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Im Elisabeth-Krankenhaus lief das Leben wieder seinen normalen Gang. Tagtäglich standen Jochen und der Professor am Operationstisch und taten ihre Pflicht.

Jürgen Winter war an die Universität zurückgekehrt. Brennender Ehrgeiz trieb ihn voran.

Ellen war inzwischen in das Haus des Professors gezogen. Mathilde Winter hatte darauf bestanden. Sie hatte die Braut ihres Sohnes in ihr Herz geschlossen. Und auch der Professor liebte das junge Mädchen wie seine eigene Tochter.

Niemand wagte über Angelika zu sprechen. Heimlich hatten der Professor und Jürgen alles versucht, um Angelika zu finden. Der Professor hatte alle Verbindungen spielen lassen, aber in keinem deutschen Krankenhaus hatte man von einer Schwester Angelika gehört.

Die einzige, die Jochen oder dem Professor hätte sagen können, wo Angelika sich versteckt hielt, war nicht mehr im Krankenhaus. Oberschwester Maria war während der Abwesenheit des Professors und Jochens zusammengebrochen. Die harte und verantwortungsvolle Arbeit hatte nun doch ihren Tribut gefordert. Oberschwester Maria lebte nicht mehr.

Professor Winter hatte sich frei genommen. Er wollte gemeinsam mit seiner Frau und Ellen Weihnachtseinkäufe erledigen. Das hohe Fest stand kurz vor der Tür.

Jochen Schreiber saß in seinem Büro und blätterte gedankenverloren in einigen Krankenblättern. Seit seinem großen Erfolg in Frankfurt wandten sich immer wieder Kollegen an ihn und baten um seinen Rat.

Das schrille Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Träumen.

„Dr. Schreiber!“

Am anderen Ende meldete sich die aufgeregte Stimme des Unfallarztes.

„Können Sie bitte sofort in den OP kommen, Herr Oberarzt“, bat Dr. Lehmkühler. „Es ist dringend.“

„Ich komme!“

Jochen warf den Hörer auf die Gabel, riss den weißen Mantel vom Haken und stürmte hinaus.

Dr. Lehmkühler erwartete Jochen schon an der Tür.

„Was ist passiert?“, fragte Jochen kurz.

„Ein Raubüberfall“, keuchte der Arzt. „Man hat den Polizisten bei uns eingeliefert. Steckschuss. Die Kugel muss dicht am Herzen stecken.“

Jochen atmete tief ein. Er wusste, was die Nachricht bedeutete. Er durfte keine Minute verlieren. Die Operationsschwester hielt den sterilen Kittel schon bereit. Jochen hatte keine Zeit mehr, sich lange die Hände zu waschen. Eilig goss er sich Alkohol über die Hände, ließ sich dann die hauchdünnen Gummihandschuhe überstülpen.

Im OP wartete man schon auf ihn. Dr. Lehmkühler sah ihn fragend an.

„Vollnarkose?“

Jochen schüttelte den Kopf.

„Zu gefährlich“, meinte er. „Spritzen Sie Evipan!“

Der Narkosearzt hatte die Spritze schon bereit.

Gespannt wartete Jochen darauf, dass die Spritze ihre Wirkung zeige. Das Gesicht des jungen Polizeibeamten wurde von Minute zu Minute spitzer. Panik drohte Jochen zu überschwemmen. Der Junge stirbt mir unter den Händen, fuhr es ihm durch den Kopf. Ich muss handeln.

Wieder der fragende Blick zu Dr. Gebhardt.

Der junge Arzt nickte ihm beruhigend zu. Jochen streckte die Hand aus. Er hatte noch nicht bemerkt, dass nicht die erfahrene Operationsschwester neben ihm stand. Die junge Lehrschwester war verwirrt. Ungeschickt hielt sie das Skalpell in der Hand, wusste nicht so recht, was sie machen sollte. Als sie nun noch ein ärgerlicher Blick von Jochen traf, war es um ihre Fassung geschehen. Sie reichte Jochen das Skalpell.

Den Arzt durchfuhr ein Schmerz. Verwirrt starrte er auf seine rechte Hand. Das scharfe Messer hatte die Kuppe seines Daumens durchschnitten.

Mit einem wütenden Ruck riss er sich den Gummihandschuh ab.

„Neuen Handschuh“, fauchte er.

Eine erfahrene Schwester hatte das junge Mädchen zur Seite gedrängt. Dr. Kern hatte den kleinen Zwischenfall beobachtet. Er trat zu Jochen.

„Sie müssen sich desinfizieren“, raunte er. „Kommen Sie.“

Jochen schüttelte ihn ab.

