Читать книгу Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 24

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Am nächsten Tag stand ein großer Bericht in der Zeitung, über den Prinzen, seine Lieblingstochter, über die Klinik und Stefan. Jetzt war er mit einem Schlage berühmt. Der Professor hatte da seine Hand im Spiel, und er war ihm so dankbar dafür. Nun konnte er sich vor Anmeldungen nicht mehr retten. Alle Leute, die Geld hatten, wollten jetzt ihre Kinder bei ihm unterbringen.

Haller fragte ihn: »Willst du nicht vergrößern? Dann können wir noch mehr Kinder aufnehmen.«

Einen Augenblick schwankte er, doch dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, ich habe versprochen, das Haus nie zu verändern. So sind wir wie eine kleine Familie. Dann wird alles nur unpersönlich und klinikmäßig. Ab jetzt bin ich in der Lage, nur die schwierigsten Fälle aufzunehmen. Ich brauche nicht mehr so sehr darauf zu achten, ob jemand Geld hat oder nicht. Kinder wie Lalivine und Wolfgang, die so verstümmelt sind, dass sie lange, lange in einer Klinik bleiben müssten - nur solche Kinder werde ich in Zukunft aufnehmen, Joachim.«

Lalivine lebte sich schnell ein, und sie sah ihn mit ihren großen pechschwarzen Augen vertrauensvoll an. Er würde sein ganzes Können für sie einsetzen. Er schwor: Ich werde nicht ruhen, bis ich sie wieder gesund gemacht habe.

Lalivine liebte Christiane abgöttisch. Ihr zuliebe lernte sie sogar Deutsch. Zuerst war die persönliche Dienerin eifersüchtig auf Christiane. Aber diese erklärte in ihrer lieben Art, dann habe sie doch auch Freizeit und könne sich ausruhen und erholen. Hier in der Klinik gäbe es keine Sklaven, sondern sie wären alle eine große Familie. Da lächelte die Frau mit den großen Samtaugen dankbar vor sich hin. Das hatte es in ihrem Leben noch nie gegeben, dass jemand auf sie Rücksicht nahm. In ihrem Lande galten die Frauen gar nichts - es sei, man war die Lieblingstochter eines Prinzen oder eines reichen Mannes.

Weihnachten stand vor der Tür. Franz und Christiane wie auch Stefan und Annelie wollten jetzt nicht mehr länger warten. Sie wollten eine Doppelhochzeit feiern. Später, im Hochsommer würde man auf der oberen Wiese, nahe bei »Haus Sonnenblick« ein zweites Haus bauen, für die beiden Ehepaare und einen Gästetrakt. Denn Elternpaare kamen oft von weither und blieben über ein langes Wochenende in den Bergen.

Die Dörfler von Scheffau fühlten allmählich, dass sie ihm Unrecht getan hatten.

Aber dann sollte sich noch etwas ereignen, womit niemand gerechnet hatte.

Alles hatte sich in der Natur dicke Schneemützen über die Ohren gezogen. Aber das kümmerte die Leute nicht, sie waren froh und glücklich. Vor dem Haus stand ein Pferdeschlitten. Gleich würde man hinunterfahren ins Dorf, in die kleine Kirche. Die Glocken bimmelten schon eine ganze Weile. Alle Kinder, die nicht bettlägerig waren, wurden dick eingemummelt und mitgenommen. Sie alle sollten zur Hochzeit ihres geliebten Doktors und dessen Schwester mitkommen. Sie trugen dicke Mützen und Schals, und man sah nicht viel von ihren Gesichtern. Als sie in die Kirche kamen, war die voll von Neugierigen. Alle Scheffauer waren gekommen - bis auf Tobias Haflinger. Als sie nun die Kinder erblickten, fühlten die Dörfler sich tief beschämt. Wie böse hatten sie von ihnen gesprochen. Und es waren doch alles nur Kinder, die außerdem so tapfer ihr schweres Los trugen. Wolfgang trug keinen Schal um sein Gesicht. Offen zeigte er es. Sie waren betroffen und entsetzt zugleich. Aber der Knabe war es nicht, er war stolz auf seine Fortschritte. Bald, bald würde er sich wieder frei bewegen können! Er würde lernen, und eines Tages würde er hier in der Klinik, an Stefans Seite anderen Kindern helfen.

