Читать книгу Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 22

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Am Nachmittag erschien Franz Gruber. Verblüfft blieb er stehen, als er das Lachen hörte. Das war ja etwas ganz Neues. Sonst hatte immer eine gedrückte Stimmung geherrscht, und jetzt schien man lustig zu sein und zu feiern. Annelie sah ihn kommen und forderte ihn auf, in die Wohnstube zu kommen. Hier waren auch alle Kinder versammelt, die nicht gerade bettlägerig waren.

»Nanu!«, sagte er.

»Heute wird nicht gelernt. Kommen Sie, setzen Sie sich! Ich hole Ihnen gleich einen frischen Teller. Ich hoffe, Sie haben großen Hunger mitgebracht?«

Franz wurde neben Christiane platziert. Aber er brauchte nicht lange zu warten, bis man ihm den Grund der Fröhlichkeit erklärte. Seine Augen leuchteten warm auf, als er sagte: »Da bin ich aber wirklich froh, dass Sie durchhalten können, Dr. Kaingruber.«

»Das sind wir alle«, sagte Dr. Haller.

Es wurde ein sehr fröhlicher Nachmittag. Und als am Abend die Kinder in den Betten lagen, wurde ihnen noch Wein kredenzt. Er lag schon so lange im Keller und war wirklich ein edler Tropfen. Christiane fand, dass jetzt der richtige Augenblick gekommen war, ihn zu trinken.

Die Gemeinschaft löste sich auf, und man ging hierhin und dorthin. Hin und wieder suchte Haller die Station auf. Er hatte diese Woche Nachtdienst.

Annelie und Stefan hatten sich noch so vieles zu erzählen. Natürlich wollte er ihr eine Sicherheit überschreiben, anders ließ er nicht mit sich reden. So kam es, dass Franz und Christiane auf einmal allein im Wohnzimmer saßen.

War es die gelöste Stimmung, oder machte es der Wein? Auf alle Fälle spürte Franz plötzlich das Bedürfnis, sich zu erklären.

»Christiane«, sagte er weich, »ich muss Ihnen etwas sagen. Bitte hören Sie mich an und laufen Sie nicht davon!«

Dumpf ahnte sie, was jetzt kommen würde. Die ganze Zeit hatte sie schon sein stilles Werben bemerkt. Und er war ihr auch nicht gleichgültig. Im Gegenteil, sie sehnte sich auch nach einem eigenen Glück und nach Geborgenheit. Und wenn sie jetzt Stefan und Annelie anschaute - trotz all der Schwernisse waren sie fröhlich und glücklich. Da suchte das eigene Herz auch nach Liebe.

»Christiane«, sagte der Mann, »ich glaube, ich bin Ihnen nicht ganz gleichgültig. Und eben das gibt mir den Mut, Ihnen zu gestehen - ich liebe Sie, Christiane - schon so lange. Ich habe es nicht gewagt, doch heute ... Sie haben so leuchtende Augen, und ich ...«

Zögernd begann das Mädchen: »Es stimmt, Herr Gruber, ich habe Sie gern, sehr gern sogar.«

»Oh, Christiane!« Er ließ sie gar nicht weiterreden, sondern sprang auf und wollte sie umarmen. Doch sie hielt ihn noch davon ab.

»Bitte, hören Sie mir zu, Franz. Ich kann Sie trotzdem nicht heiraten.«

Schlaff fielen seine Arme herunter.

»Aber warum denn nicht, Christiane? Warum denn nicht?«

»Die Dörfler sagen, ich hätte ein Herz aus Stein. Hat Sie das eigentlich nicht abgeschreckt?«, fragte sie mit zuckenden Lippen.

