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Als Jochen Schreiber den Operationsraum betrat, warf er unwillkürlich einen Blick auf die große Uhr an der Stirnseite des Saales. Die schweren schwarzen Zeiger zeigten auf sieben Uhr siebzehn.

Dr. Gebhardt hatte den Patienten bereits zur Operation vorbereitet. Das Operationsfeld war mit sterilen Tüchern abgedeckt. Als Dr. Schreiber an den Tisch trat nahm die Schwester die Tücher vorsichtig mit der Zange hoch, legte das Operationsfeld frei.

Jochen Schreiber warf einen prüfenden Blick in die Runde. Der Narkotiseur sah ihn beruhigend an.

„Wir können“, murmelte er.

Ohne sich umzudrehen streckte der Oberarzt die Rechte aus. Die Instrumentenschwester drückte ihm das scharfe Skalpell in die Hand. Die Operation konnte beginnen.

Sicher und gekonnt führte der junge Chirurg den Schnitt unterhalb der Rippen durch. Die Haut klaffte auseinander, der Assistent beugte sich vor, tupfte das erste Blut fort.

Jochen Schreibers Gedanken konzentrierten sich auf die Operation. Alle Unsicherheit, alle Zweifel waren von ihm abgefallen. Er hatte den Kampf aufgenommen, nun wollte er ihn auch zu Ende führen.

Zentimeter um Zentimeter arbeitete er sich vor. Seine Hand war ruhig und sicher. Mit eiskalter Ruhe, so, als ob ihm alle Zeit der Welt zur Verfügung stünde, legte er die verletzte Milz frei.

„Eingriff abbrechen“, riss ihn die Stimme von Dr. Gebhardt hoch. „Kreislaufkollaps!“

Tödlicher Schrecken durchfuhr den jungen Arzt. Sofort zog er seine Hände zurück. Fragend sah er den Narkotiseur an.

Gebhardt bemühte sich verzweifelt um den Patienten. Seine Assistentin hatte ohne viel zu fragen die Herzspritze bereits aufgezogen. Der Arzt hob die Spritze gegen das Licht. In einem hellen Bogen spritzte die glasklare Flüssigkeit durch die Luft. Dann senkte sich die Nadel in die Vene des Kranken. Es war noch keine Minute seit dem Alarmruf vergangen.

„Puls schwach“, sagte Dr. Gebhardt. „Unregelmäßig, kaum noch zu spüren. Flatternd.“

Jochen Schreiber schaute auf die große Uhr.

Sieben Uhr dreißig.

Die Minuten schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen.

Der Zustand des Patienten verschlechterte sich zusehends. Jochen Schreiber drehte der Instrumentenschwester sein Gesicht zu. Sie lupfte ihm den Schweiß von der Stirn.

Sieben Uhr sechsunddreißig.

Dr. Gebhardt griff zur Sauerstoffflasche, öffnete das Ventil, drehte für einen Augenblick das Lachgas-Äthergemisch ab. Der kleine Sack am Kopfende der Sauerstoffflasche bewegte sich kaum.

„Puls sechsunddreißig“, kam seine ruhige Stimme.

„Wir müssen abbrechen“, flüsterte der erste Assistent Jochen zu.

Der Oberarzt winkte nur unwirsch ab. Wie gebannt starrte er auf den Narkotiseur.

„Puls achtundvierzig“, sagte Dr. Gebhardt in diesem Augenblick.

Man spürte förmlich, wie das Operationsteam aufatmete.

„Puls wird stärker, jetzt zweiundsiebzig“, ließ sich Dr. Gebhardt wieder vernehmen. Der Pilotballon am Narkosegerät blähte sich wieder regelmäßiger auf, fiel zusammen, blähte sich auf …

Ein! Aus! Ein! Aus!

Der Patient atmete wieder normal.

„Puls normal, Atmung normal, wenn auch noch flach“, meldete sich Dr. Gebhardt.

Jochen Schreiber nickte seinen Helfern zu.

„Weiter“, murmelte er unter seiner Gesichtsmaske.

