Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 34

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Der Blick in die Zukunft


„Los, Fränzi, leg mir die Karten“, drängte Julia ihre Freundin.

Fränzi hatte während eines langen Krankenhausaufenthalts im letzten Jahr von ihrer Bettnachbarin das Kartenlegen gelernt. „Sie sind sehr begabt“, hatte die alte Frau Meyerfeld sie gelobt. Seitdem sagte Fränzi ihren Freunden die Zukunft voraus und überlegte, ob sie nicht damit ihr Geld verdienen sollte.

„Was willst du wissen?“

„Hm, so überhaupt“, druckste Julia herum. Sie wollte Fränzi nicht eingestehen, dass sie wissen wollte, ob Dennis sie bald heiraten oder wenigstens mit ihr zusammenziehen würde.

Dennis war Betriebswirt und trotz seiner dreißig Jahre schon Manager. Mit seinen dunklen Locken und Augen wirkte er südländisch. Julia bemerkte in ihrer Verliebtheit nicht, wie kühl ihre Freunde ihm begegneten.

Fränzi schaute Julia prüfend an. „Ich probiere es, mit näheren Angaben wäre es einfacher.“ Sie reichte Julia die Karten zum Mischen. „Es ist nur eine Möglichkeit. Was tatsächlich passiert, hängt von deinem Verhalten ab“, erklärte Fränzi.

Julia nickte, ohne richtig zuzuhören. Schließlich gab sie den Stapel zurück.

Fränzi deckte erst einzelne Karten auf und betrachtete sie nachdenklich, dann nickte sie und legte auch noch den Rest auf den Tisch.

Julia rutschte auf die Stuhlkante vor.

„Da ist ein Mann, mit dem du glücklich wirst. Du wirst heiraten.“

„Wann?“

Fränzi zuckte die Achseln. „Vielleicht in einem Jahr.“ Sie betrachtete die Karten und runzelte dabei die Stirn. „Vorher hast du Ärger mit einem dunklen Mann.“ Sie zeigte mit ihrem Finger auf eine Karte. „Ich sehe eine Reise.“ Der Finger wanderte weiter. Dann sah sie auf. „Beruflich gibt es eine Veränderung. Vielleicht wechselst du die Firma, zumindest dein Aufgabengebiet.“

Julia wäre Fränzi am liebsten um den Hals gefallen, so rosige Zukunftsaussichten! Da konnte sie ein bisschen Ärger durchaus einstecken.

Einige Wochen später zog sie mit Dennis zusammen. Sie hatte kaum noch Zeit für ihre Freunde. Bereitwillig übernahm sie die gesamte Hausarbeit, obwohl sie beruflich sehr eingespannt war. Zum Jahreswechsel gab es bei einem Steuerberater immer viel zu tun. Außerdem unterwarf sie sich Dennis Ansprüchen. Er erwartete von ihr, schon am Sonntagmorgen geschminkt und tipptopp frisiert am Tisch zu sitzen, dabei liebte Julia ein gemütliches Frühstück im Bett.

Als Julia im Februar völlig erschöpft von der doppelten Belastung war, lud ihre alte Schulfreundin sie ein. Die Band von Birtes Bruder Gerhard gab ein Konzert im Dorfgasthof. Spontan sagte Julia zu.

„Du willst in einer verräucherten Kneipe sitzen und diese Provinzband hören?“, fragte Dennis entsetzt.

„Bei Gerhards Auftritten ist immer Stimmung. Außerdem habe ich Birte lange nicht mehr gesehen“, verteidigte sich Julia.

Dennis verächtlicher Gesichtsausdruck veranlasste sie, ihren Jugendfreund zu verteidigen. „Du hast sie nicht gehört. Sie spielen aus Freude und das kommt rüber.“

„Wir sollten lieber ein Musical besuchen“, schlug Dennis vor.

„Ich gehe in das Konzert“, erklärte Julia. Zum ersten Mal fügte sie sich Dennis Wünschen nicht.

Da sie nachts ungern Auto fuhr, nahm sie Birtes Einladung an, bei ihr zu übernachten.

Birte war nach dem Abitur Arzthelferin geworden, hatte bald geheiratet und hütete jetzt ihre drei kleinen Kinder. Überall im Haus lag Spielzeug herum, ständig schrie ein Kind, trotzdem war Birte fröhlich. Sie unterhielten sich über früher und lachten viel. Am Abend passte Birtes Schwägerin auf die Rasselbande auf, während Birtes Mann Dieter, Birte und Julia in den Gasthof fuhren. Sie fanden dicht an der Bühne Plätze. Wie Julia erwartet hatte, herrschte eine ausgelassene Stimmung im Saal. Es wurde mitgeklatscht und getanzt. In einer Pause setzte sich Gerhard an ihren Tisch. Julia hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Inzwischen arbeitete er als Lehrer an ihrer alten Schule. Er hatte sich kaum verändert. Immer noch lachte er viel und nahm sich selbst nicht so wichtig. Julia fragte ihn nach seiner Arbeit.

„Wir machen gerade eine Projektwoche über Afrika. Es ist toll, wie begeistert die Kinder Informationen zusammentragen.“

„Sind die Schüler heute nicht schwierig?“

Gerhard wurde ernst. „Selbst auf dem Land sind in jeder Klasse verhaltensauffällige Kinder. Aber sie spüren, wenn man sie wichtig nimmt und ihnen etwas zutraut.“

Bald musste er wieder auf die Bühne.