„Wir haben keine Zeit mehr“, zischte er. „Schauen Sie sich den armen Jungen doch an.“

Dr. Kern warf einen Blick auf den Schwerverletzten. Das Gesicht schien nur noch eine Maske. Gelblich schimmerte die Haut, der Polizist schien mehr tot als lebendig.

Dr. Gebhardt beugte sich über den Kranken. Dann richtete er sich hoch. Sein Gesicht war grau.

„Exitus!“

Totenstill war es im Raum. Keiner wagte aufzuschauen. Nur die junge Lehrschwester schluchzte auf.

Jochen zögerte einen Augenblick. Dann drehte er sich zu der älteren Schwester um.

„Skalpell“, befahl er. Den neuen Gummihandschuh hatte er vergessen.

Die Schwester begriff sofort. Blitzschnell reichte sie Jochen das scharfe Operationsmesser. Mit einem raschen Schnitt legte der erfahrene Chirurg den Brustkorb frei. Schnell durchtrennte er die Rippen. Seine Hände arbeiteten präzise und sauber wie bei einer Musteroperation.

Der ganze Brustraum war mit Blut gefüllt. Jochen kümmerte sich nicht darum. Seine Finger suchten das tödliche Eisen. Er wusste, die Zeit drängte. Höchstens fünf Minuten blieben ihm, dann musste das Herz wieder schlagen, sonst starben die Gehirnzellen ab.

Endlich hatten seine Finger das tödliche Blei ertastet. Achtlos warf er die Kugel beiseite.

„Catgut.“

Die Schwester reichte ihm den hauchdünnen Faden. Mit geschickten Händen begann er das winzige Loch in der Herzwand zu nähen. Dann war auch das geschafft.

Seine Blicke gingen zur Uhr. Der schwarze Zeiger sprang auf die Zehn. Volle sechs Minuten waren vergangen. Zu spät?

Unbeirrt begann Jochen das Herz zu massieren. In regelmäßigen Abständen presste er die Kammern zusammen, ließ sie wieder los, presste sie wieder zusammen.

Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

„Adrenalin“, befahl er heiser.

Nicht einen Augenblick unterbrach er seine Massage. Schweiß perlte von seiner Stirn, brannte salzig in seinen Augen. Dr. Kern wollte ihm die Spritze reichen. Aber Jochen ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. Ein Wink mit den Augen, und Dr. Kern selbst jagte die herzstärkende Spritze in das lebenswichtige Organ.

Jochen hatte Zeit und Raum vergessen. Sein Rücken schmerzte, er glaubte kein Gefühl mehr in den Händen zu haben. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich. Er wollte nicht aufgeben.

Die Ärzte und Schwestern sahen sich betreten an. Keiner hatte den Mut, den Oberarzt auf die Sinnlosigkeit seines Tuns hinzuweisen.

Unerbittlich krochen die Zeiger auf der Uhr weiter. Minute um Minute verstrich. Über eine Viertelstunde war seit Beginn der Operation vergangen.

Plötzlich stockte Jochen. Unter seinen Händen hatte sich etwas geregt. Unregelmäßig noch, kaum wahrnehmbar. Und da! Wieder! Das Herz regte sich.

Es begann zu schlagen!

Zögernd, in winzigen Abständen.

Flatterte, schien erschöpft zu schweigen, fing sich wieder. Immer kräftiger wurden die Schläge, immer regelmäßiger.

Jochen richtete sich auf. Seine Augen strahlten. Dr. Gebhardt beugte sich über seine Instrumente. Zum ersten Mal verlor seine sonst so kühle Stimme ihre Ruhe.

„Puls wird stärker. Atmung wieder aufgenommen.“

„Herzstärkende Mittel“, befahl Jochen. Dr. Kern eilte dem Narkotiseur zu Hilfe. Gemeinsam beobachteten sie den Kranken, bereit, sofort einzuspringen, wenn es notwendig sein sollte.

Jochen begann in der Zwischenzeit den Brustraum von dem geronnenen Blut zu befreien. Dann war das auch geschafft. Erschöpft trat er zur Seite. Mit einer Handbewegung forderte er seinen Assistenten auf, die Operationswunde zu schließen. Er fühlte sich am Ende seiner Kräfte.

Erst als er in dem kleinen Vorraum stand, erinnerte er sich an die winzige Wunde durch das Skalpell. Nachlässig desinfizierte er sie mit Jod. Eine ungeheure Müdigkeit war in ihm. Er wollte allein sein. Bevor sonst jemand des Operationsteams den OP verlassen konnte, war er gegangen. In seinem Zimmer warf er sich erschöpft auf die Couch. Sekunden später war er fest eingeschlafen.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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