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Mit heulenden Sirenen und zuckendem Blaulicht jagte der Krankenwagen den gewundenen Weg zum Elisabeth-Krankenhaus herauf. Einige verspätete Besucher sprangen erschreckt zur Seite, starrten aus großen Augen dem Ambulanzwagen nach.

Vor der Unfallstation warteten bereits die Krankenwärter. Ein dringender Telefonanruf hatte sie alarmiert. Alles war bereit.

Oberschwester Maria aber verzweifelte. Seit fast einer Viertelstunde versuchte sie vergebens den Chef, Professor Winter, zu erreichen. Wo immer sie auch anrief, der Professor war nicht aufzutreiben.

Fragend sah sie Dr. Schreiber an.

„Was machen wir nun?“, fragte sie unglücklich. „Ich kann den Chef nicht finden.“

Der Oberarzt runzelte nachdenklich die Stirn.

„Ich werde mir den Patienten zunächst einmal ansehen“, entschied er dann. „Danach können wir weitersehen.“ Er wandte sich zum Gehen. Vorher lächelte er die grauhaarige Schwester tröstend an. „Versuchen Sie es in der Zwischenzeit weiter, Schwester Maria“, meinte er. „Vielleicht haben Sie doch Glück.“

Mit langen Schritten eilte er durch die weite Halle. Sein weißer Mantel wehte hinter ihm her. An der Treppe waren einige junge Lehrschwestern stehengeblieben und schauten dem hochgewachsenen Oberarzt bewundernd

nach. Der Stellvertreter des Chefs war ein gut aussehender Mann. Über einer hohen, klaren Stirn lockte sich das helle Haar. Die klaren blauen Augen schauten gütig und offen jeden an. Der edel geformte Mund verriet, dass Dr. Schreiber zu den Männern zählte, die gerne herzlich lachen.

„Ein toller Mann, dieser Dr. Schreiber“, flüsterte eines der jungen Dinger hingerissen und schaute dem Arzt aus schwärmerischen Augen nach.

Eine klare Stimme hinter ihr riss sie jäh aus ihren Jungmädchenträumen.

„Stehen Sie hier nicht rum und schwatzen, Schwester“, sagte Oberschwester Maria hart. „Kümmern Sie sich lieber um die Kranken.“

Die Lehrschwestern wurden über und über rot. Verlegen knicksten sie vor ihrer Vorgesetzten und machten, dass sie fortkamen.

Den Schwerverletzten hatte man inzwischen in den Operationssaal geschafft.

Der Unfallarzt, Dr. Lehmkühler, hatte sich schon um ihn gekümmert. Besorgt sah er den Oberarzt an, als dieser den Vorraum betrat.

„Es sieht nicht gut aus, Herr Kollege“, murmelte er. Tief beugte er sich über das Waschbecken. Es hatte für einen Augenblick den Anschein, als ob er sich scheue, seinen Kollegen anzusehen.

„Autounfall?“, fragte Jochen Schreiber kurz.

Der Unfallarzt nickte.

„Der junge Mann ist frontal gegen eine Laterne gefahren“, berichtete er knapp. „Gott sei Dank haben Passanten den Unfall gesehen und sofort die Polizei benachrichtigt.“

Dr. Schreiber begann sich nun ebenfalls mit äußerster Sorgfalt die Hände zu waschen.

„Äußere Verletzungen?“

Seine Fragen kamen knapp. Hier gab es keine Zeit mit unnötigen Worten zu verlieren, das Leben des Patienten hing an einem seidenen Faden, hier kam es auf jede Sekunde an.

„Kaum“, kam die präzise Antwort des jungen Unfallarztes. „Einige Schnittwunden im Gesicht und an den Händen. Die Glassplitter habe ich bereits entfernt. Außerdem deutlich sichtbare Anzeichen einer schweren Gehirnerschütterung, erkennbar an den deutlich verzögerten und gestörten zerebralen Reaktionen. Trübung der Pupille. Die inneren Blutungen scheinen erheblich.“ Er sah hoch. Seine Augen schienen hinter den dicken Brillengläsern unnatürlich vergrößert. „Ich befürchte Milzriss!“

Schwer hing das Wort im Raum. Jeder der hier Anwesenden wusste, was diese Diagnose bedeutete. Es konnte das Todesurteil für den jungen Menschen sein, der nebenan auf seiner Bahre lag.

Jochen Schreiber hatte ebenfalls erschreckt aufgesehen. Für einen winzigen Augenblick drohte ihn Panik zu überschwemmen. Und der Professor ist nicht aufzutreiben, schoss es ihm durch den Kopf. Ich werde operieren müssen. Dann aber hatte er sich wieder gefangen. Er war wieder der kühle, verantwortungsbewusste Arzt. Prüfend sah er den jungen Unfallarzt an.

