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2.2 Ein empirischer Einblick in Familienbilder in Deutschland

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Dass es eine Vielfalt familialer Lebensformen in Deutschland gibt, sollte bis hierher bereits deutlich geworden sein. Die sich noch in den Anfängen befindende Leitbildforschung unterstreicht diese Gegebenheit, denn dem gegenwärtig in Deutschland mehrheitlich vertretenen Familienleitbild ist die Pluralität familialer Lebensformen bereits inhärent. Das heißt, dass weniger formale Familienkonstellationen für die Wahrnehmung als Familie ausschlaggebend sind als vielmehr bestimmte Erwartungen an das familiale Zusammenleben. Wenn also bisher zuweilen suggeriert wurde, dass sich Familie primär entweder über ihre Form oder ihre Funktionen bestimmen lässt, so führen Überlegungen, die auf der Leitbildforschung basieren, zu der Einsicht, dass es einen Mittelweg gibt. Die Familie wird weder auf eine normative Form noch auf bestimmte unabdingbare Funktionen reduziert. Gleichzeitig wird weder die Form noch die Funktion gänzlich außen vor gelassen, da formal betrachtet, Kinder mehrheitlich eine notwendige Voraussetzung der Familie darstellen. Darüber hinaus besitzen auch die an familiales Zusammenleben gerichteten Erwartungen einen funktionalen Charakter. Nachfolgend soll die These, dass die familiale Pluralität familienbezogenen Leitbildern innewohnt, plausibilisiert werden.

Leitbilder basieren sowohl auf der eigenen Erfahrung als auch auf Erwartungen, die von außen an den Einzelnen herangetragen werden. Zu beiden Quellen von Leitbildern muss er sich in seinem Handeln verhalten. Ihrer Intention nach sollen Leitbilder Orientierung bei Handlungsentscheidungen geben und als Richtschnur dienen. Doch unabhängig von dieser Intention kann von ihnen auch ein großer Druck ausgehen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ihnen nicht entsprochen wird.298 SABINE DIABATÉ/DETLEV LÜCK schlagen folgende Definition eines Leitbildes vor: Ein Leitbild sei »ein Bündel aus kollektiv geteilten bildhaften Vorstellungen des ›Normalen‹, das heißt von etwas Erstrebenswertem, sozial Erwünschtem und/oder maßgeblich weit Verbreitetem, also Selbstverständlichem.« 299 Leitbilder bringen demnach das sogenannte Normale zum Ausdruck. Dies gilt sowohl in Bezug auf das Normale im Sinne normativer Ansprüche als auch im Sinne des faktisch mehrheitlich Gegebenen. Sie umfassen zugleich eine gemeinschaftliche wie auch eine individuelle Dimension, die sich gegenseitig beeinflussen. Sozial erwünschte und gleichermaßen weit verbreitete Vorstellungen sind Gegenstand der gemeinschaftlichen Dimension. Doch muss sich der Einzelne in der Auseinandersetzung mit Leitbildern zu diesen auch verhalten. Das ist die individuelle Dimension.300 Zwischen beiden Dimensionen besteht eine Wechselwirkung. Auf der einen Seite beeinflussen kollektiv geteilte Leitbilder den Einzelnen bei seinen Entscheidungen. Auf der anderen Seite hängt das sogenannte Normale sowohl normativ als auch faktisch von der Summer individueller Entscheidungen ab.

Die Erforschung familienbezogener Leitbilder steckt derzeit noch in ihren Anfängen. Es wäre wünschenswert, wenn zukünftig der Zusammenhang zwischen Milieu und Leitbild näher erforscht werden würde. Die den folgenden Ausführungen zugrunde liegenden Studien stellen vor allem milieuübergreifende Leitbilder dar. Nach Milieus, Religionszugehörigkeit oder kultureller Prägung differenzierte Leitbilder werden dabei kaum gewonnen. Wenn also die Rede davon ist, dass dem mehrheitlich vertretenen Familienleitbild eine Pluralität familialer Lebensformen innewohnt, dann basiert diese These auf den Ergebnissen groß angelegter Studien. Es müsste kritisch hinterfragt werden, ob dadurch ein homogenes Leitbild suggeriert wird, während auf individueller Ebene Familienleitbilder durchaus heterogen sind.301 Trotz dieser Bedenken soll im Weiteren auf der Grundlage empirischer Studien ein Eindruck davon vermittelt werden, welche Vorstellungen gegenwärtig ein Leitbild der Familie konstituieren.302

