Читать книгу Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 14
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ОглавлениеDoktor Kaingruber hatte recht, wenn er seiner Schwester sagte: »Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden alles bekommen.« In der Tat, mit seinem Diplom und den Zeugnissen, die Professor Sondberg ihm ausgestellt hatte, sowie mit dessen wärmster Empfehlung, wie wichtig es sei, eine solche Klinik zu schaffen, erhielt er sehr rasch die Genehmigung der Kreisverwaltung, deren Sitz Innsbruck war.
Haflinger erhielt noch am gleichen Tag ein Schreiben dieser Behörde, das besagte, dass er alles tun solle, was Doktor Kaingruber wünschte. Die Regierung hoffe, dass diese Klinik ein großer Erfolg würde.
Tobias Haflinger fluchte, und seine Hand lag schwer auf dem Schreiben. Noch immer spuckte er Galle, wenn er nur an den Namen Kaingruber dachte. Böse blickte er aus dem kleinen Amtsstubenfenster den Berg hinauf. Dort oben wohnte das stolze Weib, für das er zu niedrig war, das ihn nicht gewollt hatte, das ihn zum Gespött der ganzen Welt gemacht hatte. Tiefer Groll saß noch immer in seinem Herzen; und er würde auch nicht davon ablassen, weiterhin dem ehemaligen Schulkameraden Steine in den Weg zu legen.
Seine schwangere Frau kam herein. Sie hatte ein sanftes und zugleich verstörtes Gesicht.
»Warum bist denn noch so bös?«, fragte sie leise. »Vielleicht wirst du noch einmal dankbar sein, Tobias. Er hat dir doch nichts getan? Man sagt, er sei ein guter Mensch.«
»Was? Jetzt stehst du auch noch auf seiner Seite?«, schrie er sie an. »Das ist ja recht! Dann geh doch gleich zu ihm. Kannst dich ja scheiden lassen und ihn nehmen ...«
Die Frau wurde schneeweiß.
»Mann, was redest denn da für einen Unsinn?«
Er stapfte an ihr vorbei.
Stefan indessen war jetzt viel in Innsbruck und verhandelte mit den Banken. Er hatte sich von einem Architekten einen Vorschlag machen lassen. Viel Geld war nötig, sehr viel Geld. Man kam heraus und sichtete das Land, die Felder und den Wald. Aber sie hatten ja so viel Sicherheit, und die Ernte war auch immer gut, so gaben ihm die Banken das Geld. Aber jetzt war der Hof hoch verschuldet. Manchmal in der Nacht dachte er an seinen verstorbenen Vater. Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste. Aber musste er nicht so handeln? Warteten die Kinder nicht auf ihn? Er wollte sie aus diesen engen Stuben erlösen. Sie sollten wieder glücklich werden, ihr großes Leid vergessen.
Man begann sofort mit den Umarbeitungen, und Stefan hatte alle verfügbaren Leute aus den Nachbarorten dazu geholt. Er hatte ihnen ja geschworen: Wenn ihr nicht vernünftig werdet, ich krieg auch woanders all das, was ich brauche. Die Dörfler sahen es gar nicht gern. Wieviel Arbeit war zu vergeben! Und nun kamen sie von Eiben und Rettenbach und Ellmau und Söll. Die Dörfler murrten schon gegen ihren Bürgermeister, weil er so starrköpfig war. Aber noch hatte er das Sagen, und sein Zorn war fürchterlich. Noch beugten sie sich.
Man boykottierte den Doktor, wo man nur konnte. Sie versperrten ihm die Zufahrt, so dass die Wagen mit den Steinen und Mörteln lange unten im Tal stehen mussten. Stefan griff nur zum Telefon, und so kam der Polizist aus Ellmau und sorgte für Recht und Ordnung. Das war schon bitter. Christiane litt sehr unter diesem veränderten Wesen, aber sie stand dem Bruder zur Seite. Sie musste jetzt auch weiter fahren, um alles Nötige einzukaufen. Die Krämerin sah sie immer an ihrem Laden vorbeifahren, und ihr Herz wurde schwer. Denn Christiane hatte immer gut gekauft und gleich bezahlt, was man von den Dörflern nicht immer sagen konnte. Und jetzt, wo die vielen Arbeiter dort droben waren? Es war ein altes Recht der Handwerker, dass sie auch verköstigt wurden.
