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Die Villa von Professor Winter lag weit vor den Toren der Stadt. Mitten in einem Park aller Bäume, umgeben von leuchtend grünem Rasen, war es das ruhige Refugium, das der berühmte Chirurg benötigte, um sich von der Unrast und schweren Verantwortung seines Berufes zu erholen.

Die hohen Buchen warfen lange Schatten auf die weiten Rasenflächen. Rot und glühend leuchteten die Rosen im letzten Licht der Abendsonne auf.

Professor Winter schien nichts von der Pracht, die sich vor seinem Fenster entfaltete, zu sehen. Mit großen Schritten durchmaß er immer wieder sein Zimmer. Die schweren Teppiche verschluckten jeden Laut. Seine Frau hatte sich vor dem Kamin niedergelassen und schaute ihn aus großen Augen spöttisch an.

„Ich versteh dich nicht, Richard“, sagte sie mit ihrer aufreizend hellen Stimme. „Lass den Jungen doch. Er ist so jung. Warum sollte er nicht das Leben genießen.“

Professor Winter blieb vor ihr steilen. Sein weißes volles Haar bedeckte seine hohe Stirn, seine dunklen Augen blitzten ärgerlich.

„Das Leben genießen“, knurrte er. „Wenn ich das schon höre. Eine billige Ausrede ist das für Nichtstun und Faulenzern.“ Seine feingliedrigen Hände fuhren mit einer unwirschen Gebärde durch die Luft. „Ich sage dir nur eins, Mathilde. Jetzt ist endgültig Schluss. Entweder kommt mein Herr Sohn zur Besinnung, oder ich bin gezwungen, andere Saiten aufzuziehen.“

Mathilde Winter spielte nachdenklich mit ihrer Perlenkette. Fast war sie die ständigen Streitereien mit ihrem Mann wegen Jürgen leid. Es gab sogar Augenblicke, in denen sie Richard heimlich recht gab. Aber sobald dann Jürgen auftauchte, sie aus seinen schwarzen Augen ansah, die sie so sehr an den jungen Richard Winter, den Studenten der Medizin erinnerten, dann verschwanden ihre Bedenken, dann erklärte sie sich wieder bereit, für ihn bei seinem Vater zu bitten.

Leichtfüßig sprang sie auf und legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm.

„Bitte, Richard“, sagte sie leise. „Du tust Jürgen unrecht. Er ist kein Ludrian. Er ist nur jung. Lassen wir ihm doch die Unbeschwertheit der Jugend. Die Sorge des Alltags wird noch früh genug an ihn herangetragen werden.“

Halb versöhnt schaute Richard Winter auf seine Frau. Er konnte ihr einfach nichts abschlagen.

„Wenn ich dich manchmal höre, dann habe ich den Eindruck, ich müsste wohl ein Rabenvater sein“, protestierte er. „Dabei meine ich es doch nur gut mit dem Jungen.“ Wieder begann ihn der Ärger zu übermannen. „Und dann macht er das.“ Er nahm das Blatt vom kleinen Rauchtisch und schwenkte es vor ihrem Gesicht. „Nur weil er der Sohn von Professor Winter ist, hat man ihn nicht von der Universität entfernt.“ Er stöhnte auf und ließ sich schwer in einen der Ledersessel fallen. „Wenn ich mir das vorstelle: mein Sohn relegiert. Es ist nicht zu fassen.“

Beruhigend strich ihm Mathilde Winter durchs Haar. Die Erregung ihres Mannes war ihr nur zu verständlich. Sie selbst war zu Tode erschrocken, als der Brief heute morgen ins Haus geflattert war. Der Dekan der medizinischen Fakultät hatte ihn an seinen verehrten Freund und Kollegen geschrieben. Aber der warnende Unterton war nicht zu überhören.

„Es wird schon alles gut werden, Richard“, sagte sie leise. All ihre Liebe schien aus den wenigen Worten zu klingen. „Glaub es mir. Jürgen wird zur Besinnung kommen.“

Richard Winter griff nach ihren Händen wie nach einem Rettungsanker.

„Ich hoffe es, Thilda“, kam seine Stimme fast unhörbar. „Ich hab den Bengel nämlich auch sehr lieb.“ Dann richtete er sich auf und sah seine Frau spitzbübisch lächelnd an. „Und jetzt wollen wir die leidige Angelegenheit vergessen. Ich habe nämlich eine Überraschung für dich.“

Mathilde Winter sah ihren Mann fragend an.

„Für mich?“

Übermütig beugte er sich vor und gab ihr einen schnellen Kuss auf die Stirn.

„Das wirst du nie erraten, meine Liebe“, sagte er. „Wir beide gehen heute Abend groß aus.“

„Du meinst …“

Er nickte.

„Ich bin es leid, ständig Sklave meiner Arbeit zu sein“, sagte er. „Heute Abend will ich weder an die Klinik noch an Jürgen denken. Dieser Abend gehört nur uns.“ Seine Augen sahen seine Frau zärtlich an. „Wie in alten Zeiten, mein Lieb. Und niemand darf uns stören.“

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, Professor Winter sah seine Frau hilfeflehend an.

„Wenn ich mir schon mal etwas vornehme“, stöhnte er auf. Schon wollte er aufstehen, als Mathilde Winter ihn zurückhielt.

„Lass mich das nur machen, Richard“, sagte sie schelmisch und lächelte ihm zu. „Ich denke nicht daran, jetzt aufzugeben. Versprochen ist versprochen.“

Vor der Tür stand die alte Haushälterin.

„Da ist ein Anruf von der Klinik. Frau Professor“, sagte sie in ihrem breiten pommerschen Dialekt. „Der Herr Professor soll gleich rüberkommen.“

Mathilde Winters schüttelte lächelnd den Kopf.

„Dann bestellen Sie der Oberschwester einen schönen Gruß, Anna, und sagen Sie ihr, der Herr Professor ist nicht da. Und Sie wissen auch nicht, wo er hin ist.“

Die alte Haushälterin starrte ihre Herrin mit offenem Mund an.

„Aber das kann ich doch nicht sagen, Frau Professor“, stammelte sie. „Wo doch der Herr Professor …“

„Tun Sie nur, was meine Frau Ihnen gesagt hat, Anna“, mischte sich nun der Professor ein. Er war seiner Frau gefolgt und stand in der weit geöffneten Tür. „Dr. Schreiber ist in der Klinik. Die können auch mal ohne mich fertig werden.“

„Wenn Sie meinen, Herr Professor“, murmelte die alte Frau und schlurfte davon.

„Anna ist mit meinen Plänen aber gar nicht einverstanden“, meinte der Professor lachend.

„Hauptsache, ich bin es“, antwortete Mathilde Winter, hakte sich bei ihm ein und verließ glückstrahlend die weite Halle.

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