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4. ZUSAMMENFASSENDE THESEN

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(1) Ehe und Familie genießen einen im Grundgesetz verankerten Schutz durch die staatliche Ordnung, wodurch sie sich von den übrigen Lebensformen unterscheiden, die keine eigene Erwähnung im Grundgesetz finden. Die staatliche Ordnung hat dabei vor allem den Schutz vor Instrumentalisierungen zu gewähren. Insbesondere die Familie ist anfällig für staatliche Instrumentalisierung, gleiches gilt jedoch auch für die Ehe. Die Gefahr der Instrumentalisierung ist dadurch bedingt, dass der Staat ein besonderes Interesse an beiden Lebensformen hat, da Familien den Fortbestand seiner Bevölkerung garantieren und Ehepaare den Staat aufgrund ihrer Güter- und Verantwortungsgemeinschaft vor allem finanziell entlasten.

(2) Vor dem Hintergrund von Art. 3 GG stellt sich die Frage, wie sich der besondere Schutz von Ehe und Familie zum Verbot von Diskriminierung verhält. Anders formuliert: Wie kann beiden Lebensformen staatlicher Schutz zuteilwerden, ohne dass andere Formen des Zusammenlebens diskriminiert werden? Durch die Einführung der Ehe für alle wurde der rechtlichen Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften Einhalt geboten.

(3) Da sowohl die Ehe als auch die Familie in Art. 6 Abs. 1 GG nur genannt werden, muss auf die Rechtsprechung und weitere Gesetze zurückgegriffen werden, um eine rechtliche Definition beider Lebensformen zu gewinnen. Auf dieser Basis ist festzuhalten, dass die Ehe eine staatlich geschlossene Lebensgemeinschaft zwischen zwei Menschen ist, die füreinander Verantwortung tragen. Die Familie ist dagegen die Eltern-Kind-Gemeinschaft. Aufgrund der Unterscheidung in biologische und soziale Elternschaft fallen zahlreiche Konstellationen unter diese Definition der Familie.

(4) Statt einer Fokussierung auf eine bestimmte Form der Familie erfolgt in Art. 6 Abs. 2 GG die Hervorhebung einer Funktion der Familie, nämlich das Recht und die Pflicht der Pflege und Erziehung der Kinder. Durch den Schutz vonseiten der staatlichen Ordnung wird hierfür ein Raum eröffnet, der zugleich dadurch begrenzt ist, dass das Kindeswohl sichergestellt sein muss. Ist dies nicht der Fall, kann der Staat den Eltern das Erziehungsrecht entziehen, wobei einem solchen Eingriff hohe Hürden gesetzt sind.

(5) Die Offenheit des Familienbegriffs eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Familienformen darin einzuschließen. Aus dem Grundgesetz kann deshalb keine Privilegierung einer bestimmten Form familialen Zusammenlebens abgeleitet werden. Zumal Ehe und Familie zwar in einem Satz genannt werden, jedoch kein eindeutiger Zusammenhang zwischen beiden hergestellt wird. Stattdessen ermöglicht die Nennung von Ehe und Familie eine Reihe von Interpretationen ihres Verhältnisses, zu deren Bandbreite auf der einen Seite die Ableitung der Familie aus der Ehe und auf der anderen Seite die zusammenhangslose Aneinanderreihung gehören.

(6) Da der Gesetzgebungsprozess oftmals langwierig ist, kann der Eindruck entstehen, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen in den Formen des Zusammenlebens vom geltenden Recht nur schwer erfasst werden können. Das heißt nicht, dass die Gesetzgebung zwangsläufig alle Entwicklungen aufgreifen muss, nur weil diese von einer gesellschaftlichen Mehrheit gefordert werden, wie dies bei der Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare lange Zeit der Fall war. Aus diesen unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten ergibt sich jedoch oftmals eine Diskrepanz zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen und der gesellschaftlichen Realität.

(7) Die Frage, wie sich die gesellschaftliche Realität in der Gesetzgebung und Rechtsprechung widerspiegeln soll, stellt eine Herausforderung dar, da gerade im Bereich partnerschaftlicher und familialer Lebensformen verschiedene und allzu oft widerstreitende Vorstellungen existieren. Umso dringlicher erscheint es deshalb, auch auf die Erkenntnisse anderer Wissenschaften zurückzugreifen. Auf diese Weise können andere Perspektiven auf Lebensformen in den rechtlichen Diskurs eingeschlossen und die Interpretation des Ehe- und Familienbegriffs bereichert werden.

Diese zusammenfassenden Thesen verdeutlichen bereits, dass das Recht in einem engen Zusammenhang zu gesellschaftlichen Entwicklungen steht. Sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Rechtsprechung werden die damit einhergehenden Veränderungen innerhalb der Gesellschaft aufgegriffen. Wo dies geboten ist, wird der rechtliche Rahmen entweder modifiziert oder in seiner bestehenden Form bekräftigt. Der rechtliche Bereich spielt jedoch nur zu einem Teil in den kontinuierlichen gesellschaftlichen Wandel im Bereich der zwischenmenschlichen Lebensformen hinein. Für ein besseres Verständnis seiner Dynamik stehen im Folgenden familiensoziologische Perspektiven auf die Familie sowie andere Lebensformen im Mittelpunkt. Dabei geht es zum einen um theoretische Zugänge zur Familie und die Frage, wie ausgehend von den ausgewählten Theorien die Veränderungen familialer Lebensformen und die Herausforderungen des Familienlebens erklärt werden können. Zum anderen kann mittels des Rückgriffs auf die empirischen Ergebnisse des Mikrozensus und der Familienleitbildforschung ein Bild der gegenwärtig vorfindlichen Vielfalt gezeichnet werden.

Von der Form zur Beziehungsgestaltung

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