Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 25

Champagner für alle!

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Er kam selten in die 'Traube'. Höchstens gelegentlich zum Mittagessen am Wochenende. Dann bestellte er ein einfaches Gericht, trank ein Bier dazu, zahlte und ging wieder.

Gundula hatte noch nie beobachtet, dass er sich mit anderen Gästen unterhielt. Auch mit ihr wechselte er nur die unbedingt notwendigen Worte. Sein Trinkgeld pflegte eher bescheiden auszufallen.

Doch heute war es anders. Sie spürte es bereits, als er das Lokal betrat und sekundenlang an der Tür verharrte, als müsste etwas Außerordentliches geschehen. Als sich ihm die Köpfe der Anwesenden trotzdem nur flüchtig zuwandten, räusperte er sich und brüllte quer durch den Raum: "Champagner für alle! Heute wird gefeiert."

Gundula fing einen erfreuten Blick von Arnold Meinecke auf, dem das Gasthaus gehörte und der gerade bei den Kartenspielern am Stammtisch saß.

"Champagner ist nicht, mein Herr", bedauerte er, "aber wir führen eine ganz ausgezeichnete Hausmarke. 30 Euro die Flasche."

"Der Preis spielt keine Rolle", tönte der Gast und setzte sich an den Tisch in der Ecke, den er auch sonst bevorzugte.

Arnold Meinecke walzte zur Theke und zischte Gundula zu: "Verstehst du das?"

Gundula stellte die Gläser bereit und entkorkte die erste Flasche. Sie schüttelte stumm den Kopf, während ihr Blick den seltsamen Mann in der Nische suchte. Besonders fröhlich sah er nicht aus.

Auch er schaute kurz zu ihr herüber, beschäftigte sich aber sofort wieder mit den Bierfilzen, die auf dem Tisch lagen.

Einige der Gäste hielten es für angebracht, dem edlen Spender nicht nur zuzuprosten, nachdem sie ihren Sekt erhalten hatten. Sie kamen an seinen Tisch und erkundigten sich nach dem Anlass seiner Großzügigkeit.

"Sie haben wohl im Lotto gewonnen?"

"Beförderung", korrigierte der Mann mit einer Miene, die das ganze Elend dieser Welt ausdrückte. "Es hat endlich geklappt."

Diese Mitteilung lockte eine kurvige Blondine an den Tisch. Sie strahlte ihn verheißungsvoll an. "Ich bin die Uschi. Und du?"

Ein zerknitterter Blick traf sie.

"Bernd Birkner", war die eher verzweifelte Antwort.

"Da stimmt doch etwas nicht", murmelte Gundula an der Theke.

"Meinst du, er kann nicht zahlen?", zischte Arnold Meinecke erschrocken und reckte sein schwammiges Kinn vor.

Sie antwortete nicht, sondern schielte zu dem merkwürdigen Pärchen hinüber. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, dass Bernd Birkner lieber allein wäre und nur aus Höflichkeit die aufdringliche Gesellschaft der Blondine duldete.

"Noch eine Runde!", rief er jetzt.

"Zuerst kassierst du", wies der Wirt seine Bedienung an.

Gundula blitzte ihn an.

"Er wird schon zahlen", fauchte sie.

"Und wenn nicht? Übernimmst du vielleicht seine Zeche?"

Sie schwieg und zog mit zwei Flaschen los, um die Gläser erneut zu füllen.

Er hat Kummer, dachte sie und wunderte sich im gleichen Moment, warum sie das so betroffen machte. Er war ein Gast wie jeder andere. Ein angenehmer Gast bis zum heutigen Abend. Von zurückhaltender Freundlichkeit und anspruchslos. Warum ergriff sie für ihn Partei? Wer sagte ihr, dass Meinecke nicht den richtigen Riecher besaß?

Trotzdem brachte sie es nicht fertig, eine Zwischenrechnung zu präsentieren.

"Lassen Sie die eine Flasche gleich hier", verlangte die Blondine und maß Gundula mit kühlem Blick.

