Читать книгу Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane - A. F. Morland - Страница 31
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ОглавлениеIn den nächsten Tagen verlief das Leben von Angelika in ruhigen Bahnen. Der Alltag hatte in Stolzing seinen Einzug gehalten.
Matte Huber wich der jungen Schwester nicht mehr von der Seite. Wie ein treuer Hund begleitete er sie auf ihren Krankengängen, so oft er konnte. Der alte Huber beobachtete seinen Jungen oft voller Sorge. Er ahnte, dass es noch zu Verwicklungen kommen konnte. Wenn Mattes sich einmal etwas in seinen Kopf gesetzt hatte, so gab er so schnell nicht nach.
Heute hatte er ihn mit einem dringenden Auftrag in die Kreisstadt geschickt. Brummend hatte sich der junge Bursche gefügt. Heimlich hatte er bis zuletzt gehofft, Angelika überreden zu können, mit ihm eine Schlittentour zu unternehmen.
Kaum hatte sein Sohn den Hof verlassen, als der schwergewichtige Bauer auch schon bei Angelika anklopfte.
Die junge Schwester schaute überrascht hoch, als sie den Bürgermeister erkannte. Freundlich bat sie ihn, doch hereinzukommen.
„Ich hätt‘ Sie gern einmal gesprochen, Fräulein Angelika“, murmelte Franz Huber verlegen. „Es ist wegen Mattes.“
Verwundert zog Angelika die Augenbrauen hoch. „Wegen dem Mattes? Was ist mit ihm?“
„Na ja“, knurrte der Bauer. „Der Bursch‘ hat sich nun mal in Sie vergafft, Fräulein Angelika. Und da haben meine Frau und ich gedacht, wir reden mal mit Ihnen darüber. Denn was den Mattes angeht, der meint es ernst.“
Um Angelikas Lippen spielte ein leichtes Lächeln.
„Nehmen Sie das nicht etwas zu ernst, Herr Bürgermeister“, versuchte sie den alten Mann zu beschwichtigen. „Der Mattes hat sich halt in mich verliebt. Mit der Zeit, wenn er merkt, dass es sinnlos ist, wird sich das wieder legen.“
Franz Huber schüttelte seinen mächtigen Kopf.
„Ich weiß nicht“, zweifelte er. „Ich kenne meinen Jungen. Wenn der sich was in den Kopf gesetzt hat … Seien S‘ nur recht vorsichtig.“
Nun wurde Angelika doch nachdenklich. Forschend sah sie den alten Bauern an. Sie hatte die Hubers liebgewonnen. Der Huber-Hof war ihr zur zweiten Heimat geworden.
„Glauben Sie wirklich, Herr Huber?“
Der alte Bauer nickte.
„Ich kenn‘ den Mattes“, brummte er. „So schnell gibt der nicht auf. Es tät mich gereuen, wenn was passieren würd‘.“
Angelika nahm sich die Mahnung zu Herzen. Als am Abend der Mattes aus der Stadt zurückkam, bat sie ihn kurz entschlossen auf ihr Zimmer.
Die alten Hubers sahen erstaunt hoch. Aber Angelika lächelte ihnen beruhigend zu. Sie wusste, was sie tat.
Verlegen stand der Mattes da. Seine Schuhe scharrten über den Boden, er wusste nicht wohin mit seinen klobigen Händen. Angelika hatte es sich auf der Ofenbank bequem gemacht. Es war gemütlich warm im Zimmer.
„Komm her, Mattes“, bat sie freundlich. „Setz dich zu mir. Ich muss mit dir reden.“
Der Bursche fuhr sich durch sein strubbeliges Haar. Seine gutmütigen Augen leuchteten auf.
„Darf ich wirklich mich neben Sie setzen, Fräulein?“, fragte er. Er wagte es kaum zu glauben.
Angelika nickte lächelnd. Die Ofenbank schien aufzustöhnen, als der Mattes sich auf ihr niederließ.
Neugierig schaute er Angelika an.
