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Professor Winter saß wie ein gebrochener Mann in seinem Arbeitszimmer. Stumm starrte er vor sich hin. Er war nicht fähig, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Das Bewusstsein, dass sich sein Sohn zu solch einer Tat hatte hinreißen lassen, lähmte ihn. Er schien nicht zu hören, als sich hinter ihm die Tür öffnete.

Mathilde Winter trat hinter ihren Mann und legte ihm zärtlich die Hand auf die Schulter.

„Jürgen ist draußen“, sagte sie leise. „Er und dieses Fräulein Ellen Klinger. Sie möchten dich sprechen, Richard.“

Der Professor sprang hoch, wollte zur Tür stürzen. Aber mit sanfter Hand hielt ihn seine Frau zurück.

„Nicht so, Richard“, bat sie. „Jürgen ist von sich aus gekommen. Er hat keine Ahnung, dass wir schon wissen, was er getan hat.“

Professor Winter war stehengeblieben. Sein bleiches Gesicht bekam langsam Farbe.

„Du meinst …“

Mathilde Winter nickte.

„Die beiden haben es mir schon gestanden“, erklärte sie. „Jürgen ist verzweifelt. Seit Tagen lief er ruhelos herum, sein schlechtes Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Da ist er zu diesem Mädchen geeilt. Und nun sind sie hier.“

„Das Mädchen will ich nicht sehen “, bestimmte der Professor. „Das kann mir keiner zumuten.“

„Sie trifft doch wirklich keine Schuld“, bekannte seine Frau. „Im Gegenteil. Auch sie ist von Jürgen missbraucht worden. Und sie hat ihm verziehen. Weil sie ihn liebt.“ Ihre gütigen Augen schauten ihn bittend an. „Sei nicht allzu hart mit ihm. Bedenke, er ist alleine zu dir gekommen.“

Professor Winter ließ sich in seinen Sessel fallen. Enttäuschung und Schmerz waren zu groß. Minutenlang rang er mit sich selbst. Dann hatte er sich überwunden.

„Schick sie herein, Thilda“, bat er leise. „Ich will mir anhören, was Jürgen zu sagen hat.“ Beruhigend strich er seiner Frau über die zierlichen Hände. „Du brauchst keine Angst zu haben, Thilda. Ich weiß es zu würdigen, dass der Junge von sich aus gekommen ist.“

Die alte Dame lächelte ihren Mann dankbar an. Dann huschte sie hinaus. Einige Augenblicke später betraten Ellen und Jürgen das Zimmer. Fest hielt der junge Mann die Hand von Ellen umklammert.

„Du wolltest mich sprechen, Jürgen?“, fragte der Professor ruhig.

Jürgen musste schlucken. Dann warf er mutig den Kopf in den Nacken. Offen und ehrlich sah er seinen Vater an.

„Ich weiß, du wirst mich verachten, Vater“, begann er. „Aber ich kann so nicht weiterleben. Ich muss dir etwas gestehen,“

Trotz alter Enttäuschung fühlte der Professor die Liebe zu seinem einzigen Kind in sich wachsen. Er war froh, dass sein Junge den Mut gefunden hatte, seine Tat einzugestehen. Ich muss es ihm leichter machen, schoss es ihm durch den Kopf.

„Einen Augenblick, Jürgen“, hielt er ihn zurück. „Wäre es nicht zunächst einmal angebracht, wenn du mir die junge Dame zu deiner Rechten vorstellen würdest.“

Jürgen wurde blutrot.

„Das ist Ellen Klinger“, stammelte er. „Wir haben uns verlobt. Heute!“

Nur mühsam konnte der Professor ein Lächeln verbergen. Jürgen hatte ihn bei seinen letzten Worten mit einer seltsamen Mischung aus Trotz und Bitte angesehen.

„Über diese Verlobung reden wir später“, sagte er ruhig. „Jetzt erzähl mir, was du mir zu sagen hast.“

Noch fester umklammerte der Junge die Hand des jungen Mädchens neben ihm. Es sah ihn aufmunternd an.