Das Familienleitbild setzt sich aus einer Vielzahl von Leitbildern zusammen. Dazu gehören nach CHRISTINE HENRY-HUTHMACHER das Leitbild einer idealen Partnerschaft, der Elternschaft, des richtigen Zeitpunkts und einer verantworteten Elternschaft. 303 Erwartungen wie (a) eine gleichberechtigte Arbeitsteilung, (b) finanzielle Sicherheit und (c) gelingende Kommunikation kennzeichnen diese Leitbilder.304 Charakteristisch ist, dass die Erwartungen nicht exklusiv an ein bestimmtes Leitbild gebunden sind. Stattdessen sind sie mit den einzelnen Leitbildern, die das Leitbild der Familie konstituieren, verwoben. Im Folgenden wird dies deutlich werden, wenn sowohl die Erwartungen als auch die Leitbilder in den Blick genommen werden.

Das Fundament des Familienleitbildes bildet die Vorstellung der idealen Partnerschaft. Trotz des vergleichsweise hohen Anteils an Alleinerziehenden verbindet sich mit dem Familienleitbild die Erwartung einer Paarbeziehung der Eltern.305 Ein Grund hierfür ist die mehrheitlich geteilte Annahme, dass zum Glück des Menschen eine stabile Partnerschaft gehört – eine Annahme, der immerhin 65,1% der Befragten der Familienleitbild-Studie zustimmen würden.306 Kennzeichen der idealen Partnerschaft ist die (a) gleichberechtigte Arbeitsteilung. Beide Partner sollen gleichermaßen Verantwortung für die Erwerbstätigkeit, die Kindererziehung und Haushaltstätigkeiten übernehmen. Insbesondere hinsichtlich der Kinderbetreuung gilt die Egalität als erstrebenswert. 91% der 20- bis 39-Jährigen in Deutschland befürworten dies. Eine ausgeglichene Verantwortung für das Einkommen der Familie wünschen sich noch 81% der Befragten.307 Die Negativfolie der gleichberechtigten Arbeitsteilung stellt die sogenannte Alleinernährer-Familie dar, in deren Rahmen die Partner die Zuständigkeiten strikt zwischen sich aufteilen – der Vater geht einer Erwerbstätigkeit nach, was von 19% der 20- bis 39-Jährigen gefordert wird, während sich die Mutter um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert, was eine von nur 8% geteilte Ansicht ist.308 Ein dritter Weg zwischen diesen konträren Modellen ist die sogenannte Hinzuverdiener-Ehe.309 Im Rahmen dieses Leitbildes geht die Mutter in dem Maße in Teilzeit arbeiten, wie es ihre Hauptaufgabe der Kinderbetreuung zulässt, wohingegen der Vater sich so weit an der Kinderbetreuung beteiligt, wie es seine Rolle als Hauptverdiener ermöglicht.310

Welches Modell der Arbeitsteilung die Partner in der Realität verfolgen, wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Wichtig in Bezug auf Familie ist dabei die Vorstellung, welche Bedingungen für die Gründung einer Familie gegeben sein müssen. Die Familienleitbild-Studie nennt drei Erfordernisse: die ausreichende finanzielle Absicherung, die berufliche Etablierung der Frau sowie die Ehe. 78,8% der Befragten erachten eine ausreichende finanzielle Absicherung als notwendige Voraussetzung einer Familiengründung. Immerhin 60,4% stimmen der Aussage zu, dass die Frau beruflich Fuß gefasst haben soll, ehe eine Familie gegründet wird. Die Ehe wird lediglich von 16,3% als Voraussetzung betrachtet. Jedoch geben immerhin 46,5% an, dass die Ehe von der Gesellschaft als notwendige Voraussetzung erachtet wird.311 Die große Bedeutung der (b) finanziellen Sicherheit verbunden mit der beruflichen Stellung der Frau zeigt, dass es hinsichtlich der Familiengründung das Leitbild gibt, dass die Familie materiell abgesichert sein soll.312 In der Realität hat dies Auswirkungen auf die Erwartung einer gleichberechtigten Arbeitsteilung, insofern ein ausreichendes Familieneinkommen wichtiger angesehen wird als ein gleicher Anteil beider Eltern an Erziehungs- und Erwerbsarbeit.313 So stellt die gleichberechtigte Arbeitsteilung zwar ein Ideal dar, das Menschen mehrheitlich erstreben, in der Realität jedoch aufgrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen nur schwer realisierbar ist. Es muss offenbleiben, inwieweit politische Anstrengungen eine Annäherung an dieses Ideal unterstützen können.314

