Читать книгу Ferien Lesefutter Juni 2019 - 5 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland - Страница 42

34

Оглавление

Martin Kants Haus war ein Palast mit allem erdenklichen Luxus. Selbstverständlich gab es auch ein großes Schwimmbad mit einer langen Isolierglasfront, durch die man das ganze Jahr über die üppige Natur eines gepflegten Parks sehen konnte. Jeden Morgen schwamm der Millionär vor dem Frühstück im geheizten Pool fünfzig Längen, und es gefiel ihm, dass Jeanette dabei begeistert mitmachte.

Er hatte sie aufgelesen, weil sie ihm ausnehmend gut gefallen hatte. Ein paar Tage Spaß hatte er mit ihr haben wollen. Das Leben hatte er sich mit ihrer Gesellschaft ein wenig versüßen wollen. Dass sie ihm innerhalb kürzester Zeit so sehr ans Herz wachsen würde, dass er sich nicht mehr von ihr trennen wollte, hatte er nicht vorhersehen können. Ihm gefiel diese Entwicklung. Er war nach dem Tod seiner Frau lange genug allein gewesen - einsam und ohne Liebe.

Dass sich zwischen ihm und diesem - für ihn viel zu jungen - Mädchen so etwas wie Liebe entwickeln würde, hatte er nicht für möglich gehalten, und doch war es dazu gekommen. Ja, er hatte sich in Jeanette verliebt - obwohl er sich der Tatsache bewusst war, dass sie keine Heilige war.

An diesem Morgen war sie nicht besonders gut drauf. Irgendetwas schien sie zu bedrücken. Vielleicht hatte sie auch nur schlecht geschlafen. Er hatte nicht die Absicht, sie mit Fragen zu löchern. Wenn sie ein Problem hatte und mit ihm darüber reden wollte, würde sie es schon von alleine tun.

Nach dem Schwimmen hüllten sie sich in schneeweiße Bademäntel. Martin rubbelte Jeanette liebevoll ab. Er benutzte jede Gelegenheit, um ihren jungen, schönen Körper zu berühren.

Zwanzig Minuten später wurde gefrühstückt. Grapefruitsaft, Orangenjuice, Tee, Kaffee, Toast, Schwarzbrot, Butter, Honig, Marmelade, Wurst, Käse, gebratener Speck, verschiedene Müslisorten ... Es war alles da, was das Herz begehrte. Aber Jeanette nahm nicht viel davon. Sie hatte keinen rechten Appetit. Ihr lag die Leistung im Magen, die Jo Dengelmann von ihr erwartete.

Ob sie sich Martin anvertrauen sollte? Sie wusste nicht, welche Reaktion sie damit heraufbeschwören würde. Vielleicht würde Martin sie bitten, ihre Siebensachen zu packen und zu verschwinden. Dann war es vorbei mit dem luxuriösen Leben, von dem sie immer geträumt hatte. Endlich war dieser wunderbare Traum in Erfüllung gegangen.

Sollte sie das Risiko eingehen, ihn mit einem Geständnis wie eine Seifenblase zerplatzen zu lassen? Martin war für sie kein Job. Sie fühlte sich unbeschreiblich wohl bei ihm. Er behandelte sie so gut, wie noch kein Mann zuvor es getan hatte. Und er brachte ihr mehr Respekt entgegen, als sie verdiente.

Er liebte sie, das spürte sie ganz tief in ihrem Herzen, und auch er war ihr trotz des großen Altersunterschieds nicht gleichgültig. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie eigentlich noch nie so viel für einen Mann empfunden. Okay, sie hatte Jo auch eine Zeitlang sehr gern gehabt, aber das war doch irgendwie ganz anders gewesen.

Was sie mit Martin verband, war besser als das, was sie mit Jo einst verbunden hatte. Viel besser. Seriöser. Ihre Gefühle für Martin Kant standen auf einer grundsoliden Basis, und sie hatte eine Heidenangst davor, dass ein Erdbeben, das Jo Dengelmann jederzeit auslösen konnte, ihren wunderbaren, aus Liebe, Güte und Vertrauen bestehenden Märchenpalast zerstörte. Andererseits ... Wenn Martin Kant sie stark genug liebte, würde er ihre ganze Wahrheit verkraften und ihr vielleicht helfen, Jo Dengelmann, den düsteren Schatten aus ihrer unrühmlichen Vergangenheit, für immer loszuwerden.

Mit Geld. Oder auf irgendeine andere Weise. Jeanette sah Martin über den Tisch hinweg ernst an. Er lächelte.

„Ein so ernstes Gesicht an einem so schönen Morgen?“

„Bist du bereit, dir an diesem schönen Morgen eine hässliche Beichte anzuhören?“, fragte sie.

Er hob erstaunt die Augenbrauen. „Du möchtest beichten?“

„Ja, und ich hoffe, dass du die Größe besitzt, mir hinterher Absolution zu erteilen.“

„Wir werden sehen.“ Martin Kant beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Frühstückstisch.

