Читать книгу Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane - A. F. Morland - Страница 22

15

Оглавление

Angelika war wie gelähmt. Nur ein Gedanke beherrschte sie. Jochen glaubt mir nicht mehr, Jochen kann mich nicht lieben, er glaubt mir nicht.

Ihre Augen waren blind vor Tränen. Mit einem bitteren Aufschluchzen warf sie sich auf das schmale Bett. Tief vergrub sie ihren Kopf ins Kissen. Nichts wollte sie mehr hören, nichts sehen. Der Schmerz war kaum noch zu ertragen. Wie ein Messer zerschnitt er ihr Herz.

„Jochen!“

Sie wimmerte leise.

Mit fliegenden Händen riss sie den kleinen braunen Koffer vom Schrank. Ein dumpfer Instinkt trieb sie vorwärts. Wahllos stopfte sie Kleidungs- und Wäschestücke hinein. Die Gläser auf dem Nachttisch schepperten leise, als sie mit fahrigen Fingern ihre Kleinigkeiten zusammenraffte und in ihrer Handtasche verstaute.

Nichts wie fort, hämmerte es in ihr. Ich will fort. Entfliehen. Keinen Augenblick länger darf ich hierbleiben.

Plötzlich wurde an ihre Tür geklopft. Ihre Augen leuchteten auf. Neue Hoffnung erfüllte sie. Mit wenigen Schritten war sie an der Tür, riss sie auf.

„Jochen …“

Der Schrei erstarb auf ihren Lippen. Vor ihr stand Oberschwester Maria. Aus gütigen Augen schaute die alte Frau sie an.

„Darf ich hereinkommen, mein Kind“, bat sie leise.

Angelika war zusammengesunken. Für einen Herzschlag hatte sie geglaubt, dass Jochen zurückgekehrt sei. Müde nickte sie.

Die erfahrene und gütige Oberschwester wusste natürlich längst, was Angelika vorgeworfen wurde. Der Professor selbst hatte sie davon unterrichtet, dass Angelika fristlos entlassen worden war. Und was niemand sonst in der Klinik gewagt hätte, Schwester Maria hatte es getan. Sie hatte dem Professor leidenschaftlich widersprochen. Sinnlos zwar, aber sie hatte es getan. Ihr konnte niemand einreden, dass Angelika eine hinterlistige Betrügerin sei.

Aber der Professor hatte nicht auf sie gehört. Achselzuckend hatte sie das Büro verlassen.

„Alle Männer sind dumm“, hatte sie vor sich hin geknurrt. „Selbst der Professor ist da keine Ausnahme.“

Schnurstracks war sie zu Angelika geeilt.

„Nicht weinen, mein Kind“, sagte sie sanft und nahm Angelika in ihre Arme. „Glauben Sie mir, es wird noch alles gut werden.“

Angelika schaute aus leer geweinten Augen die alte Oberschwester an.

„Sie wissen ja nicht“, begann sie zögernd. „Aber …“

Die Oberschwester knurrte unwillig vor sich hin.

„Nun fangen Sie nicht auch an“, schimpfte sie. „Oder haben Sie nur einen Moment geglaubt, ich würde in das gleiche Horn tuten? Diese Männer!“ Alle Verachtung für die Männer lag in ihrer Stimme. „Nur weil sie nicht mehr weiter wissen, schieben sie die Schuld auf uns Frauen.“ Ihre gütigen Augen schauten richtig böse in die Welt. „Aber verlassen Sie sich auf mich, mein Kleines. Ich werd die Sache schon wieder in Ordnung bringen.“

Mit neuer Hoffnung erfüllt schaute Angelika die alle Oberschwester dankbar an. Dann aber schüttelte sie resigniert den Kopf.

„Es ist sinnlos, Schwester Maria“, flüsterte sie voller Verzweiflung. „Alles ist zu Ende.“ Aufschluchzend warf sie sich in die Arme der alten Frau. „Er vertraut mir nicht mehr, er kann mich nicht lieben.“

Über das gütige Gesicht der alten Schwester lief ein verständnisvolles Lächeln.

