Читать книгу Sieben Romane: Heimatroman Extra Großband Juli 2021 - A. F. Morland - Страница 18
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Sascha, der schöne Jagdhund, schloss sich immer mehr dem jungen Mädchen an. Wenn Burgl mit der Arbeit fertig war, dann hockte er hoffnungsvoll unten an der Treppe und blickte sie treu an. Sehr schnell hatte das Tier gelernt, am Tage nicht mehr zur verbotenen Tür zu laufen, dort zu jaulen und zu kratzen.
Kein Wunder, dass bei diesem schlechten Wetter niemand Lust hatte, mit dem Tier nach draußen zu gehen. Man konnte ihn nicht frei laufen lassen. Er wilderte zwar nicht, aber der Förster hatte was gegen streunende Hunde und machte keinen Unterschied, wem er gehörte.
Burgl scheute das Wetter nicht. Wenn es nicht gerade schüttete, ging sie mit Sascha hinaus.
Hinter dem Garten floss ein breiter Bach. Jetzt führte er nur schlammiges Wasser aus den Bergen und war recht trübe. Im Augenblick sah die Landschaft trostlos aus. Die letzten Blätter hatte der Regen von den Bäumen geschlagen. Die abgeernteten Felder machten das Land öd und leer. Wie würde der Winter hier sein? Hoffentlich wurde es ihr dann nicht doch zu einsam.
Sascha musste natürlich in den Bach waten, das machte ihm Spaß, aber er sah nachher einfach unmöglich aus. Für Burgl waren diese Ausflüge mit dem Hund ein Gang in eine andere Welt. Wenn sie den Hof mit seinen Geheimnissen hinter sich ließ, dann wurde sie wieder das Mädchen, das einsam und verloren wirkte. Das auch ein wenig Angst vor der Zukunft empfand. Denn sie begriff jetzt, dass man in der Schule hohe Forderungen stellte. Und wenn sie es jetzt nicht schaffte? Was sollte sie dann beginnen? So viele Zweifel stiegen manchmal in ihr empor. Und sie hatte keinen Menschen, an den sie sich wenden konnte.
Wenn sich der Hund richtig ausgetobt hatte, kehrten sie wieder ins Haus zurück. Die Weitgasserin empfing sie einmal und meinte nur: »Es ist nicht deine Pflicht, das weißt du doch?«
»Das weiß ich, aber es macht mir Spaß.«
Eleonore blickte sie ruhig an. Sie sind ein seltsames Mädchen, Burgl.«
Burgl wusste keine Antwort darauf.
Jetzt, wo es schon immer sehr schnell dunkel wurde, kam auch der Bauer zeitiger heim. Aber meistens saß er nur schweigend im Herrgottswinkel, aß, was ihm vorgesetzt wurde, dann verzog er sich in das kleine Büro hinter der Treppe. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Burgl sah ihn nie lachen. Die wenigen Male, wo er gelächelt hatte, konnte sie an einer Hand abzählen.
Immer wieder sagte sich das junge Mädchen, ich habe wirklich Glück gehabt. Besser hätte ich es gar nicht treffen können. Sie sind alle so nett und freundlich zu mir. In der ganzen Zeit habe ich kein böses Wort gehört, wenn ich daran denke, wie die Tante mich immer ausgeschimpft hat. Mein Gott, der konnte man wirklich nichts recht machen. Die Arbeit war mir so verhasst. Hier muss ich viel mehr arbeiten, das heißt, ich mache sogar mehr, als ich muss, und doch habe ich großen Spaß daran. Wenn nur nicht diese Heimlichkeiten gewesen wären. Mitunter packte sie die Angst so stark, in den Oberstock zu gehen, dass sie lange zögernd unten an der Treppe stand. Ja, manchmal
nahm sie sogar Sascha mit nach oben und er musste dann so lange in dem gleichen Zimmer verbleiben, bis sie mit dem Putzen darin fertig war.