„Sind Sie sicher, Dr. Lehmkühler?“, erkundigte er sich.

Der Unfallarzt zuckte mit den Schultern.

„So sicher ich bei einer ersten oberflächlichen Untersuchung sein kann“, gab er zu. „Aber alle äußeren Anzeichen deuten darauf hin.“

Jochen Schreiber richtete sich auf. Mit raschen und energischen Bewegungen begann er sich abzutrocknen.

„Ich werde mir den Patienten selbst anschauen“, entschied er. Dabei ging er schon auf die weiten Schwingtüren des Operationsraumes zu. Achtlos warf er einer der Schwestern das nutzlose Handtuch zu. „Erkundigen Sie sich, ob der Professor inzwischen eingetroffen ist, Schwester“, befahl er.

Das gleißende Licht der Operationslampen blendete ihn einen Augenblick. Er kniff die Augen zusammen, verharrte an der Bahre einen Moment, dann beugte er sich über den still daliegenden Menschen.

Kalkig weiß war das Gesicht des jungen Mannes. Das fast nachtschwarze Haar hing ihm blutverklebt in die Stirn. Glassplitter hatten sein Gesicht gezeichnet, aus seinem rechten Mundwinkel tropfte Blut.

Es war totenstill. Nur das Surren des Scheinwerfers und das gleichmäßige Summen des Sterilisators unterbrach die Stille. Alle schauten gebannt auf den hochgewachsenen Oberarzt, der sich tief über den Verletzten beugte und ihn sorgfältig untersuchte. Endlich richtete sich Jochen Schreiber auf. Seine Augen blickten ernst.

„Sie hatten recht, Kollege Lehmkühler“, sagte er langsam. „Milzriss. Wir müssen sofort operieren.“

Es war, als ob ein Aufatmen durch das Operationsteam ginge. So schwerwiegend die Diagnose auch war, zumindest war eine Entscheidung gefallen, man stand nicht mehr hilflos da.

„Werden Sie selbst operieren?“, meldete sich aus dem Hintergrund Dr. Gebhardt, der Narkotiseur.

Jochen Schreiber sah ihn an.

„Bereiten Sie alles für die Operation vor“, befahl er. „Sollte der Professor früh genug eintreffen, werde ich nur assistieren. Sonst rufen Sie Dr. Kern. Er soll mein Assistent sein.“

Die Operationsschwester nickte. Schnell hatte sie ihre Anweisungen gegeben. Die Maschinerie des Krankenhauses begann zu spielen.

Jochen Schreiber verließ mit großen Schritten den OP. Bernd Lehmkühler folgte ihm. Im kleinen Vorraum sah er den Oberarzt aus grollen Augen an.

„Sie nehmen ein großes Risiko auf sich, Herr Kollege“, sagte er leise. „Sie wissen doch, die Chancen für den armen Kerl da draußen stehen eins zu tausend.“

Jochen Schreiber biss sich auf die Lippen. Innerlich musste er Dr. Lehmkühler recht geben. Es war tatsächlich ein Wagnis. Noch nie hatte er allein eine solche Operation vorgenommen. Seit einem Jahr war er nun Oberarzt an der Klinik von Professor Winter. Ein Jahr lang hatte er alle Routinearbeiten durchgeführt. Aber die wirklich großen Operationen hatte der Professor immer alleine gemacht. Er hatte ihm zwar zuschauen dürfen, aber reichte das in einem solchen Falle aus?

War es nicht doch besser, wenn er wartete? Seine Karriere stand auf dem Spiel. Nur eine Winzigkeit, eine kleine Unsicherheit, der geringste Kunstfehler, und er konnte seinen Beruf aufgeben. Dann aber siegte sein ärztliches Gewissen.

„Ich muss einfach“, sagte er leise. „Verstehen Sie, ich muss.“ Seine blauen Augen schienen in unendliche Fernen zu sehen. „Hier stellt sich für mich nur eine Frage. Der Kranke. Er braucht unsere Hilfe. Von unserem Können hängt es ab, ob er die nächsten Tage überleben wird. Ich darf jetzt nicht kneifen.“

Bernd Lehmkühler nickte.

„Sie haben recht, Dr. Schreiber“, sagte er ruhig. „Verzeihen Sie meine Frage.“ Er reichte dem Oberarzt die Hand. „Ich muss zurück auf meine Station. Alles Gute und viel Glück.“ Fest drückten sich die Männer die Hände.

Ein Lächeln flog um Jochen Schreibers Mund.

„Glück?“ Er schien erleichtert. Die Tatsache, dass er sich entschieden hatte, hatte ihn befreit. „Das werde ich brauchen können. Drücken Sie mir die Daumen.“

Dann beugte er sich über das breite Waschbecken. Eifrig begann er sich wieder die Hände zu waschen.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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