An diesem Abend kamen sie erst spät ins Bett, dafür schliefen sie am Morgen lange und frühstückten gegen Mittag.

Julia genoss es, ungeschminkt in verwaschenen Jeans und Schlabberpulli am Tisch zu sitzen. Gerhard gesellte sich dazu und sie unterhielten sich angeregt über Afrika. In den Sommerferien wollte Gerhard nach Südafrika fliegen.

„Komm doch mit“, schlug er vor.

„Nein, wir wollen auf die Seychellen.“

„Tauchst du?“

„Ich sonne und entspanne mich“, verteidigte Julia den Urlaubsplan, der nicht ihrer üblichen Freizeitgestaltung entsprach.

„Langweilst du dich nicht dabei?“, fragte Birte. „Sonst hast du doch immer etwas unternommen.“

Julia zuckte die Achseln, über ihre eigenen Urlaubswünsche hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Da sie sich in dieser lebhaften, warmherzigen Runde wohlfühlte, blieb sie länger als beabsichtigt. Erst am späten Nachmittag brach sie auf.

Auf dem Rückweg überlegte sie, ob sie Fränzis Wahrsagung falsch interpretiert hatte. Würde sie wirklich mit Dennis glücklich werden? Er sah gut aus und war erfolgreich, aber er war auch arrogant und anspruchsvoll.

Was hatte Fränzi damals gesagt? Die Vorhersagen würden sich nicht unbedingt erfüllen, sie müsste die richtige Entscheidung treffen oder so ähnlich. Sehr nachdenklich kam Julia von ihrem Ausflug zurück.

Dennis empfing sie schlecht gelaunt.

„War es bei der Dorfjugend nett?“, fragte er sie.

„Ich bin auch eine Dorfpomeranze“, erwiderte Julia pampig.

„Ich brauche morgen frische Hemden“, wies er sie an, ohne auf ihre Äußerung einzugehen.

Zum ersten Mal rührte sich ihr Hausfrauenherz nicht. Statt einer Antwort ließ sie ihn stehen und packte ihre Reisetasche aus.

In den folgenden Tagen stritten sie sich immer öfter. Julia war nicht mehr bereit, jeden Wunsch zu erfüllen. Sonntags saß sie verstrubbelt im Bademantel am Tisch und las die Immobilienanzeigen in der Zeitung. Dabei versuchte sie Dennis spitze Bemerkungen zu überhören. Sie brauchte dringend mehr Abstand, daher nahm sie dankbar Birtes Geburtstagseinladung an. Diesmal würde sie gleich am Freitagabend hinfahren und erst am Sonntagnachmittag zurückkommen. Sie stellte Dennis vor vollendete Tatsachen und ertrug sein Gemecker.

*


„Mein Freund Kurt sucht einen Mitarbeiter. Hättest du keine Lust, hier zu arbeiten?“, fragte Dieter sie beim Abendessen.

„Ich bin mit meinem Job zufrieden“, wehrte sie ab. Trotzdem ging ihr der Gedanke an eine Veränderung nicht mehr aus dem Kopf.

Später schaute Gerhard wieder vorbei. Julia hörte ihm mit leuchtenden Augen zu, als er von Afrika sprach. Früher hatte sie sich immer gewünscht, durch die Welt zu reisen.

Am nächsten Abend lernte Julia auf der Geburtstagsfeier Dieters Freund Kurt kennen. Er erzählte von seiner Firma. Julia war erstaunt, wie vielseitig seine Arbeit war. Das hatte sie in einer Kleinstadt nicht erwartet.

Daheim war Dennis wieder schlecht gelaunt. Aber das hatte sie auch nicht anders erwartet. An den nächsten Abenden ging er mit Kollegen und Freunden aus, ohne sie mitzunehmen. Sie nutzte die Zeit und suchte intensiv nach einer neuen Wohnung.

Eine Woche später erzählte ihre Kollegin, dass sie im Sommer in die Türkei reisen wollte. Sie schwärmte von Istanbul. Ihr Chef kam dazu und berichtete von Peking.

„Was machen Sie in diesem Jahr?“, fragte er dann.

„Ich fliege nach Südafrika“, rutschte es Julia heraus. Sie wurde rot, deshalb stand sie auf und holte sich einen Kaffee. Den Nachmittag konnte sie sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren. Schließlich spannte sie einen Bogen ein und schrieb ihre Kündigung. Dann nahm sie ihr Handy und rief Kurt an. „Gilt das Angebot noch?“

„Ich freue mich, wenn du kommst.“ Er bot ihr an, als Partnerin bei ihm einzusteigen.

Anschließend rief sie Gerhard an. „Kann ich mit euch nach Südafrika fahren?“

„Und die Seychellen?“

„Ich mache endlich das, was mir Spaß macht.“

Als sie am Abend nach Hause kam, wartete Gerhard mit einem großen roten Rosenstrauß auf der Straße.

Ihr Herz klopfte heftig, als sie ihn annahm.

Er zog sie in seine Arme. „Birte hat mir gesagt, dass du bei Kurt anfängst.“

Sie kuschelte sich an ihn. „Ich kehre zu meinen Wurzeln zurück.“

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