Gundula holte sich von dem Mann das stumme Einverständnis. Sie wurde aus ihm nicht klug. Warum jagte er diese Person nicht zum Teufel? Er musste doch merken, dass sie nur an seinem Geld interessiert war, das ihm an diesem Abend ungewöhnlich locker in der Tasche steckte.

Am liebsten hätte sie ihm zugeraunt: 'Gehen Sie doch nach Hause! Was auch immer es sein mag, morgen sehen Sie es schon nicht mehr so schwarz.'

Natürlich sagte sie es nicht. Das hätte er sich wohl auch verbeten. Und Meinecke würde sie auf der Stelle wegen Geschäftsschädigung entlassen.

Sie kehrte hinter den Tresen zurück, polierte Gläser und beobachtete die beiden unauffällig.

Beförderung?, überlegte sie. Er macht eher den Eindruck, als wäre er seinen Job losgeworden. Typischer Fall von Weltuntergangsstimmung. Wenn das blonde Gift wenigstens Verständnis für ihn aufbrächte. Aber sie wird dafür sorgen, dass morgen früh sein Katzenjammer noch größer ist.

"Ich wette, er hat kein Geld", nörgelte Arnold Meinecke erneut. "Merkst du nicht, wie er ständig herschaut? Er sitzt mir zu nahe an der Tür. Markiert den dicken Max und ist plötzlich verschwunden."

"Unsinn!", widersprach Gundula ungewohnt heftig. "Die Kieweg lässt ihn schon nicht aus den Augen."

Der Wirt grinste.

"Bist du etwa eifersüchtig, Mädchen? Warum hast du ihn dir nicht schon längst geangelt? Aber du kannst ganz andere haben. Du darfst nur nicht so zickig sein."

Sie verstand den Sinn seiner Worte. Er lockte mit seinem Gasthaus, falls sie endlich ein wenig netter zu ihm war. Sie hätte eine schlechtere Partie machen können. Zumindest finanziell.

Drüben erhob sich die Blondine und ging zu den Toiletten. Gundula gab sich einen Ruck und näherte sich dem Tisch.

"Sie wollten zahlen?", fragte sie scheinheilig.

Sie las Enttäuschung in seinem Blick, als er die Brieftasche zückte und zwei Hunderter auf den Tisch warf.

"Und jetzt machen Sie bitte die Gläser wieder voll. Bei allen."

"Das kostet Sie ein kleines Vermögen", mahnte Gundula leise. "Warum gehen Sie nicht lieber zu einem Freund?"

Er wollte auffahren, doch er presste die Lippen aufeinander. Stattdessen packte er sein Glas so heftig, dass es zu zerbrechen drohte.

"Was wollen Sie?", entgegnete er endlich. "Ich fühle mich hier wohl. Ich fühle mich überhaupt prima. Da kommt Uschi. Sie mag keine leeren Gläser."

Und vor allem keine leeren Brieftaschen, dachte Gundula bitter, während sie einschenkte. Danach machte sie wieder die Runde.

"Er hat genug Geld", verriet sie Arnold Meinecke, der sich daraufhin veranlasst sah, sich persönlich zu dem großzügigen Gast zu bemühen. Als er zurückkehrte, zeigte er eine unzufriedene Miene.

"Die Kieweg will ihn abschleppen. Lass dir etwas einfallen, damit er noch 'ne Weile bleibt. Und warte nicht jedes Mal, bis er dich zum Nachschenken auffordert."

"Ich bin kein Animiermädchen", erinnerte Gundula heftig. Aber auch sie zerbrach sich den Kopf, wie sie Bernd Birkner aus Uschi Kiewegs Krallen befreien konnte.

Was geht es dich an?, sagte sie sich trotzig. Er ist schließlich erwachsen und wird schon wissen, was er will.

Und sie selbst? Wusste sie das auch?

Betroffen erkannte Gundula, dass ihr der Mann nicht gleichgültig war. Genau genommen zählte er zu ihren liebsten Gästen. Trotz des mageren Trinkgelds. Sie mochte ihn.

Entschlossen ging sie an seinen Tisch und behauptete: "Telefon für Sie, Herr Birkner."