„Es handelt sich um diesen Artikel“, begann Jürgen stockend. „Du weißt, was ich meine.“

Der Professor nickte stumm.

„Ich habe diesen Artikel gestohlen und an die medizinische Wochenschrift gesandt“, bekannte Jürgen freimütig.

Der Professor sagte keinen Ton. Stumm sah er Jürgen an und wartete.

Jürgen spürte, wie die Scham in ihm hochstieg. Für einen Moment hatte er gehofft, sein Vater würde es ihm ersparen, alle Einzelheiten zu erzählen, aber nun wusste er, dass auch das zur Strafe gehörte. Seine Stimme klang erstickt, als er fortfuhr: „Ich habe Jochen Schreiber gehasst. Während ich im Krankenhaus lag, hatte ich mich in Schwester Angelika verliebt. Ich habe sie bedrängt, aber sie hat mich abgewiesen. Und da wurde aus Liebe Eifersucht und Hass. Tagelang habe ich nur dagelegen und überlegt, wie ich die beiden vernichten könnte. Und da fiel mir Ellen ein.“

Er sah das junge Mädchen um Entschuldigung bittend an. Sie lächelte ihm ermutigend zu. „Zunächst wollte ich, dass sie Jochen Schreiber kompromittiert, aber als ich dann mit ihm zusammen an der Erforschung der Leukämie arbeitete, kam mir eine bessere Idee. Ich ließ mir durch Ellen einen Liebesbrief auf dem Papier ihres Bruders schreiben, schickte ihn an Schwester Angelika und war sicher, dass die Schwester an der Pforte auf den Absender Dr. Klinger, Berlin aufmerksam wurde. Schon Tage vorher hatte ich den Bericht, den Jochen Schreiber für den Ärztekongress in Frankfurt geschrieben hatte, heimlich kopiert und an das medizinische Wochenblatt geschickt. Nun wartete ich ab. Es kam genau wie geplant. Jochen beschuldigte mich, ich lief zu dir, beschwerte mich, träufelte das Gift der Verdächtigung in deine Ohren, und prompt gingst du in die Falle. Die Schwester bestätigte, was ich natürlich wusste, und Angelika wurde entlassen. Meine Rache war erfüllt.“

Erschöpft schwieg er. Er wagte nicht, seinen Vater anzuschauen. Professor Winter hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Stumm hatte er die Erzählung seines Sohnes angehört. Nun richtete er sich auf.

„Hast du eigentlich nie daran gedacht, dass du es nur Jochen Schreiber zu danken hast, dass du heute noch lebst?“, fragte er ruhig. „Er rettete dich, seinen Feind und Rivalen.“

Jürgen wäre vor Scham am liebsten in den Boden versunken. Aber mannhaft sah er seinen Vater an.

„Ich kann dich nicht um Verzeihung bitten, Vater“, sagte er leise. „Für das, was ich getan habe, gibt es keine Entschuldigung. Aber ich bitte dich, mir zu glauben, dass ich nicht einen Augenblick auf das, was ich getan habe, stolz gewesen bin. Im Gegenteil, ich habe mich selbst dafür gehasst.“

Sein Kopf sank tief auf seine Brust hinab. Die nächsten Worte kamen so leise, dass der Professor und Ellen sie kaum verstanden. „Wäre Ellen nicht gewesen, ich hätte …“ Seine Stimme versagte ihm.

Im Zimmer war es totenstill. Das Geständnis seines Sohnes hatte den alten Professor bis in die letzten Fasern seines Herzens aufgewühlt. Habe ich nicht auch schuld, hämmerte es in ihm. Wie wenig kenne ich meinen eigenen Sohn.

„Es ist gut, Jürgen“, sagte er leise, „ich bin froh, dass du zu mir gekommen bist.“ Tränen standen in seinen Augen. Langsam erhob er sich aus seinem Sessel, kam auf die beiden jungen Menschen zu. „Seien Sie in meinem Haus willkommen, Ellen“, begrüßte er das junge Mädchen. „Ich bin froh, dass mein Junge Sie gefunden hat.“ Herzlich drückte er Ellen die Hand.