Franz erwiderte: »Ich weiß sehr wohl, was sie unten in Scheffau sagen, aber ich bilde mir mein Urteil immer selbst. Nein, Christiane, das nehme ich dir nicht ab. Dazu kenne ich dich jetzt zu gut, habe dich all die Zeit mit den Kindern beobachtet.« Er merkte in seinem Eifer gar nicht, dass er sie mit du ansprach. »Keine opfert sich so auf, keine ist so selbstlos wie du. Und du tust das noch alles umsonst - nicht für Lohn. Liebe Christiane, da musst du mir schon einen anderen Grund nennen ...«

Sie hatte ihm aufmerksam zugehört, war manchmal rot und dann wieder blass geworden. Jetzt stand er vor ihr und wartete auf eine Antwort. Und diese Antwort fiel ihr so schwer. Was sollte sie sagen, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen? Sie liebte ihn - ja, zum ersten Mal im Leben liebte sie wirklich. Er war ein wundervoller Mensch! Hinzu kam auch noch, dass Stefan ihn brauchte. Er hielt zu ihnen, obwohl er es im Dorf auch nicht mehr leicht hatte. Die Kinder mussten die Bewohner zur Schule schicken, aber sie hetzten sie gegen den Lehrer auf. Er hatte es jetzt sehr schwer mit ihnen. Sie waren frech, und wenn er ihnen Strafarbeiten aufgab, dann machten sie die einfach nicht. Die Kinder ahnten nicht, wie sehr sie sich damit selbst schädigten. Und die Erwachsenen bedachten das auch nicht. Tobias Haflinger hatte gehofft, dass er durch eine Eingabe an die obere Schulbehörde erreichen würde, dass man ihn versetzte. Und wenn sie dann einen neuen Lehrer bekamen, würde er, Haflinger, sofort aufpassen, dass dieser tat, was er wollte.

Franz Gruber wusste genau, was der Bürgermeister von ihm forderte. Er biss die Zähne zusammen. Aber er wollte auch nicht fort. Er liebte Christiane, hatte sich ihr erklärt.

Christiane wusste, dass sie ihm die Wahrheit sagen musste. Ihn konnte sie nicht einfach mit vagen Erklärungen abspeisen.

»Es gibt einen Grund, weswegen ich nicht heiraten werde«, sagte sie leise.

»Das glaube ich nicht«, sagte der Mann. »Oder lässt dich dein Bruder vielleicht nicht gehen? Will er dich behalten? Aber das kann ich mir auch nicht vorstellen, Christiane. Ich glaube, Stefan wäre sehr glücklich, wenn er dich auch glücklich sähe.«

»Das stimmt. Nein, mein Bruder hat nichts damit zu tun. Zuerst einmal bin ich jetzt sehr arm. Ich besitze nichts mehr. Alles ist verschuldet. Stefan wollte mir den halben Hof vermachen, aber ich nehme ihn nicht an.«

Franz lächelte sie heiter an.

»Das ist also der Grund? Aber Christiane, das weiß ich doch alles! Die ganze Zeit, von Anfang an hab ich das gewusst, Christiane. Und dann - ich bin doch kein Bauer, sondern Lehrer. Ich glaube, dass mein Verdienst für uns beide gut reichen wird. Und dann - du kannst ja auch die Zeit weiter hier arbeiten, bei den Kindern sein. Ich bin es ja auch. Stefan braucht uns beide, und ich will ja dich gar nicht für ganz.«

Sie hatte Tränen in den Augen.

»Franzi«, flüsterte sie leise, »du machst es mir so schwer. Warum willst du nicht begreifen, dass ich wirklich nicht kann?«

»Weil ich glaube, dass du dir das nur einbildest, liebe Christiane. Sag mir den wirklichen Grund; und ich will dir antworten, dass auch das kein Grund ist. Ja, jetzt sag ich das schon, obwohl ich ihn noch gar nicht kenne. Es sei denn ...« sagte er und zwinkerte mit einem Auge.

»Es sei denn?«, fragte sie atemlos. Ahnte er es vielleicht?

»Es sei denn, du bist schon verheiratet. Dann müsste ich einsehen, dass du mich nicht heiraten kannst, und ich bedränge dich nicht weiter.«

Unwillkürlich musste sie lachen, und das hatte er damit erreichen wollen.

