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1.1 Der strukturell-funktionalistische Ansatz

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In den 1950er-Jahren war die Familiensoziologie im deutschsprachigen Raum vom strukturell-funktionalistischen Ansatz geprägt, der auf den Soziologen TALCOTT PARSONS zurückgeht. Für PARSONS ist die Annahme leitend, dass eine Gesellschaft stets danach strebt, frei von Konflikten zu sein. Das Handeln des Einzelnen ist in das entsprechende System eingebettet und wird von dem Aspekt her beurteilt, ob es das System stabilisiert oder zu dessen Destabilisierung beiträgt.150 Dabei ist entscheidend, dass das Handeln des Einzelnen vornehmlich von externen Faktoren beeinflusst wird. Zwar wird der Einzelne von individuellen Bedürfnissen geprägt, doch nimmt er auch von außen herangetragene Interessen wahr. Da der Mensch soziale Sanktionen vermeiden möchte, ist sein Handeln stets von dem Ziel geleitet, einen Ausgleich zwischen den eigenen Bedürfnissen und externen Interessen zu suchen, der zugleich dem Erhalt des Systems dient.151 Einen Einfluss auf menschliches Handeln besitzen die sogenannten Wertorientierungen. Damit sind jene Wertvorstellungen gemeint, die in einer Gesellschaft relevant sind und vermeintlich richtiges Verhalten definieren.152

Zum Kern der Überlegungen PARSONS’ zählt, dass der Einzelne zur Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung beizutragen hat.153 Neben der gesellschaftlichen Gesamtheit ist der Einzelne auch gegenüber anderen Gesamtheiten verpflichtet, an denen er aufgrund des Rollen-Pluralismus beteiligt ist.154 Zu diesen sozialen Gesamtheiten zählen beispielsweise die Kernfamilie oder politische Vereinigungen. Charakteristisch für alle Gesamtheiten ist, dass ihre Mitglieder von den Nicht-Mitgliedern eindeutig unterschieden werden können und die Mitglieder bestimmte, der jeweiligen Rolle entsprechende Funktionen ausüben müssen.155 Hieran knüpfen die Überlegungen der Familiensoziologie an. Zu den wichtigsten Vertretern einer von PARSONS beeinflussten Familiensoziologie gehört WILLIAM JOSIAH GOODE. Bei ihm stehen die Gesamtgesellschaft und die Familie in einem engen Verhältnis zueinander. Die Gesamtgesellschaft ist darauf angewiesen, dass ihre Bedürfnisse durch ihre Mitglieder erfüllt werden. In einem begrenzten Umfang wird die Wahrnehmung der Pflichten der einzelnen Mitglieder durch staatliche Gewalt garantiert. Es bedarf nach GOODE jedoch darüber hinaus der Familie, die durch ihre soziale Kontrolle ihre Mitglieder dazu bewegt, die Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft zu befriedigen.156 Andererseits ist die Familie für ihre Erhaltung auf die Gesamtgesellschaft angewiesen und kann nicht losgelöst von ihr existieren.157 Damit ist bereits angedeutet, worum es Vertretern des sogenannten strukturell-funktionalistischen Ansatzes im Kern geht: die Darstellung der Funktionen der Familie.158

Entsprechend des wechselseitigen Einflusses aufeinander stehen sowohl die Funktionen der Familie hinsichtlich des Einzelnen als auch hinsichtlich der Gesellschaft im Fokus.159