Die Stuben für die kleinen Patienten waren sehr schnell hergerichtet, und die Betten waren vorhanden. Christiane nähte bunte Gardinen, hing lustige Bilder auf, und zum ersten Mal in ihrem Leben kaufte sie auch Spielzeug. Ihr Herz blutete, als sie in dem Laden stand. Manchmal sehnte sie sich nach einem eigenen Kind. Ach, sie durfte nicht daran denken. Das Schicksal konnte manchmal hart sein.
In den Kuhstall wurden die modernsten Einrichtungen transportiert, die man für eine kleine Klinik brauchte. Aber das Geld verschwand wie Schnee vor der Sonne.
Stefan hatte seinem Freund Haller geschrieben: »Nun kannst du schon die Kündigung einreichen. In einem Monat ist Eröffnung. Du wirst doch kommen?«
Wenig später erhielt er die Nachricht, dass Haller kommen würde, wie versprochen.
»Und wo soll er wohnen?«, fragte die Schwester.
»Damals hab ich gedacht, er könnte sich im Dorf eine Wohnung nehmen. Aber wie jetzt die Dinge stehen, wird es wohl nicht gehen - dieser Querkopf von Haflinger. Aber er kann sich an mir die Zähne ausbeißen.«
»Wir könnten oben im Austraghäusle noch die Stuben zurecht machen und ein kleines Bad einrichten? So viel wird es wohl nicht kosten. Bis jetzt haben wir sie immer nur als Rumpelkammer benutzt.«
»Du bist ein Goldschatz, Christiane. Wenn ich dich nicht hätte!«
Es wurde so gemacht. Und es war auch gut, dass Haller in der Nähe wohnte. Aber dann kam das Problem auf, dass sie auch Personal brauchten. Zwar würde man zu Anfang nicht sofort alle Betten belegt haben, und Christiane war ja ausgebildete Schwester, aber sie konnte dann nicht mehr kochen und putzen. Man brauchte eine Kraft, die sich darum kümmerte. In Scheffau gab es genug Frauen, die sich gern etwas hinzuverdient hätten, aber sie wagten nicht, sich zu melden. Sie fürchteten den Haflinger. Obwohl sie mit traurigen Blick die Anzeige in der Zeitung lasen. Haflinger sündigte sehr viel in dieser Zeit. Er war wie ein despotischer Herrscher.
Einmal traf ihn Stefan zufällig unter der alten Rathauslinde.
»Kannst du das eigentlich noch verantworten, Tobias? Bist du wirklich noch ein guter Bürgermeister? Jeder weiß, wann er verspielt hat - und ich glaub, die Dörfler werden dir deinen Holzkopf niemals verzeihen. Bei den nächsten Wahlen werden sie dir schon sagen, wie sie dazu stehen. Wenn du sie jetzt auch noch einschüchtern kannst, mich kannst du es nicht. Und du siehst, ich brauche deine Hilfe nicht.«
Er war weiß geworden. Haflinger war vom Ehrgeiz gepackt und wollte möglichst auch noch in den Landrat und dann weiter. Als Bauer auf seinem Grund und Boden, damit hatte er nicht viel im Sinn. Mochte sich die Frau darum kümmern. Er wollte es dem Stefan zeigen, wie klug er auch ohne Schulbildung war. Und nun drohte ihm dieser verhasste Gegner auch noch mit den Wahlen, die schon im nächsten Jahr stattfanden. Wenn er die nicht gewann, war er seinen Posten los und eine Karriere als Politiker auch dahin.
Stefan ließ ihn einfach stehen und ging davon. Aber Haftlinger hatte noch ziemlich lange daran zu nagen.