Ellen schluchzte auf. „Herr Professor…“

„Schon gut, schon gut“, brummte der alte Mann. Behutsam nahm er Ellen beim Arm und führte sie zu einem Sessel in der Ecke. Dann sah er seinen Sohn an. „Geh und hol Mutter. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir alles wieder gut machen.“

Das Gesicht Jürgens leuchtete auf. Am liebsten wäre er zu seinem Vater gestürzt und hätte sich in seine Arme geworfen. Scham hielt ihn zurück. Eilig lief er aus dem Zimmer.

Professor Winter betrachtete Ellen sorgfältig.

„Du liebst also Jochen?“, fragte er ruhig.

„Ja!“ Ihre Stimme war fest. Ihre Augen ruhten auf dem gütigen Gesicht des Professors.

„Hoffentlich bist du dir auch im klaren, was das bedeutet“, forschte der Professor. „Einfach wirst du es nicht mit ihm haben.“

Aber Ellen war in ihrer Liebe nicht zu erschüttern. Ihre Augen strahlten vor Glück.

„Ich weiß, dass wir glücklich sein werden“, erklärte sie still. „Eines Tages werden wir überwunden haben, was Jochen heute getan hat. Und dann beginnt unser Leben.“

Der Professor war ergriffen. Er beugte sich vor und nahm Ellens Hände. „Mein Kind“, sagte er leise und voller Rührung. „Mein Kind.“

Hinter ihnen wurde die Tür geöffnet. Mathilde Winter betrat zusammen mit Jürgen das Zimmer.

„Ich glaube, ich muss eifersüchtig werden, Richard“, meinte sie lächelnd, um ihre Rührung zu verbergen.

„Hat Jürgen dir noch nicht gesagt, dass er und Ellen …“ Der gestrenge Professor war ein wenig verlegen.

Seine Frau nickte lächelnd. „Aber ja doch. Ich wollte aber abwarten, was du zu unserer neuen Tochter sagst.“ Sie strich Ellen über das gelockte Haar. „Wir haben uns von Anfang an verstanden. Nicht wahr, mein Kind?“

Ellen nickte eifrig. Ihr Gesichtchen glühte vor Glück.

„Das wäre also erledigt“, dröhnte nun der Professor. „Zu überlegen bleibt, was wir mit Schwester Angelika und Jochen Schreiber machen.“

Die glückliche Stimmung war wie fortgeblasen. Schweigen senkte sich über das Zimmer. Jürgen ergriff als erster die Initiative.

„Ich werde zu ihm gehen und ihm alles gestehen. Das ist meine Pflicht.“

Der Professor nickte nachdenklich.

Da griff Mathilde Winter ein.

„Das wirst du eines Tages tun müssen, Jürgen“, sagte sie fest. „Aber im Augenblick ist niemand damit gedient. Ich habe eine bessere Idee. Hört mal zu.“ In wenigen Worten entwickelte sie ihren Plan. Professor Winter war zunächst nicht einverstanden, schließlich aber beugte er sich lächelnd dem Schiedsspruch seiner Frau.

„Also gut, Mathilde“, meinte er aufseufzend. „Ich gebe nach. Hoffentlich behältst du nur recht.“

Die zierliche alte Dame nickte nur lächelnd.

„Verlass dich nur ganz auf mich, mein Lieber. So, wie ich gesagt habe, wird es gemacht und nicht anders. Du wirst sehen, ich behalte wieder einmal recht.“ Dann drehte sich sich um und sah ihren Jungen lächelnd an. „Und du läufst jetzt in den Keller und holst eine gute Flasche Wein. Schließlich möchte ich gerne feiern, wenn ich schon eine neue Tochter bekomme.“

Der Professor beugte sich vor und gab seiner Frau einen herzhaften Kuss auf die Stirn.

„Du bist doch immer die Klügste, Thilda. Aber lass mich nur selbst gehen. Der Junge kennt sich in unserem Weinkeller nicht so gut aus. Und bei einem solchen Anlass muss es schon die beste Flasche sein.“

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