„So ist das also‘‘, sagte sie mehr für sich. „Unser Oberarzt und Sie!“ Sie neigte den Kopf und strich mit unendlicher Zärtlichkeit Angelika übers Haar. „Dann ist es natürlich doppelt schlimm.“ Über die schluchzende Gestalt des Mädchens hinweg schien sie in eine weit zurückliegende Vergangenheit zu schauen. „Weine, mein Kind“, flüsterte sie zärtlich. „Wein du dich aus. Weinen hilft dir über den ersten Schmerz. Ich weiß, wie das tut. Nichts tut so weh wie das Herz, wenn es enttäuscht wird.“

Angelika schmiegte sich eng an die gütige Frau. Ihr erregtes Schluchzen klang ab, wurde leiser und leiser.

Oberschwester Maria hatte Angelika ruhig weinen lassen. Jetzt, als sie spürte, dass das junge Mädchen sich langsam zu beruhigen begann, schob sie sie energisch von sich.

„Und jetzt ist Schluss mit der Heulerei“, sagte sie betont burschikos. „Jetzt müssen wir anfangen zu überlegen, was wir tun müssen.“

Angelika richtete sich hoch und strich sich verlegen über das verwirrte Haar.

„Verzeihen Sie, Oberschwester“, begann sie leise. „Aber ich hätte mich nie so gehenlassen dürfen.“

„Papperlapapp!“ Die Stimme der alten Schwester klang energisch. „Das hat Ihnen nur gut getan. Reden wir nicht mehr darüber.“

Sie stand auf und begann sorgsam und methodisch den Koffer Angelikas zu packen. Das junge Mädchen stand vor dem Spiegel und machte sich etwas zurecht. Die erste Erregung war abgeklungen, sie vermochte wieder klar zu denken.

„Was machen wir hiermit?“, riss die Stimme von Oberschwester Maria sie aus ihren Gedanken. Angelika sah sich fragend um. Dann wurde sie schneeweiß.

Die Oberschwester hielt Jochens Bild in der Hand. Angelika eilte zu ihr, mit einer heftigen Bewegung riss sie der einzigen Freundin, die sie noch im Krankenhaus hatte, das Bild aus der Hand. Als ob sie es vor allzu neugierigen Bücken schützen wolle, drückte sie es an ihre Brust.

Oberschwester Maria schien wenig beeindruckt. Ruhig löste sie Angelikas Finger von dem Bild und studierte es für einen Augenblick.

„Diesen Kerl lieben Sie also, Schwester Angelika?“, sagte sie rau.

Angelika konnte nur nicken. Der Schmerz erstickte ihre Stimme.

„An und für sich hat er Sie nicht verdient“, knurrte die Oberschwester. „Nicht, wenn er sich so verhält.“

Angelika versuchte Jochen zu verteidigen, aber die Oberschwester hielt sie mit einer Handbewegung zurück.

„Reden Sie nicht, ich weiß, was Sie sagen wollen. Und Sie sollen ja Ihren Dr. Schreiber wiederbekommen. Lassen Sie mich nur machen.“

Angelika starrte die Oberschwester wie eine Märchenfee an.

„Sie glauben wirklich, dass Jochen und ich …“

Oberschwester Maria nickte grimmig.

„Und wenn ich ihn selbst an seinen Ohrläppchen zu Ihnen schleppen müsste“, brummte sie. „Aber bis dahin muss ich erst einmal herausbekommen, wer hinter dieser Teufelei steckt. Dann können wir weitersehen.“ Sie sah Angelika forschend an. „Haben Sie denn keinen Verdacht, Schwester Angelika?“

Das junge Mädchen wurde blutrot und sah verlegen zu Boden.

„Ich wage es nicht auszusprechen“, flüsterte sie. „Aber ich habe nur eine Erklärung. Jürgen Winter!“

Oberschwester Maria schaute einen Augenblick nachdenklich vor sich hin. Dann nickte sie.

„Das könnte stimmen“, meinte sie nachdenklich. „Aber es wird nicht einfach sein, das zu beweisen.“ Energisch schüttelte sie die trüben Gedanken von sich. „Das Wichtigste ist, Sie müssen von hier verschwinden. Die hohen Herren sollen mal sehen, wie das ist, wenn plötzlich eine gute Schwester nicht mehr da ist. Und ich weiß auch schon, wohin. Los, kommen Sie. Ich bringe Sie selbst zum Zug.“

Angelika hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Willenlos ließ sie sich von der alten Schwester führen. An der Tür machte sie noch einmal halt, warf einen letzten Blick auf das kleine Zimmer, das in den letzten Jahren ihr zur Heimat geworden war.

„Nun, kommen Sie schon“, drängte Oberschwester Maria. „Ich werd das Zimmer schon für Sie freihalten.“

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

Подняться наверх