch zur Gefahr werden können.

Und auch das ist zu berücksichtigen: Symbolik hat eine mehr oder weniger dunkle Seite, derer sich aufgeblasene Egos, Gewalttäter, Naive, Sport- und Showstars, Finanz- und Immobilieninvestoren, Diktatoren in aller Welt bedienen und auf ihre Weise versuchen, Menschen für sich zu gewinnen und an sich zu binden.

Sofern Menschen sich nicht von Symbolen vereinnahmen lassen, sind die Symbole nützlich im Sinne von Erkenntnis, Sinnstiftung, Identität und Kreativität. Sofern Symbole für unausgesprochene Ziele inszeniert und instrumentalisiert werden, können sie sehr wohl berühren, ergreifen, sogar erschüttern, wie es der Einsatz von Symbolik in der NS-Zeit gezeigt hat. In dieser Funktion sind sie übergriffig, unheilvoll, gefährlich und gefährdend. Sie sind verzerrte Muster und Modelle der Welt, die als Vorurteile und Einbildungen an einem Selbstbild teilhaben, das leicht kollektiven Entladungen anheimfällt. In demagogischer Absicht können sie bei einem unaufgeklärten Publikum suggestiv missbraucht werden und Missbrauch bewirken.


Während der Nazi-Herrschaft wurden Mythen, Rituale und Symbole als Instrumente in solch einer übergriffigen, zerstörerischen und verbrecherischen Weise genutzt. Ihr politischer Gebrauch verstand und versteht sich auch heute noch in Diktaturen als Versuch und als Absicht der Beherrschung, der „Machtergreifung“.

Die symbolischen Inszenierungen der Politik zielen darauf ab, Politik und Politiker der Bevölkerung sympathisch oder auch übermächtig erscheinen zu lassen. Durch die Medien werden Bilder erzeugt, die bei den Zuschauern positive Gefühle und Denkmuster auslösen sollen: „der Sieger“, „der Verteidiger der Freiheit“, „die Kämpferin für die Familie“, der „wagemutige und unerschrockene Held“.

Nach wie vor versuchen Machthaber in aller Welt, durch die Monumentalität von Gebäuden und sozialen Inszenierungen Symbolqualität herzustellen und damit die Menschen zu beeindrucken. In allen Diktaturen der Welt werden Symbole genutzt, um das auszudrücken, was man der Bevölkerung überstülpen will. Die Stärke der Demagogen liegt im Unbewussten, im Ungesagten, in dem „Mehr“, das nicht ausgesprochen wird. Es ist die eigene Abgehobenheit, letztlich die eigene Vergöttlichung.

„Heil-Kraft“ hat sich seinerzeit in den überbordenden „Heil-Rufen“ in euphorisierender Weise für eine Zeit lang auf eine paradoxe Weise bestätigt. Große Teile der Bevölkerung haben sich in ihrer Rolle durchaus gut und wohl gefühlt. So, wie sie in der NS Zeit genutzt wurden, haben Symbole den Status des Übermächtigen, des Sakralen eingenommen, gegen das eine Auflehnung nicht denkbar sein sollte. Das Potenzial des Umgangs mit Mythen und Symbolen ist dabei in der Bevölkerung weitgehend unentdeckt im Unbewussten verankert geblieben. So war die Uniform als ein Symbol dessen, dem man sich zugehörig fühlte, auch ein Instrument der Identifikation mit den Kameraden in der auch im Unbewussten verankerten Regel, nicht aus der Reihe zu tanzen.


Symbole und Symbolisierung sind nicht gut oder schlecht, sie können aber in guter oder schlechter Weise genutzt werden.

Ein harmonisches Gesamtkunstwerk habe, so der Glaube in den Designströmungen des 20. Jahrhunderts — des Jugendstils, des Werkbundes und Bauhauseseine positive Wirkung auf Menschen und könne die Gesellschaft verbessern. Dieser Traum, Menschen durch gute Gestaltung von Objekten zu formen, hat sich nicht realisiert. Doch illustrieren Bilder immer auch die Gesellschaft, die sie hervorbringt. Gerade Bilder aus dieser Reformzeit haben sich in vielen Gegenständen und in der Architektur erhalten. Das Bauhaus selbst ist zu einem Symbol geworden, das noch heute Einfluss auf die Gestaltung der Umwelt ausübt. Allerdings lässt sich auch heute noch nur eine Avantgarde davon beglücken und begeistern. Das Bauhaus ist Symbol für beides geworden: für geglückte architektonische Gestaltung, wie für die Misere der Banalmoderne, für die es verantwortlich gemacht wird.


