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Im weiten Rund der Paulskirche war es totenstill. Über eine Stunde hatte Jochen berichtet. Von seinen Fehlschlägen und vergeblichen Versuchen. Leidenschaftslos, knapp und präzise hatte er einen Rechenschaftsbericht über seine Forschungsarbeit gegeben. Jetzt war er am Ende.

„Zum Abschluss möchte ich nicht versäumen, Herrn Professor Winter zu danken. Nur durch sein Verständnis war es mir möglich, diese Arbeit zu vollbringen. Ihm und seinem Sohn, dem Studenten der Medizin Jürgen Winter, der einen entscheidenden Teil am Erfolg meiner Arbeit trägt, gilt mein Dank.“ Er verbeugte sich und verließ das Podium.

Für einen Augenblick war es im weiten Rund totenstill. Dann brandete der Beifall auf. Wollte kein Ende nehmen. Bescheiden saß Jochen auf seinem Platz. Alle anderen Ärzte hatte sich erhoben. Sie wollten ihn ehren. Einer der ihren hatte wieder einmal eine medizinische Großtat vollbracht und das Tor zu weiteren Forschungen aufgestoßen.

Minutenlang brandeten die Ovationen auf. Jochen wagte nicht aufzuschauen. Trotz des Stolzes über seinen Erfolg war nichts als Trauer in ihm. Sein Herz schrie nach Angelika. Immer hatte er sich erträumt, mit ihr gemeinsam den Triumph zu genießen. Und nichts war davon geblieben.

Professor Buthen war inzwischen wieder an das Rednerpult getreten. Er hatte Mühe, die begeisterten Mediziner zu beruhigen. Ein Lächeln spielte um seine Lippen.

Endlich konnte er sich Gehör verschaffen. „Ich glaube, ich kann in Ihrer aller Namen nur eins tun: Ihnen, verehrter Kollege Schreiber, zu danken, danken, danken!“ Er verbeugte sich vor Jochen. „Die Sitzung ist geschlossen.“

Die Ärzte sprangen auf, drängten zu Jochen. Erregt sprachen sie auf ihn ein, wollten Einzelheiten wissen. Ruhig und gelassen gab Jochen jede gewünschte Auskunft. Aus dem Hintergrund drängte sich ein Mann nach vorn. Bereitwillig machten ihm alle Platz. Es war Professor Gorbatzki von der Universität Moskau. Vor Jochen blieb er stehen. Seine dunklen Augen musterten den jungen Arzt. Dann ergriff er impulsiv Jochens Hand. Seine volle kehlige Stimme drang klar und deutlich über das Stimmengewirr hinweg.

„Sie haben mich beschämt, Dr. Schreiber!“

Jochen sah ihn verständnislos an. Er wusste, wer Professor Gorbatzki war. Nobelpreisträger für Medizin, eine Kapazität auf dem Gebiet der Krebsforschung.

„Ich verstehe nicht ganz. Herr Professor!“

Der weißhaarige Mann lachte schallend auf.

„Er versteht mich nicht!“ Strahlend sah er sich in der Runde um. „Haben Sie das gehört, er versteht mich nicht.“ Er wurde ernst. Seine gewaltige Hand drückte Jochens Rechte. „Sie haben auf jeden Ehrgeiz verzichtet, haben die Ergebnisse ihrer Arbeit uns allen mitgeteilt, ohne auch nur einen Augenblick zu fragen, wer nun den Ruhm der endgültigen Entdeckung des Erregers der Leukämie davonträgt. Hiermit verspreche ich Ihnen und allen meinen Kollegen auf der Welt eines: von jetzt ab werde ich alle Forschungsergebnisse meines Institutes den Wissenschaftlern aller Welt zur Verfügung stellen.“ Seine Stimme klang wie eine gewaltige Glocke. „Der Eid des Hippokrates kennt keine Ländergrenzen.“

Schweigen senkte sich über die Versammlung. Dann brandete der Beifall auf. Spontan entschlossen sieh alle Wissenschaftler, dem Beispiel des russischen Professors zu folgen. Stundenlang standen die Ärzte in den Hallen der Paulskirche und diskutierten lebhaft. Jochen Schreiber hatte Mühe, sich von den vielen neuen Freunden zu lösen.

Erschöpft und glücklich ließ er sich in ein Taxi sinken.

„Zum Frankfurter Hof“, bat er den Fahrer.

Im Hotel schien man bereits von seinem Erfolg gehört zu haben. Der Empfangschef eilte auf Jochen zu, gratulierte ihm. Jochen waren die vielen Ehrungen peinlich. Nur mühsam unterdrückte er seine Ungeduld. Er wollte allein sein.

