Читать книгу Schicksal, Tränen und doch das Glück: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 23
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ОглавлениеDrei Wochen nach der Verlobung war wieder ein Tag gekommen, an dem die Verbände von Wolfgangs Gesicht entfernt werden sollten. Wieder waren sie alle versammelt. Diesmal hatte man nur eine bange Hoffnung. Keiner sprach direkt davon, was sein würde, wenn es wieder nicht geklappt hatte. Stumm und verbissen stand Stefan neben dem Kind und arbeitete. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Der letzte Verband fiel in die Auffangschale, das erbarmungslose Licht zeigte alles. Sie hielten den Atem an, und dann schluchzte Annelie laut auf.
»Es ist geglückt«, stammelte sie. »Wolfgang, Wolfgang - es ist geglückt!«
»Wirklich?«, fragte der Knabe mit zitternder Stimme.
»Ja, schau! Sieh in den Spiegel! Oh, Wolfgang!« Sie umarmte ihn.
Stefan schaute Haller an. Sie lächelten ein wenig erschöpft, aber glücklich.
»Den Rest werden wir auch noch schaffen.«
»Ja«, sagte Stefan.
Alle beglückwünschten den Buben. Er konnte es noch immer nicht glauben. Jetzt sah sein Gesicht nicht mehr zum Fürchten aus. Nur noch die dicken Narben und Wülste waren da, aber Stefan hatte ihm versichert, dass es nicht so kompliziert wäre, die zu entfernen, wie eine ganz neue Nase zu schaffen. Man würde Hautlappen von den Schenkeln auf das Gesicht übertragen. Der Arzt hatte ihm das genau erklärt.
Dies war wieder ein Glückstag. Auch für die anderen Kinder war es ein kleines Fest, wussten sie doch jetzt, dass man auch ihnen helfen konnte.
Am Nachmittag erhielt Stefan ein Telegramm von Professor Sondberg.
»Bitte sofort nach Wien kommen. Dringend! Sondberg.«
Im »Haus Sonnenblick« rätselte man darüber, was der Professor wohl so dringend machte. Haller sagte: »Du musst reisen. Ich bin so lange auf dem Posten.«
»Die nächste Operation ist erst für Freitag angesetzt.«
»Die könnten wir auch verschieben.«
»Nein. Bis dahin bin ich wieder zurück, Joachim. Die kleine Sybille hat mein Wort.« So war Stefan. Dann ging er zu Fuß nach Scheffau. Die frische Schneeluft tat ihm gut. Unten in der kleinen Poststation sah man ihn verwirrt an. So sehr hatte er sie noch nie mit den Gegebenheiten konfrontiert. All die Zeit war er nur mit seinem Wagen durch Scheffau hindurchgefahren.
Kühl, gelassen stand er da und wartete, bis er an die Reihe kam. Dann füllte er schnell das Formular aus und sagte: »Bitte, geben Sie das auf.« Es standen nur die Worte dort: »Ankunft morgen, 16.45 Uhr.«
Als er das kleine Gebäude verlassen hatte, ging er zum Friedhof. Die Gräber lagen unter einer dicken Schneedecke. Er blieb vor ihnen stehen und sagte leise: »Ich hoffe, Vater, dass du jetzt mit mir einverstanden bist. Ich musste es einfach tun.“
Man beobachtete ihn verstohlen. Stefan hatte schon auf der Post die scheuen Blicke bemerkt, und das leichte Lächeln. Man wollte so gern wieder mit ihm anknüpfen. Er gab diese Blicke ruhig zurück, denn er war ihnen nie gram gewesen, obwohl es sehr wehgetan hatte.
Christiane hatte schon den kleinen Koffer gepackt. Und sie war es auch, die ihn zur Bahn nach Wörgl brachte. Von hier aus hatte er eine schnellere Verbindung nach Wien.
In Wien angekommen, stieg er aus dem Zug. Als er durch die Straßen ging, erwachten alte Erinnerungen. Hier hatte er so viele Jahre verbracht, aber jetzt war ihm alles fremd geworden. Die Berge hatten ihn zurückgewonnen. Dort war jetzt sein Herz, sein Denken und Fühlen! Nur dort würde er noch glücklich sein können.