Außerdem spürte sie ganz deutlich, dass sie von allen beobachtet wurde. Glaubten sie, dass sie das Verbot übertreten würde? Ihr fehlte jeglicher Antrieb hinter die Tür zu sehen. Wenn sie jetzt schon solche Angst hatte, was würde erst sein, wenn sie das Geheimnis kannte?
Die Novemberstürme hatten eingesetzt und damit auch die ersten Schneefälle. Zum Glück war das Wintersemester auf den Nachmittag verlegt worden. Da konnte sie morgens noch ihre Arbeit tun und der Liese zur Hand gehen. Liese musste für sie sogar früher kochen, aber sie tat es gern. Kurz nach zwölf, wenn die Glocken im Tal läuteten, schnappte sie sich ihre Büchertasche und ging den Weg hinunter ins Dorf. Von dort nahm sie dann den Bus. Er führte sie durch das weitgestreckte Tal der Wildschönau und hielt kurz vor der Landwirtschaftsschule.
So war es dann in der Regel, dass sie abends um acht Uhr endlich wieder daheim war. Alle im Haus glaubten, sie würde das nicht lange durchhalten. Aber der ganze November verstrich, und sie blieb tapfer bei der Stange.
»Ich bin zäh«, sagte sie lachend.
»Du machst dich kaputt«, jammerte Liese. »Das hältst nimmer lang aus.«
»Geh, es macht mir Spaß. Aber heute wird es später werden, Liese, wir haben da noch ein paar Experimente zu machen, weißt!«
»Noch später?«, entsetzte sich Liese.
»Ja, auf mich nehmen sie keine Rücksicht. Die meisten leben dort in einem Internat oder in Pensionen. Also sie sind an Ort und Stelle. Nur ein paar Schüler kommen von außerhalb. Es wird schon nicht so schlimm.«
»Aber so spät, hui, hast denn keine Angst?«
»Geh, gleich neben der Schule hält der Bus, der fährt mich bis ins Dorf und auf dem Weg hier herauf schnappt mich schon keiner weg. Bei dieser Kälte ist niemand mehr draußen.«
»Nur du, weil du übergeschnappt bist.«
»Nein, weil ich einen zähen Willen habe, darum. Ich denke an die Zukunft.«
»Geh«, sagte Liese, »du bist ein hübsches junges Mädchen. Brauchst dich doch nicht so abzurackern, bald wirst bestimmt geheiratet, dann war alle Mühe umsonst.«
»Ich heirate erst, wenn überhaupt, wenn ich fertig bin. Ich will niemandem auf der Tasche liegen, weißt!« Wieder hatte sie so ein ernstes Gesicht. Liese und Viktor waren dann immer richtig erschrocken.
Als sie fort war, murmelte der Alte: »Die hat auch was auf dem Herzen.«
»Einfach hat sie es bestimmt nicht gehabt, nein, denn sonst wär' sie wie all die anderen flatterhaften Dinger.«
»Ich wünschte, sie würde immer bleiben«, sagte Viktor.
»Wer wünscht sich das nicht ...«
Ja, es war schon ziemlich anstrengend, aber Burgl biss die Zähne zusammen. Sie dachte daran, dass in drei Jahren alles überstanden war. Ich bin jung und zäh, ich will es schaffen, der Tante will ich beweisen, dass ich es schaffe. Allen will ich es zeigen!
An diesem Abend wurde es also besonders spät. Aber sie hatte ja Liese und Viktor Bescheid gesagt, es würde sich keiner Sorgen machen. Außerdem hatte sie ja einen eigenen Schlüssel.
Als sie dann aus dem Postbus stieg, merkte sie, dass sie der letzte Fahrgast war.
»Keine Angst?«, fragte der Fahrer.
»Nein«, sagte sie und presste die Zähne zusammen.