Die Feier war anschließend oben in der Klinik. Der Professor war natürlich auch eingeladen. Es war wirklich sehr lustig und fidel.

Aber dann ... Es war am späten Nachmittag, die Sonne ging schon langsam hinter den Bergen unter, da kam ein Bote aus Scheffau. Er suchte Stefan, und als er ihn fand, übergab er ihm einen Zettel. Hastig las Stefan ihn. Er war von Dr. Berghöfer aus Söll geschrieben.

»Bitte, kommen Sie sofort, Herr Kollege. Ich brauche Sie dringend.«

Stefan sah den Burschen an.

»Wohin soll ich sofort kommen?«

»Zum Haflingerhaus. Dort ist der Doktor.«

Haller und der Professor kamen heraus.

»Was gibt es?«

»Ich muss sofort weg.«

»Was, auf deiner Hochzeit? Das geht nicht an, Stefan. Lass mich gehen, wenn es so dringend ist.«

»Danke, Joachim, aber man ruft ausdrücklich nach mir. Und ich bin bald zurück.«

Wenig später fuhr er mit dem Jungen den Berg hinunter. Als Arzt musste er jedem helfen, er hatte den Eid geschworen. Und da fragte man nicht nach Feindschaft und Zank. Stefan hatte nicht eine Minute gezögert.

Als er unten ankam, lag das Haus des Bürgermeisters wie ausgestorben da.

»Wer ist denn krank?«

Das wusste der Bursche nicht.

»Ich bin grad vorbeigekommen, und da hat der Doktor mir den Zettel in die Hand gedrückt und mir aufgetragen, so schnell wie der Teufel zu rennen. Mehr weiß ich nicht.«

Stefan gab ihm ein Trinkgeld, und der Junge bedankte sich freudig. Dann nahm er seinen Arztkoffer und betrat das Haus. Es war so still wie eine Gruft.

Als er an der Wohnstube vorbeiging, stand die Tür offen. Tobias saß am Tisch. Er war grau im Gesicht, wirkte eingefallen und sehr alt. Stefan hatte ihn seit dem Sommer nur immer aus der Ferne gesehen. Als Tobias sah, wer vor ihm stand, erhob er sich und sagte rau: »Was willst du denn hier?«

»Berghöfer hat mir eine Nachricht geschickt, ich soll sofort hierherkommen. Was ist denn passiert?«

»Hast du nicht heute Hochzeit?«

»Ja! Aber wenn man mich ruft, hat alles zurückzustehen.«

Tobias tat einen schweren Seufzer, dann sagte er: »Jetzt kannst ja triumphieren. Jetzt hast du gewonnen. Jetzt hast du alle Trümpfe in der Hand. Ich bin ein geschlagener Mann, ich bin fix und fertig.«

Bevor Stefan sich näher mit ihm befassen konnte, ging oben im Haus eine Tür auf. Der alte Arzt stand an der Treppe.

»Sind Sie da, Dr. Kaingruber?«

»Ja!«

»Bitte, kommen Sie sofort herauf. Ich brauche Sie hier oben, Stefan.«

Mit drei Sätzen nahm er die Treppe.

»Was ist denn geschehen? Ich weiß noch gar nichts!«

»Ich hab die Marianne vor gut einer Stunde entbunden. Doch kommen Sie mit, dann werden Sie mich verstehen. Ich danke dem Himmel, dass Sie in der Nähe sind.«

Sie betraten die Schlafstube. Die Wöchnerin lag zu Tode erschöpft und ausgelaugt in den Kissen. Ihre riesengroßen Augen starrten Stefan ängstlich an.