»So sag es doch endlich! Oder hast du vielleicht jemanden umgebracht? Was Schlimmes hast du denn verbrochen, dass du jetzt büßen und mich dazu noch unglücklich machen musst.«

Sie nahm all ihre Kraft zusammen, und dann stammelte sie: »Ich kann keine Kinder bekommen, Franzi.«

Für Sekunden blickte er sie groß an, dann sagte er leise: »Und das weißt du schon so lange?«

Sie nickte. »Jetzt verstehst du mich, nicht wahr? Oder hätte ich dich vielleicht belügen sollen, es dir nicht vorher sagen?«

Er nahm ihre Hand und streichelte sie. Nun kamen ihr die Tränen.

»O, Christiane, jetzt kann ich erst ermessen, wie sehr du darunter gelitten hast, die ganze Zeit. Und um es nicht sagen zu müssen, hast du dir ein kaltes Herz zugelegt?«

Wieder nickte sie nur. Da nahm er sie einfach in die Arme und küsste sie. Verwirrt machte sie sich los. »Verstehst du denn nicht? Ich werde nie Kinder haben!«

»Nun«, sagte er heiter. »Ist das so schlimm? So können wir alle unsere Reichtümer selbst verprassen. Brauchen nichts auf die hohe Kante zu legen, leben ein lustiges Leben ...« Aber dann wurde er doch ernst. »Schau«, sagte er behutsam und wischte ihr die Tränen ab. »Ich hab den ganzen Morgen die Kinder in der Klasse, und mittags bin ich erschöpft und froh, wenn ich meine Ruhe habe. Und am Nachmittag bin ich dann doch hier - und das werde ich auch in Zukunft so halten. Ich weiß, diese Kinder brauchen mich noch viel mehr. Und vielleicht wird eines Tages diese kleine Klinik so groß sein, dass Stefan mich richtig anstellen kann. Dann werde ich hier eine kleine Privatschule aufmachen - in der Klinik. Und du, meine Liebste - wie ich dich kenne, wirst du auch weiterhin hier arbeiten wollen. Nun, ist es da nicht sehr praktisch, wenn wir selbst keine Kinder haben? Ich glaube, wir hätten dann ständig ein schlechtes Gewissen, weil wir uns so wenig um sie kümmern könnten.«

»O Franzi - soll das heißen, dass du keinen eigenen Sohn haben willst?«

Wieder küsste er sie.

»Schau, ich kenne das Gesetz der Berge und weiß, wie hart Dörfler sein können, wenn eine junge Frau keine Kinder in die Welt setzt. Schau, wir bieten ihnen allen die Stirn. Sie können uns nichts anhaben, Christiane. Hauptsache ist doch, dass wir zwei uns sehr lieb haben, nicht wahr? Und das hast du mich doch?«

Da fiel der Stein von ihrer Seele, und sie war frei und glücklich. All die Zeit hatte diese Wahrheit wie ein Alpdruck auf ihrer Seele gelastet. All die Zeit hatte sie sich wie ein halber Mensch gefühlt. Wenn die anderen im Dorf es auch nicht wussten, aber sie selbst sie hatte es gewusst und sich so gefühlt. Es war einfach schrecklich gewesen, die Kalte spielen zu müssen, obwohl man sich nach Liebe sehnte, nach Kindern verzehrte. Aber Franzi hatte recht: Jetzt, wo sie fremde Kinder umsorgen und heben durfte, bekam ihr Herz all das, wonach es sich sehnte. Es waren Kinder, die ihre Ärmchen um ihren Hals legten, sie lieb hatten. Und wenn sie in den gequälten Kinderaugen ein Lächeln sah, war sie reich belohnt. Ja, er hatte recht, man musste sich für diese Kinder und alle, die noch kommen würden, opfern.