Er schnellte in die Höhe. Sein Gesicht rötete sich vor Erregung. Da glaubte Gundula, Bescheid zu wissen. Er hoffte zweifellos auf den Anruf einer Frau.

Bernd Birkner folgte ihr in den kleinen Nebenraum, in dem sie in einer ruhigen Stunde die Beine hoch lagerte oder auch einmal einen Kaffee trank. Er stürzte auf den Apparat zu, ehe er merkte, dass der Hörer auf der Gabel lag.

"Was soll das?", wollte er gereizt wissen.

"Das könnte ich Sie fragen?", gab Gundula behutsam zurück. "Mir machen Sie nichts vor. Warum füllen Sie wildfremde Leute mit Sekt ab, obwohl Ihnen gar nicht zum Feiern zumute ist? Es gibt Menschen, die so etwas ausnützen."

"Uschi? Ist doch egal. Sie ist nett und bringt mich auf andere Gedanken."

"Und morgen? Nun gut, morgen früh wird sie wahrscheinlich noch da sein. Aber was ist danach?"

"Das geht Sie wohl nichts an", wies er sie zurecht.

Sie musste wirklich verrückt sein, sich in sein Privatleben zu mischen. Sie war hier als Bedienung angestellt und nicht als Babysitter.

"Verzeihung", murmelte sie. Der Mann ließ sie stehen und eilte zurück.

Nach einer Weile folgte sie. Arnold Meinecke empfing sie wütend.

"Bravo!", schnaubte er. "Das hast du großartig gemacht." Er deutete auf den leeren Tisch. Bernd Birkner und die Kieweg waren verschwunden. "Hier. Das hat er für dich spendiert. Der muss tatsächlich in den Glückstopf gegriffen haben."

"50 Euro?" Gundula traute ihren Augen nicht.

Der Wirt wies sie an, sich um die übrigen Gäste zu kümmern.

"Die sind jetzt toll in Stimmung."

Immer wieder schaute sie auf die Uhr und sehnte die Sperrstunde herbei. Der Geldschein knisterte in ihrer Tasche. Sie dachte gar nicht daran, ihn zu behalten.

Nach einer Stunde blätterte sie im Telefonbuch. Zum Glück gab es nur einen Bernd Birkner in der Stadt.

Es meldete sich die Kieweg. Am liebsten hätte Gundula wieder aufgelegt, aber ihr kam eine bessere Idee.

"Ach, Sie sind sicher Bernds Mutter. Sagen Sie ihm doch bitte, dass ich in einer Viertelstunde bei ihm bin."

Und nun? Gundula starrte das Telefon an. Das Bewusstsein, bei der Blondine für einige Verwirrung gesorgt zu haben, half ihr nicht. Sie fühlte sich unglücklich.

Später stellte sie die Stühle auf die Tische und lehnte es ab, bei Arnold Meinecke noch einen Kaffee zu trinken. "Ich bin müde."

Sie verließ die 'Traube'. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite löste sich ein Schatten. Es war Bernd Birkner. Jetzt würde es ein Donnerwetter geben. Mutig ging sie ihm entgegen und hielt ihm den Fünfziger unter die Nase.

"Nett von Ihnen", presste sie hervor, "aber den habe ich nicht verdient."

Er nahm das Geld nicht.

"Ich habe gar keine Mutter mehr", sagte er gepresst.

"Das tut mir leid."

"Uschi ist nach Ihrem Anruf wutentbrannt abgerauscht."

"Das tut mir nicht leid. Sie haben etwas Besseres verdient."

"Ich war nicht sehr freundlich zu Ihnen, Fräulein Gundula."

"Darauf kommt es mir nicht an. Außerdem waren Sie im Recht. Meinecke hat mir die Hölle heiß gemacht. Gäste wie Sie hat er nicht häufig."

"Sie hatten Streit? Und ich dachte immer, Sie und Herr Meinecke ..."

Gundula lachte auf: "Das wäre eine schreckliche Vorstellung."

"Aber er könnte Ihnen doch einiges bieten."

"Ist das entscheidend?"

Bernd Birkner zögerte, bevor er sagte: "Ich war bisher dieser Meinung."

Gundula studierte sein wechselndes Mienenspiel und fand, dass er richtig gut aussah.

