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Am nächsten Morgen schien die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Hell und silbern glänzten die Bergspitzen, die Vögel sangen in den Bäumen, irgendwo tief im Wald hörte man Axtschläge. Alles war so friedlich und schön.

Alle Ängste der Nacht waren wieder vergessen. Burgl sprang mit beiden Beinen aus dem Bett. Bald war sie unten in der Küche und deckte den Frühstückstisch. Sie hatte es noch immer nicht geschafft, vor Liese aufzustehen.

Diese sagte nur freundlich: »Daran wirst dich halt nicht mehr gewöhnen, früher, da mussten wir immer schon um vier heraus. Das liegt mir im Blut, außerdem, ich bin eine alte Frau und brauch’ nicht mehr so viel Schlaf.«

»Aber ich möcht dir doch helfen. Sogar der Bauer ist schon wieder vor mir fort.«

»Nun, der ist auch so einer, den es morgens zeitig aus den Federn treibt, ob es schneit, oder die Sonne scheint.«

Die Weitgasserin kam in die Küche, wie stets, mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen. Ihre Augen wirkten ein wenig müde, dabei war es doch noch früh am Morgen, und die Sonne schien so wundervoll.

Unwillkürlich musste Burgl wieder an das Bild denken, aber sie sprach nicht davon.

Schweigend nahm man das Frühstück ein. Als sich die Bäuerin erheben wollte, warf sie dem jungen Mädchen einen Blick zu.

»Hast dich schon eingewöhnt? Oder ist es dir zu still hier oben?«

»Nein, nein«, versicherte Burgl hastig. »Mir gefällt es hier sehr gut, und am Sonntag steig ich in die Berge.«

»Gestern hat man sie im Dorf ausfragen wollen«, warf Liese dazwischen.

Wieder sah Burgl, wie die Weitgasserin zusammenzuckte. Richtig blass wurde sie.

»Und?«, fragte sie mit brüchiger Stimme.

»Nix«, meinte Liese ruhig. »Das Dirndl weiß sich zu helfen, außerdem mag es den Tratsch nicht.«

Tiefe Erleichterung legte sich auf die verhärmten Züge.

»Ich gehe dann Bohnen pflücken, kannst mir dabei helfen, wenn du die Gardinen fertig hast, Burgl.«

»Gern«, sagte sie herzlich.

Burgl beeilte sich, die Vorhänge in die Waschmaschine zu bringen. Dann legte sie mit Peters Hilfe, der die schweren Möbel anhob, den Teppich in dem großen Zimmer wieder aus. Als die Gardinen auf der Leine hingen, holte sie sich einen Korb und ging zur Bäuerin in den Gemüsegarten.

Die Ahnen mussten ein gutes Gespür gehabt haben, als sie das Haus gerade in diese Mulde bauten. Von zwei Seiten wurde es von einer hohen Felswand begrenzt, so dass es im Sommer ganz besonders warm und geschützt war. Hier droben konnte man sogar sehr früh Rosen blühen sehen und auch das Gemüse gedieh hier viel besser.

Zu ihrer Verwunderung entdeckte Burgl am Ende des Gemüsegartens ein kleines Gewächshaus. Es war in halbfertigem Zustand, und es erweckte den Eindruck, dass lange nichts daran getan worden war.

»Wird es nicht fertiggebaut?«, fragte Burgl interessiert. »Ich kann mir denken, dass man dann ziemlich lange frisches Gemüse ernten kann.«

»Das wird wohl so bleiben«, war die Stimme aus dem Hintergrund zu vernehmen.

Die junge Sallegg war verblüfft. Auf dem ganzen Hof hatte sie nicht die Spur von Verfall gesehen. Alles war im besten Zustand. Und nun dieses halbfertige Gewächshaus.

»Aber man hat es doch noch gar nicht ausprobieren können, Bäuerin. Es ist schade drum, ich meine, sie haben da schon so viel Material reingesteckt, von der Arbeit ganz abgesehen, ich ...«

Wieder einmal war sie zu vorwitzig gewesen.

»Du musst allein die Bohnen pflücken«, fiel ihr die Bäuerin ins Wort. »Ich hab' im Haus zu tun.«

Fort war sie, die Weitgasserin.

Verdutzt starrte sie der hohen Gestalt nach. Noch vor ein paar Minuten hatte sie doch so freundlich gesprochen und sie hatte ihr nur helfen sollen. Nicht, dass sie jetzt zornig war, weil sie allein die Bohnen pflücken musste, nein, die Arbeit würde ihr nichts ausmachen, aber dieses komische Benehmen beunruhigte sie. Was hatte sie denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Sie konnte in Gegenwart der Bäuerin sagen was sie wollte, binnen kurzer Zeit wurde sie seltsam.

Etwas zweifelnd sah sie auf das Gewächshaus.

Was stimmte hier nicht?

Erst als sie darüber Fragen gestellt hatte, war die Bäuerin fortgegangen, ja, jetzt nachdem sie gründlich darüber nachdachte, hatte sie sogar das Gefühl, die Bäuerin sei vor weiteren Fragen geflohen.

Sollte sie Viktor oder Liese nach diesem Häuschen fragen? Doch zugleich wusste sie, es ging sie ja im Grunde genommen gar nichts an. Sie stand hier im Dienst und bekam sogar einen guten Lohn, da sollte es ihr doch egal sein, was aus dem verfallenen Gewächshaus wurde.

Aber merkwürdig war es schon.

