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Still war es in dem hohen Krankenzimmer. Nur ab und zu konnte man leichtes Stöhnen hören. Schmal und bleich schaute das Gesicht von Jürgen Winter aus den schneeigen Kissen.

Angelika hatte ihren Dienst begonnen. Immer wieder sah sie nach, ob die Transfusion ohne Komplikationen vor sich ging. Sie überprüfte den Puls, benetzte dann und wann die Lippen des Kranken und strich ihm sanft den Schweiß von der Stirn.

Jürgen Winter lag noch immer im tiefen Koma. Seitdem die Bewusstlosigkeit wie ein Blitz über ihn hereingebrochen war, war er nicht mehr aufgewacht. Nur das leichte Flattern der Augenlider, der stoßweise, flache Atem verrieten, dass er noch lebte.

Wieder stöhnte er. Angelika sprang sofort auf. Beruhigend strich sie ihm über die verschwitzte Stirn.

„Ganz ruhig“, flüsterte sie, obwohl sie genau wusste, dass er sie nicht hören konnte. Aber allein der Klang ihrer warmen Stimme schien Wunder zu wirken. Das Gesicht des jungen Mannes entspannte sich, die geplatzten und angeschwollenen Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln.

Draußen auf dem Flur erklangen hastige Schritte. Abrupt wurde die Tür aufgerissen. Der Professor, gefolgt von seiner Frau und Jochen, stürmte ins Zimmer.

„Wie geht es ihm?“, fragte er Angelika hastig.

„Immer noch im Koma, Herr Professor“, gab ihm Angelika sofort Auskunft. „Der Puls ist aber regelmäßig, die Atmung gut.“

Der Professor sah die junge Schwester dankbar an.

„Danke, Schwester Angelika“, sagte er warm. Dann trat er an das Bett seines Jungen. In diesem Augenblick war er nichts als der besorgte Vater. Mathilde Winter war ihm gefolgt. Sie schluchzte auf.

„Nicht, mein Lieb“, tröstete sie der Professor. „Du musst jetzt sehr tapfer sein.“ Er wandte sich um und schaute Jochen an. „Das werde ich Ihnen nie vergessen, Herr Doktor Schreiber“, sagte er herzlich. „Sie haben meinem Sohn das Leben gerettet.“ Sein schmales Gesicht verriet die Erschütterung. Tief beugte er sein Haupt. „Ich hätte ihn nicht operieren können“, gestand er. „Meine Hand hätte gezittert.“

Für einen winzigen Augenblick war es totenstill im Raum. Nur das leichte Stöhnen des Kranken war zu hören. Dann hatte der Professor sich gefangen. Er begann seinen Sohn zu untersuchen. Jochen half ihm. Sorgfältig überprüfte der Professor alles. Er studierte das Krankenblatt, maß Puls und Herzschlag, hob die Augenlider, untersuchte genau die zerebralen Reaktionen. Endlich richtete er sich auf. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich. Gebannt schauten Angelika und Mathilde Winter ihn an. Nur Jochen Schreiber schien äußerlich völlig ruhig.

„Es ist ein Wunder“, sagte der Professor rau. Er zog seine Frau an sich, sah sie ernst an. „Dr. Schreiber hat ein wahres Wunder vollbracht, Thilda. Ohne seine Kunst würde unser Junge nicht mehr leben.“

Die zierliche alte Dame schmiegte sich an ihren Mann. Für einen Augenblick brauchte sie einen Halt. Dann aber wandte sie sich an Jochen, nahm seine Hand und küsste sie fast ehrfurchtsvoll.

Jochen wurde blutrot. Die alte Dame bemerkte seine Verlegenheit wohl, aber sie sah ihn groß und offen an.

„Sie brauchen sich nicht zu schämen, mein lieber Jochen“, erklärte sie einfach und bestimmt. „Sie sind der zweite Mensch, dem ich die Hand küsse. Der erste war mein Mann, damals, als er mein Leben gerettet hatte. Und jetzt sind Sie es.“ Ihre Stimme zitterte leicht. „Ich danke Ihnen … ich danke Ihnen …“

Vom Bett des Kranken her kam ein leichtes Geräusch. Fast gleichzeitig sahen Angelika und Frau Winter sich um. Angelika eilte zu Jürgen.

Der junge Mann schien aufzuwachen. Unruhig warf er sich hin und her. Mit geschickten Händen hielt Angelika ihn zurück.

„Sie müssen ganz ruhig bleiben, Herr Winter“, flüsterte sie. „Nicht bewegen. Ganz ruhig bleiben. Wir sind ja bei Ihnen.“

Und wieder wirkte ihre Stimme Wunder. Unter dem Einfluss ihrer Stimme wurde er ruhig. Seine Augenlider flatterten, öffneten sich. Verwundert starrte er um sich. Vergeblich versuchte er etwas zu erkennen. Noch hatte er nicht die Kraft, seinen Blick zu konzentrieren. Erschöpft schloss er die Augen wieder.

In seinem Kopf schien alles durcheinanderzuwirbeln. Ein dumpfer Schmerz bohrte hinter seiner Stirn, ließ keinen Gedanken zur Entfaltung kommen. Er begriff nichts, wollte sich aus dieser eisigen Umklammerung lösen und vermochte es nicht.

Nur die Stimme, diese warme gütige Stimme.

Woher mochte sie wohl kommen? Er wollte etwas sagen, schaffte es nicht.

Die Augenlider waren wie Blei. Zentnergewichte schienen daran zu hängen. Diese Schmerzen! Aber ich muss die Augen öffnen, hämmerte es in ihm. Ich muss sehen, wer hinter dieser Stimme steht.

Und wieder nur diese roten und glühenden Kreise, ein qualvolles Durcheinander, wirbelnd und jagend, ohne Halt und Ende. Und da! Mitten in diesen endlosen Spiralen voll Schmerz das Gesicht. Ein Madonnenbild in Gold. Ruhig und mild. Der Schlaf der Erschöpfung umfing ihn.

Angelika richtete sich auf. In ihren Augen war ein Lächeln.

„Er ist eingeschlafen“, sagte sie leise.

„Bleiben Sie bei ihm, Schwester Angelika“, befahl der Professor. „Wenn etwas sein sollte, ich bin die ganze Nacht im Haus.“

Noch einmal warf er einen Blick auf seinen Sohn. Dann nahm er zärtlich seine Frau am Arm.

„Komm, mein Lieb“, bat er sanft. „Wir können jetzt nichts für ihn tun. Du musst dich etwas hinlegen.“

Willenlos ließ sich die zierliche alte Dame hinausführen. Von der Tür aus warf sie noch einen Blick zurück, dann schloss sich hinter ihnen die Tür.

Jochen Schreiber war am Fußende des Bettes stehengeblieben. Angelika sah ihn lächelnd an.

„Du musst auch machen, dass du ins Bett kommst, mein Liebster“, bat sie. „Um ihn brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich passe auf.“

Jochen Schreiber nickte. Er spürte, wie die Müdigkeit in ihm hoch kroch. Die Anspannung der letzten Stunden ließ nach, er war nur noch hundemüde.

„Du hast recht, Angelika“, gestand er. „Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.“ Langsam ging er zur Tür. „Gute Nacht, mein Lieb“, murmelte er und verschwand.

„Gute Nacht, mein Liebster“, flüsterte Angelika. Ruhig und entspannt setzte sie sich neben das Bett von Jürgen Winter. Ihre großen blauen Augen waren unverändert auf Jürgen Winter gerichtet.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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