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Die nächsten Wochen gingen schnell dahin. Der Professor hatte Jochen von fast allen Pflichten in der Klinik entbunden. Tag und Tag hockte der Oberarzt zusammen mit Jürgen Winter hinter seinen Aufzeichnungen. Sie spürten nicht, wie die Stunden dahinrasten.

Müde strich sich Jochen über die rotgeränderten Augen. Die kleine Lampe auf seinem Schreibtisch warf nur einen kleinen leuchtenden Kreis. Sonst lag das Zimmer völlig im Dunkeln. Durch die Türritze fiel ein schmaler Lichtstreif auf den Teppich.

Um Jochens Lippen flog ein amüsiertes Lächeln. Der Junge ist fast noch ehrgeiziger als ich, dachte er. Dann stand er auf, reckte sich und gähnte herzhaft.

Als er die Tür zu dem kleinen Labor öffnete, hob Jürgen Winter nicht einmal den Kopf. Er hockte vor dem großen Elektronenmikroskop, beide Augen fest aufs Okular gepresst.

„Ich glaube, es wird Zeit, dass wir Schluss machen, Jürgen“, sagte Jochen. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“

Aber Jürgen Winter winkte ungeduldig ab.

„Ich glaube, ich hab‘s“, rief er. „Komm mal selbst und schau es dir an.“

Mit langen Schritten eilte Jochen durch das Labor, vorbei an den Käfigen mit den Ratten und Meerschweinchen. Diesmal hatte er keinen Blick für die Versuchstiere.

Jürgen Winter machte ihm bereitwillig Platz. Jochen presste seine Augen ans Okular. Für einen Moment konnte er nichts erkennen. Verzweifelt verstellte er die Einstellschrauben, das Bild wurde klarer, endlich konnte er alle Einzelheiten erkennen. Ihm stockte der Atem. Jürgen hatte recht. Deutlich waren auf dem Objektträger Fremdkörper zu entdecken, Bazillen, die die roten Blutkörperchen auffraßen.

Er wurde schneeweiß. Sollte ihm, dem kleinen Oberarzt gelungen sein, wonach berühmte Forscher in der ganzen Welt seit vielen Jahren vergeblich suchten?

Er lehnte sich zurück, strich sich über die Augen, beugte sich wieder über das Mikroskop, das Bild blieb.

Jürgen Winter schaute ihn voller Spannung an. Es enttäuschte ihn, dass Jochen nicht in laute Jubelrufe ausbrach. Aber der Oberarzt hatte seine Fassung wiedergewonnen. Sein Verstand arbeitete wieder scharf und klar.

„Wir müssen neue Versuche machen, Jürgen“, sagte er fest. „Neue Objekte, neue Blutuntersuchungen.“

Der junge Mann sah ihn entgeistert an.

„Aber verstehst du denn nicht“, sagte er. Seine Stimme war vor Erregung heiser. „Wir haben es geschafft. Wir haben den Erreger gefunden.“ Er beugte sich über das Mikroskop, schaute durch das Okular. „Man kann sie doch sehen, hier – ganz deutlich.“

Jochen konnte ein Lächeln nicht verbergen.

„Ich weiß, Jürgen“, versuchte er den Sohn seines Chefs zu beruhigen. „Aber wissen wir, was es für Erreger sind? Können wir sicher sein, dass wir wirklich der Leukämie auf der Spur sind? Eine Erkenntnis reicht nicht aus. Wir müssen noch hunderte von Untersuchungen und Tests machen, bevor wir auch nur einigermaßen sicher sein können!“

Jürgen Winter wollte es nicht begreifen. Mit dem Ungestüm der Jugend, wollte er vorwärtsstürmen,

„Aber sieh doch selbst“, begann er noch einmal. „Es ist doch sonnenklar. Ich habe den Erreger gefunden.“

Jochen sah ihn erstaunt an. Warum sagt er: Ich habe den Erreger gefunden, schoss es ihm durch den Kopf. Aber dann schob er den hässlichen Gedanken beiseite. Ruhig stand er auf und legte seinem jungen Mitarbeiter die Hand auf die Schulter.

„Ich kann dich gut verstehen, Jürgen“, sagte er warm. „Du glaubst, wir seien am Ziel. Aber wir sind kaum am Anfang. Wenn wir überhaupt am Anfang sind. Noch kann es sich um einen harmlosen Bazillus handeln, wir wissen es nicht.“

Jürgen Winter schüttelte den Kopf.

„Du kannst es mir glauben“, brach es aus ihm heraus. „Das ist er, das ist der unbekannte Erreger der Leukämie.“ Er ließ sich in einen der Sessel fallen und sah träumerisch vor sich hin. „Und ich, Jürgen Winter, Student der Medizin, habe ihn entdeckt. Ich kann es immer noch nicht fassen.“

Jochens Augen verengten sich zu einem Schlitz. Jetzt wird es Zeit, dem Jungen seine Grenzen zu zeigen, dachte er.