Eingangs wurde erwähnt, dass Leitbilder zwar auf kollektiven Vorstellungen beruhen, der Einzelne sich zu diesen aber in seiner individuellen Lebensgestaltung verhalten muss. In Partnerschaften kommt zur individuellen Auseinandersetzung mit Leitbildern noch die Auseinandersetzung mit den denjenigen des Partners hinzu. Individuelle und gemeinsame Ziele müssen miteinander ausgehandelt und vereinbart werden. Dies kann nur in einem kommunikativen Prozess gelingen. Daher ist (c) gelingende Kommunikation eine weitere Erwartung an die Partnerschaft, die gleichermaßen auch an die Familie gerichtet wird. Zwei miteinander konkurrierende Ansprüche an eine Partnerschaft spielen dabei exemplarisch eine Rolle. Auf der einen Seite bilden gemeinschaftliches Handeln und gemeinsame Ziele eine wichtige Erwartung an Partnerschaften. 59,7% der Befragten der Familienleitbild-Studie stimmen der Aussage zu, dass die Ziele des Paares wichtiger seien als die individuellen Ziele.315 Auf der anderen Seite erfährt die Aussage, dass das Gewähren individueller Freiräume zu einer gelingenden Partnerschaft gehört, eine Zustimmung von 97,8%. 316 Zwischen gemeinsamen Zielen und Freiräumen des Einzelnen muss im gemeinsamen Miteinander einer Partnerschaft eine Balance geschaffen, mindestens aber ein Kompromiss erzielt werden. Anhand der soeben beschriebenen Erwartung der gleichberechtigten Arbeitsteilung kann dies verdeutlicht werden: Erwartungen an die Partnerschaft werden wesentlich vom Ideal der Gleichberechtigung getragen. Das Ideal einer egalitären Aufteilung wurzelt unter anderem darin, dass Frauen aufgrund guter Ausbildung zunehmend besser für den Arbeitsmarkt qualifiziert sind und den Anspruch haben, sich beruflich ebenso wie die Männer zu verwirklichen. Jedoch zeigen die empirischen Befunde, dass spätestens mit der Familiengründung eine komplementäre Aufgabenteilung mehrheitlich vorgefunden wird, wonach der Mann für die Erwerbs- und die Frau für die Erziehungsarbeit verantwortlich ist. 317 Die Freiräume des Einzelnen werden in diesem Fall dem gemeinsamen Ziel der Familiengründung hinten angestellt.318 All dies geschieht im Rahmen der Kommunikation des Paares. Wenn damit das Verhandlungsprinzip assoziiert wird, dann ist zu beachten, dass Verhandlungen stets die Möglichkeit des Scheiterns in sich tragen.319 Gescheiterte Kommunikation gilt als Zeichen einer schlechten Partnerschaft beziehungsweise einer schlechten Familie.320 In den letzten Jahrzehnten ist die Bedeutung gelingender Kommunikation im Rahmen von Partnerschaft und Familie gestiegen. Paare bleiben nicht mehr um jeden Preis zusammen. Stattdessen ist eine Trennung gesellschaftlich akzeptiert, wenn Kommunikation nicht mehr zur Lösung von Konflikten beitragen kann.321 Dies bedeutet nicht, dass die Dauerhaftigkeit einer Beziehung nicht erstrebt wird, aber eine Partnerschaft – dies gilt für Lebensgemeinschaften wie auch für Ehen – wird nicht unter allen Umständen aufrecht erhalten. 322 Die Stabilität einer Beziehung drückt sich nicht in ihrer reinen Dauerhaftigkeit aus, sondern darin, dass die Partner mittels der Kommunikation eine Balance zwischen gemeinsamen und individuellen Zielen schaffen. Diese Balance muss keineswegs zwangsläufig egalitär sein. Eine Balance herrscht auch dort vor, wo die Arbeitsteilung als fair wahrgenommen wird. Im Angesicht gemeinsamer Ziele in einer Partnerschaft gehören auch Kompromisse zur Kommunikation.