"Aber Sie haben dazugelernt", ahnte sie.

Er nickte.

"Es lag gar nicht an meiner niedrigen Position in der Firma", bekannte er. "Als ich ihr freudestrahlend davon erzählte, rümpfte sie nur die Nase. Wahrscheinlich müsste ich der Firmenchef persönlich sein, um Tina zu gefallen."

"Das tut weh", sagte Gundula mitfühlend.

"Am Anfang schon", bekannte der Mann. "Da möchte man am liebsten heulen."

"Oder den Bajazzo spielen. Um Himmels willen keinen merken lassen, wie es in einem aussieht. Schon gar nicht den Menschen, den man geliebt hat."

"Sie versetzen mich immer mehr in Erstaunen. War es wirklich Liebe? Vielleicht habe ich nur ein unerreichbares Idol angebetet. Ich sparte jeden Euro für sie, gönnte mir kaum etwas. Doch Idole soll man dort lassen, wo sie hingehören. Auf ihrem Podest. Aber ich halte Sie auf. Sie werden daheim sicher erwartet."

"Werde ich nicht", antwortete Gundula fast triumphierend. "Sie haben also keine Ausrede."

"Ausrede? Wofür?"

"Mich nicht zu einem Kaffee einzuladen. Das hielte ich für ein angemesseneres Trinkgeld."

"Es ist doch überall schon zu."

"Besitzen Sie keine Kaffeemaschine?"

Als er sie verblüfft anschaute, fuhr sie hastig fort: "Keine Angst, ich möchte mich nur unterhalten. Manchmal brauche nämlich auch ich einen Zuhörer. Oder dachten Sie, ich bekomme immer alles, was ich erhoffe?"

"Jedenfalls sehen Sie wie eines von diesen Glückskindern aus, die nur einen Wunsch zu äußern brauchen ..."

"... und schon kriegen sie ihren Kaffee", ergänzte Gundula.

Nun musste er lachen und drückte sacht ihren Arm, als sie sich bei ihm einhängte.

Uschi Kiewegs Parfümduft hing noch in der Luft. Gundula rümpfte die Nase.

"Ich werde erst einmal lüften", sagte Bernd Birkner. "Kümmern Sie sich um den Kaffee? Sie finden alles in der Küche."

Später saßen sie nebeneinander auf dem Sofa und genossen das belebende Getränk. Gundula erkundigte sich vorsichtig nach seiner großen Enttäuschung.

"Reden wir lieber von Ihnen", schlug er vor. "Sie sind so ganz anders als Tina oder gar diese Uschi."

"Anders?"

"Netter", sagte er und schaute sie an. "Vor allem ehrlicher. Sie haben mir auf Anhieb gefallen, als ich zum ersten Mal in die 'Traube' zum Essen ging."

"Davon habe ich aber nie etwas gemerkt", gab Gundula zweifelnd zurück.

"Natürlich nicht", erklärte er erschrocken. "Frauen wie Sie sind immer schon vergeben. Die anderen Männer sind schließlich auch nicht blind. Wer Sie bekommt, der zieht das große Los."

Gundula erhob Einspruch.

"Jetzt reicht es aber. Warum müssen Sie mich auch auf einen Sockel stellen. Dazu tauge ich nicht. Ich bin ein Mensch mit sehr vielen Fehlern und Schwächen. Mehr, als Sie ahnen."

"Sie machen mich neugierig, Fräulein Gundula."

"Na endlich!", seufzte sie. "Und spar dir um Himmels willen das Fräulein. Möchtest du noch Kaffee?"

"Kaffee?", wiederholte er, und über sein Gesicht glitt ein begreifendes Leuchten. "Nein, jetzt ist mir wirklich nach Champagner zumute. Leider habe ich keinen im Haus."

"Aber du bist da, Bernd", stellte Gundula lächelnd fest.

Da nahm er sie endlich in den Arm und küsste sie. Ganz vorsichtig erst, als wäre sie eine Seifenblase, die jeden Moment zerplatzen konnte.

Doch Gundula zerplatzte nicht. Höchstens vor Glück.

ENDE

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