Laut NAVE-HERZ nimmt die Familie beispielsweise die Reproduktions-, Sozialisations-, Freizeit- und Spannungsausgleichsfunktion wahr.160 Die wohl grundlegendste Funktion der Familie besteht in der biologischen und sozialen Reproduktion. Unter diese Funktion kann auch die Sozialisationsfunktion subsumiert werden. Ausschlaggebend ist hierfür, wie die soziale Reproduktion zu verstehen ist. NAVE-HERZ zählt zu dieser in erster Linie die physische und psychische Regeneration, die innerhalb der Familie unter anderem mithilfe materieller und immaterieller Transferleistungen wahrgenommen wird.161 Davon hebt sie die Sozialisation als eigenständige Funktion der Familie ab und versteht darunter den Prozess, der ein Kind von der Geburt an zu einem Mitglied der Gesellschaft werden lässt.162 Ähnlich interpretieren auch PAUL BERNHARD HILL/JOHANNES KOPP den Begriff Sozialisation, wenn sie darunter hauptsächlich das Einüben von Normen, Werten und Verhaltensstandards verstehen.163 Da dies nicht zweckfrei geschieht, sondern die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft erlangt werden soll, kann Sozialisation durchaus auch als soziale Reproduktion verstanden werden; Gesellschaft reproduziert sich durch Sozialisation. Auch GOODE argumentiert in diese Richtung: »Sozialisierung ist der Prozeß, durch den das junge menschliche Wesen die Werte und Kenntnisse seiner Gruppe erwirbt und die seiner Position in dieser Gruppe entsprechenden Rollen erlernt.«164 Primär verantwortlich hierfür sieht er die Familie, die sowohl aufgrund ihrer Langlebigkeit als auch aufgrund ihrer auf Gefühlen beruhenden Verbundenheit ihrer Mitglieder einen idealen Rahmen für die Sozialisation herstellt. 165 Erst im Laufe der Zeit nehmen auch andere Akteure die Sozialisationsfunktion gegenüber Kindern wahr.166 Wenn die soziale Reproduktion darauf zielt, dass der Einzelne die Normen, Werte und Rollenerwartungen einer Gesellschaft erlernt, erscheint es konsequent, dass eine Gesellschaft Einfluss auf die biologische Reproduktion nimmt. Die Fortpflanzung gehört zu den grundlegenden Funktionen der Familie, erfolgt aber im Rahmen gesellschaftlicher Normen. Nach GOODE bezieht sich dies auf den Status der Legitimität oder eben Illegitimität von Fortpflanzung innerhalb von Beziehungen.167

Aus empirischer Sicht fand insbesondere hinsichtlich der Legitimität von Fortpflanzung ein Wandel statt. Bis in die 1970er-Jahre hinein wurde die biologische Reproduktion auf die eheliche Familie begrenzt. Sowohl die kinderlose Ehe als auch uneheliche Geburten wurden in der Gesellschaft diskriminiert.168 Mittlerweile stellt die Ehe keine Voraussetzung mehr zur Zeugung von Kindern dar. Eher könnte aus den empirischen Befunden der Schluss gezogen werden, dass die Ehe Folge gemeinsamer Kinder ist.169 Wie die biologische Reproduktion obliegt auch die soziale immer noch der Familie. Ein Wandel hat sich dabei insofern vollzogen, als dass sich zunehmend beide Elternteile gleichermaßen verantwortlich fühlen, dem Erziehungsauftrag nachzukommen.170 Im Trennungsfall liegt die Verantwortung jedoch häufig bei jenem Elternteil, bei dem das Kind lebt.171

Die Platzierungsfunktion kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Zum einen berührt sie die Frage nach der Legitimität der Nachkommen. Wie bereits erwähnt, gibt es in einer Gesellschaft Regeln hinsichtlich der Fortpflanzung, insofern nicht jede sexuelle Beziehung gesellschaftlich legitimiert ist. Gesetzt des Falles, dass ein Kind aus einer solchen illegitimen Beziehung hervorgeht, haftet ihm der Charakter des Illegitimen an. Als Grund hierfür gibt GOODE an, dass der Status im Verwandtschaftssystem bei Kindern aus beispielsweise inzestuösen Beziehungen nur schwer bestimmt werden kann und sich diese Unklarheit auf die soziale Platzierung des Kindes überträgt.172 Hinzu kommt, dass versucht wird, Kinder aus illegitimen Beziehungen zum Schutz des eigenen Ansehens zu verbergen. In der Folge wird ihnen unter Umständen ein geringeres Maß an Fürsorge zuteil.173 Zusammengefasst beeinflusst demnach die Legitimität der elterlichen Beziehung den sozialen Status des Kindes. Eine weitere Perspektive auf die Platzierungsfunktion ergibt sich aus der gesellschaftlichen Stellung der Familie. Die Stellung der Nachkommen in der Gesellschaft wird von den sozioökonomischen Verhältnissen der Familie beeinflusst. Kinder werden in eine bestimmte Schicht hineingeboren. Trotz Bestrebungen im gesellschaftlichen Schichtsystem aufzusteigen, verbleibt ein Großteil dennoch in jener Schicht, in die sie hineingeboren wurden. Zum einen sollen Menschen der gleichen Schicht am Aufstieg gehindert werden, zum anderen versuchen Menschen höherer Schichten ihre Privilegien zu bewahren.174