Aus dem bisher Beschriebenen kann der Schluss gezogen werden, dass Stabilität den Kern der einzelnen Leitbilder und des Familienleitbildes an sich darstellt. Dazu zählt finanzielle Stabilität im Sinne eines ausreichenden zur Verfügung stehenden Familieneinkommens, und Stabilität in der Berufsbiografie, insofern beide Partner beruflich Fuß gefasst haben sollen. Hinzu kommt außerdem auf Kommunikation beruhende Stabilität, wonach von einer Partnerschaft unter anderem erwartet wird, dass gemeinsame und individuelle Ziele der Partner nach Möglichkeit miteinander vereinbart werden.323 Wenn eine solche auf verschiedenen Ebenen verortete Stabilität ein wesentliches inhaltliches Merkmal von Partnerschaften und Familien ist, verwundert es nicht, dass die Ehe der Eltern ein zentraler Bestandteil des Familienleitbildes ist. 99,9% der Befragten der Familienleitbild-Studie stimmen der Aussage zu, dass ein verheiratetes Paar mit ihren Kindern eine Familie darstelle. Noch 97,4% stimmen zu, wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind.324 Ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder in einer Lebensgemeinschaft leben, macht daher nur einen marginalen Unterschied in der Wahrnehmung aus, wer eine Familie ist. Aus dem formalen Merkmal der Eheschließung resultiert nicht per se die Stabilität der Partnerschaft der Eltern. Vielmehr ist diese auch in anderen Formen familialen Zusammenlebens zu finden, sodass beispielsweise auch nichteheliche Lebensgemeinschaften als Familie anerkannt sind.325 Gleichwohl wird in gegenwärtigen Diskussionen die Ehe als besonderer Ausdruck der Verbindlichkeit betont. Der Grund hierfür dürfte vor allem in ihren rechtlichen Rahmenbedingungen liegen. Vom Gesetz her ist die Ehe eine auf Lebenszeit geschlossene Lebensgemeinschaft, in der die Eheleute gegenseitig Verantwortung füreinander tragen (§1353 BGB).326 Gehen Partner die Ehe ein, kann dies durchaus als Ausdruck der Verbindlichkeit dieser Beziehung gesehen werden. Daraus ergibt sich nicht zwangsläufig eine Abwertung anderer partnerschaftlicher Lebensformen, die ebenso verbindlich geführt werden können. Doch geht die Ehe in ihrer durchaus auch formal begründeten Verbindlichkeit darüber hinaus. Dies spiegelt sich ebenso in den Ergebnissen einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des BUNDESMINISTERIUMS FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND wider. Gefragt nach den Motiven ihrer Eheschließung stimmten 86% der Frauen und 83% der Männer zu, dass die Ehe ihrer Partnerschaft einen festen Rahmen geben solle. Eine Zustimmung von 72% bei den Frauen und 80% bei den Männern fand die Aussage, dass die Ehe eine Verbindlichkeit und etwas Verlässliches darstelle. Die geringste Zustimmung fanden die Aussagen, dass die Ehe ein höheres Ansehen in beruflicher Hinsicht verschaffe (5% der Frauen, 7% der Männer) und dass man geheiratet habe, weil die Familie dies erwartet hat (jeweils 11%).327 Sowohl Verbindlichkeit als auch Stabilität sind daher Dimensionen der Ehe, wenn auch nicht auf sie begrenzt. Wenngleich also auch Lebensgemeinschaften verbindlich geführt werden können, würde dies von der Ehe in besonderem Maße erwartet werden. Ungeachtet dieser Überlegung bildet die Stabilität den Kern familienbezogener Leitbilder. In der Konsequenz heißt dies, dass eine Vielzahl familialer Lebensformen als Familie akzeptiert sind, weil Stabilität nicht exklusiv von einer bestimmten Familienform garantiert werden kann. Insofern wohnt dem mehrheitlich vertretenen Familienleitbild die Pluralität familialer Lebensformen inne.