Er zerbrach sich den Kopf, was der Professor wohl von ihm wollte. Umsonst hatte er ihn nicht kommen lassen. Etwas musste vorgefallen sein. Und zwar etwas Wichtiges.
In der Klinik angekommen, wurde er von allen Seiten herzlich begrüßt. Man fragte ihn, wie es ihm in den Bergen ginge, und ob er nicht wieder Sehnsucht nach Wien hätte.
»Scheffau ist meine Heimat«, sagte er lachend. »Und dort werde ich auch bleiben, so Gott es will.«
Dann wurde er gleich zum Professor vorgelassen. Dieser begrüßte ihn auch sehr herzlich.
»Ich danke Ihnen Stefan, dass Sie gleich gekommen sind.«
»Ich muss mich für meine kleinen Patienten bedanken, Herr Professor.«
»Was macht Wolfgang, das Sorgenkind?«
»Er hat eine neue Nase. Ein Fehlschlag, doch dann hatten wir es geschafft. Nun geht es aufwärts.«
»Das freut mich für Sie, Stefan. Ich wusste, dass Sie mein bester Schüler sind. Ihnen kann ich wirklich die schwierigsten Fälle anvertrauen.«
»Also haben Sie mich wegen eines Kindes gerufen?«
»Ja.«
Stefan sah aus dem Fenster. Noch mehr Belastung. Sie hatten doch eine ganz knappe Rechnung aufgemacht, um bis zur nächsten Ernte über die Runden zu kommen.
»Haben Sie noch ein Bett frei, Stefan?«
»Ja«, sagte er leise.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen erst einmal das kleine Mädchen. Diesmal ist es schwieriger - ein sehr schwerer Fall. Und dann ist da auch noch der Vater des Kindes, der Sie sprechen und Auskünfte haben will über Sie und Ihre Klinik. Er wird gleich wieder hier sein. Aber jetzt zeige ich Ihnen erst die Kleine.«
»Wie ist die Vorgeschichte? Herr Professor?«
»Ja, das ist wirklich ein schwerer Fall, Stefan. Wenn sie das Mädchen sehen, dann werden Sie mich verstehen.« Mit diesen Worten öffnete er die Krankenzimmertür. Es war ein Einzelzimmer, wie Stefan sofort bemerkte. Zögernd gingen sie näher.
»Kommen Sie ruhig, die Kleine schläft. Es ist im Augenblick das Beste für sie.«
Da lag nun das Kind, so winzig - höchstens fünf Jahre alt - still und reglos. Stefan hatte schon vieles in dieser Klinik gesehen, aber dieses Gesicht war einfach schrecklich. Nur noch ein Klumpen von wüsten Knochen und dicken, groben Narben, die teils auch noch offen waren. Die Stirn war tief eingedrückt, die Wangenknochen zerbrochen, die Nase verschwunden. Auch das Kinn war nicht mehr vorhanden. Sogar die Augen schienen nicht mehr in der gleichen Stellung zu sein.
»Oh, mein Gott!«, flüsterte Stefan und drehte sich langsam herum. Für den ersten Augenblick war das einfach zu viel.
»Das ist also die kleine Lalivine.«
»Wer hat das getan?«, stammelte Stefan.
Es kam auch vor, dass Kinder mit schrecklichen Verletzungen eingeliefert wurden, die die eigenen Eltern zugefügt hatten. Kindesmisshandlungen. Stefan konnte sich einfach nicht erklären, wie dieses kleine Mädchen sonst diese Wunden bekommen hatte. Dass sie überhaupt noch lebte, grenzte an ein Wunder.
Sondberg schien seine Gedanken zu erraten.
