Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 35

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Alte Liebe rostet gern


„Schatz, denk dran, wir sind heute Abend bei Birgit eingeladen“, erinnerte ich meinen Mann beim Frühstück.

„Hm“, Henrik nahm sich ein Brötchen und bestrich es mit Butter und Marmelade.

„Hast du überhaupt zugehört?“

„Ja, ja, Birgits Geburtstag.“

„Komm bitte rechtzeitig von der Arbeit. Birgit erwartet uns um halb acht.“

Henrik versprach es. Und ich hoffte, dass er ausnahmsweise einmal daran denken würde. Ich räumte schnell das Geschirr weg, bevor ich mich für die Arbeit fertig machte. Noch vor Henrik verließ ich die Wohnung und fuhr zu einem anstrengenden Arbeitstag. Ich musste das neue Projekt für die süddeutschen Filialen vorbereiten. Abends befreite ich mich mühsam von dem neuen Kollegen, der mich ständig mit Fragen von der Arbeit abhielt. Ich war spät dran und beeilte mich nach Hause zu kommen. Natürlich war Henrik noch nicht da. Wieso hatte ich eigentlich erwartet, dass er einmal in seinem Leben an einen Termin denken würde? Ich versuchte, ihn noch in der Firma zu erreichen, doch dort nahm niemand das Telefon ab. Auf dem Handy reagierte er auch nicht auf meine Anrufe. Also zog ich mich erst einmal um und packte das Geschenk, einen Seidenschal, den ich im Urlaub entdeckt hatte, ein.

Es wurde Viertel nach sieben und Henrik war noch immer nicht zu Hause. Aber jetzt erwischte ich ihn wenigstens auf dem Handy.

„Was ist los? Ich muss noch die Programme hier reparieren, sonst läuft morgen in der gesamten Firma nichts“, erklärte er unwirsch.

„Kann das nicht Paul machen?“

„Der ist schon längst zu Hause.“

„Und warum bist du noch nicht hier? Wir müssten bereits bei Birgit sein“, warf ich ihm verärgert vor.

Schweigen. Dann „Ach der Geburtstag, an den habe ich überhaupt nicht mehr gedacht.“

„Kommst du gleich von der Arbeit zu Birgit?“, schlug ich vor.

„Ich werde es versuchen.“ Das klang ziemlich halbherzig.

Ich seufzte. Wieder einmal musste ich allein zu einer Einladung gehen. Henrik war wirklich unzuverlässig. Er war es schon immer gewesen, aber es wurde mit den Jahren schlimmer. Er hatte auch angedeutet, dass er wohl kaum zu unserer Silberhochzeit Urlaub nehmen könnte, dabei wollten wir doch nach New York fliegen. Schon seit Jahren träumte ich von einer Amerikareise. Und Henrik hatte sie mir im letzten Jahr versprochen.

Mit einer halben Stunde Verspätung traf ich bei meiner Schwägerin ein. „Tut mir leid, ich habe auf Henrik gewartet, aber bei ihm ist wieder einmal ein Computer zusammengebrochen und er ist unabkömmlich.“

„Schön, dass du wenigstens gekommen bist.“ Birgit umarmte mich und nahm das Geschenk ab. „Wunderschön, der passt genau zu meinen Blusen. Auf so etwas habe ich seit langem ein Auge geworfen.“

Mein Bruder Klaus hatte seinen neuen Kollegen eingeladen.

„Christoph ist fremd in der Stadt und kennt noch niemanden, da dachte ich, hier könnte er Leute kennenlernen.“

Da ich alleine war, setzte ich mich am Tisch neben Christoph.

„Woher stammen Sie?“, fragte ich und schon bald unterhielten wir uns angeregt über seine badische Heimat.

„Ich hatte einen Onkel in Freiburg. Als Kind habe ich öfter bei ihm die Ferien verbracht“, erzählte ich.

Und da Christoph am Wochenende frei hatte und noch niemanden kannte, lud ich ihn spontan zu einem Grillabend ein.

Natürlich erschien Henrik nicht mehr. Wahrscheinlich war er froh, die Familienfeier vermeiden zu können. Doch dank Christoph war der Abend unterhaltsam, auch wenn ich den Cousin meiner Schwägerin nicht mochte.