Durch seine Interpretationsoffenheit werden ganz unterschiedliche Menschen durch das Symbol berührt, vereint, erzürnt oder zum Nachdenken gebracht. Für seine „Fans“, die Faszinierten und Berührten, können symbolische Einsichten sogar Frontstellungen öffnen.

Besonders die tief im Unbewussten ruhenden nichtrationalen Erinnerungsbilder lassen sich durch Umweltereignisse wachrufen und können sowohl hilfreich wie auch gefährdend wirken. Sie können bei einem bewussten Umgang als Instrumente dienen, einen Pluralismus an Ideen und Gefühlen freizusetzen, der dazu verhilft, das eigene Dasein voll und ganz zu entwickeln.


Zur Symbolsprache gehören die Bestandteile von Märchen, Mythen und Träumen, Werten und Wünschen, Farben und Zahlen, Planeten, Tieren und Pflanzen, auch Gebäuden und Konstruktionen jeder Art bis hin zu Zickzacklinien und Mäandern, die das Leben mit seinen Hochs und Tiefs und seinen Verwicklungen symbolisieren.

Die Idealgestalten und archetypische Grundmuster, wie sie als Helden, Sieger, Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, Götter und Göttinnen in Erscheinung treten, sind solche Ganzheiten, Ordner oder Konsensgebilde. Gilgamensch und sein Freund Enkidu sind eine einzige Gestalt, die den monströsen Walddämon besiegt. Ödipus taucht unbewusst in fast jedem Kinderleben in der Liebe zum gegengeschlechtlichen Elternteil auf.

Unbewusst erlebt ein Kind im Märchen die böse Hexe als etwas, das überwunden werden kann. Als Symbol erscheint die Hexe als die personalisierte Angst vor einer unsichtbaren Bedrohung. Damit bekommt die Bedrohung für das Kind ein Gesicht und kann im Märchen überwunden oder überlistet werden. Das Kind kann es mit der Hexe aufnehmen. Der König, die Königin sind Bilder für Menschen die Herrscher sind, die sich selbst beherrschen können, die in der Lage sind Ordnung zu schaffen. Im Märchen wird das Kind, der Prinz, die Prinzessin eines Tages König oder Königin sein, die ihr Land und ihr Leben in Ordnung halten können. Für einen psychisch Kranken kann das Ungeheuer allerdings lebensbedrohlich existent sein. Im Prozess einer Psychose ist Symbolisierung nicht mehr möglich. Ein im Primärprozess überschwemmtes Bewusstsein erliegt der Magie, nicht der Verarbeitung.


Die Katholische Akademie in Berlin veranstaltete im Mai 2004 einen Vortragsabend zum Thema: 10+5=Gott — Die Macht der Zeichen, in Verbindung mit einer gleichnamigen Ausstellung im jüdischen Museum in Berlin. Gegenstand des Vortrages war die Macht, die elementare Zeichen, Zahlen und Buchstaben im Spannungsfeld von religiöser Tradition und moderner Kultur entfalten. 10+5, der dreieinige Gott, 7 Tage der Woche, Burg, Schloss, Villa, Palast, Turm ... Bett, Bank, Schrank, Schublade, Tisch, Stuhl, Sofa, Sessel, Lampe, Kamin, Backofen ... Teller, Tasse, Pfanne, Sieb ... Kreuz und Kopftuch. Die Nutzer haben meist keine Ahnung, was diese Gegenstände ihnen über den Gebrauch hinaus bedeuten, was sie sonst noch zu sagen haben. Alle diese Bilder von den Gegenständen haben in einem weiteren Sinne mit den Lebensverhältnissen der Bewohner und mit ihrem Seelenhaushalt zu tun.

Symbole, Mythen und Rituale erzählen Geschichten über die Welt. Sie lassen die Betrachter und Zuhörer an den zum Teil uralten und immer wieder neuen Lebenssituationen und Auseinandersetzungen teilhaben. Sich den Symbolen des Unbewussten zuzuwenden heißt aber nicht, rationales Denken aufzugeben. Es bedeutet, die Verhältnisse wirklichkeitsgemäß wahrzunehmen, indem akzeptiert wird, dass es neben den bewussten die unbewussten, und neben den mentalen auch die emotionalen Kräfte gibt.

