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Der nächste Morgen begann grau und trüb und mit sehr viel Regen. In den Bergen meldete sich der Herbst viel früher an. Da hockten sie nun tatenlos in den Stuben, konnten noch nicht mal eine Wanderung unternehmen. Stefan hätte dem Freund so gern seine geliebte Bergwelt gezeigt, aber heute war nichts zu machen.

Christiane kümmerte sich um das Wohl der drei Männer und hatte Arbeit genug. Man bot sich zwar an, ihr zu helfen, aber stopfen und nähen konnten sie nun wirklich nicht. Zwar brachten sie es fertig, neue Gesichter zu gestalten, doch dazu brauchten sie auch kein Stopfei. So begnügte man sich mit Schach und ärgerte sich gegenseitig. Die Dunkelheit brach sehr schnell herein.

Über Kufstein bahnte sich ein Auto langsam seinen Weg. Die Regenwand stand vor den Scheinwerfern, und als es in die Berge ging, wurde der Wagen noch langsamer. Hinten im Wagen saß eine junge Schwester. Neben ihr auf der Trage lag ein Kind. Es schien zu schlafen, aber trotzdem musste man sehr vorsichtig sein, um Erschütterungen zu vermeiden.

»Sind wir hier auch wirklich richtig?«, fragte der Fahrer. »Das ist ja ein kleines Dörfle! Wo soll denn hier die berühmte Klinik von Doktor Kaingruber sein?«

Die junge Schwester wischte die Scheibe sauber, sah nach draußen.

»Sind wir denn schon in Scheffau?«

Der Fahrer starrte durch die Scheibe, ein gelbes Schild kam in Sicht.

»Söll ist das hier«, murmelte er.

»Dann müssen wir bald links abbiegen«, erklärte die Schwester. Das Kind rührte sich und stöhnte auf. Sie hielt ihm die Hand und sagte ein paar tröstende Worte. Sie konnte nur die Augen des Jungen sehen, alles andere lag hinter einem dicken Verband.

»Gleich sind wir da. Jetzt dauert es nimmer mehr lange.«

Die Augen bewegten sich, unaussprechliche Qual und Angst konnte sie darin lesen. Ihr Herz schnürte sich zusammen. O du mein Gott, dachte das junge Mädchen.

Der Wagen bog um eine Kurve.

»Jetzt gehts hinauf. Ich bin auf dem richtigen Weg.«

Wenig später fuhren sie durch Scheffau. Sie blieben mitten auf dem Platz vor der Kirche stehen. Das Glück wollte es, dass grad in diesem Augenblick der Lehrer nach Hause ging. Man hielt ihn an und fragte nach dem Weg zur Klinik. Der junge Mann warf einen Blick in den Wagen.

»Ich komme mit«, sagte er kurz. »Dann verfehlen Sie ihn nicht.«

»Danke«, sagte die junge Krankenschwester.

»Kommen Sie aus Wien?«

»Ja! Wir wollen zu Doktor Kaingruber.«

Der Lehrer sah die Köpfe an dem hellerleuchteten Fenster der Wirtschaft. Er lächelte grimmig. Der Fahrer wendete den Wagen, und sie fuhren den Berg hinauf.

»Jetzt dauert es nur noch wenige Minuten, dann sind wir da.«

Als sie vor dem Hof hielten, sagte die Schwester erschrocken: »Sind wir hier wirklich richtig?«

»Ja. Warten Sie, ich hole den Doktor!« Er rannte durch den Regen und klopfte wenig später an die schwere Eichentür. Stefan fuhr hoch. Aber da war Christiane schon an der Tür.

»Ist der Doktor da?«

»Ja!«

Stefan stand in der Diele, Haller war ihm gefolgt. Als er den Krankenwagen bemerkte, empfand er tiefe Dankbarkeit zu dem Professor.

»Rasch, bringen Sie ihn herein! Sofort ins Untersuchungszimmer!«

»O, Doktor Kaingruber, bin ich froh, dass wir endlich am Ziel sind«, sagte Schwester Ursula.

Wenig später lag der kleine Patient im gleißenden Licht der neuen Klinik. Stefan sprach tröstend auf ihn ein.

»Der Professor schickt Ihnen diesen Fall. Hier sind die Akten.«

»Wie lange war er in der Klinik?«

»Zwei Tage!«

Haller kümmerte sich um den Jungen. Er mochte an die zehn Jahre alt sein. Stefan nahm den dicken Briefumschlag und setzte sich an den Schreibtisch. Er hatte kaum zu lesen begonnen, als ein Stöhnen über seine Lippen drang. Als Haller sich umdrehte, bemerkte er, wie sein Freund leichenblass wurde und am ganzen Körper zitterte.

»Was ist los, Stefan?«

Er hörte ihn gar nicht, saß wie erstarrt da und bedeckte seine Augen mit der Hand.

Christiane fühlte, dass er jetzt allein sein wollte und nahm die junge Schwester mit sich. Auch um den Fahrer wollte sie sich kümmern.

Haller warf einen raschen Blick auf das Schreiben. Sollte der Junge vielleicht so schwer krank sein, dass er rettungslos verloren war? War es das, was ihn so gefangenhielt? Sein erster Patient ein Todeskandidat? Aber dann las er den Namen des Jungen und wusste Bescheid.

»Wolfgang ...«, flüsterte er gebrochen.

Stefan hob den Kopf. Er hatte Tränen in den Augen.

»Wolfgang«, sagte er erstickt.

Der Junge wandte ihm den Kopf zu, seine Augen sahen den jungen Doktor an.

»Annelies Bruder«, stammelte Haller. »Du meine Güte!«

»Wir müssen ihn betten«, würgte Stefan hervor. »Morgen werden wir uns dann mit dem Fall beschäftigen.« Jetzt hatte er sich wieder gefangen. Nach einer guten Stunde lag Wolfgang in einem der vielen leeren Zimmer und schlief. Die beiden jungen Ärzte setzten sich ins Wohnzimmer und studierten die Krankengeschichte.

Wolfgang, ein aufgeweckter Junge, hatte seinem Schwager helfen wollen, der neben dem Fotolabor noch ein Versuchslabor eingerichtet hatte, und war in ein Säurebad gefallen. Der Professor schrieb, die Verbrennungen im Gesicht seien fürchterlich, und er lege diesen Fall in Stefans Hände. Der junge Arzt fühlte das Herz erzittern. Er war vor Annelie geflohen. Durch die viele Arbeit hatte er sie für kurze Zeit vergessen können. Und jetzt kam sie zurück - nicht Annelie, aber ihr Bruder. Wie gut kannte er Wolfgang! Wie oft hatten sie ihn auf Spaziergänge mitgenommen. Wolfgang hatte ihn sehr gern gemocht, und sie hatten viel Spaß miteinander gehabt. Und jetzt?

Im Krankenbericht stand auch, dass Annelie es gewollt hatte, dass man Wolfgang zu ihm brachte. So viel Vertrauen hatte sie zu ihm.

Diese Nacht fand Stefan keinen Schlaf.

Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane

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