Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 33

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Rosa Rosen für die große Liebe


Ich hänge an meinem Blumenladen, auch wenn ich als selbstständige Floristin lange und hart arbeiten muss. Heute stand ich wieder einmal schon morgens um vier Uhr auf, um rechtzeitig auf dem Großmarkt zu sein. Trotzdem kann ich mir keine schönere Tätigkeit vorstellen, deshalb hatte ich nach einer kurzen Bedenkzeit zugegriffen, als meine Chefin Gudrun mich eines Tages fragte, ob ich den Laden übernehmen würde. „Weißt du, Vicky, ich kann ihn auch an eine Filiale einer Parfümerie- oder Eiscafékette verkaufen. Seit ein paar Jahren rennen sie mir die Bude ein und machen mir traumhafte Angebote. Aber ich habe es nicht nötig. Für die Miete und ein paar Reisen reichen meine Ersparnisse. Was sollen unsere Stammkunden sagen, wenn es hier keinen Blumenladen mehr gibt?“

„Ich habe kein Geld“, hatte ich geantwortet.

„Macht nichts, dann beteiligst du mich am Gewinn.“ Sie lächelte mich strahlend an und vermittelte mir Zuversicht.

Nach drei Tagen Grübeln sagte ich zu. Und so ist Gudrun meine stille Gesellschafterin geworden.

Zu meinem Leidwesen heiße ich Vicky, eigentlich Viktoria, was noch schlimmer ist! Wie konnten mir meine Eltern bloß so einen schrecklichen Vornamen geben? Ich bin doch keine Prinzessin, die den Namen ihrer Urgroßmutter auftragen muss. Für mich 1,56 Meter kleine Person mit honigblondem Kurzhaarschnitt, weil meine Mähne mit den zwei Wirbeln einfach nicht zu bändigen ist, ist der Name viel zu pompös.

Auf dem Großmarkt war ich diesmal schnell fertig, da ich die Händler kannte, bei denen ich immer kaufte. Die Straße war zu der frühen Zeit wie gewohnt noch frei und ich kam rasch zurück. Daheim brachte ich die Blumen, die ich besorgt hatte, in den Kühlraum im Keller, nur die rosa Buschrosen stellte ich griffbereit in die Werkstatt, dann schaltete ich die Kaffeemaschine an. Erst jetzt hatte ich Zeit zu frühstücken, bevor ich den Laden öffnete.

Anschließend band ich zwei große Kränze und drei Gestecke für eine Beerdigung. Seltene Aufträge in meinem Blumenladen, da der Friedhof ganz am anderen Ende unsere Kleinstadt lag. Zum Glück holten die Kunden alles selbst ab, sonst hätte ich die Aushilfe hinschicken müssen.

Ein junger, dunkelhaariger Mann mit einem Grübchen am Kinn riss mich aus meiner Arbeit. Er verlangte einen Strauß rosa Buschrosen. Ich band sie schnell, gab ein paar Gräser hinzu, um den Blumenstrauß aufzupeppen. Als er ging, schaute ich zur Uhr. Wo blieb bloß Herr Reimers?

Herr Reimers war unser Stammkunde, er war schon 87 Jahre alt. Jeden Montag kaufte er einen Strauß rosa Buschrosen. Irgendwann hatte er uns erzählt, dass sie für seine Frau waren. Er liebte sie auch nach 63 Jahren noch genauso wie als junger Mann. Sie war sein großer Glücksgriff, da sie immer sanft und geduldig war und ihm alles verzieh. Ohne sie wäre er auf die schiefe Bahn geraten. Als unreifer Bursche war er wild und unbeherrscht. Er stritt sich viel, prügelte sich sogar. Dazu wechselte er ständig die Firma, weil er mit niemanden zurechtkam. Aber sie sah das Gute in ihm und redet ihm zu, damit er gelassener wurde. Erst als ein Mann, mit dem er Streit hatte, seine Anneli mit einem Messer bedrohte, kam er zur Vernunft. Er beherzigte ihren Vorschlag, den Schulabschluss auf der Abendschule nachzuholen. Anschließend machte er eine Ausbildung zum Schlosser. Danach lernte er weiter und wurde sogar Meister. Zwischenzeitlich hatten sie geheiratet und mehrere Kinder bekommen.

