Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 38

Treuer Helfer

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„Komm doch mit mir in den Skiurlaub, Michelle. Es wird herrlich, dabei ist es supergünstig.“ Seit Tagen bearbeitete meine Freundin Klara mich. Eigentlich hatte sie mit ihrer Schwester fahren wollen, doch die hatte plötzlich beschlossen, zu heiraten und war mitten in den Hochzeitsvorbereitungen.

„Aber ich kann doch überhaupt nicht Schi fahren“, wandte ich ein.

„Dann wird es Zeit, dass du es lernst.“

Da mich das graue Wetter deprimierte, willigte ich schließlich ein. Doch schon am zweiten Tag lernte Klara einen gutaussehenden Mann kennen und ließ mich sitzen.

Verärgert sah ich ihr hinterher, als sie mit ihm zum Rodeln ging, obwohl wir unseren Anfängerkurs hatten.

Seufzend schulterte ich meine Skier. Allein machte alles halb so viel Spaß, aber schließlich wollte ich den teuren Kurs nicht verfallen lassen.

An diesem Morgen war ein Neuer dabei. Als ich gleich bei der ersten Fahrt vom Idiotenhügel stürzte, wollte er mir galant hochhelfen, doch dabei landete er selbst im Schnee. Ich musste darüber lachen, zum Glück nahm er es mir nicht übel, sondern lachte mit.

„Haben Sie heute Nachmittag schon etwas vor?“, fragte er, als wir endlich wieder standen.

„Ich weiß nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Wie wäre es mit einer Pferdeschlittenfahrt? Ich habe keine Lust, allein unterwegs zu sein. Leider hat sich mein Freund, der mit mir gebucht hat, das Bein gebrochen“, erzählte der Mann.

„Beim Skifahren?“ Ich musterte meinen gutaussehenden Gesprächspartner unauffällig.

„Nein, zu Hause, er ist auf der Treppe gestolpert.“

„Dann sind wir in einer ähnlichen Situation. Ich komme gern.“ Ich konnte mein Glück kaum fassen. Nun musste ich heute Nachmittag nicht allein im Zimmer hocken.

Die Schlittenfahrt wurde traumhaft. Die Sonne schien, und wir verstanden uns gut und lachten viel.

Abends lud er mich zum Essen ein. Er erzählte von seiner Arbeit als Kriminologe an der Universität. Es hörte sich spannend an.

Meine Arbeit bei einem Steuerberater wirkte dagegen richtig langweilig. Dabei macht sie mir Spaß.

Später gingen wir tanzen. Diesmal weckte ich Klara auf, als ich zurückkam.

Am nächsten Morgen freute ich mich zum ersten Mal auf den Skiunterricht und das Wiedersehen mit Torben. Torben fuhr recht schnell viel besser als ich und stachelte dadurch meinen Ehrgeiz an. Wir übten auch nach dem Kurs noch zusammen auf einem kleinen Hang vor dem Hotel. Endlich machte ich Fortschritte. Bisher war ich zu ängstlich und verkrampft gewesen.

An den Nachmittagen und Abenden unternahmen wir gemeinsam etwas. Torben war ein guter Zuhörer und hatte ständig neue Vorschläge, was wir zusätzlich unternehmen konnten. Innerhalb kürzester Zeit war ich schwer verliebt. Klara und Joachim sah ich kaum noch. Leider vergingen die zwei Wochen viel zu schnell.

„Besuch mich am nächsten Wochenende“, bat Torben. „Zweihundert Kilometer schafft man problemlos.“

Und so besuchten wir uns abwechselnd.

„Zieh doch zu mir, meine Wohnung ist groß genug“, schlug Torben vor, aber ich wollte meine Stelle nicht aufgeben. So nette Kollegen und so einen tollen Chef würde ich so schnell nicht wiederfinden.

Nach einem halben Jahr blieb meine Regel aus. Der Test ergab, dass ich schwanger war. Voller Glückseligkeit fuhr ich am Wochenende zu Torben. Doch meine Freude erfuhr einen Dämpfer, als er sehr verhalten reagierte. Eigentlich hatte ich gedacht, er würde sich genauso freuen.

Ich schmiedete Pläne für die Zukunft, plante, zu ihm zu ziehen und ein Haus zu bauen. Aber Torben ging nicht darauf ein. Sobald ich von Hochzeit sprach, wechselte er das Thema.

