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2.2 Der Ehebegriff im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 GG

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Hinter dem Ehebegriff von Art. 6 Abs. 1 GG steht das Institut der bürgerlichrechtlichen Ehe. Dessen rechtlicher Rahmen ist vor allem im vierten Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches dargelegt. Die Ausgestaltung des Ehelebens obliegt den Eheleuten. Dies entspricht der Bestimmung in Art. 6 Abs. 1 GG, wonach die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht. Dieser Schutz soll als Abwehrmechanismus gegen unverhältnismäßige Eingriffe vonseiten des Staates in die Ehe dienen.

Während im Grundgesetz lediglich der Begriff der Ehe genannt wird, findet sich in § 1353 Abs. 1 BGB eine grundlegende Bestimmung zur Ehe. Seit 1. Oktober 2017 heißt es dort: »Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.«57 Neu ist seitdem, dass die Ehe auch von Paaren gleichen Geschlechts eingegangen werden kann. Zuvor stand ihnen die Möglichkeit offen, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen, was fortan jedoch nicht mehr möglich ist. Da sowohl in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes als auch in der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 GG bisher unter der Ehe »die unter Mitwirkung des Staates geschlossene, auf Lebenszeit oder jedenfalls auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss und der Gleichberechtigung der Partner beruhende Lebensgemeinschaft von Mann und Frau«58 verstanden wurde, gab es nach der Einführung der Ehe für alle zunächst Diskussionen um die Verfassungsmäßigkeit der Änderung von § 1353 Abs. 1 BGB. Da bisher jedoch keine Verfassungsklage eingereicht worden ist, hat der neue Wortlaut weiterhin Bestand.

Mit dem Institut der Ehe sind sogenannte Strukturprinzipien verbunden. Dahinter steht der Gedanke, dass die Ehe bestimmte Merkmale aufweist, mit deren Hilfe sie inhaltlich konkretisiert wird. In der Regel gehören sowohl die Freiwilligkeit des Eheentschlusses hinsichtlich Ehepartner und Zeitpunkt der Eheschließung als auch der Wille zur Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft, wonach beide Ehepartner gegenseitig füreinander Sorge tragen, dazu.59 Hinzu kommen die Gleichberechtigung der Eheleute im Rahmen der Lebensgemeinschaft sowie die Freiheit in der Gestaltung des Ehelebens.60 Umstritten war bislang, inwiefern die Verschiedengeschlechtlichkeit der Eheleute ein vom Bundesverfassungsgericht zu schützendes Strukturprinzip der Ehe ist. Bei der Beurteilung dieser Frage spielen sowohl die Funktionen des Rechts eine Rolle als auch die Funktion der Ehe. Wird dem Recht vor allem eine bestehende Gesellschaftsordnungen konservierende Funktion zugeschrieben, müsste die Verschiedengeschlechtlichkeit der Eheleute beibehalten werden, denn bis September 2017 war dies die gängige, weil einzig mögliche Form der Ehe. Jedoch gibt es daneben ebenso die Legitimationsfunktion und die Präge- beziehungsweise Erziehungsfunktion des Rechts.61 Das Recht hat dann eine legitimierende Funktion, wenn damit bestimmte Vorstellungen seitens der Legislative auf den Weg gebracht werden. Diese müssen aber von den Bürgern als gerecht empfunden und akzeptiert werden.62 Im Falle der Ehe für alle kann hiervon ausgegangen werden, da ihre Einführung in weiten Teilen der Bevölkerung befürwortet wurde. Die Präge- und Erziehungsfunktion des Rechts scheint deshalb in diesem Fall nicht zu greifen. Folgende Annahme liegt ihr zugrunde: »Recht schafft Rechtsbewußtsein und macht aus dem Rechtsgehorsam bei entsprechender Geltungsdauer Rechtsüberzeugung.«63 Gleichwohl unterstreicht diese Rechtsfunktion, dass gesellschaftliche Veränderungen im Recht aufgegriffen und gestärkt werden können.

Einen anderen Zugang zur Frage der Verschiedengeschlechtlichkeit wählt FRAUKE BROSIUS-GERSDORF. Ihrer Auffassung nach gehört die Verschiedengeschlechtlichkeit nicht zu jenen Strukturprinzipien, die durch die Institutsgarantie gewährleistet werden müssen, weil die Funktion der Ehe zuallererst darin besteht, dass die Eheleute einander Beistand leisten und füreinander Verantwortung tragen, wie es auch in § 1353 Abs. 1 BGB festgehalten wird.64 Dies kann unabhängig vom Geschlecht der Eheleute wahrgenommen werden. 65 Für die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe kann dann argumentiert werden, wenn eine wesentliche Funktion der Ehe die Gründung einer Familie sein soll. Gleichwohl ist dagegen einzuwenden, dass das Institut der Ehe immer auch verschiedengeschlechtlichen Paaren offensteht, die nicht in der Lage sind, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen. Rechtlich gesehen ergibt sich daraus die Anfrage, warum die Ehe gleichgeschlechtlichen Paaren verwehrt bleiben sollte, wenn sie auch zeugungsunfähigen verschiedengeschlechtlichen Paaren nicht verwehrt wird.66

Mit der Änderung von § 1353 Abs. 1 BGB und der damit verbundenen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare »kommt es bei der Begründung der Ehe also nicht mehr auf die Geschlechtsverschiedenheit an.«67 Sie zählt deshalb nach derzeitiger Auffassung nicht zu den zu schützenden Strukturprinzipien. Eine vorerst abschließende Entscheidung kann jedoch nur das Bundesverfassungsgericht treffen.

Festzuhalten ist, dass die inhaltlichen Füllungen des Ehebegriffs in rechtlicher Perspektive kaum konkret zu fassen sind. Da der Begriff Ehe im Grundgesetz lediglich genannt wird, muss auf das Bürgerliche Gesetzbuch zurückgegriffen werden, um rechtliche Normen zur Ehe zu finden. Gemäß § 1353 Abs. 1 BGB stellt die Ehe eine auf Lebenszeit geschlossene Lebensgemeinschaft dar, bei der die Ehegatten füreinander Sorge tragen. Die Ehe kann nur unter Mitwirkung des Staates geschlossen werden und bedarf im Fall der Scheidung eines gerichtlichen Urteils. Die Frage, welche Strukturprinzipien der Ehe vom Gesetz her zu schützen sind, ist eine offene Frage, die zum einen von den gesellschaftlichen Veränderungen als auch von den leitenden Auffassungen der Funktionen des Rechts abhängig sind. Es ist denkbar, dass die Deutungsoffenheit des Ehebegriffs mit der unverhältnismäßige Eingriffe des Staates abwehrenden Funktion der Grundrechte korreliert. Dies würde bedeuten, dass Raum für einen Wandel des Eheverständnisses gegeben ist, ohne dass dies sofort Änderungen des Grundgesetztextes nach sich ziehen würde. Bereits in § 1353 Abs. 1 BGB und mehr noch in den Kommentaren sind vorrangig funktionale Aspekte entscheidend. Die Form der Ehe wird wohl auch weiterhin in Teilen der Gesellschaft ein strittiges Thema sein, aber rechtlich gesehen steht sie fortan sowohl Paaren verschiedenen als auch gleichen Geschlechts offen.

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