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2. DER EHE- UND FAMILIENBEGRIFF IM GRUNDGESETZ 2.1 Grundgesetzkommentare als Hilfsmittel

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Unter Rückgriff auf Kommentare zum Grundgesetz sollen nun die Charakteristika der beiden Rechtsinstitute Ehe und Familie dargestellt werden.44 Zwar könnte dies beispielsweise auch unter Verwendung von soziologischen oder theologischen Erläuterungen geschehen – wie es zu gegebener Zeit auch noch der Fall sein wird – doch erscheint die Hinzunahme von Kommentaren zum Grundgesetz insofern als sinnvoll, als dass deren Verfasser die Artikel des Grundgesetzes auslegen und kontextualisieren. Dafür nehmen sie unter anderem die Entscheide des Bundesverfassungsgerichtes hinzu, in denen das Grundgesetz auf verbindliche Weise ausgelegt wird, und kommentieren diese wiederum. So entsteht ein Zirkel aus Auslegung und Kommentierung, da jede Form der Auslegung zugleich eine Kommentierung ist. Dabei legt sich der Verfasser auf Positionen und Ansichten fest und schließt andere als weniger plausibel aus. Zugleich greifen auch die Richter des Bundesverfassungsgerichtes auf Kommentare zurück, sodass ihre Entscheide nicht nur die Verfasser der Kommentare beeinflussen, sondern von diesen auch beeinflusst werden. Zu beachten ist hierbei, dass das sogenannte Richterrecht, das auf den in der Rechtsprechung »entwickelten und konkretisierten Rechtssätze[n]«45 beruht, in der deutschen Rechtspraxis schillert. Obwohl es nicht den Rang einer Rechtsquelle hat, verhält es sich doch so, dass die Rechtsprechung von Obergerichten eine orientierende Funktion für untergeordnete Gerichte hat. Prinzipiell bindend für »die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden«46 und damit eine Ausnahme darstellend, sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Sowohl auf dessen Entscheide als auch die anderer Gerichte wird in Kommentaren zurückgegriffen, um die eigene Auslegung zu unterstützen beziehungsweise von den Entscheiden abzuheben.

Kommentare stellen neben der Rechtsprechung eine Form der Auslegung von Gesetzen dar. Dass Gesetze ausgelegt werden müssen, hat darin seinen Grund, dass die einzelnen Rechtssätze zwar Normen enthalten und festlegen, jedoch weder Rechtssätze noch Normen eine eigene Intention besitzen. Stattdessen steht hinter jedem Rechtssatz eine rechtsetzende Institution.47 Das Ziel der Auslegung ist, den beabsichtigten Zweck der Norm herauszuarbeiten, was sowohl im Rahmen der Rechtsprechung als auch der Kommentarliteratur geschieht. Kommentare zum Grundgesetz sind daher eine Auslegung des Grundgesetzes. Die Anwender des Rechts – seien es Richter oder Verfasser von Kommentaren – bedienen sich bei der Auslegung bestimmter Mittel. Im Allgemeinen sind es derer drei: das Mittel des Wortlautes, der systematischen Auslegung, sowie der historischen Auslegung.48

Wird das Mittel des Wortlautes verwendet, steht der Normtext als solcher im Fokus des Interesses. Der Wortlaut wird analysiert, um sowohl die Intention des Gesetzgebers als auch den Zweck des Rechtssatzes herauszuarbeiten. Auf diese Weise steht zunächst der Text selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit. Jedoch zieht dieses Auslegungsmittel unvermeidlich auch die Anwendung weiterer Auslegungsmittel nach sich, weil Sprache zum einen einem Wandel unterliegt, sodass die Bedeutungen von Wörtern veränderlich sind. Zum anderen ist Sprache stets uneindeutig.49 Eine sich allein am Wortlaut orientierende Auslegung würde diesem Umstand nicht Rechnung tragen und stattdessen die Eindeutigkeit von Sprache postulieren. Würden Unterschiede im Verständnis von Worten in Betracht gezogen werden, ginge dies bereits über den eigentlichen Wortlaut hinaus. Aufgrund der Grenzen von Sprache – namentlich deren Wandel und ihre fehlende Eindeutigkeit – werden deshalb auch andere Mittel hinzugezogen, um Rechtssätze auszulegen.

Neben dem Wortlaut ist der Kontext entscheidend, in dessen Rahmen ein Rechtstext konzipiert und rezipiert worden ist. Als Teil der Rechtsordnung ist der Rechtstext Teil eines einheitlichen Systems. Im Rahmen der systematischen Auslegung werden Begriffe und Einzelnormen innerhalb dieses einheitlichen Systems analysiert.50 Drei Ebenen sind dabei allgemein zu unterscheiden: die Einzelnorm in Bezug auf das jeweilige Gesetz, weitere Gesetze der Rechtsordnung und die Ausstrahlungsfunktion der Verfassung. Innerhalb dieser Ebenen ist eine Norm auszulegen.51

Zum Dritten stellt die historische Auslegung ein Mittel dar. Deren Ausgangspunkt besteht in der Prämisse, dass zwischen dem Erlass einer Norm und ihrer Anwendung eine unbestimmte Zeitspanne liegt, in deren Verlauf sich beispielsweise die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert haben können. Indem mittels der historischen Auslegung ein »Zugang zu dem ursprünglichen Sinn und Bedeutungszusammenhang der anzuwendenden Norm«52gelegt werden soll, wird versucht, den Graben zwischen der Zeit des Erlasses und seiner Anwendung zu überbrücken.53 In der Anwendung ergibt sich dann aber auf Seiten des Rechtsanwenders die Frage, ob der Rechtsnorm in ihrer historischen Absicht gefolgt werden soll oder ob Modifikationen aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen vorzunehmen sind.54

Die eingehende Betrachtung des Wortlautes kann einen ersten Zugang zu Art. 6 GG darstellen.55 Doch erfordern die Deutungsoffenheit der Begriffe und der sich seit Verabschiedung des Grundgesetzes insbesondere im Bereich von Ehe und Familie vollzogene gesellschaftliche Wandel die Zuhilfenahme weiterer Auslegungsmittel. 56 Im Folgenden soll also zunächst nach den Begriffen von Ehe und Familie und deren Verständnis in der Rechtsauslegung gefragt werden. Der Formulierung folgend steht erst der Ehe- sodann der Familienbegriff im Licht des Interesses.

Von der Form zur Beziehungsgestaltung

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