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Einer von Philomenas Zierfischen war eingegangen und schwamm nun mit dem roten Bauch nach oben im Wasser. Jo Dengelmann holte ihn mit einem kleinen Netz aus dem Aquarium, verhalf ihm zu einer Wasserbestattung, indem er ihn im Klo hinunterspülte, und kaufte anschließend einen anderen, der genauso aussah wie sein Vorgänger und hoffentlich gesünder war und länger leben würde.

Paulchen Tassler, der Transvestit, der zur Zeit wegen Diebstahls einsaß, würde den fliegenden Wechsel nicht merken.

Dengelmann traf Bongo wieder in dessen Stammkneipe. Der Vierschrötige hatte eine mächtige Schlagseite und sprach mit schwerer Zunge undeutlich dummes Zeug. Obwohl er eigentlich bereits genug getankt hatte, hatte er gegen einen weiteren doppelten Korn nichts einzuwenden, solange jemand anders ihn bezahlte.

„Einer geht noch“, grölte er und legte grinsend den Arm um Jo Dengelmanns Schultern. „Einer geht noch rein ... Einer geht noch. Einer geht noch reeeiiin ...! Prost, mein Junge!“ Er hob sein Glas. „Der edle Spender lebe hoch!“ Er stieß mit Dengelmann an und kommandierte: „Hau wech!“ Dann setzte er das Schnapsglas an die Lippen und trank den Hochprozentigen mit einem Schluck. „Du kommst mir heute wie gerufen, Kamerad. Ich bin gerade dabei, Heike schönzusaufen. Heike. Du weißt schon. Die mit dem Silberblick, der langen Nase, Zähne und den Säbelbeinen. Ich treffe sie in einer Stunde.“ Er musterte Jo Dengelmann mit seinen glasigen Augen. „Jeanette schon gefunden?“

„Nein.“Jo Dengelmann schüttelte frustriert den Kopf.

„Warst du im Schmalztopf?“

„Fünfmal schon.“

„Na, so was“, lallte Bongo. „Die Kleine kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“

„Hast du nicht noch ’ne Adresse für mich?“

Bongo kratzte sich am kahlgeschorenen Hinterkopf.

„Müsste ich nachdenken.“

„Dann denk nach.“

Bongo hob grinsend sein leeres Glas. „Ohne Sprit?“ Er bekam von Jo einen weiteren Doppelten. „Wenn ich richtig informiert bin, hatte sie bis vor kurzem was mit einem Saxophonisten aus dem Ciao“, sagte der Tätowierte. „Vielleicht kann der Knabe dir weiterhelfen.“

„Wie ist sein Name?“

Bongo lachte schnarrend.

„He, du willst aber verdammt viel für ’nen lumpigen doppelten Korn wissen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie der Typ heißt, aber du kannst davon ausgehen, dass sie im Ciao nur einen einzigen Saxophonisten haben.“

Jo schlug mit der flachen Hand auf Bongos breiten Rücken.

„Na, dann verschluck dich mal nicht, und viel Spaß mit Heike!“

Bongo machte eine wegwerfende Handbewegung. Jo wollte das Lokal verlassen. Bongo griff nach seinem Arm und hielt ihn fest. Seine Finger drückten wie Eisenklammem zu.

„Was denn! Was denn!“, maulte er. „Du willst doch nicht etwa schon gehen?“

„Doch.“

„Und wohin?“

„Ins Ciao.“

Bongo griente listig.

„Ich hab’ vielleicht noch ’nen Tipp für dich. Für ’n doppeltes Körnchen, versteht sich.“

„Ein andermal“, erwiderte Jo. „Ich prüfe erst mal nach, was der heutige wert ist.“

Bongo ließ ihn los, und er ging. Zehn Minuten später betrat er das Ciao. Es gehörte einem glutäugigen Sizilianer. Als Tourist musste man in diesem Laden sehr vorsichtig sein, wenn man nicht nach Strich und Faden betrogen werden wollte. Wer nicht jede Bestellung sofort bezahlte, fand hinterher mit Sicherheit mehr auf der Rechnung, als ihm serviert worden war, und wenn er nicht nachprüfte, ob das Mädchen, das er zu einem teuren Drink eingeladen hatte, tatsächlich das Bestellte trank, trank es Apfelsaft statt Whisky und Mineralwasser statt Champagner.

Ein schwarzhaariges Mädchen pirschte sich mit den Bewegungen einer Raubkatze an Jo heran. „Na, Großer. So allein?“

„Bist du neu hier?“

„Sieht man das?“ Sie ließ die Hände über ihre atemberaubende Figur gleiten.

Ihre schlanken Finger mit den langen spitzen, violett lackierten Nägeln machten auf dem schwarzen Minikleid eine Berg-und-Tal-Fahrt.

Jo (er war vor den „großen Ferien“ ab und zu im Ciao gewesen) zeigte kein Interesse an ihr, obwohl sie ausnehmend schön war, ebenmäßige Züge und einen süßen kirschroten Mund hatte, denn ein Blick in ihre großen braunen Augen ließ ihn unschwer erkennen, dass sie durch und durch schlecht war.

„Spendierst du mir einen Drink, Großer?“, fragte sie.

Auf einer kleinen Bühne stand ein blondes Mädchen. Sie war noch sehr jung, sang „O Danny Boy“ mit so viel Hingabe, als säße an einem der Tische ein Plattenproduzent. Drei Musiker begleiteten sie - einer am Schlagzeug, einer auf der E-Gitarre und einer am Synthesizer. Und wo war der Saxophonist?

Jo fragte das schwarze Pantherweibchen nach dem Mann, den er vermisste. Sie sagte: „Aldo Radacci gibt es nicht mehr.“

„Gibt es ihn nur nicht mehr hier oder gibt es ihn’ überhaupt nicht mehr?“, wollte Jo Dengelmann wissen.

„Es gibt ihn überhaupt nicht mehr.“

„Und warum nicht?“

,,‘ne Überdosis.“

„Hat er sich ’nen goldenen Schuss verpasst?“

„So kann man es auch sagen.“ Das hübsche Animiermädchen nickte, richtete den Blick nach oben und fuhr fort: „Jetzt spielt er im großen Himmelsorchester.“

„Wann ist das passiert?“

„Vor drei Tagen. Man hat ihn auf dem Klo gefunden. Tot. Die Nadel steckte noch in seiner Vene. Warst du ein Freund von ihm?“

„Er war ein Freund von einer Freundin von mir“, erklärte Jo Dengelmann.

„Er hatte viele Freundinnen.“

„Ich rede von Jeanette.“

„Ist mir nicht bekannt.“

Jo beschrieb Jeanette. Das schwarzhaarige Mädchen schüttelte den Kopf und wiederholte: „Ist mir nicht bekannt.“

Er sprach mit dem Barkeeper, mit zwei weiteren Animiermädchen und mit den Musikern, als sie Pause machten. Niemand konnte ihm helfen. Keiner wusste, wo Jeanette zu finden war. Verdrossen verließ er das Ciao und ging nach Hause, fütterte die Zierfische mit getrockneten Wasserflöhen und setzte sich lustlos vor den Fernseher.

Verflixt noch eins, wo steckt sie?, dachte er mürrisch. Dieser Job, den sie für mich erledigen soll, kann nicht ewig warten. Und ich auch nicht.

Das Telefon läutete. Er griff träge nach dem Hörer. „Ja?“

„Jo“, vernahm er eine samtweiche, ihm bestens bekannte Stimme. „Na, wieder im Rennen?“

Er flitzte hoch, als hätte man ihn mit einer Nadel gepikt.

„Jeanette!“

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