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Claudia Meeles schlief. Wenn sich ihr Brustkorb nicht regelmäßig gehoben und gesenkt hätte, hätte man meinen können, sie wäre tot. Dana Härtling saß am Bett der Freundin. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Es war noch nicht lange her, da hatte sie mit Claudia Meeles Tennis gespielt - und heute war kaum noch Leben in ihrem gläsernen Körper.

Lieber Gott, lass sie nicht sterben, flehte Dana im Geist. Sie ist doch noch so jung. Sie könnte noch so ein schönes, von Liebe erfülltes Leben vor sich haben - wenn du es ihr ermöglichst.

Die Tür öffnete sich. Schwester Annegret schaute herein.

„Sie schläft“, sagte Dana tonlos. Sie bewegte nur ihre Lippen.

Die alte Pflegerin nickte.

„Ich komme später wieder“, flüsterte sie, zog sich zurück und schloss die Tür.

Dana Härtling dachte an den Freund, den Claudia Meeles vor Peter Werding gehabt hatte. Sie war Hermann Tengg heute in einem Einkaufszentrum begegnet. Er hatte sofort versucht, sie anzumachen und sich mit ihr zu verabreden, aber Typen wie er waren für sie ‘Nein, danke!’. Sie hatte ihm nicht erzählt, wie schlecht es um Claudia stand. Es ging ihn nichts mehr an. Dana wollte sich und ihm die Peinlichkeit ersparen, dass er falsch reagierte und irgendeine blöde Bemerkung machte.

Sie war zwar nicht aggressiv veranlagt und konnte sich für gewöhnlich gut beherrschen, aber wenn Hermann etwas Falsches gesagt hätte, hätte es leicht passieren können, dass sie ihm vor allen Leuten eine geschmiert hätte.

„Ich wollte dich immer schon mal auf einen Kaffee einladen“, hatte er ihr gestanden. „Ich habe mich nur nie getraut.“

„Sehe ich aus, als hätte ich Haare auf den Zähnen?“, hatte sie erwidert.

„Das nicht.“ Er hatte den Kopf geschüttelt. „Aber du wirkst so stark, so selbstsicher, so unnahbar.“

„Vielleicht will ich nicht von jedem x-beliebigen Typen angebaggert werden.“

Er hatte ihr so tief in die Augen gesehen, als würde er sich ganz schrecklich nach ihr verzehren. „Du bist eine Klassefrau, Dana. Was hältst du von einem Cappuccino?“

„Im Allgemeinen sehr viel ...“

„Okay, ich spendiere dir einen.“

„Ich habe keine Zeit.“

„Ach, komm schon, Dana“, hatte er gebettelt. „Der Kaffee ist doch gleich getrunken. Wir reden ein wenig und ...“

„Es geht nicht.“

„Vielleicht ein andermal?“ Hermann Tengg war keiner, der schnell aufgab.

„Vielleicht.“

„Morgen?“

Er hatte Claudia Leid und Enttäuschung zugefügt. Dana hätte sich nie im Leben mit ihm verabredet. Sie wusste, was er für ein Nichtsnutz war, deshalb hatte sie kühl gesagt: „Mach’s gut.“ Dann hatte sie sich umgedreht und das Einkaufszentrum verlassen.

Daran dachte sie jetzt, während sie am Bett der schlafenden Freundin saß. Sollte sie noch eine Weile bleiben? Sollte sie gehen und später wiederkommen?

Sie entschied sich für Letzteres, stand vorsichtig auf und schlich aus dem Zimmer, um ihren Vater in dessen Büro aufzusuchen. Moni Wolframs schlanke Finger tanzten flink über das Keyboard des Computers. Als die Chefsekretärin Dana erblickte, unterbrach sie ihre Arbeit.

„Tag, Moni“, grüßte die Arzttochter.

„Hallo, Dana“, gab Moni Wolfram freundlich lächelnd zurück.

„Ist mein Vater da?“

„Ist er.“ Moni Wolfram nickte und wies mit dem Kopf auf die Tür, die in Dr. Härtlings Allerheiligstes führte. Sören Härtling freute sich über den Besuch seiner Tochter.

„Störe ich?“, fragte Dana.

„Nein“, antwortete der Klinikchef und forderte sie auf, sich zu setzen. „Warst du schon bei Claudia?“

„Ja.“

„Konntest du sie umstimmen?“

„Nein.“ Dana biss sich auf die Lippen.