Der Glaube und die emotionale Hingabe an Symbole, Mythen und Rituale können Menschen zu unglaublichen Dingen verführen. Ohne eine Unterscheidung zwischen dem was guttut, und dem was vereinnahmt, was unterwirft und was von der eigenen Vernunft entfernt, besteht die Gefahr, dass Grenzen unzulässig überschritten werden. Es ist deshalb unumgänglich und auch unerlässlich, sich mit Mythen, Symbolen und Ritualen auseinanderzusetzen, sie zu durchschauen, um sie zu nutzen — aber sich nicht von ihnen verführen zu lassen. In verschiedenen Welten kann leben, wer sich nicht in ihnen verstrickt, wer sich nicht zerreißen lässt, wer die symbolische Dimension des Raumes in dem er lebt annimmt, ohne ihr zu verfallen.


Der bewusste Umgang mit Bildern und Symbolen, Mythen und Riten kann Menschen dazu veranlassen, sich mit der „Sprache der Symbole“ zu befassen. Sofern Menschen symbolische Fertigkeiten erwerben, kann es ihnen gelingen, aus dem „Niemands-Dasein“ herauszutreten und Rückbindung zu erfahren im symbolischen Beziehungsnetz von Kunst, Kultur, Gemeinschaft und Religion. Man muss nicht zum Mystiker, zum Fanatiker oder zum Astrologen werden, um das Gefühl einer tieferen Bedeutung des eigenen Lebens in der Verbundenheit mit der Symbolebene zu erleben und die eigene Identität gestärkt zu sehen, indem ein „eigener Platz im Universum“ gefunden wird. Symbolisierungsfähigkeit wird im Kleinkindalter erlernt. Sie bleibt in der Regel unbewusst. Das Kind weiß nicht, was „Hexe“, „König“ oder „Prinzessin“ bedeuten. Symbole emotional zu verstehen macht es aber später leichter, diesen eigenen Platz zu finden.

Der unbewusste Umgang mit Symbolen ist mit einer unbewussten emotionalen Identität verbunden. Das bewusste Erleben dieser Identität im Versuch, in die Wirklichkeit des Unbewussten einzudringen, kann zu diesem Gefühl der tieferen Bedeutung des eigenen Lebens führen und kann innere Kraftquellen erschließen. Achtsamkeit für das Unbewusste und die Auseinandersetzung mit Symbolen, sowie das Entwickeln symbolischer Fertigkeiten, dienen dem Ziel, die eigenen Lebensmuster zu entdecken und zu verstehen, über alte Muster hinauszugehen und neue Freiräume, neue Einstellungen dem Leben gegenüber zu gewinnen.


In der Auseinandersetzung mit Symbolsprache kann jemand die für sich selbst bedeutungsvollen Symbole entdecken und entschlüsseln. Er kann sich eigene Symbole — Selbstsymbole — zunutze machen. Der Weg einer solchen Auseinandersetzung kann allerdings nur partiell über Kataloge von Symbolen als Deutungshilfe in Büchern und im Internet gehen. Symbole zu nutzen, symbolische Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln heißt nicht, Symbole zu kanonisieren und zu „kolonialisieren“. Es heißt aber, dieses „Mehr“ in allen Entscheidungssituationen auszuleuchten und soweit wie möglich bewusst zu machen, damit es nicht ungewollt die Beteiligten „kolonialisiert“ oder von Beteiligten „kolonialisiert wird“. Symbole und Mythen werden von der Presse häufig kolonialisiert, das heißt, in einer manipulierenden, unzuträglichen Weise benutzt. Was berührt, was fasziniert wird herausgehoben und der Öffentlichkeit in einer verdichteten und vereinfachten Weise präsentiert. Die Welt erscheint auf diese Art einfach und verständlich. Im Konsens der „Fans“, der Demonstrierenden, der Gut-Meinenden verbinden sich Menschen miteinander und in der Zugehörigkeit zu einem Mythos und seinen Symbolen.

Für den guten Umgang mit Symbolen sind in dem, was die symbolische Qualität von Ereignissen, Orten und Objekten ausmacht, die symbolischen Implikationen offenzulegen und zu diskutieren. Nur so können Symbole ihre hilfreiche Funktion entfalten, nur so können sie die gesellschaftliche Realität in ihrer Komplexität zum Ausdruck bringen. Das Nachdenken, der Austausch über eben diese Implikationen kann dazu führen, das Leben und Wohnen in der Stadt sowie die Arbeit von Architekten, Planern, Bauherrn und Bewohnern zu bereichern.