„Sie ist so warmherzig und wunderschön mit ihren blauen Augen und den blonden Haaren, dazu sanft wie ein Engel.“ Er lachte. „Aber beharrlich.“

Inzwischen bekam Herr Reimers bei uns jedes Mal einen Becher Kaffee, weil er Stammkunde war und wir Floristinnen ihn gernhatten. Er hatte schon bei Gudruns Vorgänger eingekauft. Alt und weise, wie er war, erkundigte er sich stets nach unserem Befinden und tröstete, wenn wir Kummer hatten.

Langsam sorgte ich mich wirklich um ihn. Er war sonst pünktlich um elf Uhr im Laden. „Wir frühstücken immer erst gemütlich“, hatte er erklärt.

Vorsichtshalber lief ich in der Mittagspause zu Herrn Reimsers‘ Wohnung. Von unseren vielen Gesprächen wusste ich, wo er wohnte. Doch auf mein Klingeln öffnete keiner die Tür. Auch bei den Nachbarn war niemand daheim, der mir Auskunft geben konnte.

Besorgt eilte ich zum Blumenladen zurück. Es war höchste Zeit, ihn wieder zu öffnen. Auch am nächsten Tag versuchte ich erneut, Herrn Reimers zu erreichen. Vergeblich. Also ging ich nach Feierabend noch einmal in die Kochstraße und klingelte bei den Nachbarn. Diesmal hatte ich Glück und eine ältere Dame öffnete die Tür zur Nachbarwohnung.

„Können Sie mir sagen, was mit Herrn Reimers ist? Ich mache mir Sorgen. Er hat seit Jahren jeden Montag Blumen für seine Frau gekauft, aber gestern war er nicht da“, sprudelte ich heraus.

„Oh, Herr Reimers ist gestürzt und hat einen Oberschenkelhalsbruch.“ Die Dame war so freundlich und nannte mir das Krankenhaus, in dem er lag.

„Was ist mit seiner Frau, wer versorgt sie jetzt?“, wollte ich wissen.

„Ach, Frau Reimers, die lebt doch schon seit drei Jahren im Pflegeheim. Herr Reimers hält sich normalerweise dort den ganzen Tag auf. Das ist gar nicht schlecht. Er isst mit ihr zusammen und braucht sich hier um nichts kümmern. Das bisschen Haushalt macht eine Haushaltshilfe.“

Ich bedankte mich und marschierte nachdenklich nach Hause. In der Woche schaffte ich es nicht, das Krankenhaus aufzusuchen. Aber ich nahm mir vor, ihn am Wochenende zu besuchen.

Am nächsten Tag stand der junge Dunkelhaarige wieder im Laden. Diesmal verlangte er einfach einen bunten Strauß, ohne besondere Wünsche zu äußern.

„Wohnen Sie hier in der Nähe?“, fragte ich, während ich den Blumenstrauß band.

„Nein, aber ich besuche meinen Großvater im Krankenhaus“, erklärte er. „Er hat Ihren Laden empfohlen.“

Ich wunderte mich, immerhin war die Klinik etwas weiter entfernt, sodass ich normalerweise keine Blumensträuße an Krankenhausbesucher verkaufte.

Am Samstag suchte ich kurz vor Geschäftsschluss die schönsten Blumen aus und band sie zu einem großen Strauß. Dann fuhr ich zum Krankenhaus. Im zweiten Stock befand sich die Chirurgie. Eine Schwester zeigte mir den Schrank mit den Vasen.

Herr Reimers strahlte mich an, als ich das Zimmer betrat. „Wie schön, dass Sie mich besuchen. Das ist lieb, wo Sie doch so viel Arbeit haben.“

Ich lächelte ihn an. „Meinen besten Stammkunden kann ich doch nicht einfach im Krankenhaus liegenlassen, ohne ihn aufzumuntern.“ Ich stellte den Blumenstrauß auf den Tisch am Fenster. Auf seinem Nachttisch stand schon ein bunter Strauß, der mir sehr bekannt vorkam.