Seine sensiblen Hände tasteten sich durch das zerquetschte und zerrissene Gewebe. Endlich hatte er es geschafft. Die Milz lag vor ihm. Vorsichtig band er die Gefäße ab, begann im weichen Fleisch des Organs mit der schwersten Aufgabe. Die Blutung war kaum zu stillen. Was immer er auch versuchte, es schien sinnlos. Zu seinen Füßen häuften sich die blutgetränkten Tupfer, zu sehen war nichts mehr. Jetzt kam es nur auf die Geschicklichkeit seiner Hände an.

„Puls zweiundvierzig“, rief in diesem Moment Dr. Gebhardt.

Jochen Schreibers Kopf fuhr herum. Er sagte kein Wort, rührte sich nicht von der Stelle. Seine Lippen waren nur noch ein Strich.

Er darf nicht sterben, hämmerte es in seinem Gehirn. Er darf nicht sterben … Tief atmete er ein.

„Puls kaum noch zu fühlen“, meldete der Narkotiseur.

Die schwarzen Zeiger rückten unerbittlich vor. Ihre eiskalte Logik schien den Patienten zu zermalmen.

Dr. Gebhardt hatte wieder herzstärkende Mittel gespritzt. Seine Hände arbeiteten ruhig und geschickt. Dann warf er Jochen einen beruhigenden Blick zu. Fast unmerklich nickte er mit dem Kopf.

Jochen fuhr in seiner Arbeit fort. Endlich gelang es ihm, die Blutungen zu stillen, die verletzte Milz zu operieren.

Totenstill war es im Raum. Keiner schien zu atmen. Bis Jochen sich aufrichtete. Seine Augen leuchteten.

„Wir können schließen“, sagte er nur. Ein dankbarer Blick traf Dr. Gebhardt.

Was jetzt kam, war nur noch Routine, tägliche Arbeit für einen erfahrenen Chirurgen.

Jochen hatte das Gefühl, keinen trockenen Faden mehr am Körper zu haben, als er endlich vom Tisch zurücktreten konnte, während die Schwester die große Operationswunde mit Mull zudeckte und dann zuklebte.

Erschöpft wandte er sich all und ging zur Tür. Er hatte die Klinke schon in der Hand, als ein Alarmruf des Narkotiseurs ihn zurückrief.

„Kollaps!“

Jochen Schreiber raste zurück. Er beugte sich über den jungen Mann, zog ein Augenlid hoch.

„Puls klein und jagend“, informierte ihn Dr. Gebhardt.

„Stauungspupille“, murmelte Jochen Schreiber vor sich hin. „Darum der Kollaps.“

Er wandte sich um, sah seine Mitarbeiter ernst an.

„Trepanation!“

Seine Stimme klang hart und fordernd.

Den Schwestern und Ärzten stockte der Atem. Dann begannen sie mit der Arbeit. Die Operationsschwester huschte hinaus, war fast augenblicklich zurück, begann dem jungen Mann den Kopf zu rasieren. Dann rieb sie den Schädel mit Alkohol ab.

Ohne nur eine Sekunde zu zögern, setzte Dr. Schreiber das Skalpell an, durchschnitt die Schädelhaut. Die Operationsschwester reichte ihm die Knochenfräse. Kaum hatte der Oberarzt die Schädeldecke geöffnet, als auch schon das Blut herausspritzte.

„Tupfer!“

„Unterbindungen!“

Die Schwester reichte ihm die Fäden. Minuten später war die Blutung zum Stehen gebracht.

Jochen Schreiber sah Dr. Gebhardt fragend an.

„Puls?“

„Wird langsamer“, kam die ruhige Antwort „Füllt sich auf.“

Ein Aufatmen ging durch den Raum. Jochen Schreiber warf einen Blick auf die große Uhr.

Acht Uhr dreiundfünfzig.

Gut anderthalb Stunden waren vergangen. Mit einem Aufseufzen riss er sich den Mundschutz ab.

„Kochsalzlösung, Schwester“, befahl er kurz. Noch einmal warf er einen Blick auf den jungen Mann. Langsam bekam das bleiche durchscheinende Gesicht wieder Farbe. Dann wandte er sich ab und verließ den Operationssaal.

Verwundert schaute er durch das hohe Fenster in den weiten Park. Draußen war es dunkel. Die Nacht war hereingebrochen.

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