Sören Härtling nickte ernst. „Ich habe es befürchtet.“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen“, sagte Dana. „Sie schläft.“

„Es geht ihr heute nicht schlechter als gestern.“

„Konntet ihr ihren Zustand stabilisieren?“

„Für den Moment, ja.“

Dana dachte, sich freuen zu dürfen. Ihre Augen strahlten optimistisch. „O Vati ...“

Dr. Härtling hob die Hand und schüttelte langsam den Kopf.

„Niemand weiß, was morgen sein wird.“

Dana blieb eine halbe Stunde bei ihm, dann kehrte sie zu ihrer Freundin zurück. Claudia schlief noch immer. Doch kaum hatte Dana sich auf den Stuhl neben ihrem Bett niedergelassen, schlug Claudia die Augen auf.

„Dana“, kam es schleppend über die spröden Lippen der Kranken.

Dana lächelte freundlich. „Na, du. Gut geschlafen?“

„Sitzt du schon lange hier?“

„Ich war zwischendurch bei meinem Vater. Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Ich habe Durst.“

Dana gab ihr von dem Tee zu trinken, der auf dem Nachttisch stand. Mein Gott, dachte sie dabei. Sie ist so leicht und zerbrechlich geworden - und irgendwie durchsichtig.

Da sie nicht mit der Tür ins Haus fallen wollte, sprach sie zuerst über viele belanglose Dinge. Bloß um die Freundin zu unterhalten. Irgendwann redete sie aber dann nicht länger um den heißen Brei herum. Sie wollte Claudia nicht zu sehr ermüden, zog deshalb den Kreis der Unterhaltung gezielt immer enger und kam schließlich auf Peter Werding zu sprechen.

„Ich weiß von meinem Vater, dass du Peter verboten hast, dich weiter zu besuchen“, begann sie.

Claudia presste die Lippen zusammen und schwieg.

„Bitte verzeih mir, wenn ich das so offen sage, Claudia, aber ich finde, dass das eine falsche Entscheidung war.“ Danas Blick hielt Claudias Augen fest. „Peter liebt dich. Er hat ein Recht darauf, dich zu sehen. Die Liebe gibt ihm dieses Recht. Du darfst es ihm nicht verwehren.“

Claudia schloss die Augen. Unter ihren Lidern quollen Tränen hervor.

„Er soll sich ein Mädchen suchen, das lebt“, sagte sie unendlich unglücklich. „Ich bin tot.“

„Herrgott nochmal, Claudia ...“ Danas Freundin legte die schmale Hand über ihre Augen.

„Ich werde bald tot sein.“

„Du darfst dich nicht aufgeben“, sagte Dana eindringlich. „Du musst kämpfen.“

„Was hätte das für einen Sinn? Ich weiß, dass ich nicht gewinnen kann. Dein Vater und seine Kollegen können mir nicht helfen. Sie wollen es nicht wahrhaben, aber sie sind mit ihrem Latein am Ende.“

„Das sind sie nicht“, widersprach Dana Härtling leidenschaftlich. „Aber sie sind machtlos, wenn du sie nicht unterstützt. Wie sollen sie einem Menschen helfen, der sich absolut nicht helfen lassen will, der nichts, nicht das Mindeste, dazu beizutragen bereit ist, dass die vielen Dinge, die sie noch tun können, auf fruchtbaren Boden fallen und heilsam wirken können?“

Die Kranke nahm die Hand von ihren Augen und sah die Freundin unglücklich an.

„Kämpfe, Claudia! “, bat Dana eindringlich. „Du hast eine Chance.“ Sie nahm die Hand der Freundin. „Nutze sie! Hilf den Ärzten, dir zu helfen! Es gibt noch keinen Grund, das Handtuch zu werfen. Glaube mir, ich würde nicht so reden, wenn ich nicht wirklich davon überzeugt wäre. Ich würde dich niemals belügen. Ich würde dir niemals falsche Hoffnungen machen. Ein Feind, der - unbestritten - sehr gefährlich ist, greift dich an. Du musst dich wehren, musst dich verteidigen, brauchst diesen schweren Kampf jedoch zum Glück nicht allein auszutragen. Alle in dieser Klinik sind rund um die Uhr bereit, dir beizustehen. Und deine Großeltern. Und ich. Und Peter - wenn du es ihm erlaubst.“

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