Die Mobilität zwischen den Schichten ist dementsprechend begrenzt. Die Herkunftsfamilie entscheidet in der Regel über den sozialen Platz ihrer Mitglieder. Als dritte Perspektive auf die Platzierungsfunktion beschreibt NAVE-HERZ, dass innerhalb der Familie Fähigkeiten erworben werden können, die es dem Einzelnen ermöglichen, widerstandsfähig gegen strukturelle Benachteiligungen zu werden und diese durchaus auch überwinden zu können.175

Insgesamt erwecken die soeben beschriebenen Aspekte aber den Eindruck, dass die Platzierungsfunktion vor allem passiv zu verstehen ist. Vereinfacht gesagt könnte sie auf die Formel gebracht werden: Die Herkunft entscheidet über die Position in der Gesellschaft. Diesen Grundsatz formulierte bereits GOODE: »Welche Mittel in einer bestimmten Gesellschaft auch immer zur Behauptung oder Erlangung einer hohen Position beitragen, die Familien der oberen Schichten verfügen über mehr Möglichkeiten als die anderen. In jeder Gesellschaft verfügen sie über größere Fertigkeiten, bessere Erziehung, vollkommenere Beherrschung der Literatur oder Kunst, größere Fähigkeiten, Waffen und Menschen einzusetzen, oder über eine vollkommenere Beherrschung der Feinheiten der Sprache und der Etikette als die unteren Schichten.«176 Noch heute stellt die Bildungsgerechtigkeit eine Herausforderung für gesellschaftspolitisches Handeln dar. Nach wie vor hängt der persönliche Erfolg in der Bildung in besonderem Maße von der eigenen Herkunft ab. Die damit verbundenen Diskussionen um Chancengerechtigkeit verweisen auf ein Prinzip, das im Zusammenhang mit der Platzierungsfunktion steht und diesem zugleich eine neue Grundlage bereiten soll. Im Zuge der Industrialisierung und der damit verbundenen Emanzipation des Bürgertums vom ständischen Denken hielt der Gedanke Einzug, dass nicht mehr die hierarchische Position der Familie das entscheidende Kriterium für den Stand des Einzelnen in der Gesellschaft sei, sondern dessen Leistung.177 Formal betrachtet gilt das Leistungsprinzip in Deutschland insofern, als dass der schulische Abschluss sowie die Ausbildung oder der akademische Titel die gesellschaftliche Position bestimmen, denn dadurch wird der Zugang zu Arbeitsstellen geregelt.178 Gleichzeitig – dies zeigen die Diskussionen um Chancengerechtigkeit im Bildungssystem – werden in der Schule allzu häufig die bereits in der Familie im Zuge der Sozialisation erworbenen Fähigkeiten verfestigt. Deshalb gilt im Bildungssystem das Leistungsprinzip, da Leistungen erbracht werden müssen und beurteilt werden, zur gleichen Zeit begünstigt es aber aufgrund ihrer Herkunft privilegierte Schüler. Trotz des Leistungsprinzips besitzt die Familie also eine Platzierungsfunktion.179

Gemäß der Freizeitfunktion wird seitens der Gesellschaft von der Familie erwartet, dass die freie Zeit – als Pendant zu jener Zeit, die der Einzelne für die Erwerbsarbeit aufbringt – im familialen Kontext verbracht wird.180 Dies kann zum einen heißen, dass die Familienmitglieder gemeinsamen Aktivitäten nachgehen, und zum anderen, dass der Einzelne seine Freizeit im familialen Raum verbringt.181 Empirisch betrachtet wächst die innerhalb der Familie verbrachte Zeit.182

