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2.3 Der Familienbegriff im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 GG

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Wie für den Begriff der Ehe gilt auch für den Familienbegriff, dass er im Grundgesetz lediglich genannt, nicht aber umfassend definiert wird. Erneut muss daher auf Kommentare zurückgegriffen werden, um die inhaltliche Bedeutung des Begriffs zu erfassen. Unter einer Familie wird in der Kommentarliteratur im Allgemeinen die Gemeinschaft von Eltern und ihren Kindern verstanden. Dabei ist es nicht von Bedeutung, in welchem Verhältnis die Eltern zueinanderstehen. Auch ein Elternteil bildet mit seinem Kind eine Familie. Mit Blick auf die Kinder können sowohl die leiblichen als auch Stief-, Pflege- oder Adoptivkinder gemeint sein. Der durch das Grundgesetz garantierte Schutz der Familie endet nicht mit der Volljährigkeit der Kinder. Stattdessen gehören auch erwachsene Kinder zur Familie im engeren Sinne.68 Nicht dazu gehören jedoch Großeltern oder andere Verwandte. Diese sind bereits Teil der Familie im weiteren Sinne.69 Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 GG sind jene Frau und jener Mann, »von denen das Kind abstammt, wenn sie tatsächliche Pflege- und Erziehungsverantwortung für das Kind wahrnehmen.«70 Über diesen durch die Institutsgarantie gesicherten Personenkreis hinaus kann der Gesetzgeber weiteren Personen eine Partizipation am Elterngrundrecht durch gerichtliche Zuweisung ermöglichen.71

Dass die Familie zusätzlich zur Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG genannt wird, trägt der Tatsache Rechnung, dass Familien auch außerhalb der Ehe vorgefunden werden.72 Gerade weil die Eltern-Kind-Gemeinschaft die Grundlage der Familie bildet, ist es für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 GG unerheblich, in welchem Verhältnis die Eltern zueinander stehen. Sowohl verheiratete als auch unverheiratete Eltern können und müssen die Erziehung und Pflege des Kindes übernehmen.73 Ebenso zielt Art. 6 Abs. 5 GG auf diese Interpretation, da es ein Widerspruch wäre, wenn einerseits die Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern verfassungsrechtlich garantiert und zugleich die Schutzwürdigkeit der Familie von der Lebensform der Eltern abhängig sein würde.74 Ausschlaggebend ist das Wohl des Kindes. Dieses steht im Zentrum der Bestimmungen zur Familie in Art. 6 GG und gilt als Kriterium für die Beurteilung der Familie als einem Institut, das unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht. Das Wohl des Kindes gehört zum Kern der Familie. Es zu wahren, ist Aufgabe der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 GG.75 Die Freiheit von direkten staatlichen Eingriffen in das Familienleben hängt davon ab, ob die Eltern das ihnen stets gegebene Elternrecht der Pflege und Erziehung der Kinder wahrnehmen oder nicht. Im Fall der Missachtung dieses Rechts, das zugleich eine Pflicht darstellt, ist den staatlichen Organen die Möglichkeit gegeben, zugunsten des Kindes einzugreifen, wobei der Entzug des Sorgerechts nur das äußerste Mittel darstellt.76 Diese drastische Maßnahme wird durch Art. 6 Abs. 3 GG ermöglicht. Daneben stellt Art. 7 Abs. 1 GG eine Schranke des Elternrechts dar, da es das Schulwesen unter die Aufsicht des Staates stellt und ihm auf diesem Weg ein »eigenständiges Bildungs- und Erziehungsrecht einräumt.«77

Familie wird als Eltern-Kind-Gemeinschaft verstanden. In ihrem Mittelpunkt steht die Pflege und Erziehung des Kindes. Diese Pflicht ist unabhängig vom eigenen Familienstand wahrzunehmen, sodass der Schluss naheliegt, dass die Familie im Grundgesetz weniger durch ihre Form als vielmehr durch ihr zugeschriebene Aufgaben gekennzeichnet ist. Neben dem im Artikel genannten Aufgaben ist in den Kommentaren die Rede von der Reproduktionsund Entlastungsfunktion sowie von Verantwortung.78 Mit Blick auf die Reproduktionsfunktion ist zu überlegen, ob diese nicht von der Familie zu entkoppeln ist, da Reproduktion die Familie als Eltern-Kind-Gemeinschaft zur Folge hat. Reproduktion kann, wenn auch nicht ausschließlich, eine Familie konstituieren und in ihr vorkommen. Daran knüpfen dann auch Überlegungen an, inwieweit bei gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern von einer Familie gesprochen werden kann. Die Reproduktion erfolgt in diesem Fall nicht zwischen den beiden Partnern, doch können sowohl die Entlastungsfunktion als auch Verantwortung ebenso von gleichgeschlechtlichen Eltern wahrgenommen werden. Dementsprechend können zu den Trägern des Familiengrundrechts auch Personen gleichen Geschlechts zählen, die »in oder außerhalb einer Lebenspartnerschaft«79 leben. Dagegen könnte eingewandt werden, dass die Gemeinschaft von Eltern und Kindern auf Abstammung beruht, weshalb gleichgeschlechtliche Partner und deren Kinder nicht als Familie gelten würden. Doch eine solche Fokussierung auf die Abstammung würde im gleichen Zug bedeuten, auch der Gemeinschaft mit Adoptiv- oder Pflegekindern den Familienbegriff vorzuenthalten.80 Außerdem ist bei gleichgeschlechtlichen Paaren häufig ein Partner ein leibliches Elternteil.

Aus dem bisher Gesagten kann geschlussfolgert werden, dass die Familie insbesondere aufgrund ihrer Funktion unter dem Schutz der staatlichen Ordnung steht. Die denkbare Vielfalt an Familienformen, die sich ergibt, weil die Pflege und Erziehung von Kindern von verschiedenen Personen wahrgenommen werden kann, ist im Sinne des Grundgesetzes jedoch insoweit begrenzt, als dass einzig die Eltern-Kind-Gemeinschaft unter einen besonderen Schutz gestellt wird. Dies bedeutet aber nicht, dass vonseiten des Gesetzgebers der Familienbegriff an sich auf diese Form der Gemeinschaft beschränkt sein muss. Familie reicht darüber hinaus, wenngleich den Schutz vor allem die Eltern-Kind-Gemeinschaft genießt.

Von der Form zur Beziehungsgestaltung

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