„Ich bin kein Engel“, begann Jeanette ihre Beichte.

Martin lächelte. „Ich hätte keine Verwendung für einen Engel.“

„Glaubst du, dass ein Mensch sich ändern kann?“

Der Millionär nickte. „Ich bin davon überzeugt.“

„Ich möchte mich ändern“, sagte Jeanette.

„Warum?“

Jeanette zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht deshalb, weil ich mich in meiner Haut immer weniger wohlfühle. Ich habe in meinem Leben sehr viele Dinge getan, die nicht richtig waren - für die ich mich heute sogar zum Teil schäme.“

„Wenn du bereust, sei dir vergeben“, sagte Martin Kant großzügig und nickte gönnerhaft.

Jeanette senkte den Blick.

„Ich kam - ich weiß nicht, wieso - mit Bosheit, Gemeinheit und Niedertracht im Blut auf die Welt, und es war natürlich einfacher, diesen unrühmlichen Anlagen nachzugeben, als gegen sie anzukämpfen, deshalb habe ich viele Menschen gekränkt, vor den Kopf gestoßen und so sehr verprellt und verletzt, dass sie mich hassten und mir alles Schlechte wünschten. Ich kann nicht erklären, wieso es mir so großen Spaß machte, ausgerechnet jenen Menschen gegenüber das personifizierte Böse, die absolute Verkommenheit darzustellen, die mit Liebe, Freundschaft und Vertrauen auf mich zukamen. Je mehr ich jemanden kränken oder verletzen konnte, desto mehr Freude empfand ich dabei. Ich führte ein menschenverachtendes Leben, war mir nur selbst wichtig und nahm auf niemanden Rücksicht.“

Martin Kant hörte aufmerksam zu. Jeanette führte schäbige Beispiele an. Je mehr sie erzählte, desto mehr getraute sie sich zu erwähnen - und sie fühlte sich mit jedem Wort, das sie los wurde, besser. Diese Beichte verschaffte ihr mehr Erleichterung, als sie gehofft hatte.

Sie betete ihr gesamtes Sündenregister herunter. Große und kleine Sünden - wie sie ihr gerade in den Sinn kamen. Nur eines ließ sie vorsichtshalber noch unerwähnt: Das, was Jo Dengelmann auf Videoband gegen sie in der Hand hatte.

„Ich möchte endlich damit aufhören, meine Mitmenschen zu täuschen und zu enttäuschen“, sagte Jeanette mit belegter Stimme. „Ich möchte nichts Schlechtes mehr tun. Mir ist natürlich klar, dass sich niemand von heute auf morgen um hundertachtzig Grad drehen kann, aber wenn du mir hilfst, schaffe ich es mit der Zeit. Ich brauche jemanden, der mir den rechten Weg zeigt, der stark genug ist, mich zu führen und auf der Spur zu halten. Meinst du, du hättest die Kraft, diese Rolle zu übernehmen?“

„Freut mich, dass du mich darum bittest“, sagte Martin Kant dunkel. „Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit: Vieles von dem, was du mir gebeichtet hast, wusste ich schon.“

Jeanette sah ihn verdutzt an. „Von wem?“

Er hob etwas verlegen die Schultern.

„Ich habe einen Mann beauftragt, Erkundigungen über dich einzuholen, bevor ich dich bat, bei mir einzuziehen. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.“

„Es war dein gutes Recht, dich zu informieren, wen du dir ins Haus holst“, gab sie zurück, „und es zeugt von menschlicher Größe, dass du mich trotz allem bei dir behalten hast.“

Er kräuselte die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Ich könnte dich nicht fortschicken, denn mir ist auf meine alten Tage etwas ganz Wunderbares widerfahren: Ich habe mich in dich verliebt.“

Sie beschloss, nun alles auf eine Karte zu setzen. Ohne ihn anzusehen, sagte sie leise: „Ich bin mit meiner Beichte leider noch nicht fertig, Martin. Das Schlimmste kommt erst, und ich kann nur hoffen, dass du mich danach auch noch liebst.“

Er lehnte sich mit gespannten Zügen zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Nervös und unsicher begann sie zu sprechen.

Er erinnerte sich daran, dass man einen Mann, den er sogar persönlich gekannt hatte, eines morgens tot aus einem der Hafenbecken gefischt hatte. Seine Lippen wurden schmal, als er hörte, auf welche Weise Jo Dengelmann Jeanette unter Druck setzte und was er von ihr verlangt hatte. Er drehte sich zur Seite und schlug mit der flachen Hand auf seinen Schenkel.

„Komm her!“

Sie zögerte, sah ihn mit tränenfeuchten Augen an.

„Na, komm schon“, sagte er.

Sie stand auf, ging zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß.