»Das Gehirn ist noch intakt, Stefan. Das haben wir gleich untersucht. Vor vierzehn Tagen ist es passiert. Die kleine Lalivine ist vom Pferd gestürzt, und das ist auf sie getreten. Jetzt können Sie sich entscheiden. Werden Sie es schaffen? Darf ich Sie Ihnen anvertrauen? Ich habe mit dem Vater gesprochen und von Ihnen erzählt. Deshalb musste ich Sie herbitten und konnte nicht wie üblich das Kind mit der Krankengeschichte einfach schicken.«
Stefan umklammerte das Bett. Ihn dauerte das Kind furchtbar; und er wusste, es würde unzählige Operationen bedürfen, um ihm wieder ein menschliches Gesicht zu geben. Vielleicht zwei Jahre würde das in Anspruch nehmen, von den vielen Kosten mal ganz abgesehen.
Stefan besaß den Mut dazu, aber wenn er nicht ja sagte, so lag das an seiner finanziellen Situation. Und damit der Professor ihn auch richtig verstand, erzählte er mit zuckenden Lippen, dass er jetzt schon ständig am Rande des Ruins dahinglitt.
»So gern ich sie mitnehmen würde, Herr Professor - ich kann es einfach nicht. Sie würde den Rahmen meiner kleinen Klinik sofort sprengen. Die steht noch nicht auf festen Füßen. Ich kann es um der anderen Kinder willen nicht tun. Ich müsste sehr bald die Klinik schließen.«
»Wieviel Geld brauchen Sie?«
Stefan lachte bitter auf.
»Wollen Sie es mir vorstrecken? Wenn ich sorgenfrei weiterarbeiten will, wenn ich tatsächlich dieses Kind retten soll, dann brauche ich schon eine halbe Million. Und die hat keiner für mich.«
»Doch«, sagte der Professor ruhig. »Doch, die hat einer. Und das ist auch ein Grund mehr, weshalb ich Sie kommen ließ, Stefan. Durch Haller weiß ich von Ihrer prekären Lage; und ich danke Ihnen, dass Sie so offen zu mir sind und mir das erzählt haben. Weil ich weiß, wie wichtig Ihre Klinik ist, möchte ich Ihnen helfen. Lalivine schickt der Himmel wenn man das überhaupt sagen darf. Dieses kleine Kind wird Sie retten, und darum müssen Sie wiederum das Kind retten.«
Stefan starrte ihn verständnislos an.
»Sie haben mich noch gar nicht nach dem Namen des Vaters gefragt, Stefan.«
»Wer ist er?«
»Es ist ein arabischer Prinz, Stefan. Er will jede Summe zahlen, wenn man seine Lieblingstochter wieder gesund macht. Sie hat einen ganzen Stab von Bediensteten bei sich, deswegen kann ich sie auch schon nicht hierlassen. Sie sehen, Sie bekommen auf der Stelle das Geld, wenn sie das kleine Mädchen mit in Ihre Klinik nehmen.«
»Ist das wirklich wahr?«
»Ja, Stefan. Ich habe alles schon abgemacht. - Ich höre, der Prinz kommt. Er spricht deutsch, und er möchte Sie kennenlernen.«
Wie betäubt ging er neben dem Professor über den Flur. Er sah den Prinzen und seine Begleitung. Worte schwirrten durch die Luft, Geldsummen, hohe Geldsummen. Zuerst die halbe Million und wenn sein kleines Mädchen tatsächlich gesund wurde, würde er noch eine Stiftung an die Klinik überweisen. Dann erhielt er den Auftrag, Lalivine gleich mitzunehmen. Der Prinz würde mitkommen und sehen, ob sie auch gut untergebracht war. Für das Kind war eine eigene Köchin, eine Pflegerin und ein Diener, der zugleich auch Bewacher war, im Gefolge. Sie alle würden bei der Kleinen bleiben, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnte.
Zum Schluss hörte Stefan ihn mit kehliger Stimme sagen: »Ich habe viel Vertrauen zu Ihnen, Herr Doktor. Deshalb bin ich auch gleich nach Deutschland gekommen. Machen Sie mein Kind wieder gesund?«
»Ich will es versuchen«, sagte der Arzt leise.