»Na, dann einen guten Heimweg.«
»Danke!«
Die Hände waren klamm und die Füße fühlte sie auch schon gar nicht mehr. Im Bus war die Heizung echt lau gewesen. Stumm und wie ausgestorben lag Thierbach da. Nicht ein Licht konnte sie in den Häusern entdecken. Es musste schon nach zehn sein. Der Bauern Tagwerk begann früh, also gingen sie am Abend zeitig schlafen.
»Zum Glück scheint der Mond mir«, murmelte Burgl vor sich hin.
Dann machte sie sich auf den Weg. Die Winternacht war zauberhaft. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Irgendwo war die Last auf den Zweigen zu schwer geworden, und raschelnd fiel der Schnee zu Boden. Ganz in der Nähe schrie ein Käuzchen, weit entfernt antwortete ein anderes.
Ihre Schritte wurden immer schneller.
Als das Haus in Sicht kam, dachte sie einen Augenblick daran, was wäre, wenn sich der nächtliche Besucher im Garten aufhalten würde? Zwar hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen, aber auch wohl nur deshalb, weil sie nicht mehr wachgeworden war. Außerdem lud das Wetter nicht dazu ein, nachts im Garten zu sitzen.
Endlich hatte sie die Tür erreicht und war in Sicherheit. Hoffentlich lag Sascha nicht mitten im Flur, so dass sie womöglich über ihn stolperte und Krach verursachte. Sie wollte sie ja nicht alle im Hause wecken. Burgl schob leise den Schlüssel in das Schloss. Viktor musste noch kurz vor dem Schlafengehen den Schnee fortgeräumt haben. Licht wollte sie nicht mehr machen, nur schnell die Treppe hinaufhuschen, um endlich ins Bett zu kommen. Sie fühlte, wie die Müdigkeit sich in ihr breitmachte.
Burgl streifte die Schuhe von den Füßen und hängte den Mantel an den Haken in der Nische. Das Mondlicht fiel durch das kleine Fenster, so dass sie gar kein Licht benötigte. Dann nahm sie die Büchertasche und schlich die Treppe hinauf.
Zunächst begriff sie gar nichts. Sie sah unerwartet einen breiten Lichtschein auf dem Flur und glaubte, er käme aus ihrem Zimmer, weil sie vergessen hatte, das Licht zu löschen. Aber dann entdeckte sie zu ihrem maßlosen Schreck, dass die verbotene Tür weit offenstand und daraus das Licht fiel. Ihr Herz klopfte wie rasend. Sie stand still und presste die Tasche gegen ihre Brust. Dann sah sie auch die Gestalt. Sie kam gerade über den Flur und befand sich mitten im Lichtschein. Es war ein Mann. Sie suchte mit den Augen sein Gesicht.
Dann schrie sie auf! Sie schrie wie noch nie!
»Nein! Nein!«
Ihre Hand tastete nach dem Geländer. Sie wollte fliehen, nur fort! Der Schreck war zu gewaltig. Eine menschliche Gestalt ohne Gesicht stand oben auf dem Treppenabsatz und schien genauso erschrocken wie sie.
Burgl spürte nur, wie ein ungeheurer Schock ihre Glieder lähmte, wie alles in ihr erstarrte und zu Eis wurde. In diesem Augenblick tat der Mann einen Schritt vorwärts. Im Moment glaubte sie, er wolle sich auf sie stürzen.
Fort, weg, weglaufen ...
»Neeiiin!«
Burgl hob abwehrend die Hände.
Sie verfehlte die erste Treppenstufe, strauchelte, stürzte und schlug mit dem Kopf auf eine Kante und fiel dann polternd die ganzen Stufen hinunter.
Der Mann stand für einen Augenblick bewegungslos oben an der Treppe. Dann stürzte er vorwärts, dem Mädchen nach. Er sah es unten auf der letzten Stufe bewusstlos liegen, beugte sich darüber und starrte in das leblose Gesicht. Ganz sanft streichelte er mit seinen Händen über die zarte Haut. Dann hörte er ein Geräusch, blickte auf, lief hastig die Treppe hinauf und schlug die Tür hinter sich zu.