Tatsächlich klopfte es kurz darauf an der Tür und der junge dunkelhaarige Kunde betrat das Zimmer.

„Mein Enkel Marten“, stellte Herr Reimers ihn vor. Ihm war die Freude an dem Besuch anzusehen.

Ich nickte dem jungen Mann zu. „Wir kennen uns. Ihr Enkel hat bei mir eingekauft.“ Klar, warum war ich nicht selbst darauf gekommen? Buschrosen verkaufte ich nur selten, noch dazu in Rosa. Wenn er etwas gesagt hätte, hätte ich den Strauß so gebunden, wie sein Großvater ihn immer haben wollte.

„Marten ist erst vor Kurzem hergezogen. Er hat lange Zeit in der Schweiz gearbeitet. Ich bin so froh, dass er jetzt in der Nähe wohnt und sich um meine Anneli kümmern kann.“

„Wo haben Sie denn in der Schweiz gelebt?“, fragte ich und dann unterhielten wir uns lebhaft über Interlaken. Ich hatte dort einmal Urlaub gemacht. Und auch Herr Reimers war in jungen Jahren mehrmals in die Schweiz gereist.

Als es dunkel wurde, schaute ich auf die Uhr und sprang erschrocken auf. „So spät schon, jetzt muss ich mich sputen, um noch etwas einzukaufen.“ Ich sorgte mich auch, dass unser Geplauder für Herrn Reimers zu anstrengend würde.

„Vielen Dank für den Besuch, ich habe mich so darüber gefreut“, sagte Herr Reimers, als ich ging. Sein Enkel kam mit.

„Ich komme morgen wieder“, versprach er seinem Großvater.

„Es ist wichtiger, dass du Anneli besuchst“, meinte Herr Reimers.

„Ich werde beides schaffen.“ Marten lächelte ihn an. „Allerdings kann ich nicht den ganzen Tag bei ihr verbringen.“

„Vielleicht sollte ich ebenfalls in das Pflegeheim ziehen“, sagte sein Großvater nachdenklich. „Ich weiß nicht, ob ich noch allein in der Wohnung zurechtkomme.“

„Warte es erst einmal ab. Aber wenn du willst, kann ich im Heim nach freien Plätzen fragen“, bot Marten an.

Gemeinsam liefen wir zum Parkplatz. „Wie gut, dass du gerade rechtzeitig hergezogen bist“, meinte ich. Inzwischen waren wir zum Du übergegangen.

Er nickte. „Ja, ich bin auch sehr froh darüber.“ Dann lächelte er mich gewinnend an. „Darf ich dich heute Abend zum Essen einladen? Vielleicht in die Pizzeria neben deinem Laden?“

Überrascht blieb ich stehen. „Ja, gern. Um acht Uhr?“ Dadurch hatte ich genug Zeit zum Einkaufen und Putzen der Wohnung.

Beim Essen abends unterhielten wir uns genauso intensiv wie im Krankenhaus. Immer wieder trafen sich unsere Blicke und lösten bei mir ein Kribbeln im Bauch aus.

„Hast du morgen Zeit? Und hat du vielleicht Lust, mit mir ins Kino zu gehen?“, fragte er, als wir uns verabschiedeten.

„Ja, gern“, sagte ich gegen alle Vernunft, denn die Nacht würde sehr kurz werden, da ich montags zum Großmarkt fuhr.

Seit dem Abend treffen wir uns regelmäßig. Ab und zu besuche ich seine Großeltern im Pflegeheim, denn Herr Reimers war inzwischen zu seiner Anneli gezogen. Manchmal nehme ich Gudrun mit. Und der Buschrosenstrauß geht inzwischen auf meine Rechnung. Aber es ist kein Verlustgeschäft, denn bei den Besuchern des Pflegeheims hat es sich herumgesprochen, dass ich wunderschöne Sträuße binde.

Zum Valentinstag lud Marten mich ins Musical ein. „Blumen mag ich dir gar nicht schenken, die hast du doch den ganzen Tag um dich herum“, erklärte er und überreichte mir eine Kette mit einer wunderschönen, filigranen Libelle als Anhänger.

Ob wir uns in 63 Jahren noch genauso lieben wie seine Großeltern?

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