So blieb es auch in den nächsten Wochen. Ich plante und er wich mir aus. Öfter sahen wir uns auch nicht, weil er ein wichtiges Forschungsprojekt hatte, für das er häufig in die USA flog.

„Torben, in drei Monaten ist das Baby da, und wir haben noch nichts geregelt. Ich möchte, dass unser Kind ehelich geboren wird“, drängte ich endlich und ließ keine Ausreden mehr gelten.

„Das geht nicht“, sagte Torben.

„Warum nicht?“ Ich sah ihn erstaunt an.

„Ich bin verheiratet. Wir leben zwar schon seit Jahren getrennt, aber wir sind noch verheiratet“, gestand er.

Ich konnte es nicht glauben. Er hatte doch immer von einer gemeinsamen Wohnung gesprochen.

„Und warum lässt du dich nicht scheiden?“, fragte ich, nachdem ich mich vom ersten Schock erholt hatte.

„Das ist nicht so einfach“, wich Torben aus.

Immerhin ging er mit mir einkaufen und wir besorgte den Kinderwagen, die Wiege und die Babyausstattung.

Aber auch danach war er wieder viel beruflich unterwegs und hatte keine Zeit für mich.

Klara war in dieser Zeit eine wirkliche Freundin. Sie ging mit mir in den Säuglingspflegekurs und zur Geburtsvorbereitung, sodass ich nicht als Einzige allein auftauchen musste.

Als die Wehen einsetzten, versuchte ich verzweifelt, Torben zu erreichen. Schließlich rief ich Klara an.

„Ich komme sofort, natürlich begleite ich dich in den Kreißsaal, halte durch, ich bin gleich da.“ Und schon hatte Klara aufgelegt.

Ich lief tränenüberströmt durch meine kleine Zweizimmerwohnung. Ich hatte es mir so schön ausgemalt, mit Torben zusammen zur Entbindung zu fahren, und nun erreichte ich ihn nicht.

Die Geburt dauerte lange und war anstrengend. Aber Klara blieb die ganze Zeit bei mir und unterstützte mich. Auch die Hebamme war wirklich lieb.

Endlich konnte ich Johanna in den Armen halten. Ich war völlig erschöpft, aber auch unendlich glücklich. Nur Torben fehlte mir.

Klara versprach, Torben zu verständigen und ging. Schließlich musste sie in sechs Stunden wieder aufstehen und zur Arbeit gehen.

Am nächsten Tag schaute ich gespannt auf die Tür, sobald sie sich öffnete, aber es waren immer nur Krankenschwestern und Ärzte, die hereinkamen. Und mein Chef.

„Oh, Herr Merz, das ist aber nett“, sagte ich enttäuscht und versuchte zu lächeln.

„Herzlichen Glückwunsch. Ich muss mir doch Ihr Baby ansehen. Wie geht es Ihnen?“, frage er und begutachtete die kleine Johanna. Ich strahlte und tat so, als ob ich völlig glücklich wäre.

„Vielleicht können Sie Arbeit von zu Hause erledigen, bei uns bleibt in letzter Zeit viel liegen. Sie fehlen uns“, bot Herr Merz an.

Aber ich zögerte. Ich hoffte, dass Torben und ich doch noch zusammenziehen und heiraten würden.

Am Abend erschien Klara mit Joachim und brachte einen Riesenteddybären mit.

„Torben habe ich leider nicht erreicht. Wahrscheinlich hat er so viel zu tun.“

Enttäuscht schluckte ich meine Tränen hinunter. Klara konnte schließlich nichts dafür.

Jeden Tag wartete ich auf Torben und war enttäuscht, wenn Herr Merz, meine Kollegen oder Freunde mich besuchten. Sie waren offensichtlich bemüht, mich aufzumuntern. Fast alle boten mir Hilfe an.

„Wenn du einen Babysitter brauchst, springe ich gern ein. Meine Kinder sind schon viel zu groß“, sagte Moni, meine Kollegin und hielt Johanna im Arm.

Die Ärzte waren mit mir gar nicht zufrieden und behielten mich zwei zusätzliche Tage im Krankenhaus. Mir grauste auch vor den ersten Tagen allein daheim. Klara ahnte es wohl und bot sich an, in der ersten Woche bei mir zu wohnen und mir zu helfen.

