Читать книгу Sieben Romane: Heimatroman Extra Großband Juli 2021 - A. F. Morland - Страница 10
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ОглавлениеSeit einer Woche befand sich Burgl Sallegg auf dem Weitgasserhof. Sie war ein fleißiges und williges Geschöpf. Hin und wieder konnte sie auch der seltsamen Bäuerin ein kleines Lächeln abgewinnen. Besonders, wenn sie flink wie ein Wiesel durch das Haus huschte und erst zufrieden war, wenn alles blitzte. Ja, es war wirklich höchste Zeit geworden, dass sie gekommen war. Liese konnte die Putzarbeiten nicht mehr so bewältigen. Im Gegensatz zur Weitgasserin, die war ja noch stark und kräftig, aber sie kümmerte sich kaum noch um irgend etwas.
Burgl hatte sich auch daran gewöhnt, dass die Blicke der Frau ihr überall hin folgten. Anfangs hatte sie bestürzt angenommen, sie würde nur deswegen so scharf beobachtet, weil man ja schließlich eine Fremde ins Haus genommen habe und hier gab es ja genug Schätze.
Sie vertraute sich Liese an.
»Musst es ihr nicht verübeln, Burgl, nein, das ist es wirklich nicht, Kind. Musst es ihr nachsehen, sie hat es nicht einfach, die Eleonore, schau drüber weg.«
»Aber warum denn? Ich versteh das alles einfach nicht, Liese. Warum sagst mir nicht den Grund?«
»Nein, ich hab' jetzt für einen Tratsch keine Zeit mehr. Und wenn du mit den Stuben oben fertig bist, dann komm runter, du musst für mich ins Dorf etwas besorgen.«
So war es jedes mal, wenn sie weiterbohrte, dann wich Liese ihr aus.
»Ich bin gleich soweit«, sagte sie dann nur.
Während sie nach oben stieg, hörte sie ein Geräusch. Aber sie hatte nichts gesehen. Doch da sah sie die Bäuerin ganz plötzlich vor sich stehen. Sie hatte sie unten in der großen Stube gewähnt.
Sah sie vielleicht heimlich nach, ob sie auch wirklich gründlich war? Burgl biss sich auf die Lippen. Nein, sie wollte es nicht sagen.
Sie stand an der Treppe, dort hinten machte der Gang einen Knick, Liese hatte ihr ja schon gesagt, die Räume sollten nicht gesäubert werden.
»Ich hab' gerade daran gedacht, den Gang dort zu putzen, er hat es nötig«, sagte sie hastig.
Täuschte sie sich, oder war wirklich ein dunkler Schatten über das Gesicht der Frau gezogen? Diese starrte für einen Moment auf die Türen, dann drehte sie sich um und hielt sich am Treppengeländer fest. Sie atmete schwer.
Burgl hatte Angst, dass sie einen Ohnmachtsanfall bekommen würde. Und das hier oben an der Treppe. Liese würde sie gar nicht hören können, wenn sie rief.
Die Stimme der Bäuerin klang plötzlich alt und brüchig, als sie schwer atmend zu sprechen begann.
»Nein«, sagte sie leise, »nein, ich verbiete es dir, auch nur den Gang zu betreten. Schwöre mir das! Ich muss dich inständig darum bitten, dieses Verbot einzuhalten!«
Burgl Sallegg war erstaunt und verblüfft zugleich.
»Aber Bäuerin, wenn Sie es nicht wünschen, tue ich es natürlich nicht. Ich hab’ doch nur gedacht, ich...«
»Bitte, frag mich nicht, warum ich dieses Verbot aussprechen muss. Ich könnte dir keine Antwort darauf geben.«
Wieder fühlte sie einen kalten Schauer über ihren Rücken rennen.
»Es ist Ihr Haus, Weitgasserin! Wenn Sie nicht wünschen, dass ich dort putze, so werde ich es bleiben lassen.«
»Und du wirst auch nie neugierig werden und nachschauen? Ich meine, in den Stuben, die an dem Gang liegen?«
Flackernd huschte der Blick der Frau über das Gesicht des jungen Mädchens.
»Nein!«, versprach Burgl mit fester Stimme.
»Ich glaube dir«, sagte die Frau leise und ging nach unten.
Bugl war noch immer sehr verwirrt. Sie konnte sich das rätselhafte Verhalten der Bäuerin nicht erklären. Warum hatte sie solche Angst, dass sie dieses Verbot übertreten würde?
War es das, weswegen ihr der Blick der Weitgasserin immer folgte?