»Weiß der Tobias, dass Sie hier sind?«, flüsterte sie.

»Er hat mich gesehen, er ist in der Stube.«

Dann hörte er, wie sie leise und bitterlich zu schluchzen anfing. Dr. Berghöfer führte ihn in die Ecke, wo die Wiege stand, Die alte Nachbarin erhob sich und machte Platz.

»Es ist ein Knabe«, sagte Berghöfer.

Stefan sah das Kind an und schluckte. Nein, dachte er, das hab ich nicht gewollt, dass der Tobias so hart bestraft wird. Das doch nicht!

Das Kind hatte nicht nur eine Hasenscharte, sondern der obere Gaumen war völlig gespalten. Ein Geburtsfehler. Stefan wusste, dass das Kind aus eigener Kraft nichts zu sich nehmen konnte. Der Gaumen war nicht in der Lage, einen Schnuller zu halten oder daran zu saugen.

»Es muss sofort künstlich ernährt werden«, sagte Stefan leise.

»Ja, das hab ich mir auch schon gedacht ...«

»Ich werde das Kind sofort mit in die Klinik nehmen, Berghöfer. Ich bin zwar nicht für Säuglinge eingerichtet, aber ich werde Haller und Annelie sofort losschicken, alles zu besorgen. Sie können es mir unbesorgt anvertrauen. Ich erhalte es am Leben.«

Berghöfer wandte sich an die Nachbarin.

»Hast ja gehört, er will das Kind mitnehmen. Wickle es in viele Decken und schütz mir besonders den Kopf!«

Marianne schluchzte zum Steinerweichen. Stefan ging zu ihr, setzte sich auf den Bettrand, nahm ihre Hand und hielt sie fest.

»Hör zu, Marianne! Ich schwör dir, ich mach den kleinen Buben wieder in Ordnung. Das ist nicht so schlimm, wirklich nicht. Wenn er ein paar Wochen alt ist, dann fangen wir damit an, den Gaumen zu schließen. Früher war das eine schlimme Sache, aber heute nicht mehr. Und später schließen wir auch die Hasenscharte - so fein, dass nur ein kleiner Strich übrigbleibt. Und wenn er erst einmal groß ist, lässt er sich bestimmt einen Bart stehen, und dann sieht man gar nichts mehr.«

Er hatte ihr die schreckliche Angst genommen, und jetzt musste sie sogar lachen.

»Siehst du, Marianne, es ist wirklich nicht schlimm. Und sobald du dich besser fühlst, kannst du raufkommen und dich um den Kleinen kümmern. Aber in den Händen von Christiane und Annelie ist er gut aufgehoben, das schwöre ich dir.«

»Ich dank dir für alles, Stefan. Du bist so gut!«

Dann erhob er sich und nahm dem alten Arzt das Kind ab. So stieg er die Stufen hinunter. Die Nachbarin trug die Tasche. Berghöfer ging voran. Als sie an der Stube vorbeikamen, stürzte Tobias heraus und sah ihn mit wunden Augen an.

»Wo willst du mit dem Knaben hin?«

»In meine Klinik. Ich bring ihn wieder in Ordnung, Tobias. Er wird am Leben bleiben. Und ich hab deiner Frau versprochen, dass er noch mal ein ganz netter Bursche wird.«

Tobias sagte leise: »Warum tust du das, Stefan?«

»Weil ich Arzt bin, Tobias. Und weil ich mein Leben solchen Kindern geweiht habe - darum.«

Nun nahm die lustige Hochzeitsgesellschaft schnell ein Ende. Sofort musste man sich um das Neugeborene kümmern. Das kleine Dorf erfuhr natürlich sofort diese Neuigkeit und war wie gelähmt. Daran, dass mal eines ihrer Kinder in die Klinik müsste, hatten sie nie gedacht. Und schon gar nicht der störrisches Tobias. Jetzt war es sogar sein eigener kleiner Bub! Das war wirklich ein harter Schlag.