„Ich vergebe dir in allen Punkten“, sagte er mild. „Und ich werde dafür sorgen, dass du diesen Job für Jo Dengelmann nicht zu tun brauchst.“

„Wie denn?“

Er strich zärtlich über ihr Haar. „Lass das meine Sorge sein!“

„Aber er hat diese Videokassette...“

„Er wird sie nicht gegen dich verwenden. Verlass dich drauf!“

„Was hast du vor?“

„Ich werde einen recht ungewöhnlichen Weg gehen.“

„Welchen?“

„Ich sag’s dir hinterher, okay?“

„Ich möchte nicht, dass du dich für mich in Gefahr begibst, hörst du?“

Er lächelte beruhigend.

„Keine Sorge, ich werde vom Anfang bis zum Ende alles unter Kontrolle haben.“

„Du bist ein wunderbarer Mensch, Martin.“

„Und du bist eine wunderbare junge Frau.“

„Ich hatte Angst, dich zu verlieren, wenn ich dir die ganze Wahrheit über mich erzähle.“

„Es gehörte sehr viel Mut dazu, so aufrichtig zu sein. Das rechne ich dir hoch an.“ Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und drückte ihr einen innigen Kuss auf die Lippen. Sein sorgfältig gestutztes Bärtchen kitzelte sie. Er lächelte. „Ich kann mich an keinen Morgen erinnern, an dem jemals so viel Wahrheit preisgegeben worden wäre. Darf ich dir auch etwas beichten?“

Sie schmunzelte unendlich erleichtert.

„Nur zu. Was hast du mir zu gestehen?“

„Wir sind noch nicht lange zusammen, aber du hast mich in dieser kurzen Zeit so glücklich gemacht, wie ich es noch niemals war, und deshalb möchte ich dich fragen - ob du meine Frau werden möchtest.“

Tränen quollen aus ihren Augen.

„Damit scherzt man nicht, Martin.“

„Ich scherze nicht.“

Obwohl Jo Dengelmann davon gesprochen und sie selbst damit kokettiert hatte, überraschte sein unerwarteter Antrag sie so sehr, dass sie kopfschüttelnd sagte: „Es kann dir unmöglich ernst damit sein.“

Er schlang die Arme um sie. „Doch.“

„Ein Mädchen wie ich und ein Mann wie du - das kann doch nicht gutgehen.“ Herrgott nochmal, war sie verrückt? Wieso sprach sie gegen ihre Interessen?

„Es ist bisher gutgegangen ...“

„Die paar Tage.“

„Ich möchte dich zur Frau haben.“

„Warum?“ Jeanette stand nervös auf und sah auf ihn hinunter, Verwirrung und Verständnislosigkeit im Blick. „Hast du Angst, dass ich weglaufe? Ich hau’ schon nicht ab. Ich bin doch froh, dass ich bei dir sein darf.“

Martin Kant seufzte. „Ich bin ein alter Mann.“

„Du bist sechzig. Das ist noch nicht alt.“

„Ich habe keine Kinder und keine Verwandten. Wenn ich eines Tages die Augen für immer zumache, fällt alles, was mir gehört, dem Staat in den Schoß.“

„Das kann dir dann doch egal sein. Und wenn du das nicht möchtest, kannst du per Testament bestimmen, wer deinen Besitz im Falle deines Ablebens bekommen soll.“

„Ich möchte, dass mich meine Ehefrau beerbt“, erklärte der Millionär. „Also du.“ Er lächelte dünn. „Die Frau mit der dunklen Vergangenheit, die mir, geläutert, meinen Lebensabend bis zum letzten Tag versüßt hat.“

Jeanette schüttelte unwillig den Kopf.

„Herrje, Martin, sprich nicht so, als müsstest du morgen schon abtreten.“

„Nicht morgen. Nicht übermorgen. Aber bald.“

„Bist du krank?“

„Ich schätze, dass ich noch fünf Jahre zu leben habe.“

Ihr lief es eiskalt über den Rücken. „Woran leidest du?“

„Die Ärzte sagen, mir fehlt nichts.“

„Wie kannst du dann ...“

„Ich bin erblich belastet“, fiel er ihr ernst ins Wort. „Mein Vater starb mit fünfundsechzig Jahren, seine beiden Brüder mit vierundsechzig, meine beiden Großväter mit Sechsundsechzig. Sie waren alle bis zu ihrem Ende völlig gesund. Und plötzlich - wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Schlaganfall. In ihrem Gehirn platzte eine Ader und es war aus und vorbei.“

„Ich glaube nicht, dass dir das auch bevorsteht. Das mit deinen Verwandten kann Zufall gewesen sein.“

„Ich kann an so viele Zufälle nicht glauben.“

„Trotzdem kann es sie geben. Nichts ist unmöglich - wie man sieht: Du machst mir einen Heiratsantrag ...“

Er griff nach ihren Hüften, zog sie zu sich, sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss.

„Ich hoffe, dass du ihn annimmst“, sagte er.

Ferien Lesefutter Juni 2019 - 5 Arztromane großer Autoren

Подняться наверх