Alles ging so schnell. Kaum in Wien angekommen, saß er schon wieder in einem Krankenwagen, neben sich auf der Trage das Kind und Schwester Ursula. Sie wollte jetzt auch in der Klinik in den Bergen Dienst tun. Das Gefolge des Prinzen folgte ihm. So kamen sie denn am Nachmittag in Scheffau an. Da staunten die Dörfler nicht schlecht!
Der Prinz mietete sofort alle Zimmer beim Wirt. Dort würde das Gefolge - bis auf die Pflegerin des Kindes - wohnen, wenn sie keinen Dienst hatten. Er zahlte fürstlich - und das im Voraus. Der Wirt katzbuckelte vor dem Prinzen und vor Stefan. Er wusste gar nicht, was er sagen wollte.
Dann waren sie oben in der Klinik. Der Prinz wollte alles sehen und befand es für sehr gut. Immer wieder schaute er zum Berg und lächelte. Dann sah er die anderen Kinder mit den entstellten Gesichtern und wie fröhlich sie hier lebten. Und er sah auch, wie sehr sie den Doktor liebten.
»Ja«, sagte er und lächelte Stefan an, »der Professor hat recht: Hier ist meine kleine Lalivine gut aufgehoben. Hier wird sie lachen können, hier hat sie Freiheit und ist nicht so beengt wie in der Stadt. Machen Sie mein Kind gesund, Doktor! Ich flehe Sie an.«
»Ich will alles tun, was in meiner Macht steht«, sagte Stefan dankbar. Der Araber war ja der Retter seiner Klinik.
Seine Leute starrten ihn verblüfft an, und die alte Köchin machte ein erstauntes Gesicht, als sie die Fremde mit der seltsamen Stimme in der Küche sah und als sie hörte, dass diese nur für das kleine Mädchen kochen würde. Die Pflegerin würde im Zimmer von Lalivine schlafen. Wie eine Sklavin würde sie der kleinen Prinzessin dienen und immer für sie dasein.
Der Prinz sprach schnell in seiner Landessprache. Sie nickten alle und verbeugten sich immer wieder. Mit dem Fahrer blieb auch eine prachtvolle Limousine zurück.
»Ich werde jeden Monat nach Deutschland kommen und nach meinem kleinen Mädchen sehen.«
Als sie alle fort waren, kam Stefan endlich zur Besinnung. Sie saßen unten im Wohnzimmer beisammen, und er berichtete ihnen, wie das alles geschehen war.
Christiane sagte leise: »Ach, ich habe es ja gewusst. Jetzt hast du alle Schwierigkeiten überstanden. Wir sind sehr glücklich! Jetzt können wir weitermachen, wie wir es uns immer gewünscht haben.«
Wenig später verließ sie mit Dr. Haller das Zimmer. Sie wollten noch einmal einen Rundgang machen. Stefan und Annelie blieben zurück.
»Jetzt kann ich dir dein Geld schon wieder zurückgeben, Annelie!«
Sie machte ein trauriges Gesicht.
»Ich war so glücklich, dass ich dir helfen konnte. Und jetzt brauchst du mich nicht mehr!«
Er erhob sich, ging auf sie zu und nahm sie in seine Arme. Er hob ihren Kopf und schaute sie strahlend an.
»Ja, begreifst du denn nichts, Annelie?«
»Was?«, fragte sie zitternd.
»Jetzt kann ich dich fragen, Annelie! Ich habe keine Sorgen mehr, ich bin frei von Kümmernissen. Ich kann dich jetzt und hier fragen – o, Annelie, willst du meine Frau werden?«
Da ging ein Strahlen über ihr blasses Gesicht.
»Oh, Stefan, Stefan ...«
Er küsste sie leidenschaftlich.
»Diesmal halte ich dich für den Rest des Lebens fest. Jetzt kannst du mir nicht mehr entwischen. Nie mehr, Annelie. Sag, willst du mich überhaupt, Liebste?«
»Ja«, sagte sie, »ja, ich will dich, Stefan. Ich hätte dich auch genommen mit all deinen Sorgen und Kümmernissen.«
»Ich weiß«, sagte er zärtlich. »Aber ich konnte es einfach nicht.«
»Du bist so selbstlos.«