Spielte sich vielleicht in ihrer unmittelbaren Nähe ein Verbrechen ab?
Mein Gott, dachte Burgl, nun seh ich auch schon Gespenster. Wirklich, ich denk’ mir da was aus. Nein, das geht mich nun wirklich nichts an. Die Weitgassers sind wirklich nett zu mir, wenn sie es also nicht will, dann richt’ ich mich danach. Vielleicht sind dort die früheren Kinderzimmer, und vielleicht hat es mal Kinder gegeben und jetzt will sie nicht, dass ich etwas umstelle oder verändere. Ja, so wird es wohl sein. Deswegen sind die Liese und der Viktor auch so. Sie wissen mehr, denn sie leben ja schon seit einer Ewigkeit hier.
Ja, das wird es sein, ich soll nicht in ihren Erinnerungen herumwühlen, sie haben den Schmerz in sich und können nicht aufhören, daran zu denken.
Natürlich hatte sie auch Ernst Weitgasser kennengelernt Er war gleichfalls groß und stattlich und eine imponierende Persönlichkeit. Früher sollte er sogar Bürgermeister im Dorf gewesen sein, aber dann hatte er ganz plötzlich das Amt niedergelegt. Auch er machte einen müden und gebeugten Eindruck, doch schienen ihn die Geschäfte sehr zu belasten. Er hatte sehr viel Verständnis für die Frau und tat alles, was diese verlangte. Als er Burgl kennenlernte, hatte er sie kurz gemustert, dann nur genickt.
»Es ist schön, dass du zu uns gekommen bist«
Sie hatte ein wenig Furcht vor dem Mann und wusste nicht so recht wie sie sich verhalten sollte. Doch bei den gemeinsamen Mahlzeiten lernte sie ihn dann näher kennen.
Auch er war von Sorgen umgeben. Und wenn sein Blick auf Eleonore fiel, dann hatten seine Augen einen feuchten Glanz. Mein Gott, dachte das junge Mädchen, was ist mit den beiden denn nur los?
»Burgl, bist du fertig?«
Sie schrak aus ihren Gedanken auf.
Die Bäuerin hatte sie schon längst verlassen. Unten stand Liese und rief nach ihr.
»Ja, ich komme.«
Wenig später hatte sie den Einkaufskorb am Arm und wanderte den Weg zum Dorf hinunter. Sie musste zur Krämerin, dort bekam man all die Kleinigkeiten die man nun mal für einen Haushalt braucht.
Sie war schon zweimal unten gewesen. Bis jetzt hatte man sie nicht recht beachtet. Ihr die Sachen gegeben und das Geld angenommen.
Heute spürte Burgl, dass sie von vielen Augen beobachtet wurde. Die Ratschen im Dorf hätten längst schon gern mehr über das Dirndl gewusst.
»Bist also gar kein Feriengast«, wurde sie von der Krämerin gefragt.
»Nein«, sagte sie höflich.
»Wo wohnst denn?«
»Die Familie Weitgasser war so freundlich und hat mir Arbeit gegeben.«
Das schlug wirklich wie eine Bombe ein. Die Frauen im Laden blickten sich verblüfft an. Ja, da war sie doch tatsächlich zu ihnen ins Dorf gekommen und lebte dort oben auf dem Hof und sie hatten es nicht gewusst. Bei den Weitgassers! Na, das war ja wirklich was.
Burgl hatte ja schon von Viktor und Liese so einiges über die Dörfler erfahren. Als man nun näher an sie heranrückte und blanke Augen vor Neugierde hatte, da zog sie sich ein wenig zurück und sagte mit leiser Stimme: »Ach bitte, könnt’ ich wohl das Garn bekommen, ja und dann möchte ich noch ...«
Aber sie wurde sofort unterbrochen.
Die alte Haubnerin konnte es nicht mehr aushalten.
»So red’ doch endlich, wie ist es dort oben, was tun sie denn jetzt, los, sag es uns, wir warten schon lang darauf um zu erfahren, was ...«
Burgl blickte die Frau unerschrocken an und sagte dann sehr laut und deutlich: »Ich rede nicht über Leute, bei denen ich angestellt bin, wenn ich jetzt bittschön alles bekommen könnte, um was ich gebeten habe?«
Das war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Sofort verlor sie alle Sympathien. Sie spürte ganz deutlich, dass sie jetzt einen schweren Stand im Dorf haben würde. Aber zugleich dachte sie, das war doch ein Verrat, was geht das die Leute an, welche Verhältnisse auf dem Weitgasserhof herrschen. Sie wollten etwas ganz Bestimmtes wissen, schien ihr. Doch das wusste sie ja selbst nicht. Jetzt hatte sie ganz deutlich das Gefühl, dass der Hof ein Geheimnis barg.