„Und Joachim?“, fragte ich.

„Der kommt auch mal eine Woche ohne mich aus. Er ist schließlich schon erwachsen.“ Sie lachte und ich lachte etwas gequält mit.

Am letzten Tag rief Torben endlich an und bot mir an, ein Haus für Johanna und mich in seiner Nähe zu mieten. Aber eine Heirat lehnte er strikt ab.

Am Abend erzählte ich Klara davon.

„Das nimmst du doch nicht etwa an?“, meinte sie entsetzt.

„Warum nicht? Es gibt doch viele Eltern, die nicht verheiratet sind.“ Vielleicht würde er mit der Zeit auf den Geschmack kommen und mich doch noch heiraten, hoffte ich.

„Wenn du zu ihm ziehst, musst du deine Arbeit aufgeben. Und was ist, wenn Torbens Zeitvertrag in anderthalb Jahren ausläuft? Findet er dann neue Arbeit und nimmt er dich mit? Du machst dich total abhängig von ihm“, warnte Klara. Sie wirkte richtig verärgert.

„Aber das ist doch normal“, protestierte ich.

„Normalerweise kümmert sich der Vater auch um sein Kind, außerdem seid ihr nicht verheiratet. Bleib bloß selbstständig. Torben steht doch gar nicht zu euch, sonst hätte er dich längst besucht. Zeit genug hatte er.“

Auch mein Chef meinte, dass ich meine Wohnung behalten solle. „Ihr Bekannter kann Sie doch besuchen.“ Von einer Kündigung wollte er nichts hören.

Torben erschien auch in den nächsten Wochen nicht. Schließlich weigerte er sich sogar, die Vaterschaft anzuerkennen.

Über Dritte erfuhr ich, dass er wieder mit seiner Frau zusammenwohnte.

Klara und Volker Merz drängten mich, die Alimente für Johanna einzuklagen. Erst wollte ich es aus Stolz nicht machen, doch Volker Merz überzeugte mich, es für Johanna zu machen. „Was ist, wenn Ihnen etwas passiert? Dann steht Ihre Tochter unversorgt da. Nein, Sie müssen für das Recht Ihres Kindes kämpfen, auch wenn es schwerfällt.“

Ich brauchte sehr lange, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Zum Glück unterstützten mich Klara, Joachim und mein Chef.

Schon kurze Zeit nach der Entbindung arbeitete ich im Home-Office, um bei Johanna bleiben zu können. Nur an zwei Vormittagen nahm ich eine Tagesmutter, um ins Büro zu gehen.

Volker Merz dachte immer an Johanna. Er schenkte mir Spielzeug und Babykleidung.

„Michelle, Sie können nicht immer nur daheim hocken, das ist auch für Johanna nicht gut.“ Mit dieser Begründung führte er mich ins Theater oder zu einem Museumsbesuch.

Auch Klara und Joachim nahmen die Kleine an manchen Wochenenden, damit ich etwas unternehmen konnte.

„Sieh zu, dass du Männer kennenlernst, vielleicht findest du einen Vater für Johanna“, stachelte Klara mich auf.

So traf ich mich nach einigen Monaten mit Männern, aber keiner interessierte mich wirklich. Keiner reichte an Torben heran. Er war und blieb mein Ideal. Noch immer trauerte ich um meine große Liebe.

*


An einem Februarmorgen rief Frau Andresen, eine Kollegin, mich am frühen Morgen an. „Frau Böttger, Herr Merz hatte einen schweren Autounfall, er liegt im Krankenhaus. Können Sie ins Büro kommen und helfen? Um zehn Uhr kommt ein wichtiger Kunde, mit dem können wir nicht allein verhandeln.“

Natürlich versprach ich, sofort zu kommen. Allerdings erreichte ich Johannas Tagesmutter nicht. Also schnappte ich mir Windeln, Kekse und ein Gläschen Fertignahrung und nahm Johanna mit.

Frau Andresen hatte noch Zeit, mir das Nötigste zu erklären, dann kam der Kunde.

Ich überstand das Gespräch ganz gut. Johanna durfte bei Frau Andresen auf altem Papier malen und benahm sich vorbildlich.

