Читать книгу Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 17

10

Оглавление

Am nächsten Morgen fuhr der Wagen wieder davon. Schwester Ursula sollte noch sehr oft kommen. Immer brachte sie dann einen kleinen, unglücklichen Patienten.

Christiane war dabei, als Stefan die Verbände von Wolfgangs Kopf nahm. Als sie in das fürchterlich zugerichtete Gesicht des Kindes sah, spürte sie, wie ihr Herz für Sekunden stillstand. Erst jetzt konnte sie ermessen, wie groß und edel ihr Bruder war. Ja, dachte sie in dieser Sekunde, diesen Kindern muss man selbstlos helfen.

»Onkel Stefan«, stammelte der Knabe, »kannst du mir helfen? Ich, ich ...« Sein Weinen stand zitternd im Raum. Die drei Erwachsenen sahen sich nicht an.

Stefan fühlte eine kalte Hand um sein Herz. Dieses Gesicht würde die größte Aufgabe seines Lebens werden.

Wolfgang umklammerte die Hand des Freundes.

»Ich werde nie mehr rauskönnen«, schluchzte er. »Ich hab mich gesehen, ich ...« Wieder weinte er und warf sich herum. »Ich will tot sein, ich will tot sein!«

»Junge ... Bub«, sagte Stefan mit brechender Stimme. »Hab Vertrauen! So hab doch Vertrauen! Wir tun alles.«

Das Kind sah ihn an - so tief war dieser Blick.

»Onkel Stefan«, flüsterte es. »Du wirst mich nie belügen, nicht wahr?«

Stefan kämpfte mit sich. Nur einen Augenblick, dann sagte er gefasst: »Nein, mein Junge.«

»Du erschreckst auch nicht vor mir?«

»Nein, Wolfgang.«

Man brachte ihn in sein Zimmer zurück. Die Fenster sahen alle zum Wilden Kaiser hinauf. Die schroffen, steilen Berge standen vor ihm, und die Almen unterhalb der Felsen konnte man mit bloßem Auge erkennen. Der Junge sah die Berge, darüber den blauen Himmel, und dann sagte er mit weher Stimme: »Einmal hast mir versprochen, mich mit in die Berge zu nehmen. Du wolltest mit mir klettern. Grad so hast mir die Berge geschildert, Onkel Stefan. Aber jetzt werd ich nie und nimmer hinkönnen. Oh, oh ...«

Stefan stand am Bett. Auch sein Herz blutete. »Annelie«, schrie er immerfort. »Annelie, oh, Annelie!« Damals, als er noch glücklich gewesen war, als Annelie ihm noch gehört hatte, hatte Wolfgang auch zum Glück gehört. O ja, er konnte sich gut daran erinnern. Damals hatte er dem Jungen in der Tat die Klettertour versprochen. Und jetzt?

Stefan wusste: Mit diesem Gesicht konnte er sich nirgends sehen lassen. Und in dieser Sekunde schwor er sich: Und wenn ich alles opfern müsste, mein Gott, und wenn ich schuften müsste mein Lebtag für nichts, er soll wieder menschlich werden. Wolfgang soll eines Tages wieder wie andere Buben auf der Straße herumtollen dürfen.

Ganz vorsichtig strich er ihm über die wirren, blonden Wuschelhaare. Im Geist sah er das Gesicht von früher. Dieses pfiffige, kluge Kerlchen mit den Grübchen und den lachenden blauen Augen war Annelie so ähnlich. Er biss die Zähne zusammen.

»Wolfgang«, sagte er mit fester Stimme. »Wolfgang, ich schwöre dir, hier und jetzt: Eines Tages werden wir zwei in den Wilden Kaiser einsteigen, das versprecht ich dir. Wir werden mit kleinen Bergen anfangen, aber eines Tages ...«

Voll Vertrauen hingen die Kinderaugen an den seinen, und der Knabe wusste, er konnte sich auf den großen Freund verlassen.

»Ja«, sagte er leise und blickte mit brennenden Augen auf das wundervolle Panorama. »Ich will sie mir anschauen, immerzu und mich darauf freuen, Onkel Stefan.«

Dieser Satz sollte für ihn von großer Bedeutung sein. In seinen tiefsten und schwärzesten Stunden, wenn alle glaubten, nun würde das Kind zerbrechen, da war es gelassen und friedlich. Tag für Tag hatte es diese Berge vor Augen, und Stefan hatte ihm ja versprochen, kein Datum gesetzt, sondern gesagt: »Eines Tages«, diese zwei Wörter waren wie ein Gesetz, »eines Tages ...«

Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane

Подняться наверх