Die Dörfler wussten einiges, aber nicht alles. Merkwürdiges hatte sie ja selbst schon erlebt da oben, aber das ging die Leute nichts an.
Ruhig packte sie alle Sachen ein, zahlte, wünschte ihnen einen guten Tag und verließ den Laden. Dann machte sie sich wieder an den Aufstieg. Dazwischen blieb Burgl aber immer wieder stehen und sah zurück. Das Dorf lag so malerisch, und dann da oben der herrliche Hof. Das Herz wurde weit, wenn man das alles sah. Tiefer Friede kehrte in die Seele des jungen Mädchens ein. Es atmete tief die würzige Luft ein und hätte gern die Arme ausgebreitet, wenn der Korb nicht gewesen wäre. Sie konnte ihn nicht abstellen, er wäre auf dem steilen Pfad umgefallen. So stieg sie weiter am Rand blühender Sommerwiesen dem Weitgasserhof entgegen.
Liese buck Brot, als Burgl in die Küche trat. Das tat sie noch wie in alten Zeiten, obwohl man es natürlich nicht nötig hatte, aber es schmeckte halt viel besser.
Sie warf Burgl einen raschen Blick zu, dann knetete sie weiter. Das Gesicht war tiefrot. Vom Ofen strömte starke Hitze in den Raum.
»Na?«, fast knurrend kam es über die Lippen.
Burgl räumte die eingekauften Sachen flink weg und setzte sich an den Tisch.
»Sie sind nicht sehr nett, unten«, sagte sie langsam.
»Da bist heut wohl in eine Meute Klatschweiber geraten, wie?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Und?«
»Nichts«, erwiderte Burgl. »So eine bin ich nicht, darum werden sie mich jetzt wohl auch nicht mögen. Und ich habe gedacht ...«
»Was hast gedacht?«, wollte Liese wissen.
»Dass ich vielleicht drunten eine Freundin finde, ich meine ...«
Liese lachte verächtlich auf. »Den Zahn kannst dir gleich ziehen lassen. Die sind doch alle so verdammt stolz. Da musst noch eine ganze Weile warten, bis sie dich akzeptieren. Die lassen Fremde nicht gern in ihre Gemeinschaft«
»Du hast recht, Liese. Ich glaube, ich muss noch sehr viel lernen.«
Der Teig war jetzt fertig und musste eine Weile ruhen. Liese wusch sich die Hände, dann kam sie mit der Kaffeekanne die immer bereitstand und schenkte zwei Tassen ein. Gemütlich saßen sie sich gegenüber.
»Es wird dir wohl zu langweilig bei uns? Bereust es schon, dass du in die Berge gekommen bist?«
»Nein, nein«, wehrte Burgl erschrocken ab. »Wirklich nicht, ich hab doch nur gedacht ...«
Liese strich ihr gutmütig über den Arm. »Ich weiß schon wie du es gedacht hast, mir kannst nix vormachen, bist ein gutes Kind, Burgl, aber helfen kann ich dir nicht. Weißt, alles wiederholt sich im Leben. So wie du jetzt traurig hier sitzt, so hab’ ich vor vielen Jahren die gleiche Erfahrung machen müssen, als ich als ganz junges Ding hierherkam. Man will ja nix von ihnen, nur ein wenig Freundlichkeit und kleine Freundschaften, mehr nicht. Man kann nur überleben, wenn man seinen Stolz behält. Lass dich nicht unterkriegen, Kind.«
»Nein, keinesfalls!«
Entschlossen stand Burgl auf.
»So, jetzt will ich mich wieder an die Arbeit machen. Für heut hab ich mir das große Zimmer vorgenommen. Ich will die Fenster putzen und die Gardinen waschen.«
»Ach, den Salon«, sagte Liese nur. »Der Viktor soll dir aufschließen und helfen, die Gardinen abzunehmen.«
Burgl lachte ein wenig verdutzt auf. Das Wort Salon auf einem Bergbauernhof fand sie doch ein wenig komisch.
Wenig später ging sie also mit dem Alten durch den dunklen Flur. Er schloss die Tür auf. Abgestandene Luft schlug ihnen entgegen.
»Dieser Raum wird nur an hohen Festtagen benutzt«, erklärte Viktor.
