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Zur selben Zeit verließ Grethe Lembke die elterliche Wohnung. Sie trug eine große dunkle Sonnenbrille, damit man ihre rotgeweinten Augen nicht sehen konnten und sehnte sich nach Ruhe, Stille, Vergessen ... Ziellos lief sie durch die Stadt. In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken wie Mühlsteine. Wenn das nur aufgehört hätte.

Immer wieder musste sie an Ronny denken, und sie konnte nicht begreifen, dass er Schluss gemacht hatte. Sie hatte ihm doch alles gegeben, hatte nie aufgemuckt, hatte zu allem Ja und Amen gesagt, war mit jeder Entscheidung, die er getroffen hatte, einverstanden gewesen, hatte ihm genügend Freiräume gelassen, damit er sich nicht angekettet fühlte, war bis zur totalen Selbstverleugnung tolerant gewesen – und hatte ihn trotzdem nicht halten können. Oder gerade deswegen nicht? Ach, Ronny. Ronny!

Irgendwann stand sie auf einer hohen Brücke, die sich über eine vierspurige Schnellstraße spannte, und das laute Brausen des dichten Verkehrs stieg zu ihr hoch. Motorräder, Limousinen, Kastenwagen, Trucks ... Wenn da jemand hinunterfällt oder hinunterspringt ..., ging es ihr durch den Sinn. Kein Fahrzeuglenker kann so schnell reagieren. Bis er bremst, ist bereits alles vorbei.

Vorbei! Was für ein faszinierendes Wort. Ronny Puhl – vorbei. Die Liebe – vorbei. Das Leben – vorbei. Kummer, Trauer und Schmerz – vorbei! Ob es weh tut, wenn man...? Wohl kaum. Es würde wahnsinnig schnell gehen. Und dann ... Vorbei!

„Ich würd’s nicht tun“, sagte plötzlich jemand hinter ihr.

Sie zuckte heftig zusammen und fuhr herum. „Wie bitte?“

„Bist du krank?“, fragte ein junger Mann in Jeans und kariertem Hemd.

„Krank?“, fragte sie verwirrt zurück. „Ich? Wieso?“

„Na ja, wenn du unheilbar krank wärst, wär’s vielleicht noch irgendwo verständlich“, sagte der junge Mann. „Obwohl ich das selbst dann noch für keine vernünftige Lösung hielte.“

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Du machst auf mich keinen kranken Eindruck.“ Er deutete mit dem Daumen über seine schmale Schulter. „Ich habe dich beobachtet. Ich bin Gärtner, arbeite in dem Park dort drüben, säge morsche Äste ab, damit sie niemandem auf den Kopf fallen. Als du hier mit hängendem Kopf angeschlichen kamst, dachte ich: Mensch, was hat die denn? Du bliebst stehen, gingst nicht weiter, sahst verdächtig lange auf die Autos hinunter. Da sagte ich zu mir: Quatsch die Kleine mal an, vielleicht kannst du irgend etwas für sie tun.“ Er hob die Augenbrauen. „Kann ich irgend etwas für dich tun?“

Grethe Lembke schwieg.

Der junge Mann – er war fast genauso schmal wie sie – wischte seine Hand an der Gesäßtasche seiner Hose sauber und streckte sie ihr dann entgegen. „Ich heiße Peter Kloiber.“

Grethe ergriff seine Hand nicht.

Peter Kloiber lächelte. „Ich beiße nicht.“

Sie gab ihm trotzdem nicht die Hand.

Er war nicht beleidigt, schob die Hände in seine Jeanstaschen und fragte: „Und wie heißt du?“

„Warum willst du das wissen?“

Er zuckte mit den Achseln. „Nur so. Weil ich dich sympathisch finde.“

„Ich heiße Grethe Lembke.“

„Hallo, Grethe.“

Sie sagte nichts.

„Warum bist du so traurig?“, fragte Peter Kloiber.

„Meine Sache“, gab sie harsch zurück.

Er lachte. „He, Mädchen, ich bin nicht dein Feind. Ich möchte dir helfen, wenn ich kann.“

„Das kannst du.“

„In welcher Form?“

„Indem du mich in Ruhe lässt.“

Er wurde ernst. „Ich wette, du bist nicht zu jedem so abweisend. Wahrscheinlich bin ich nicht dein Typ.“ Er nickte. „Kann ich verstehen. Einer, der aussieht wie ich, ist nicht besonders gefragt.“ Er wollte sich umdrehen und fortgehen.

„Das hat nichts mit deinem Aussehen zu tun“, sagte Grethe Lembke schnell. „Entschuldige. Ich wollte nicht so unfreundlich sein.“

Er wandte sich wieder zu ihr. „Ich nehme deine Entschuldigung an“, sagte er lächelnd. „Und ich würde mich sehr viel wohler fühlen, wenn du nicht länger auf dieser Brücke bleiben und so merkwürdig auf die Autos hinuntersehen würdest.“

„Denkst du etwa, ich habe die Absicht, da hinunterzuspringen?“

„Hast du nicht?“

„Ganz bestimmt nicht.“

„Ich würde mich trotzdem wohler fühlen...“

„Schon gut“, sagte Grethe, „ich verschwinde, damit du beruhigt bist.“

Peter Kloiber schüttelte den Kopf. „So habe ich das nicht gemeint. Ich möchte nur nicht, dass du ... Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?“, fragte er spontan.

„Warum?“

„Warum nicht?“

„Hast du nicht zu arbeiten?“, fragte Grethe Lembke.

„Ich bin für heute so gut wie fertig“, sagte Peter Kloiber. „Was noch zu tun ist, kann ich auch morgen erledigen.“

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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