Auch die Spannungsausgleichsfunktion knüpft an die Trennung von Erwerbsarbeits- und Familienbereich an. Die Basis dieser Funktion bildet die Annahme, dass der Einzelne im Bereich der Erwerbsarbeit vorrangig ein Rollenträger ist. Im Gegensatz dazu wird er innerhalb der Familie als ganzheitliche Person gesehen. Die Familie schafft auf diese Weise einen Ausgleich zwischen beiden Alltagsbereichen und rückt zusätzlich die emotionalen Bedürfnisse ihrer Mitglieder in den Fokus. 183 Kritisch ist aus soziologischer Perspektive gegen eine solche Sichtweise aber einzuwenden, dass der Mensch stets ein Rollenträger ist – unabhängig von dem Bereich, in dem er sich bewegt. Insofern findet ein Spannungsausgleich vor allem zwischen den verschiedenen Rollen statt, nicht aber zwischen einer bestimmten Rolle und der Person an sich. Hinzu kommt, dass innerhalb des Systems der Familie externe Einflüsse sehr wohl eine Rolle spielen – eine psychologische Trennung zwischen Arbeits- und Familienbereich daher nicht möglich ist. Schließlich verkennt eine allzu starke Kontrastierung zwischen der zweckrationalen Arbeitswelt auf der einen und der emotionale Bedürfnisse befriedigende Familienwelt auf der anderen Seite den Umstand, dass Familien keineswegs eine »Sozialidylle«184 darstellen, sondern auch dort Konfliktpotentiale gegeben sind.185

Reproduktions- und Platzierungsfunktion samt ihrer Differenzierungen stellen die beiden wesentlichen Funktionen der Familie dar. Sowohl die Freizeit- als auch die Spannungsausgleichsfunktion, die von NAVE-HERZ eingeführt werden, können streng genommen der erstgenannten Funktion zugeschrieben werden: Ihrem Zweck nach dienen beide Funktionen der Regeneration, die ihrerseits wiederum Teil der sozialen Reproduktion ist. Es könnten der Familie weitere Funktionen infolge von Differenzierungen zugeschrieben werden. Festzuhalten bleibt vorerst, dass diese zumeist Ableitungen der Reproduktions- und Platzierungsfunktion sind, welche ihre Relevanz von den Erfordernissen der Gesellschaft erhalten. Insbesondere die Reproduktionsfunktion wird gegenwärtig beinahe ausschließlich der Familie zugeschrieben.186

Dem strukturell-funktionalistischen Ansatz nach besitzt das System der Familie auf der einen Seite eine innere Ordnung, zu deren Erhalt der Einzelne beitragen soll. Auf der anderen Seite stellt die Familie ein Subsystem der Gesamtgesellschaft dar, die in verschiedene solcher Systeme gegliedert ist. Der Einzelne ist in aller Regel sowohl ein Mitglied des Subsystems Familie als auch weiterer Subsysteme. Hierbei wird von einer multiplen Mitgliedschaft gesprochen. Diese hat aber zur Folge, dass Veränderungen in einem Subsystem stets Auswirkungen auf andere Subsysteme haben. Innerhalb der Familie wird laut GOODE ein Wandel oftmals durch sogenannte »familiäre Desorganisation«187 verursacht. Gründe dafür sind die Illegitimität einer Beziehung oder eines Kindes, die Abwesenheit eines Familienmitglieds aufgrund von Trennung oder Scheidung, familiäre Attrappen, bei denen ein familiärer Schein aufrecht erhalten wird, die ungewollte Abwesenheit eines Ehepartners im Todesfall, sowie ungewollt nicht-besetzte Rollen innerhalb der Familie infolge von Behinderungen und psychischen Krankheiten. Aus den genannten Gründen lässt sich ableiten, dass Desorganisation darauf beruht, dass Familienmitglieder die Rollen, die ihnen innerhalb der Familie zugewiesen werden, entweder gewollt oder ungewollt nicht wahrnehmen. 188 Dies führt zu Unsicherheiten, da die Rollen anderweitig besetzt werden müssen. Daraus können sich neue Konflikte ergeben, wenn zwischen den Familienmitgliedern kein Konsens über die Neubesetzung hergestellt werden kann. Konflikte um Rollenverständnisse können die Folge sein.189 Desorganisation ist hauptsächlich auf das System der Familie in sich selbst bezogen. Da der Einzelne auch Mitglied anderer Systeme ist, kommt zugleich auch das Verhältnis der Familie zu anderen Systemen in den Blick, da der Wandel familialer Rollen ebenso von externen Strukturen beeinflusst wird. Damit ist der Begriff der sogenannten familialen Desintegration verbunden.190 Diese ist die Folge einer stetigen funktionalen Differenzierung. Die Gesellschaft wird in eine wachsende Zahl von Subsystemen gegliedert, die für sich genommen immer spezialisierter sind. Für das System der Familie bedeutet dies einen Funktionsverlust, der die innere Ordnung des Subsystems gefährdet. 191 Befördert wird dies zudem von Veränderungen innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen, die wiederum einen Einfluss auf das Verhalten des Einzelnen haben.192 So entsteht das Bild einer wechselseitigen Abhängigkeit von Desorganisation und Desintegration. Gesellschaftliche Strukturen haben Auswirkungen auf den Einzelnen und bedingen veränderte familiale Rollen. Der Wandel des familialen Rollensystems besitzt in der Breite wiederum einen Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen. Im Rahmen des strukturell-funktionalistischen Ansatzes ist eine solcher Kreislauf deshalb als kritisch zu erachten, weil es stets um die Stabilität des Systems geht – sowohl des gesamtgesellschaftlichen Systems als auch der einzelnen Subsysteme.