*


Für den Freitag hatten wir Kinokarten. Ich hatte sie besorgt, weil ich unbedingt den hochgelobten Film sehen wollte, doch kurz vor sieben Uhr rief Henrik an: „Ich habe das Problem noch immer nicht behoben und da ich morgen frei haben möchte, bleibe ich hier, bis der Computer wieder läuft.“

„Und unsere Kinokarten?“

„Schatz, da können wir doch morgen hingehen.“

„Nein, da habe ich doch zum Grillen eingeladen.“

„Dann gehen wir halt am Sonntag.“

„Der Film läuft aber nur noch heute und morgen.“

„Frag doch Birgit oder Susanne und geh mit ihnen hin.“

Verärgert hängte ich mich ans Telefon und telefonierte herum. Birgit hatte eine andere Einladung, das hatte sie mir an ihrem Geburtstag erzählt. Also probierte ich es bei Susanne, meiner besten Freundin, aber dort nahm niemand ab. Bei drei anderen Freundinnen versuchte ich es ebenso vergeblich und meine nette Nachbarin nahm zwar ab, hatte aber Besuch. Ich überlegte, wen ich sonst noch fragen konnte, schließlich rief ich Christoph an. „Hallo Christoph, ich habe eine Kinokarte übrig, haben Sie um acht Uhr Zeit?“

Christoph hatte Zeit und war spontan genug, sofort ins Auto zu springen und loszufahren. Zum Dank für den Kinobesuch lud er mich hinterher auf ein Glas Wein ein. Als ich gegen Mitternacht nach Hause kam, schlief Henrik auf dem Sofa. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn, deckte ihn zu und ging schlafen.

„War es schön im Kino?“, fragte Henrik am nächsten Tag.

„Ja, aber meine Freundinnen hatten alle keine Zeit gehabt, deshalb habe ich Christoph eingeladen.“

„Wen?“

„Na, den neuen Kollegen von Klaus.“

Henrik stockte beim Brötchenschneiden, sagte aber nichts, sondern schnitt weiter.

„Du lernst ihn nachher kennen.“

Am Abend stellte sich Henrik gleich nach der Begrüßung der Gäste an den Grill. Birgit half mir in der Küche bei den letzten Vorbereitungen und Klaus öffnete die Getränke und schenkte ein.

„Kann ich euch helfen?“, fragte Christoph und schaute in die Küche.

„Gern.“ Ich drückte ihm eine Salatschüssel in die Hand. „Auf den kleinen Tisch neben den Grill stellen.“

Bald saßen wir auf der Terrasse und genossen den lauen Sommerabend.

„Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben.“ Christoph prostete Henrik und mir zu.

„Wie war denn der Film gestern Abend?“, fragte Henrik.

„Schön, ich bin zwar kein ausgemachter Kinofan, aber der Film war wirklich gut gemacht, nicht der übliche Hollywoodkitsch.“

Wir unterhielten uns eine Weile über Filme. Die Männer fanden den Frauengeschmack zu rührselig. „Und deswegen kommt ihr nicht mit uns ins Kino?“, beschwerte sich Birgit.

Am Abend, nachdem die Gäste gegangen waren, schlug Henrik vor, in der Woche ins Theater zu gehen. Bisher hatte er es immer mit der Begründung abgelehnt, dass er nach der Arbeit zu müde wäre. Überrascht nahm ich sein Angebot an.

Am Mittwoch war Henrik superpünktlich daheim und führte mich vor der Aufführung noch ins Restaurant. Wir unterhielten so gut wie schon seit Jahren nicht mehr.

Am nächsten Tag stand ich voller Schwung auf und tagsüber lief alles wie von selbst. Am Abend rief Christoph an und fragte, ob er uns am Sonntag einladen könne. Doch Henrik schüttelte den Kopf. Als ich aufgelegt hatte, fragte ich: „Wieso haben wir keine Zeit? Das ist doch nur eine Ausrede, weil du ihn nicht magst.“

„Nein, ich wollte dich mit einem Wochenendausflug an die See überraschen. Das Hotel habe ich schon gebucht.“ Er erstaunte mich wirklich, als er mir die Hotelreservierung zeigte.

Wir fuhren schon am Freitag an die See, machten lange Spaziergänge und badeten. So aktiv hatte ich Henrik ewig nicht mehr erlebt. Die Sonne schien und nur eine leichte Brise wehte. Das Wochenende war wunderschön.

*


Zwei Wochen später hatte Henriks Mutter Geburtstag. Wie üblich hatte ich das Geschenk besorgt. Am Morgen erinnerte ich ihn noch einmal an das Abendessen bei seinen Eltern.

„Klar, vergess ich nicht“, versprach er. Aber als er um sechs Uhr noch nicht daheim war, rief ich ihn an.

„Oh, mir ist etwas in die Quere gekommen. Ich fahre am besten direkt zu meinen Eltern und wir treffen uns dort.“

Natürlich mussten wir bis kurz vor acht Uhr warten, bis Henrik endlich eintraf. Und ich saß die ganze Zeit als einziger Gast im mittleren Alter zwischen lauter Senioren, die sich über ihre Gesundheit und die Rente unterhielten, und langweilte mich.