Als er den Schlüssel in die Tür steckte, stellte er erstaunt fest, dass das Zimmer nicht abgeschlossen war.

Professor Winter, seine Frau und Jürgen hatten es sich in den Sesseln vor den Fenstern bequem gemacht. Lachend sah der Chefarzt seinen verdutzten Kollegen an.

„Nun machen Sie den Mund zu, Jochen. Wir sind es wirklich. Die ganze Familie Winter persönlich.“

„Aber die Klinik! Wer ist in der Klinik?“

Polternd lachte der Professor auf.

„Was habe ich dir gesagt, Mathilde“, dröhnte seine Stimme. „Das erste, was dieser Bursche fragen wird, ist: Was macht die Klinik. Und genauso ist es gekommen.“ Er war aufgestanden und zu Jochen getreten. „Aber damit Sie sich beruhigen. Im Elisabeth-Krankenhaus ist alles in bester Ordnung. Kern hat die Leitung bis zu unserer Rückkehr übernommen. Und sollten schwierige Fälle auftreten, so wird Kollege Richter aushelfen. Sind Sie jetzt zufrieden?“

Jochen war blutrot geworden.

„Entschuldigen Sie, Herr Professor“, murmelte er. „Aber ich war so überrascht.“ Er eilte zu Frau Winter, begrüßte die Gattin seines Chefs und drückte dann Jürgen herzlich die Hand.

Erstaunt sah er, wie der junge Mann sich verlegen abwandte.

Aber er vergaß es sofort wieder.

„Ich muss mich bei Ihnen bedanken, Herr Professor. Sicherlich habe ich es nur Ihnen zu verdanken, dass ich heute morgen vor der Festversammlung reden durfte.“

Professor Winter sah betreten vor sich hin. Dann gab er sich einen Ruck.

„Setzten Sie sich, Jochen“, bat er rau. „Ich habe mit Ihnen zu reden.“

Der junge Arzt sah fragend von einem zum anderen. Dann ließ er sich in einen Sessel sinken.

„Was ich Ihnen jetzt sagen muss, ist die bitterste Sache meines Lebens, Jochen“, begann der Professor. „Aber es muss gesagt werden. Schweigen wäre fast verbrecherisch.“

Jochen spürte, wie eine eiskalte Hand nach seinem Herzen griff. Angelika ist etwas passiert, dröhnte es in ihm. Sie ist tot. Sie hat sich etwas angetan.

Der hochgewachsene Mann war ans Fenster getreten. Unter ihm dehnte sich unter einem grau verhangenen Himmel die alte Kaiserstadt am Main.

„Es handelt sich um Schwester Angelika“, fuhr er mit tonloser Stimme fort. „Wir alle, ich, Sie, und vor allem aber Jürgen, mein Sohn Jürgen, haben ihr bitteres Unrecht angetan.“ Abrupt drehte er sich um. „Angelika ist unschuldig, Jochen. Nicht Sie war es, die sie damals betrogen hat, sondern Jürgen. Mein Sohn Jürgen!“

Die Nachricht wirkte auf Jochen wie ein Schock. Was muss sie mitgemacht haben, durchzuckte es ihn. Wie enttäuscht muss sie von mir gewesen sein. Stumm starrte er vor sich hin.

Jürgen Winter hatte mit hochrotem Kopf dem Kampf zugesehen. Aufrecht ging er auf Jochen zu.

„Ich war es, Jochen. Ich ganz allein. Ich war eifersüchtig, voller Hass. Darum habe ich es getan. Es tut mir leid.“

Jochen nickte nur stumm.

„Jürgen ist freiwillig zu uns gekommen und hat alles gestanden, Jochen“, mischte sich nun Frau Winter ein. „Bitte! Verurteilen Sie ihn nicht zu hart.“

Jochen Schreiber hatte sich gefangen. Glück durchströmte ihn. Er würde Angelika wiederfinden. Er wusste es. Mit einem Satz sprang er auf. Vor Jürgen Winter blieb er stehen.

„Wir wollen nicht mehr darüber sprechen, Jürgen“, sagte er herzlich. „Wenn Angelika dir verzeiht … ich habe dir verziehen. Und wenn du dein Studium beendet hast, werde ich mich immer darauf freuen, mit dir zusammenzuarbeiten.“

Fest drückten sich die beiden jungen Männer die Hand. Jochen wusste, in Jürgen Winter hatte er einen Freund fürs Leben gefunden.

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