Читать книгу Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane - A. F. Morland - Страница 28

Es hatte lange gedauert, bis Jochen dem Drängen des Professors nachgegeben hatte und zum Kongress nach Frankfurt gefahren war. Wie viel hatte er sich von dieser Tagung erträumt? Und was war ihm von all diesen Träumen geblieben. Missmutig stand er im Wendelgang der Paulskirche. Sein Blick schweifte über die an den Wänden aufgehängten Programme. Plötzlich stutzte er. Das kann doch nicht wahr sein, schoss es ihm durch den Kopf. Das geht doch nicht.

Eilig lief er zum Kongressbüro. Der junge bebrillte Mann hinter dem Schreibtisch sah unwillig hoch, als so plötzlich jemand in sein Büro stürmte.

„Können Sie nicht anklopfen?“, brummte er.

„Entschuldigen Sie“, stammelte Jochen. „Aber es ist dringend. Mein Name ist Schreiber. Dr. Joachim Schreiber.“

Beflissen sprang der Bebrillte auf. Er überbot sich fast vor Höflichkeit.

„Herr Doktor Schreiber!“ Er raste um seinen Schreibtisch herum und drückte Jochen herzlich die Hand. „Gott sei Dank, dass Sie endlich da sind.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Es wird allerhöchste Zeit. Kommen Sie. Die Festsitzung hat gerade begonnen.“

Er zog den protestierenden Jochen hinter sich her.

„Aber hören Sie doch“, versuchte es Jochen noch einmal. „Ich komme wegen meines Vortrages. Da muss ein Irrtum vorliegen.“

Aber der Sekretär schien nicht verstehen zu wollen. Ununterbrochen redete er auf Jochen ein. Vor einer kleinen Seitentür blieb er stehen. Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt, lugte in das weite Rund der Festhalle.

„Es hat noch nicht angefangen“, flüsterte er. „Kommen Sie.“

Benommen folgte ihm Jochen in das Innere der Kirche. Die Paulskirche in Frankfurt wurde seit ihrem Wiederaufbau fast ausschließlich für Kongresse und sonstige feierliche Anlässe benutzt. In schlichtem Weiß erstrahlte das weite Rund. Durch die hohen Fenster hoch oben in der Kuppel fiel gleißendes Licht. Auf einem überhöhten Podium hatte das Ärztepräsidium Platz genommen. Der Saal hatte sich inzwischen gefüllt. Ein Summen und Brodeln erfüllte das weite Rund der Kirche.

Der Sekretär hatte einem der Herren auf dem Präsidentenpult einen Wink gegeben. Der nickte lächelnd, Jochen wurde zu einem Platz in der vordersten Reihe gebracht, dann war er allein.

Er kam nicht dazu, sich Gedanken zu machen.

Der weltberühmte Professor Buthen ging mit würdevollen Schritten zum Rednerpult. Er verbeugte sich vor seinen Kollegen auf dem Podium.

„Meine Damen und Herren, verehrte Kollegen. Ich begrüße Sie alle herzlichst zu unserem zehnten Ärztekongress. Lassen Sie mich gleich mit einer Vorbemerkung beginnen. Aus Gründen, die Sie später sicherlich alle verstehen und gutheißen werden, haben wir, das heißt das Präsidium, beschlossen, das Programm der Festsitzung zu ändern.“

Murmeln erklang im Saal. Der Professor hob seine Hand, brachte alle zum Schweigen.

„Durch ein Versehen wurde in der letzten Woche die Arbeit eines unserer Kollegen in der medizinischen Wochenzeitschrift mit einem falschen Namen ausgezeichnet. Weil aber diese Arbeit für die medizinische Forschung von außerordentlichem Interesse ist, haben wir uns entschlossen, dass dieser Kollege anstelle des vorgesehenen Vortrages einen Bericht über seine Forschungsarbeit gibt.“

Er drehte sich etwas herum und sah Jochen Schreiber an. „Mein lieber Kollege Schreiber. Darf ich bitten!“

Jochen spürte, wie das Blut ihm zum Herzen strömte. Damit hatte er nicht gerechnet. Das war Professor Winters Werk, dachte er, als er die wenigen Stufen zum Rednerpult hinaufstieg. Beifall umbrandete ihn.

Sein Blick schweifte über die illustre Versammlung von Gelehrten aus aller Welt. Mit einem Blick umfasste er die Ehrengäste in der ersten Reihe. Berühmte Krebsforscher aus den USA, Frankreich, ja selbst aus Russland waren darunter. Gespannt hatten sie ihre Kopfhörer angelegt, warteten auf das, was ihnen ihr junger Kollege aus Deutschland zu berichten hatte.

Stockend, ungewohnt, vor so vielen Kapazitäten reden zu müssen, begann Jochen. Aber bald hatte er alles vergessen. Voll Leidenschaft begann er über seine Arbeit zu berichten.