„Jetzt hör mir einmal gut zu, Jürgen“, sagte er scharf. „Anscheinend hast du eine völlig falsche Vorstellung von unserer Arbeit hier. Hier geht es nicht darum, berühmt zu werden, sich in die

Annalen der Geschichte einzugraben. Hier wird harte wissenschaftliche Arbeit geleistet, Arbeit im Dienste der Menschheit. Schlag dir den Gedanken, aus dem Kopf, dass du bei unserer Forschung Lorbeeren erringen kannst.“ Er sah den jungen Mann ernst an. „Und noch eins. Ich wünsche nicht, dass über das, was wir heute entdeckt haben, auch nur ein Wort laut wird. Ich denke nicht daran, meine Arbeit durch irgendwelches verfrühte Geschrei zu gefährden. Haben wir uns verstanden?“

Jürgen Winter war bei diesen scharfen Worten bleich geworden. So hatte Jochen Schreiber noch nie mit ihm geredet. Im Gegenteil. Der Oberarzt hatte sich schnell mit Jürgen angefreundet, und der junge Mann hatte bald seine Rachepläne vergessen.

„Aber ich wollte doch nicht …“, stammelte er. „Ich meine, ich habe ihn doch entdeckt, den Erreger, meine ich.“

„Nichts hast du“, unterbrach ihn Jochen scharf. „Du hast das getan, was jeder bessere Laborgehilfe an deiner Stelle auch getan hätte, du hast auf einer von mir eingefärbten und präparierten Glasplatte einen unbekannten Bazillus entdeckt. Sonst nichts. Und das ist bei Gott kein Grund zum verfrühten Jubel.“

Für Jürgen Winter brach eine Welt zusammen. Wie hatte er sich gefreut, als er durch das Mikroskop den Erreger entdeckt hatte. Wie stolz war er gewesen. Und jetzt. Was war davon geblieben? Jochen hatte ihn angefahren. Müde stand er auf.

„Ich geh schlafen“, murmelte er. „Ich bin hundemüde.“

Jochen beobachtete ihn scharf. Er hatte wohl die Enttäuschung gesehen, für einen Moment wollte er Jürgen trösten, aber dann dachte er, dass dem Jungen die kalte Dusche nur gut tun würde.

„Eine gute Idee“, sagte er darum nur. „Morgen werden wir weitersehen.“ An der Tür hielt er Jürgen noch einmal zurück. „Denk an das, was ich dir gesagt habe“, erinnerte er ihn. „Zu keinem Menschen ein Wort über das, was wir hier gefunden haben.“

Jürgen Winter nickte nur und verschwand.

Auf seinem Zimmer angekommen, ließ er sich so, wie er war, aufs Bett fallen. Mit fahrigen Händen kramte er eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie sich an. Er war viel zu erregt, um schlafen zu können. Seine Gedanken rasten.

Ich kann Jochen nicht verstehen, dachte er. Wie kann er nur so kühl bleiben. Ich weiß doch, dass wir den Erreger entdeckt haben, ich hab ihn doch mit meinen eigenen Augen gesehen. Noch einmal ging er in Gedanken alle Versuchsreihen durch, verglich das, was er entdeckt hatte mit allen bekannten Bazillen und Erregern. Es gab keine Parallele. Es konnte also nur der unbekannte Erreger der unheimlichen Bluterkrankung, des sogenannten Blutkrebses sein.

Plötzlich richtete er sich hoch. Seine dunklen Augen starrten in die Nacht. Ein furchtbarer Gedanke war ihm gekommen. Wie wild schüttelte er den Kopf, so, als wolle er den Gedanken wie Wasser von sich schütteln, aber der Verdacht, zunächst nichts als ein blitzartiger Gedanke, wuchs, wurde größer und größer, überschwemmte schließlich sein ganzes Denken, und was vorher nur Verdacht war, wurde nun in seinem Gehirn zur Gewissheit.

Er will mich betrügen, hämmerte es hinter seiner Stirn. Er will mich um das bringen, was mir zusteht. Er will den Ruhm nur für sich. Ich zähle nicht.

„Ein besserer Laborant“, lachte er höhnisch auf. „Das bin ich also für Sie, Herr Dr. Schreiber.“ Achtlos warf er die Zigarette fort. Mit einem Satz war er auf den Beinen, sprang zu seinem Schreibtisch. Hastig riss er einen Briefbogen heraus, schnell füllte sich das Blatt.

„Ich werd es Ihnen zeigen, Herr Dr. Schreiber“, murmelte er vor sich hin. „Sie werden noch an mich denken.“ Befriedigt legte er sich dann wieder aufs Bett. Um seine Lippen spielte noch das höhnische Lächeln, als der Schlaf ihn schon längst überwältigt hatte.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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