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In der Firma hatte es Ärger gegeben, und nun fühlte Rainer Märthesheimer sich nicht wohl. Er saß mit seiner Frau vor dem Fernsehapparat, hatte das Abendessen kaum angerührt, und diese Enge in der Brust wurde immer schlimmer.

Er hatte das Gefühl, sich zwischen zwei großen Schraubstockbacken zu befinden, die jemand mit der Absicht, ihn zu vernichten, gnadenlos zusammenpresste.

Was im Fernsehen lief, interessierte ihn nicht. Kalter Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und er konnte bald nicht mehr still sitzen.

Während Ute ihren Naturjoghurt löffelte, stand er auf und stahl sich ins Bad. Er öffnete den Medikamentenschrank. Die Nitrate mit verzögerter Wirkung, Betarezeptorenblocker und Kalziumantagonisten, die der Hausarzt ihm verordnet hatte, konnte er vergessen.

Er brauchte das Wundermittel, das ihm sofort half: Nitroglyzerin. Es würde die Herzkranzgefäße erweitern und so den Blut und Sauerstoffzufluss zum Herzen steigern.

Er hätte die Tablette schon viel früher zerkauen sollen. Warum hatte er nur so lange gewartet und sich gequält? Rasch nahm er das Medikament, und nach wenigen Sekunden setzte bereits die Erleichterung ein.

Er wusch sich das Gesicht. Als er sich abtrocknete, bemerkte er im Spiegel, dass seine Frau hinter ihm stand und ihn mit sorgenvoller Miene beobachtete.

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Ute Märthesheimer.

„Es ist schon wieder vorbei.“

Sie schaute auf die offene Medikamentenpackung? „Du musstest wieder eine Nitroglyzerintablette nehmen.“

„Ja.“

„Du brauchst sie immer öfter.“

„Mach dir keine Sorgen. “

„Ich mache mir aber Sorgen.“

„Das ist nicht nötig“, behauptete Rainer nicht sehr überzeugend. „Ich habe diese Sache gut im Griff.“ Es war eine sehr ernst zu nehmende Krankheit, aber wenn es sich vermeiden ließ, nannte er sie nicht so.

„Es fällt mir schwer, dir das zu glauben, Rainer“, erwiderte Ute Märthesheimer mit belegter Stimme. „Ich bin deine Frau. Ich lebe mit dir. Mir kannst du nichts vormachen. Ich sehe doch, wie sich dieses Leiden stetig verschlimmert, wie es dir von Mal zu Mal mehr zu schaffen macht.“

„Unsinn. Ich hatte heute nur einen schweren Tag.“

Sie griff nach seinen Händen. „Ich habe Angst um dich.“

„Das brauchst du nicht.“ Er entzog sich ihrem Griff.

„Ich möchte dich nicht verlieren.“

„Das wirst du nicht.“

„Wie soll ich denn ohne dich leben?“ Ihre Stimme schwankte.

Er verdrehte die Augen. „Himmel noch mal, so lass mich doch nicht fortwährend sterben, Ute.“ Er lächelte. „Ich habe diesbezüglich für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre absolut nichts im Sinn. Das kannst du meinetwegen schriftlich haben.“

Sie sah ihm verständnislos in die Augen. „Warum bist du nur so schrecklich unvernünftig?“

Er wich ihrem Blick aus. „Ich weiß, was für mich das Beste ist, und solange ich meine Tabletten habe, ist für mich im Großen und Ganzen alles in Ordnung. Wenn der Mensch auf die Fünfzig zugeht, ist er nun mal nicht mehr völlig beschwerdefrei. Man darf das nicht so überbewerten. “

„Warum begibst du dich nicht in ein erstklassiges Krankenhaus ...“

„Ute, bitte!“, fiel Rainer Märthesheimer seiner Frau verdrossen ins Wort. „Du weißt, was ich von Krankenhäusern halte.“

„Die Paracelsus-Klinik, zum Beispiel, hat den allerbesten Ruf. Meinst du, das kommt nur so von ungefähr? In diesem Haus arbeiten hervorragende Spezialisten.“

„Solche hervorragende Spezialisten haben meinen Vater auf dem Gewissen“, sagte Rainer Märthesheimer sarkastisch. „Wenn er sich nicht zu dieser Operation hätte überreden lassen, hätte er mit Sicherheit länger gelebt. Ich habe keine Lust, mich dem gleichen Risiko auszusetzen. “

„Ich kann deine Furcht ja verstehen ...“

„Wie denn?“, unterbrach der Mann seine besorgte Frau ungestüm. „Wie willst du mich verstehen? Hast du deinen Vater etwa auch auf dem Operationstisch verloren?“

„Das nicht ...“

„Hast du das schlechte Herz deines Vaters geerbt?“

„Nein, aber ...“

„Wie kannst du dann glauben, mich zu verstehen?“

„So lass mich doch auch mal was sagen“, flehte Ute Märthesheimer ihren uneinsichtigen Mann an. „Jedes gesundheitliche Problem liegt anders. Nach dem Tod deines Vaters hat die ärztliche Kunst sich rasant weiterentwickelt. Nichts ist mehr, wie es war, als dein Vater operiert wurde. Warum willst du das nicht einsehen? Wieso kannst du nicht ein bisschen mehr Vertrauen in die heutige Medizin haben?“

„Weil auch heute die Ärzte noch keine Wunder vollbringen könne, und weil ihnen noch immer dieselben Fehler unterlaufen wie vor zehn oder zwanzig Jahren.“ Er streckte den Daumen hoch und begann aufzuzählen: „In den Körpern operierter Patienten werden Tupfer und Klammem vergessen.“ Zeigefinger. „Übermüdete Chirurgen entfernen an Stelle der kranken Niere die gesunde.“ Mittelfinger. „Oberflächliche Ärzte spritzen den Menschen, die ihnen vertrauen, Nährlösungen in die Blutbahn, anstatt in den Magen.“

Seine Frau wollte etwas einwenden, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Sicher – jeder, der arbeitet, kann Fehler machen. Aber die Fehlleistung eines Arztes kann seinen Patienten unter Umständen das Leben kosten, und diesem medizinischen Vabanquespiel möchte ich mich nicht aussetzen.“

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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