Aber Stefan trug ihm das nicht nach. Das Kind erhielt die gleiche Liebe und Fürsorge wie die anderen neunzehn Kinder. Als Marianne sich besser fühlte, kam sie jeden Tag in die Klinik. Stefan erlaubte ihr, soweit es möglich war, sich um ihr Kind zu kümmern. Nur konnte man ihm noch nicht die Flasche geben. Es wurde noch immer künstlich ernährt. Das kleine Lebewesen war noch zu schwach, dass es eine Operation und deren Narkose überlebt hätte.

»In zwei, drei Monaten sieht alles schon anders aus. Wenn wir erst einmal die Gaumenplatte geschlossen haben, dann kannst du den Kleinen wieder mit heimnehmen. Die anderen Korrekturen werden nach und nach gemacht.«

Auch Tobias kam jetzt regelmäßig, um seinen Buben besuchen. Er war jetzt ein ganz anderer Mensch geworden. Anfangs war er vor Stefan hingetreten und hatte Abbitte leisten wollen.

Stefan sagte nur: »Es ist schon gut. Du bist schon hart genug bestraft worden. Nun wollen wir nur hoffen, dass alles ein gutes Ende findet, Tobias.«

»Wenn du jetzt etwas willst, Stefan - ich steh für dich grad, darauf kannst dich verlassen.«

»Danke«, sagte Stefan.

Ja, jetzt kamen sie alle. Es war ja so bequem, einen Arzt im Ort zu haben. Und welches Dörfchen in den Bergen konnte schon behaupten: Bei uns wohnt eine echte Prinzessin. Die Araber mit ihren dunklen Augen und den merkwürdigen Gewändern verursachten großes Aufsehen. Nun konnten sich die Scheffauer wirklich über nichts mehr beklagen. Nun kamen auch die Fremden, und es wurden Zimmer vermietet. Jeder hatte so seine kleinen Nebeneinnahmen.

Stefan war mit der Zeit tatsächlich dazu gezwungen, so etwas wie einen Zaun zu schaffen, damit die Kinder nicht ständig belästigt wurden. Aber in der Hauptsache ging alles gut. Wenn nicht gerade Touristensaison war, dann gingen sie sogar in die kleine Dorfschule. Keines der Kinder oder der Dörfler starrte sie noch an.

Doktor Stefan Kaingruber konnte mit sich und seinem Werk zufrieden sein. Nun hatten sie auch keine Geldsorgen mehr. Er war mit Annelie glücklich, so wie Christiane das Glück mit Franz gefunden hatte. Aber es sollte noch ein Paar geben. Johannes, ihr Verwalter, hatte sich in Schwester Ursula verliebt, und im Frühjahr war schon wieder Hochzeit.

Nur Joachim Haller war noch Junggeselle. Er dachte im Augenblick auch gar nicht daran, dies zu ändern.

»Was wollt ihr denn? Ich hab doch alles - ja!«

Stefan und Wolfgang fanden tiefe Befriedigung darin, dass sie der kleinen Lalivine helfen konnten. Nach vier Operationen hatten sie die Stirn wieder gerichtet, und jetzt standen die Augen auch wieder gerade. Vieles musste noch getan werden, und noch sehr tapfer musste die Kleine sein. Aber sie ertrug alles lächelnd und gelassen.

Der Prinz kam jeden Monat, aber das meistens so heimlich, dass er schon wieder fort war, wenn die Dörfler es bemerkten. Er wusste nun seine Lieblingstochter in den besten Händen. Und bei jedem seiner Besuche überschüttete er den Arzt und die Angestellten des Hauses mit Geschenken. Dinge aus seinem Land, fremd und schön.

Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane

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