Ungeachtet der Tatsache, dass dem mehrheitlich vertretenen Familienleitbild eine Pluralität inhärent ist, verdeutlichen die Daten des Mikrozensus jedoch, dass der Ehe bezüglich familialer Leitbilder weiterhin eine besondere Stellung zugeschrieben wird. Trotz der gesellschaftlichen Pluralität von Lebensformen gehört die Ehe zur sogenannten Normalbiografie eines Paares. Dies gilt trotz regionaler Unterschiede insbesondere dann, wenn Kinder geplant sind oder bereits dazugehören. Die Mehrheit der Kinder in Deutschland wächst in einer Familie auf, bei der die Eltern miteinander verheiratet sind.328 Daher kann geschlussfolgert werden, dass die Ehe zwar nicht zu den Voraussetzungen einer Familiengründung oder -erweiterung zählt – nur 16,3% der Befragten der Familienleitbild-Studie stimmen dieser Aussage zu – sie aber dennoch Bestandteil des Familienleitbildes ist. Alleinleben oder eine nichteheliche Lebensgemeinschaft stellen vielmehr Phasen innerhalb der Biografie dar. Insbesondere das voreheliche Zusammenleben in einer Lebensgemeinschaft ist eine an Paare gerichtete Erwartung: »Es wird erwartet, dass die Partner gemeinsames Wohnen, Intimität und Sexualität erleben, bevor sie heiraten und eine Familie gründen, denn diese Erfahrungen scheinen heute notwendig, um einschätzen zu können, ob die Partnerschaft eine gute Aussicht hat dauerhaft stabil und harmonisch zu bleiben.«329 Das voreheliche Zusammenleben zielt demzufolge ebenso auf die Stabilität der Partnerschaft ab und ist ein weiterer Beleg für deren fundamentale Bedeutung.

Ihrem Anspruch nach geben Leitbilder den Menschen Orientierung. Jedoch kann von Leitbildern auch ein Druck auf den Einzelnen ausgehen. Stabilität hinsichtlich finanzieller Sicherheit, der beruflichen Stellung der Frau und bei der Aufgabenteilung in der Partnerschaft gilt als erstrebenswert. Nichtsdestotrotz kann diese Erwartung ebenso einen großen Druck ausüben, wie anhand von Leitbildern zur Elternschaft gezeigt werden kann. Mit Elternschaft sind vor allem zwei Leitbilder verbunden – das »Leitbild [...] der materiell gesicherten Familiengründung« sowie das »Leitbild der verantworteten Elternschaft«330. Gegenstand des ersteren ist die Erwartung, dass zunächst finanzielle Sicherheit und die berufliche Etablierung gegeben sein müssen, bevor eine Familie gegründet werden kann. Verantwortete Elternschaft wiederum meint, dass eine Familiengründung erst erwogen werden soll, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Diese beziehen sich sowohl auf materielle als auch auf immaterielle Aspekte und lassen Elternschaft als umfassende Begleitung und Betreuung von Kindern erscheinen.331 Die Folge ist, dass Elternschaft als äußerst voraussetzungsreich wahrgenommen wird. Inwieweit Leitbilder das generative Verhalten beeinflussen, ist bisher nur ansatzweise erforscht worden. Dabei könnte exemplarisch an dieser Frage, also dem Zusammenhang von Familienleitbildern und generativem Verhalten, generell der Einfluss von Leitbildern auf den Einzelnen erforscht werden.

Die Vielfalt familialer Lebensformen nimmt zu. Neben der Kernfamilie gibt es eine kontinuierlich steigende Zahl an Alleinerziehenden und nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern. Trotz mancher Absagen an die Kernfamilie stellt diese jedoch nach wie vor das führende Familienmodell dar, da 81% der Familien Zwei-Eltern-Familien sind. Dass bei 70% der Familien mit minderjährigen Kindern die Eltern verheiratet sind, unterstreicht die Bedeutung der Kernfamilie. Je mehr Kinder ein Paar hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern in einer Ehe leben, wobei den Daten des Mikrozensus nicht entnommen werden kann, ob die Eltern in erster Ehe miteinander verheiratet sind oder es sich um Stief- oder Patchworkfamilien handelt. Aus den Ergebnissen des Mikrozensus kann daher geschlussfolgert werden, dass sich die Familie empirisch betrachtet hinsichtlich der Pluralität der familialen Lebensformen wandelt. Dagegen verdeutlichen Studien zu familienbezogenen Leitbildern, dass die Partnerschaft der Eltern nach wie vor die Grundlage von Familien bildet. Die Ergebnisse des Mikrozensus spiegeln dies quantitativ wider. Die Paarbeziehung der Eltern stellt ein entscheidendes Kriterium für die Wahrnehmung als Familie dar. Dies gilt vor allem dann, wenn die Eltern miteinander verheiratet sind oder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft miteinander leben. Von daher zeigen sowohl quantitative als auch qualitative Erhebungen an, dass die Kernfamilie trotz aller formaler Pluralität nach wie vor erstrebt wird.

Von der Form zur Beziehungsgestaltung

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