„Du bist doch mein Freund, Mattes“, begann das junge Mädchen. „Oder nicht?“
„Aber freili“, beteuerte der Mattes eifrig. „Einen besseren Freund täten S‘ nirgends finden. Des sag ich Ehna glei.“
„Ich weiß, Mattes“, erwiderte die junge Frau ruhig. „Und weil du mein Freund bist, will ich auch ganz offen mit dir sprechen. Es ist dir doch recht.“
„Mir ist es scho recht.“
„Um so besser.“ Angelika lehnte sich zurück. Die buntbemalten Kacheln des gewaltigen Ofens wärmten ihr den Rücken. Ihre Augen schienen in weite Fernen gerichtet.
„Du wirst dich sicherlich oft gefragt haben, Mattes, warum ich so plötzlich hierher gekommen bin. Hoch oben aus dem Norden Deutschlands so tief in den bayerischen Wald.“
Der Mattes nickte. Er hatte sich das tatsächlich oft genug gefragt. Und das galt nicht für ihn, alle Menschen in dieser Gegend hatten sich diese Frage gestellt. Aber hier war man wortkarg.
Man forschte keinen Menschen aus, wenn er nicht von selbst zu reden begann. Und außerdem liebte jedermann die junge Schwester. Heimlich nannte man sie nur den „Engel von Stolzing“, oder den „Engel auf dem Fahrrad“. Niemand machte sich Gedanken darüber, was da oben im Norden passiert sein mochte. Man war froh, dass man Schwester Angelika bei sich hatte.
„Dir will ich es sagen, Mattes“, fuhr Angelika fort. „Ich war in einem Krankenhaus beschäftigt. Jahrelang habe ich treu und redlich meine Pflicht getan. Und eines Tages bekamen wir einen neuen Oberarzt. Jochen Schreiber. Es dauerte nicht lange, und wir liebten uns. Heiraten wollten wir noch nicht. Jochen wollte weiterkommen, und auch ich liebte meinen Beruf sehr. Tag für Tag waren wir zusammen. Niemand ahnte etwas von unserer Liebe. Ich kann dir nicht sagen, Mattes, wie glücklich wir waren. So glücklich, dass ich nie in der Lage sein werde, einen anderen Mann zu lieben.“
Ihre Stimme war immer leiser geworden. Ihre Gedanken weilten in der fernen Stadt. Ihre Augen waren geschlossen. „Bis eines Tages Jochen das Vertrauen zu mir verlor. Irgendjemand hatte mich verleumdet. Der Mann, den ich liebte, glaubte mir nicht. Das Misstrauen war stärker als seine Liebe.“
Der Mattes hatte mit steigender Erregung zugehört. Seine groben Hände hatten sich zu Fäusten geballt, seine gutmütigen Augen blitzten vor Zorn.
„Dös muss aber a damischer Depp sein, a damischer“, grollte er. „Wann i den derwischen tät.“
Angelika legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
„Er konnte nichts dafür, Mattes“, sagte sie sanft. „Er musste den anderen glauben. Aber ich konnte nicht länger da oben im Norden bleiben. Und darum bin ich zu euch gekommen, hierher nach Stolzing.“
„Aber ein Depp is er scho, der Doktor Schreiber“, grollte Mattes.
„Vielleicht hast du recht, Mattes. Mehr Recht, als du selbst glaubst“, sagte Angelika sinnend. „Aber ich liebe ihn. Verstehst du das? Ich liebe ihn und werde ihn nie vergessen.“ Ein schmerzliches Lächeln lag um ihren Mund.
Mattes nickte dumpf.
„1 versteh scho, Fräulein Angelika. Und i werd mi danach richten.“ Seine guten Augen schauten das junge Mädchen traurig an. Er zuckte mit den breiten Schultern. „Was net ist, ist halt net.“ Schwerfällig stand er auf. In seiner breiten Pranke verschwand Angelikas Hand völlig.
„Auf mich können S‘ sich verlassen, Angelika“, brummte er verlegen. „Ich bin Ihr Freund.“
Damit stapfte er aus dem Zimmer. Angelika sah ihm aus großen traurigen Augen nach. Sie ahnte, wie schwer Mattes die letzten Worte gefallen sein mussten.
Aufseufzend ließ sie sich in das breite Bett fallen. Die Sehnsucht nach Jochen und der vertrauten Welt des Krankenhauses trieb ihr die Tränen in die Augen.
Mattes Huber aber erschien zum ersten Mal nach Wochen wieder im Dorfkrug und trank sich einen mächtigen Rausch an.