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Nur seinen guten Verbindungen und seinem berühmten Namen konnte es Professor Winter verdanken, dass er noch Karten für die Oper bekommen hatte.

Mathilde Winter genoss es, endlich einmal wieder gemeinsam mit ihrem Mann die Oper besuchen zu können. Strahlend und glücklich begrüßte sie im Foyer Freunde und Bekannte. Alle sollten sehen, wie glücklich sie war.

Die hohen Kristalllüster an der Decke verloschen langsam. Eine feierliche Stille senkte sich über das ausverkaufte Haus. Nur aus dem Orchesterraum klang noch eine vereinzelte Bratsche, die gestimmt wurde. Dann war auch das vorbei. Beifall brandete auf. Der weltberühmte Dirigent, der hier an dieser Oper seine Karriere begonnen hatte, war ans Pult getreten. Tief verbeugte er sich vor dem Publikum. Der Taktstock hob sich, die erste Takte der Musik klangen auf. Mozarts unsterblicher „Don Giovanni.“

Professor Winter machte es sich in seinem Sessel bequem. Seine Augen blieben geschlossen, seine feingliedrigen Hände lagen völlig gelöst auf der mit rotem Samt überzogenen Brüstung. Er gab sich ganz dem Zauber der Musik hin. Der Alltag mit seinen Sorgen und Pflichten war von ihm abgefallen, er war froh, dass er den Mut gefunden hatte, einmal vollkommen abzuschalten.

Auf der Bühne hatten sich zu dieser Galavorstellung die besten Sänger versammelt. Weich klang der Bariton des Don Giovanni durch den weiten Raum, erfüllte ihn ganz. Voll Schmeichelei und männlicher Grandezza erklang sein Ständchen. Ein wahrhaft königlicher Verführer.

Nur schwer fand Professor Winter in die Wirklichkeit zurück, als sich der Vorhang nach dem zweiten Akt zur großen Pause schloss.

Mathilde Winter hatte ihren Mann aus den Augenwinkeln beobachtet.

„Bist du zufrieden, Richard?“, fragte sie leise.

Dankbar nahm er ihre Hand und küsste sie andachtsvoll.

„Ich kann dir nicht sagen, wie glücklich ich bin“, sagte er zärtlich. „Ich danke dir, Thilda. Für alles.“ Dann richtete er sich auf. „Und jetzt komm. Wir wollen ins Foyer gehen.“

Galant reichte er seiner Frau den Arm und geleitete sie hinaus.

Festlich gekleidete Menschen drängten sich durch die Wandelgänge. Immer wieder mussten der Professor und seine Frau stehenbleiben und Freunde und Bekannte begrüßen. Plötzlich flog ein Schatten über die Stirn des Professors.

Mathilde Winter hatte es mit der Feinfühligkeit der liebenden Frau gleich gemerkt.

„Was ist, Richard?“, erkundigte sie sich leise.

„Jochen Schreiber ist hier“, flüsterte Richard Winter zurück. „In der Klinik muss etwas passiert sein.“ Ohne sich etwas anmerken zu lassen, schob er sich langsam auf Jochen Schreiber zu, der sich suchend durch die Menge drückte. Endlich hatte er seinen Oberarzt erreicht.

„Was ist los, Doktor?“, fragte er knapp. „Musste das sein, dass Sie mich hier stören?“

„Endlich, Herr Professor“, atmete Jochen auf. Der vorwurfsvolle Ton des Professors schien ihn nicht zu stören. „Kann ich Sie irgendwo alleine sprechen?“

Der Chirurg warf seinem Oberarzt einen prüfenden Blick zu. Sofort erkannte er, dass Jochen Schreiber eine wichtige Nachricht für ihn hatte.

„Kommen Sie, Schreiber“, sagte er kurz. Er nahm seinen Oberarzt beim Ärmel und führte ihn in eine stille Ecke. Prüfend sah er ihn an.

„Was ist passiert?“

„Es handelt sich um Ihren Sohn, Herr Professor“, sagte Jochen offen.

Professor Winter wurde bleich.