Das Zimmer nahm fast den ganzen hinteren Trakt ein und besaß viele Fenster. In den Nischen dazwischen befanden sich Bücher. Burgl war nun doch ein wenig verdutzt. Als sie dann auch noch die wertvollen Möbel gewahrte, die so gar nicht bäuerlich aussahen, staunte sie.
»Ja, das sind die Erbsachen vom Bruder der Eleonore Weitgasser. Er war Maler, weißt, und hat viel im Ausland gelebt. Als er dann eines Tages verunglückte, kamen die Sachen zu uns. Viele Erinnerungen hängen daran.«
»Das verstehe ich«, sagte Burgl leise, »deswegen geht man wohl selten in dieses Zimmer?«
»Ja, ja«, brummte er ein wenig unwirsch.
Immer wenn sie die Vergangenheit anschnitt, wurde der Alte kurz angebunden, ansonsten sprach er doch so gerne.
Dann entdeckten ihre Augen ein gemaltes Bild. Es hing über dem Sofa und wurde fast von den Gardinen verdeckt. Es zeigte einen jungen Mann in einer anmutigen Pose. Seine blauen Augen blitzten hell in der Sonne und ein übermütiges Lächeln spielte um seine Lippen. Es musste sich um einen etwa zwanzigjährigen Burschen handeln.
»Meine Güte«, sagte sie fast betroffen, »der junge Mann wirkt fast lebendig auf dem Bild. Ist das der Maler selbst?«
Aber kaum hatte sie das ausgesprochen, da wusste sie auch schon, dass er es nicht sein konnte. Der Bursche sah aus wie einer aus dem Dorf. Das fühlte man ganz deutlich. Als er gemalt wurde, schien er sich sogar lustig zu machen über das, was man tat. Fast widerwillig schien er zu diesem Bild gesessen zu haben.
Viktor zuckte mal wieder zusammen. Seine Augen wurden schmal, als er das Bild anstarrte.
»Nein«, sagte er mit harter Stimme. »Es ist nur ein Gemälde. Es zeigt niemanden. Der Bruder hat es gemalt, verstehst, sie behält es als Andenken, Burgl.«
Das Mädchen starrte noch immer das Bild an.
»Weißt, ich kann mir nicht helfen, aber ich hab’ das Gefühl, als sähe es der Weitgasserin ähnlich. Vielleicht täusch' ich mich auch, ich hab ja nicht viel Ahnung.«
»Warum interessiert dich das Bild so? Ich denk', hier gibt es Arbeit genug. Und wenn du nicht bald damit anfängst, wird es nix mehr.«
»Ich find es so schön, ich weiß auch nicht ...«, murmelte sie und öffnete ein Fenster, dass endlich frische Luft in den erinnerungsträchtigen Raum kam.
So sehr sie sich jetzt auch in die Säuberung des großen Zimmers stürzte, sie sah sich immer wieder um und starrte das Bild an.
Der Alte hatte schon längst das Zimmer verlassen. Er hatte ihr geholfen, die Gardinen abzunehmen und den großen Teppich zusammenzurollen. Den sollte Peter nachher holen und an die Luft hängen.
Als sie endlich das Zimmer soweit hergerichtet hatte, fühlte sie sich rechtschaffen müde. Die Gardinen würde sie morgen waschen. Nach dem Essen ging sie gleich auf ihr Zimmer. Obschon man sie gern unten sah, so fühlte sie doch, dass die Bäuerin glücklicher war, wenn sie ging, dann konnte sie mit Liese und Viktor reden. Der Weitgasser kam immer sehr spät heim.
Sie hatte sich ein paar Bücher mitgenommen und jetzt saß sie und las. Aber seltsam war es schon, immer wieder musste sie an das Bild denken. Sie wollte es aus ihrem Gedächtnis drängen, aber es war da und blieb da.
Als sie endlich mit dem Lesen aufhörte, fühlte sie, wie steif sie geworden war.
Es war bereits sehr spät. Sie zog sich aus, streifte den Morgenmantel über, verließ ihr Zimmer und ging ins Bad. Burgl gähnte, als sie wieder über den Flur ging. Dabei fiel ihr Blick auf die verbotene Tür. Narrten sie ihre Sinne, oder kam da wirklich ein Lichtschein unter den Ritzen hervor? Sie blieb stehen und fühlte, wie ihr Herz angstvoll zu klopfen begann.
Das Mädchen lauschte, aber sie hörte keinen Ton. Lautlos lief sie in ihr Zimmer zurück, verriegelte die Tür und legte sich zu Bett.