»Ja«, sagte sie sanft und lächelte ihn herzlich an. »Ja, Franzi, wenn du mich so nehmen willst, wie ich bin - ja, dann hab ich dich von Herzen lieb.«

Da leuchteten seine Augen auf, und seine Arme umschlossen die Gestalt, zogen sie an sich, und er küsste sie leidenschaftlich. Sie waren so sehr mit sich beschäftigt, dass sie nicht einmal bemerkten, wie die Tür leise geöffnet wurde. Auf der Schwelle stand Doktor Kaingruber. Er riss die Augen weit auf.

»Potzblitz!«, rief er erstaunt. »Was spielt sich denn hier ab?«

Beide fuhren erschrocken auseinander, doch dann lachten sie ihn an.

»Darf man als Bruder vielleicht erfahren, was das zu bedeuten hat?«

»Ja«, sagte Franzi heiter. »Eine Hochzeit steht ins Haus! Das hat es zu bedeuten.«

»Und mir sagt man nichts!«, schimpfte Stefan, kam dann näher und drückte seinem zukünftigen Schwager herzlich die Hand. Er sah Christiane an und staunte, wie sehr sich doch ein Mensch durch die Liebe verändern konnte. Er zog kurz eine Braue hoch - nur Christiane sah es.

»Ich habe ihm alles gesagt, und er will mich trotzdem haben, Stefan!«

»Na«, sagte Stefan jetzt und konnte sich nun erst richtig mitfreuen, »wenn das nicht gefeiert werden muss! Wirklich - und da stehen ja noch all die Sachen parat! Ich will doch gleich die anderen zusammentrommeln. Also, ein paar Minuten könnt ihr noch allein bleiben, dann stören wir aber wieder.« Er zwinkerte ihnen zu und verschwand.

Draußen in der Diele blieb er für einen Augenblick stehen. Heute war wirklich ein Glückstag. Und vielleicht hatte Annelie recht, vielleicht würde alles noch gut werden. Die ersten schlimmen Geldsorgen waren nicht mehr vorhanden, obwohl ihm das Geld von Annelie auch auf der Seele lag. Und jetzt würde seine Schwester heiraten, endlich ihr eigenes kleines Glück finden! Und was noch viel schöner war: Wenn jetzt die Klinik vielleicht nicht weiter existieren konnte, dann war trotzdem für die Schwester gesorgt. Darum brauchte er sich dann keine Sorgen mehr zu machen.

»Hallo, Annelie! Joachim! Johannes! Kommt doch mal her! Ich muss euch was Grandioses erzählen! Hab eine Neuigkeit, die euch baff machen wird.«

Haller kam die Treppe herunter und sagte: »Oben schläft jetzt alles. Ich kann ruhig ein wenig mitfeiern. Was ist denn schon wieder los?«

»Jetzt geht die Party erst richtig los«, sang Stefan sehr laut, aber dafür auch sehr falsch, »denn Christiane hat sich gerade verlobt. Was sagt ihr dazu?«

Das war wirklich eine Überraschung. Johannes, der Verwalter, spürte einen leisen Stich im Herzen. Aber er war tolerant genug, ihr dieses Glück zu gönnen.

Das wurde eine sehr fröhliche Nacht, und am Morgen lagen alle müde da, und die Köchin musste sie mit starkem Kaffee wieder auf Trab bringen. Franzi war schon vor Stunden ins Dorf gegangen, denn um acht Uhr pünktlich wurde die Schule geöffnet.

Und die Köchin war es denn auch, die sehr schnell die Neuigkeit verbreitete. Am Mittag wusste das ganze Dorf Scheffau, dass der Lehrer sich mit Christiane Kaingruber verlobt hatte. Und da war es kein Wunder, dass Maries Vater wütend auf den Bürgermeister war. Er hätte selbst gern den Franzi als Schwiegersohn gehabt. Er hatte gehofft, der würde so lang ausharren, bis dem Bürgermeister die Sache zu bunt wurde und er den Bann wieder aufhob. Jetzt aber war alles vertan, und Marie saß auf der Ofenbank und schluchzte.

Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane

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