„Es tut mir leid, wir haben momentan ein wichtiges Projekt, das muss erledigt werden.“ Henrik umarmte seine Mutter, die ihm natürlich sofort verzieh.

Auf dem Nachhauseweg machte ich Henrik Vorwürfe. „Was soll ich allein bei deinen Eltern? Die Freunde und Nachbarn kenne ich nicht und die interessieren mich auch nicht.“

Henrik lachte. „Mich auch nicht.“

„Ach, deshalb musstest du so lange arbeiten? Beim nächsten Geburtstag habe ich auch einen dringenden Termin.“ Wütend zog ich mich in mein Schneckenhaus zurück. Ich tauchte erst am übernächsten Tag wieder daraus hervor, als Christoph anrief und fragte, ob wir mit zu einer Vernissage kommen würden. Ich sagte sofort zu, ohne Henrik zu fragen.

Obwohl mir die Bilder nicht gefielen, wurde es ein schöner Abend und wir gingen anschließend noch zum Italiener und aßen etwas. Wir verstanden uns ausgezeichnet. Christoph konnte lustig erzählen, so viel gelacht hatte ich schon seit Jahren nicht mehr.

Er brachte mich nach Hause und fragte, ob wir uns in der nächsten Woche wiedersehen könnten.

„Ich weiß nicht, ich habe momentan in der Firma so viel zu tun. Kurzfristig klappt es immer am besten“, vertröstete ich ihn.

Ich ging nicht sofort ins Haus, sondern machte noch einen kleinen Spaziergang. Entsetzt erkannte ich, dass ich mich in Christoph verliebt hatte. Ich musste zu einer Entscheidung kommen. Bei Henrik bleiben, bei dem ich nichts auszustehen hatte, außer, dass unsere Beziehung schal geworden war, und mich in den nächsten dreißig Jahren langweilen. Oder mich trennen und schauen, ob sich mit Christoph eine Beziehung ergab. Die Schmetterlinge im Bauch ließen mich schon jetzt zehn Jahre jünger fühlen. Doch heute Abend fand ich keine Lösung.

Henrik schaute mich nachdenklich an, als ich ihm von der Vernissage berichtete.

Am nächsten Abend kam er früh nach Hause und brachte einen Stapel Reiseprospekte mit. „Ich habe mich umgehört. Am bequemsten und einfachsten ist es, eine All-Inclusive-Reise zu buchen. Wenn man alles einzeln plant, wird es sehr schwierig und kostet viel Zeit, mehr als wir noch haben.“

Ich blätterte erstaunt in den Prospekten.

„Du wolltest doch als Hochzeitsreise nach Amerika fliegen“, begann Henrik zaghaft.

„Ja, aber du hast mich in den letzten Monaten immer abgewimmelt, wenn ich davon angefangen habe“, erwiderte ich reserviert.

„Ich weiß. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Natürlich will ich mit dir nach Amerika fliegen.“

„Bekommst du denn überhaupt so kurzfristig Urlaub?“ Ich schaute skeptisch zu ihm auf.

„Ja, ich habe ihn schon angemeldet.“

„Ich aber nicht. Ich weiß nicht, ob ich noch frei bekomme.“

„Dann machen wir es eben im nächsten Jahr.“

„Bist du sicher, dass du es dir bis dahin nicht wieder überlegt hast?“ Ich klang bitterer, als ich beabsichtigt hatte. Aber es hatte sich bei mir in den letzten Jahren viel Groll angesammelt.

Henrik griff nach meiner Hand. „Bitte, lass es uns wenigstens versuchen. Ich liebe dich doch.“

Wir hatten Glück. Meine junge Kollegin war bereit, ihren Urlaub zu verschieben, damit wir unsere Silberhochzeitsreise machen konnten. Und wir fanden eine Rundreise, in der New York, San Francisco, der Grand Canyon und der Yosemite Nationalpark enthalten waren, meine Wunschziele in Amerika. Henrik verzichtete mir zuliebe auf Washington, das wäre in einem anderen Reisepaket gewesen.

Birgit brachte uns zum Flughafen. Während Henrik den Schalter suchte, meinte sie: „Das hast du clever gemacht!“

Ich schaute sie erstaunt an.

„Na, Henrik wachgerüttelt, indem du ihn eifersüchtig gemacht hast.“

Ich lachte. „Das habe ich aber nicht bewusst gemacht.“

„Trotzdem. Vielleicht sollte ich es auch probieren.“ Sie zwinkerte mir zu.

Als Henrik wieder auftauchte, wünschte sie uns viel Spaß und verabschiedete sich.

Henrik legte seinen Arm um meine Schultern und wir liefen wie ein frisch verliebtes Paar Arm in Arm durch den Flughafen.

Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren

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