Читать книгу Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt - Monika Arlt - Страница 4

Vorwort

Оглавление

Machtstrategen und damit immer auch Diktatoren haben die Künstler ihrer Zeit angestellt, um sich durch deren Werke Ansehen zu verschaffen und sich einen dauerhaften Platz in der Geschichte zu sichern. Großprojekte aus allen Epochen der Geschichte geben Zeugnis davon.

Auch das Adelsgeschlecht der Medici in Florenz waren solche Machtstrategen. Nachdem aber im Jahr1494 die Medici von der Zunftregierung der Stadt besiegt und vertrieben worden waren, Florenz zur Republik geworden war, bekam Michelangelo 1501 den Auftrag den David, das größte Symbol der Stadt, zu schaffen. Der David wurde zum Wahrzeichen für den neuen Geist der Unabhängigkeit und zu einer Kampfansage an die Medici. David in seiner Nacktheit, Makellosigkeit und Schönheit, der bereit ist, den Riesen Goliath zu besiegen. David als Verkörperung dieses neuen Geistes.


Die Umwelt lässt die Menschen nicht kalt. Schon ein einziges Objekt, ein Kunstwerk, ein Gebäude kann die Gefühle für die Umwelt verändern. Wer nichts fühlt, fühlt Leere, Langeweile, Verdruss.


Die East Side Gallery in Berlin, das mit 1,3 Kilometern längste noch erhaltene Mauerstück, hat einen weiteren Durchbruch für einen Hotelneubau am Uferstreifen erhalten und für eine Brücke über die Spree. Tausende Menschen haben dagegen protestiert. Das Rest-Mauerstück ist genauso zu einem Symbol geworden, wie der David in Florenz, wie der Eiffelturm in Paris, wie das Vogelnest in Peking, wie das Brandenburger Tor in Berlin.

Die East Side Gallery ist heute ein Ort für das Leben nach einer langen Phase, in der die Mauer zusammen mit dem Todesstreifen ein Ort der Teilung, Trennung und des Todes war. Der Mauerstreifen ist aufgeladen mit Gefühlen, die ihre Fans auch als Wir-Gefühl erleben, als etwas Gemeinsames, das über die Normalität des aktuellen Objekts hinausreicht und die Menschen miteinander verbindet. Für ihre Fans ist die East Side Gallery ein bedeutender Ort. Und die Fans gibt es nicht nur in Berlin.

Für eine Stadt ist es eine Notwendigkeit, ihre bedeutenden Orte als Bedeutungsträger zu erhalten und zu schützen.


Symbole sind Botschaften, die für Sinnhorizonte stehen. Städte als Manifestationen der Kultur eines Landes haben eine Vielzahl von bedeutenden Orten … Orten mit symbolischer Qualität, zu denen Menschen sich hingezogen fühlen. Es sind durch Erwartungen „animierte“ Orte, und wenn die Erwartungen eintreten, stellt sich in einem „Moment der Wahrheit“ emotionales Verstehen ein. Die symbolische Dimension der Stadt reicht hinein in das Unbewusste ihrer Bewohner und Besucher.

Stadtplaner und Architekten können sich das Wissen darüber zunutze machen. Sie können symbolische Einsicht erlangen und sich symbolische Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen. Anders als bei Machtstrategen und Diktatoren, deren Hybris sich immer wieder in „gebautem Narzissmus“‚ offenbart, kann es ihnen nur darum gehen, Identität zu stiften.

Bei den verschiedenen Wissensgebieten, die sie miteinander zu verbinden haben, ist das Wissen über das, was Menschen wollen, brauchen und erwarten, nur selten genügend ausgebildet. Planungen, „Ordnungsgefüge“, die der Bewohnbarkeit zu dienen haben, haben den Menschen nicht als „Beute“ zu überwältigen, sondern in angemessener Maßstäblichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beteiligen. Wo es um die Zukunft, um die Bewohnbarkeit der Stadt geht, ist Gemeinsinn, die Gemeinschaft der Gefühle gefragt, und die speist sich nicht aus dem Gewöhnlichen, sondern aus dem Besonderen, dem, was Bedeutung generiert und Verbindung bewirkt. In der Verbindung von Erwartungen mit dem architektonischen Handwerkszeug können das Zeit- und das Lebensgefühl vieler Menschen Gestalt annehmen.


Zeitgenössische Architekturqualität, Kunst am Bau, Baukunst werden von manchen Wirtschaftsexperten für überflüssiges Alltagsdekor gehalten.

Zweifelsohne hat der Verlust der Baukunst mit der Veränderung des Bauherrntypus zu tun. Anders als frühere Fürsten oder verantwortliche Unternehmer bauen und verkaufen Projektentwickler heute mit der Absicht, damit größtmögliche Renditen zu erzielen. Sie haben nicht die Absicht „begehrenswerte Liebesobjekte“ zu bauen. Die Absicht, eine gute Performance zu machen und Akzeptanz zu erzeugen, lässt aber griffige, verständliche Lösungen zu, die auch Absatz finden. Was heute manchen Architekten und Künstler mit dem Geld versöhnt, ist das „anything goes“, der vitale Dienstleistungsgeist. Kunst als Investment auf dem Kunstmarkt kann Höchstpreise erzielen, Wohnungen und Büros in angesagten Immobilien ebenfalls.


Die „Macht der Baukunst“ geht aber weit über solche Renditeabsichten hinaus. Sie gründet darauf, dass die symbolische Qualität von Gestaltung mit etwas Universellem und Allgemeinem verknüpft ist, dabei ins Innerste dringt und das Unbewusste weckt. Nicht im Sinne von Offenbarung aus dem Seelengrund, sondern als Selbstrepräsentanz im Sinne von Zugehörigkeit zu dem, was das Objekt, das Bauwerk, das Kunstwerk an Gefühl, Denk- und Erkenntnisprozessen auslöst: Die Idee des Objektes im Kontext der Idee vom eigenen Leben, von Freiheit, Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Transparenz, Festigkeit, Teilung, Trennung, Tod ...

Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt

Подняться наверх