Vereinfacht könnte das Paradigma des strukturell-funktionalistischen Ansatzes so beschrieben werden, dass der Gesellschaft und ihren Subsystemen eine strukturelle Ordnung inhärent ist. Der Erhalt der Ordnung soll mittels bestimmter Funktionen, die sich an den jeweiligen Erfordernissen orientieren, garantiert werden. Strukturen und Funktionen gehen demzufolge dem Handeln des Einzelnen voraus.193 Gegen ein solches Paradigma sind sowohl aus soziologischer als auch aus theologischer Perspektive Einwände zu erheben. Empirisch betrachtet war die Familie zu keiner Zeit in einem exklusiven Besitz der beschriebenen Funktionen.194 Daran anknüpfend wird sodann der Einwand erhoben, dass Vertreter des strukturell-funktionalistischen Ansatzes vor allem daran interessiert sind, bestimmte Werte, Normen und Familienmuster zu bewahren und dementsprechend ein konservierendes Interesse haben.195 Dadurch wird die Frage aufgeworfen, inwieweit angesichts der familialen Realität überhaupt von der Familie gesprochen und von allgemeinen Prinzipien ausgegangen werden kann. Die Annahme einer eindeutigen Rollenverteilung in Familien ist empirisch kaum nachweisbar – dies gilt umso mehr, wenn die zugrunde gelegte Rollenverteilung dem Mann die Rolle des Alleinverdieners und Ernährers der Familie und der Frau die Rolle der Haushaltsführerin und Erzieherin zuschreibt.196

Aus theologischer Perspektive erscheint die Anforderung an den Einzelnen, entsprechend den Erwartungen an seine Rolle zu handeln und damit Funktionen zu erfüllen, die zur Stabilität des Systems beitragen, als eine Reduktion des Menschen. Statt ihn als ganzheitliche Person wahrzunehmen, erweckt es den Eindruck, dass jeweils nur einzelne Aspekte wahrgenommen werden würden. Der Mensch erscheint nicht als Individuum, sondern als Diener übergeordneter Prinzipien.

Der strukturell-funktionalistische Ansatz bestimmte gemeinsam mit dem im Folgenden dargestellten Ansatz des Symbolischen Interaktionismus insbesondere in den 1950er- und 1960er-Jahren familiensoziologische Debatten. Mittlerweile wird in der Familiensoziologie nur noch vereinzelt auf ihn Bezug genommen.197 Nichtsdestotrotz hat die Darstellung ausgewählter Funktionen gezeigt, dass diese durchaus auch gegenwärtig von Familien wahrgenommen werden. Die Frage, welche Funktionen eine Familie sowohl in Bezug auf den Einzelnen als auch die Gesellschaft erfüllt, bleibt insbesondere dann virulent, wenn die Bedeutung der Familie betrachtet werden soll. Erinnert sei an dieser Stelle auch an Überlegungen aus dem vorangegangenen Kapitel.198 Diesem zufolge gewinnt die Familie – gleiches gilt auch für die Ehe – ihren besonderen grundgesetzlichen Schutz unter anderem durch die Funktionen, die sie ausübt.199 Hinzu kommt, dass die Struktur der Gesellschaft in der Tat eine das individuelle Handeln bestimmende Größe ist.200 Diese Einsicht wird auch in den weiteren darzustellenden Ansätzen eine Rolle spielen. Familiales Verhalten ist von externen Faktoren beeinflusst. Zu diesen zählt die Gesellschaft samt der in ihr vorkommenden Werte und Normen oder religiöse Vorstellungen.

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