Im öffentlichen Raum ist es beispielsweise für viele Menschen schwer zu ertragen, wenn sich totales Entertainment, Hully-Gully, das Spektakel, die monströse Verschandelung im Dienst der Eventfabrikation und purer Kitsch in Form von Disneyland einschleichen. Andere fühlen sich davon angezogen, bleiben und konsumieren. Der Spielplatz der Erlebniswelt markiert einen Punkt des inszenierten „Gesehen-haben-müssens“ und der Verlust von Würde erschlägt die symbolische Qualität. Es bleibt die Gratwanderung, das Ausbalancieren der Interessen auf der Leinwand des Lebens.

Klamauk mit den Symbolen der ehemaligen DDR und kostümierten Grenzsoldaten als Touristenattraktion, überlassen beispielsweise am Brandenburger Tor in Berlin das Bedeutungs- und Erklärungsmonopol für diesen international bedeutenden Ort der deutschen Teilung und der ehemaligen Teilung der Welt in Ost und West dem Tourismus und dem Profit. Für die Leidtragenden des damaligen DDR-Regimes sind solche symbolischen Demonstrationen eine Zumutung.

Ein guter, entspannter Umgang mit symbolischen Einsichten, Fähigkeiten und Fertigkeiten ist in Deutschland nach der Inflation der Mythen und Symbole während der Nazizeit nur marginal ausgeprägt. Auf eine gute Weise des Umgangs weist die Begründerin der TZI (Themenzentrierte Interaktion), Ruth Cohn hin, indem sie die Zusammengehörigkeit der Menschen als Gemeinschaft auf der Erde, spürbar durch dieselben Lebensrhythmen, dieselbe Lebensluft und denselben Lebensatem, die wir miteinander teilen (vgl. Cohn, Farau 1987), aufzeigt. Aus ihrer Sicht sind Symbole Gestalten und auch mehr als Gestalten. Wie die Gestalten geben sie Sinn. Auf inter- und intrapersonaler Ebene sind sie Grundsituationen menschlichen Verhaltens-, Erlebens- und Handlungsmuster, die aber die Zeiten überdauern und die Menschen mit Vergangenheit und Zukunft verbinden.

Ein Kuss in einem Film ist für uns ein Symbol für die Intimität von zwei Menschen, die sich gefunden haben und die sich im Kuss ganz nahe kommen. Mancher muslimische Jugendliche schlägt im Kino dabei die Augen nieder, während Gewaltszenen in ihm kein Schaudern erregen. Der Kuss ist für ihn ein Symbol, das mehr und anderes bedeutet als nur den Ausdruck von Nähe und Verbundenheit. Hier spielen Bedeutungen eine Rolle, die mit einer archaischen Struktur der Vorstellung von Ehre zusammenhängen. „Ehre“ in einer aufgeklärten Welt in symbolischer Form zum Ausdruck zu bringen, die mit Vernunft und Menschlichkeit im Einklang steht, wäre eine Aufgabe, die sich als „Arbeit am Mythos und am Symbol“ erweisen könnte.

Ob symbolische Einsicht oder auch eine Entzauberung gelingt, indem mit einem Denkmal, in einer Stele zur Erinnerung an die Ermordung Homosexueller unter der Naziherrschaft, am Berliner Tierpark ein Video sich küssender männlicher oder weiblicher Paare gezeigt wird, ist auch in diesem Kontext eine interessante Frage. Entwicklung, Wachstum geschieht, wie Ruth Cohn in ihrem ersten Axiom zu der von ihr begründeten TZI ausführt, indem Menschen ein Bewusstsein ihrer Interdependenz ausbilden. In dieser Abhängigkeit und Verbundenheit sieht sie die Grundlage humaner Verantwortung: Ich bin umso autonomer, je mehr ich die Welt bewusst in mich einlasse. Die Autonomie des Einzelnen ist um so größer, je mehr er sich der Interdependenz mit allen und allem bewusst wird.


Über Symbole und Selbstsymbole kann Verbundenheit mit einem zeitlosen „Mehr-Wert“ etabliert werden, der neue Handlungen einfordert, die Erfahrungen neu organisiert, der neue Strukturen im Unbewussten schafft und alte überschreibt.


Dazu einige Beispiele:

Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt

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