Читать книгу Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 11
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ОглавлениеAls Stefan wach wurde, stand die Sonne schon lange am Himmel. Erschrocken sprang er aus dem Bett und eilte ins Badezimmer. Das hatte er einrichten lassen, als die Eltern tot waren. Der Vater hatte seinerzeit nichts davon wissen wollen. Auch elektrische Geräte für den Haushalt, wie Kühlschrank und Waschmaschine und vieles mehr hatten sie kaufen müssen. Er selbst war ja ein Bauernsohn und wusste, wie schwer die Bäuerinnen zu arbeiten hatten, und das wollte er einfach nicht mehr zulassen.
Mit einem drolligen Sündergesicht kam er dann in die Küche.
»Du musst verzeihen, liebe Schwester - aber denke jetzt bloß nicht, ich wäre ein furchtbarer Langschläfer geworden. Im Gegenteil, ich bin sogar ein Frühaufsteher. Aber in der letzten Woche hatte ich Nachtdienst ... und dann die lange Fahrt. Der Körper verlangt nun mal sein Recht.«
»Aber du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen«, sagte Christiane heiter.
»Dann ist es ja gut«, lächelte er und nahm am Tisch Platz. Christiane nahm jetzt schon ihr zweites Frühstück ein. »Ich habe dem Verwalter alles gesagt. Ich hoffe, es war in deinem Sinne.«
»Aber selbstverständlich, Christiane, daran hab ich noch nicht einmal gedacht. Natürlich muss er es wissen.«
»Er ist für uns«, sagte sie mit einem feinen Lächeln.
Stefan sah sie erstaunt an.
»Du sagst das so eigenartig. Was soll das heißen?«
»Ach«, sagte sie betrübt. »Du kennst sie doch, die Dörfler, meine ich.«
Noch immer war grenzenloses Staunen auf seinem Gesicht. In der Tat, Stefan war sehr lange fort gewesen und hatte nur noch in der Großstadt gelebt. Da kümmerte sich kein Mensch um seinen Nächsten.
»Ich war heute in der Früh unten bei der Krämerin. Du glaubst nicht, was für Unsinn sie sich schon erzählen. Dein Auftauchen hat sie alle durcheinandergewirbelt, und jetzt stehen die Mäuler nicht mehr still.«
»Ach so, jetzt verstehe ich wieder!« Er lachte leise auf. »Da werden sie mich also jetzt ewig mit ihren kleinen Wehwehs überfallen, wie? Ich bin ja Chirurg. Zwar kann ich alles behandeln, aber eigentlich hatte ich nicht vor, eine Praxis zu eröffnen. Doch wenn Not am Mann ist, dann werde ich selbstverständlich sofort kommen. Das werde ich ihnen sagen.«
»Nein«, Christiane schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. Es geht um den Hof.« Dann erzählte sie dem Bruder, was sie schon alles gehört hatte. Stefan staunte nicht schlecht.
»Aber ich bin doch erst gestern eingetroffen, und meiner Meinung nach hat mich keiner gesehen.«
»Niemand kommt ungesehen ins Dorf rein oder raus«, sagte Christiane lachend. »Dafür sorgt schon das alte, zahnlose Klatschweib, die Schrullen.«
»Was? Lebt die noch immer?«
»Ja!«
»Weißt du, Christiane. Von mir aus können sie reden, so viel wie sie wollen. Höre, jetzt mach ich erst mal einen kleinen Spaziergang mit dir! Ich war schon so lang nicht mehr hier, weiß schon gar nicht mehr, wie alles ausschaut. Und am Abend geh ich dann in den Krug, und dort treff ich auch bestimmt den Bürgermeister an. Wenn nicht, dann such ich ihn auf. Wer ist jetzt eigentlich Bürgermeister, Christiane?«
»Der Tobias Haflinger«, sagte sie schnell und machte dazu ein sehr merkwürdiges Gesicht. Aber Stefan hatte sich schon abgewandt und bemerkte es nicht.
»Weißt du, wenn am Sonntag noch so schönes Wetter ist, dann steigen wir zwei in die Berge, du und ich. Es wird so wie früher sein, Christiane, weißt noch?«
Ihr Herz wurde weit und froh. Sie konnte sich selbst nicht mehr verstehen, weshalb sie gestern so grantig zu dem Bruder gewesen war. Er war noch immer der Alte und dachte an die vergangene Zeit. Mein Gott, dachte sie inbrünstig, nun wird es wieder fröhlich hier zugehen. Und ich schwör dir, Gott, wenn du dem Stefan hilfst, dann will ich alles tun - und wenn ich mich für ihn todschuften müsste. Ich weiß jetzt, er ist ein guter Mensch. Ihn muss man einfach lieb haben.
»Der Wilde Kaiser«, sagte Stefan munter. »Ob wir auch einen Adler zu Gesicht bekommen?«
»Wenn nur deine Knochen nicht schon zu morsch dazu sind«, gab sie lustig zurück.
Wenig später sah man die beiden Geschwister über die Wiesen laufen. Stefan half beim Heuwenden. Als Buben hatten sie immer zupacken müssen. Er verstand sich auch sehr gut mit dem Verwalter. Auf Anhieb mochten sie sich. Zuerst hatte Johannes ein wenig Scheu, denn schließlich war er ein studierter Mann und hatte sogar den Doktortitel. Aber davon wollte Stefan nichts wissen.
»Sagen‘s nur Stefan zu mir, so wie ich mir erlaube, zu Ihnen Johannes zu sagen. Wir sind, glaub ich, im gleichen Greisenalter - da darf man es wohl, wie?«
Johannes lachte und schlug in die dargebotene Hand.
»Ihre Schwester hat mir schon alles gesagt, Stefan. Ich bin auf Ihrer Seite.«
»Dank auch schön. Ja, ich kann Sie gut gebrauchen. Aber zuerst einmal muss ich mich recht herzlich bedanken. Sie haben den Hof wirklich prachtvoll geführt. Mein Vater hätte es nicht besser machen können. Ach, dieser Querkopf, er konnte einfach nicht einsehen, dass man Menschen nicht dazu zwingen kann, etwas wirklich gut zu machen. Ich kann schon bei der Landwirtschaft helfen, aber die Liebe - ich meine, sie fehlt halt, und dann wird nichts Rechtes dabei rauskommen.«
»Solange ich auf den Hof bin, brauchen Sie sich um nichts zu sorgen. Ich werd überall nach dem Rechten sehen, Stefan.«
So verbrachten sie den ersten Tag, und mittags saßen die drei jungen Menschen um den großen runden Tisch in der Küche, und Stefan erzählte dem Verwalter von seinen Plänen: Man würde einen neuen Kuhstall bauen müssen - und dann einen ganz modernen. Aus dem gewonnenen Teil des Hauses - denn hier lebte das Vieh noch immer mit den Menschen unter einem Dach - wollte er dann modernere Räume für seine kleine Klinik schaffen. So viel brauchte man noch nicht einmal umzubauen, und das freute Stefan ungemein, denn so konnte er das Geld für Apparate aufwenden. Und die mussten ja nun sein.
Nach dem Abendbrot nahm er seinen alten Knotenstock und wanderte den Berg hinunter. Johannes hatte sich ihm angeschlossen. Christiane stand oben im Laubengang und sah ihnen mit bangem Herzen nach.