„Um Jürgen?“ Seine Stimme schien erloschen. „Was hat der Junge denn jetzt schon wieder angestellt?“

„Ein schwerer Unfall, Herr Professor“, berichtete Jochen. „Man hat ihn in unsere Klinik eingeliefert. Man hat alles versucht, Sie zu erreichen. Dann konnte ich nicht länger warten, ich habe operiert.“

Der schlanke weißhaarige Mann lehnte sich erschöpft gegen einen Pfeiler. Nervös zupfte er das blütenweiße Taschentuch aus seiner Brusttasche und tupfte sich die Stirn ab.

„Warum musste der Junge auch immer so rasen“, murmelte er vor sich hin. Dann hatte er sich gefasst. „Erzählen Sie“, forderte er knapp. „Warum haben Sie operieren müssen?“

Jochen straffte sich.

„Ihr Sohn hatte einen schweren Milzriss“ erklärte er. „Jedes Warten hätte unnötige Gefahren heraufbeschworen.“

Professor Winter winkte nur ab. Er kannte die Gefahren der inneren Blutungen gut genug, um zu wissen, wie schnell ein Chirurg in einem solchen Fall sein muss.

„Weiter“, befahl er heiser.

„Nach Abschluss der Operation stellte sich heraus, dass ich unbedingt eine Trepanation vornehmen musste. Die vermutete Gehirnerschütterung entpuppte sich leider als Gehirnblutung.“

Nun brach bei dem erfahrenen Chirurgen doch das Vaterherz durch, mit gebrochener Stimme fragte er: „Wie geht es meinem Jungen?“

Jochen legte seinem Chef die Hand auf den Arm. Seine graublauen Augen leuchteten auf.

„Es geht ihm gut, Herr Professor“, sagte er einfach. „Dank Ihnen!“

Der Professor wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann sah er überrascht hoch. Es schien, als ob er erst jetzt die letzten Worte verstanden hätte.

„Wieso, dank mir“, murmelte er.

„Ich hab Ihren Sohn nur retten können, weil ich bei Ihnen soviel gelernt habe“, erklärte Jochen einfach. „Letztlich haben Sie das Messer geführt.“

Professor Winter sah gerührt hoch. Aus dem tiefen Ernst der Worte hatte er gehört, wie aufrichtig es Jochen gemeint hatte.

„Ich bin froh, dass Sie bei mir sind, Schreiber“, sagte er warm. Dann drückte er seinem Oberarzt fest die Hand. „Glauben Sie mir, das werde ich Ihnen nie vergessen.“

Mathilde Winter hatte die Unterredung ihres Mannes mit seinem Oberarzt mit steigender Unruhe verfolgt. Nur mühsam vermochte sie sich auf das leichte Geplauder ihres Gegenüber zu konzentrieren. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Mit einer gemurmelten Entschuldigung verabschiedete sie sich und drängte sich durch die lebhaft diskutierende Menge zu ihrem Mann durch.

Das erste Klingelzeichen ertönte. Die Pause war vorüber.

„Was ist, Richard?“, fragte sie drängend. Dann wandte sie sich an Jochen Schreiber. „Guten Abend, Herr Doktor“, murmelte sie.

Richard Winter nahm beide Hände seiner Frau. Ruhig sah er sie an.

„Du musst jetzt sehr tapfer sein, Thilda“, sagte er leise. „Es geht um Jürgen!“

Aus den Lippen der Frau brach ein Schrei.

„Jürgen!“ Schneeweiß war sie geworden. Groß und unnatürlich schauten ihre Augen Jochen an. „Was ist mit meinem Jungen, Doktor Schreiber. So reden Sie doch endlich.“

Zärtlich legte der Professor einen Arm um die Schultern seiner Frau. Es störte ihn wenig, dass man bereits auf die kleine Gruppe aufmerksam geworden war.

„Jürgen hatte einen Unfall, mein Lieb“, berichtete er. „Aber er ist außer Gefahr. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“

„Ich muss zu ihm“, drängte die zierliche Frau. „Ich muss zu meinem Jungen.“

Jochen Schreiber beugte sich etwas vor.

„Ich habe meinen Wagen dabei, gnädige Frau“, sagte er. „Wenn Sie erlauben, werde ich Sie und Ihren Gatten zur Klinik bringen.“

Ohne ein weiteres Wort drängte Mathilde Winter zum Ausgang. Die Sorge um ihren Sohn trieb sie.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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