Am Nachmittag überließ ich die Kleine der Obhut von Frau Andresen und fuhr ins Krankenhaus. Ich sorgte mich wirklich um Volker Merz. Seit Jahren kümmerte er sich rührend um mich und half mir, wo er konnte. Immer hatte ich es als selbstverständlich hingenommen, ohne mich um seine Gefühle zu kümmern. Für mich war er wie ein Vater gewesen. Klaras Andeutungen hatte ich überhört oder darüber gelacht.

Es schmerzte mich, als ich ihn jetzt mit eingegipstem Bein, bandagiertem Arm und zerschlagenem Gesicht sah.

„Oh, hat es sich schon herumgesprochen?“, witzelte er mit undeutlicher Stimme.

„Sie haben uns vielleicht einen Schrecken eingejagt“, sagte ich. „Frau Andresen rief mich heute Morgen an, weil Herr Clausen vor der Tür stand. Aber er hat auch mit mir vorliebgenommen.“

Volker Merz schwieg eine Weile.

„Danke. Ich werde eine ganze Zeit fehlen. Mindestens vier Wochen, sagen die Ärzte. Ich mache mir Sorgen, was in der Zeit aus meinem Büro wird. Schließlich habe ich auch meinen Mitarbeitern gegenüber eine Verantwortung. Wollen Sie meine Teilhaberin werden?“, fragte er.

„Ich? Nein, das geht nicht“, wehrte ich ab. Wie sollte ich das mit der Betreuung von Johanna vereinbaren? Außerdem wollte ich nicht so viel Verantwortung tragen.

„Ich brauche wirklich einen Kompagnon, dafür kann ich doch keinen Fremden nehmen“, drängte er.

Ich zögerte eine Weile und brachte Gegenargumente hervor, aber schließlich ließ ich mich überzeugen.

„Gut, ich werde mit meinem Rechtsanwalt sprechen, der kann dann einen Vertrag aufsetzen. Michelle, ich habe schon öfter an Sie gedacht, aber bisher waren Sie noch zu sehr durch das Kind eingespannt.“

Nachdenklich verließ ich das Krankenhaus, nachdem eine Schwester meinte, Herr Merz bräuchte Ruhe.

Johannas Tagesmutter konnte nicht sofort jeden Tag einspringen. Aber ich nahm Johanna mit ins Büro und holte mir einen ganzen Stapel Arbeit ab. Natürlich kam ich erst am Abend, wenn Johanna schlief, dazu. Aber für die nächsten vier Wochen hatte die Tagesmutter versprochen, sechs Stunden aufzupassen, und ich wollte jeden Tag Arbeit mit nach Hause nehmen. Schließlich konnte ich meinen Chef jetzt nicht im Stich lassen. An den Samstagen würde Klara einspringen. Damit im Büro nicht alles zusammenbrach, musste ich jetzt auch am Wochenende arbeiten.

Als ich das nächste Mal ins Krankenhaus ging, schminkte ich mich sorgfältig und zog ein enganliegendes Kleid an. In den letzten Tagen war mir bewusst geworden, wie wichtig mir Volker war.

Leise klopfte ich an die Krankenzimmertür und öffnete sie. Volker war im Gespräch mit einem fremden Mann.

„Ich möchte Frau Böttger versorgt wissen, wenn mir etwas passiert. Sie soll im Notfall das Büro übernehmen“, hörte ich Volker sagen. Er brach ab, als er mich sah.

Sein Anwalt verabschiedete sich.

„Herr Merz, das sollen Sie nicht meinetwegen tun. Ich komme schon zurecht“, sagte ich mit belegter Stimme.

„Michelle, verstehst du denn nicht? Ich mache mir Sorgen um dich“, meinte Volker und griff nach meiner Hand.

„Aber das brauchen Sie doch ...“, ich brach mitten im Satz ab, als ich in Volkers Augen blickte. Mir wurde heiß. Ich wollte meine Hand wegziehen, doch Volker hielt sie fest.

Wie hatte ich nur so blind sein können? Ich mochte ihn. Reichte das? Noch immer trauerte ich Torben hinterher. Dabei verhielt ich mich Volker gegenüber genauso unfair.

„Ich kann warten. Aber ich will dich und Johanna versorgt wissen“, sagte er.

Ich nickte. Dann streichelte ich seine Hand. „Du musst Geduld mit mir haben.“

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