Burgl machte sich an die Arbeit und begann die Bohnen zu pflücken. Plötzlich verharrte sie in ihrer gebückten Haltung. Ein Schauer rann ihr den Rücken entlang. Es war ihr so seltsam zumute. Sie spürte ganz deutlich, dass sie beobachtet wurde, und zwar sehr intensiv. Sie drehte sich schnell um, konnte aber keinen Menschen entdecken. Sie glaubte sich selbst zum Narren zu halten und pflückte weiter Bohnen ab. Aber dieses unruhige Gefühl blieb. Der Blick der unbekannten Augen musste sich buchstäblich in ihren Rücken bohren. Sie kannte das. Einmal hatte sie ein Mann auf der Straße angestarrt und sie musste sich einfach umdrehen. Hier konnte es auch nicht anders sein.

Der Hof lag wie ausgestorben da. Die Fenster im unteren Stockwerk standen weit offen, so dass sie jeden hätte sehen müssen, der sie heimlich beobachten wollte. Langsam bückte sie sich wieder.

Von unten herauf schielte sie zum oberen Stockwerk. Sie tat so, als wäre sie sehr beschäftigt. Sachte bewegte sich eine Gardine am Fenster. Sie hatte es ganz deutlich gesehen. Einen Schatten konnte sie aber nicht ausmachen. Sie überlegte fieberhaft, welches Fenster es war.

Ihr eigenes Zimmer lag dort drüben, und wenn man weiterging, ja! Siedendheiß wurde ihr bewusst, dass es genau das Zimmer sein musste, welches man ihr zu betreten verboten hatte.

Die Fensterflügel waren fest verschlossen, also konnte kein Wind die Gardinen bewegt haben. Es musste jemand daran gestreift haben. Aber wer? Wer hatte Interesse daran, sie zu beobachten?

Wer außer den ihr bekannten Personen war noch im Haus? Sollte sie von ihrer Entdeckung sprechen?

Jetzt fühlte sie sich wieder sicher. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war verschwunden. Nachdenklich ging sie mit ihrem Bohnenkorb ins Haus zurück. Sie fädelte sie ab und schnitt sie klein. Liese beschäftigte sich mit dem Mittagessen. Es war ganz still in der Küche, nur ein paar Fliegen summten herum.

Wenig später sah sie die Bäuerin im Garten stehen. Wie verloren stand sie da, blickte ins Weite und verharrte regungslos wie eine Statue. So gar nicht wie eine Bäuerin verhielt sie sich. Auch tat sie nicht sehr viel am Tage. Es war einfach unbegreiflich. Langsam hatte Burgl das Gefühl, dass die Frau krank sein musste. Aber warum brachte man sie dann nicht zu einem Arzt? Sie hatten doch Geld genug und konnten sich jeden guten Arzt leisten.

Am Feierabend, als sie mit ihrer Arbeit fertig war, ging sie in den Garten und legte sich unter einen knorrigen Apfelbaum. Bienen summten um sie herum und in den Bäumen sangen die Vögel. Ein köstlicher Duft lag in der Luft, hier war kein Lärm, kein Gestank von der Stadt. Sie hatte es besser getroffen, als sie es sich je in ihren kühnsten Träumen auszumalen gewagt hätte.

Wieder musste sie an ihre Kindheit denken, die so böse unterbrochen worden war. Dieses Geduldetsein bei den Verwandten. Sie hatte für alles zahlen müssen, für Unterkunft, Essen und ihre Kleidung. Jeden Pfennig hatte man ihr abverlangt und dann noch davon gesprochen, dass sie nicht dankbar genug wäre. Dabei hatte sie die ganzen Jahre in dem Haushalt der Tante mitgeholfen. Diese hatte sie zeitweise wie ein billiges Dienstmädchen herumkommandiert.

Burgl schloss die Augen. Nein, sie wollte nicht sich selbst bemitleiden. Nun war alles überstanden, sie hatte ihr Leben in ihre eigene Hand genommen. Wenn es nach der Tante gegangen wäre, dann hätte sie eine Bürostelle suchen müssen, um weiterhin für das »Zuhause« zahlen zu können. Ihre Hilfe im Haushalt wurde stets dem Konto »Dankbarkeit« gutgeschrieben. In Burgl stieg jetzt noch Bitterkeit hoch. Zwei Koffer voll Kleinigkeiten hatte sie ihr eigen nennen können. Sie war erst neunzehn Jahre alt und hatte schon die ganze Bitternis, die das Leben bescheren konnte, zu spüren bekommen. Aber sie war kein Mensch, der sich selbst bedauerte. Jetzt konnte sie endlich so leben, wie sie es für gut hielt. Frei und froh.

Die Sonne ging hinter den Baumwipfeln unter. Sie stand auf und ging ins Haus zurück. Eleonore Weitgasser stand wie ein Schatten in der Diele. Wieder befiel Burgl die Frage, warum die Bäuerin so seltsam war. Muss sie nicht damit rechnen, dass eines Tages der Mann es satt bekommt?

Wieder kamen ihr die komischsten Gedanken. Die verschlossene Tür reizte doch mehr, als sie gedacht hatte. Es war wie im Märchen. Überall konnte das kleine Mädchen hingehen, nur eine Tür durfte es nicht öffnen. Ob sie ebenfalls der Versuchung erliegen würde, wie die Märchenfigur?

Sieben Romane: Heimatroman Extra Großband Juli 2021

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